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Ein kurzweilig Lesen
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"Wir sind genasführt!" schrie Sie rannten auf den Markt, um Seit der Zeit werden die Leip- In Leipzig fühlte sich Eulenspie- |
Hasenjagd gehänselt wurden, hatten seine Spur gefunden
und wollten ihm zu Leibe. Da wandte er den undankbaren Leuten
den Rücken und wählte sich die schöne Stadt Dresden zu neuer
segensreicher Wirksamkeit.
Großes Mißverständnis in Dresden
Hier fand er einen Tischlermeister, dem er sich als Geselle ver-
dingte.
Einige Tage verdiente er leidlich seinen Tagelohn, dachte
auch an keine Schalkheit. Lange hielt er es aber so nicht aus. Es war
eine Hochzeit in der Stadt, dazu war der Meister mit seiner Frau
eingeladen. Da sagte er zu Till: "Mein lieber Knecht, ich muß zur
Hochzeit gehen und werde bei Tag nicht wiederkommen. Arbeite
du währenddessen fleißig und bringe die vier Bretter dort auf dem
Tische auf das genaueste in den Leim."
Da fragte Eulenspiegel: "Welche Bretter gehören denn zusam-
men,
Meister?"
"Diese vier", antwortete der Tischler, nahm die Bretter und legte
sie aufeinander. Dann ging er zur Hochzeit. Nun wäre Till auch gern
einmal auf einer Hochzeit gewesen, da das aber nicht sein konnte, so
beschloß er, sich auf seine Weise zu vergnügen.
Tat lieber alles falsch statt recht.
Also kochte er im größten Kessel Leim, nahm dann die schönge-
maserten
vier Bretter, die für einen Tisch bestimmt waren, legte sie
aufeinander, nagelte sie zusammen und steckte sie dann in den Leim,
er sie und hängte sie zum Dachfenster hinaus, damit sie an der
Sonne trocknen sollten. Mit dem Gefühl treuer Pflichterfüllung
machte er dann Feierabend und strich in Dresden umher. Am Abend
kam der Meister fröhlich nach Hause und sagte zu Eulenspiegel: "Ge-
sell, hast du nach meinen Worten gearbeitet?"
"Gewiß, Meister", antwortete Eulenspiegel der Wahrheit gemäß,
"ich habe die vier Bretter auf das genaueste in den Leim gebracht
und zum Trocknen aufgehängt."
Der Meister freute sich über diesen Gehorsam und sagte heimlich
zu seiner Frau: "Einen solch guten Knecht kriegt man nicht alle Tage,
den müssen wir uns warm halten."
Da meinte die Frau: "Ich will ihm morgen eine schöne Milch-
suppe
kochen und zu Mittag einen gewürzten Mehlbrei, dazu ein
Stück Braten. Wir haben ja heute auch schön gegessen und ge-
trunken."
"Tue das", sagte der Meister und ging zu Bett.
Am andern Tage, als der Mann ausgeschlafen hatte, ging er zu
dem Gesellen und begehrte seine Arbeit zu sehen.
Da lief Till Eulenspiegel pflichteifrig auf den Hausboden, um die
vernagelten, verleimten Bretter herbeizuschleppen.
"Was ist das?" rief da der Meister erstaunt und sehr unliebsam
überrascht, "Knecht, du willst ein Tischler sein und bringst solche
Narretei zuwege? Ich denke, du bringst die fertige Tischplatte!"
"Was Ihr denkt, das weiß ich nicht", antwortete der Schalk, "wie
kann einer des andern Gedanken erraten! Aber was Ihr mir gesagt
habt, das weiß ich."
"Knecht, wo hast du denn das Handwerk erlernt?"fragte zornig
der Meister.
"Ich weiß nicht, was Ihr wollt", sagte er, "warum fragt Ihr da-
nach?"
"Warum ich danach frage? Nun, weil du mir meine schönen Bret-
ter
ruiniert hast, deshalb frage ich. Und jetzt gehe mir aus den Augen
und meide mir Werkstelle und Haus, denn einen solchen Schalksnar-
ren,
wie du bist, mag ich nicht mehr unter meinem Dach haben."
Also schied der fromme Eulenspiegel von Dresden und verdiente
sich auch keinen Dank, obschon er nichts anderes getan, als man ihm
aufgetragen hatte.
Er zeigt seine Fertigkeit im Lederbereiten
Das Heimweh zog den braven Till Eulenspiegel aus dem Meißner
Land doch wieder nach seinem lieben Braunschweig. Da ging er zu
einem Gerber und half tüchtig mit, das Leder für die Schuhmacher
zu bereiten. Es war kalter Winter, eine Zeit, in der vielen die Lust
zu Narrenstreichen vergeht, darum hielt sich auch Till eine Woche
lang kreuzbrav, und das wollte bei ihm viel heißen. Überdies saß
ihm der Meister den ganzen Tag auf den Hacken, so daß der lose
Vogel keine Büberei ausführen konnte, wenn er auch gewollt hatte.
Alles ging also schön und gut.
Nun hielt der Meister jede Woche einmal ein Gelage mit seinen
Berufsgenossen ab und fehlte dabei nie. So sagte er eines Tages zu
Eulenspiegel: "Knecht, ich gehe ein paar Stündchen in die Stadt,
mach du den Zuber voll Leder gar."
Da antwortete Eulenspiegel: "Woher soll ich denn das Holz dazu
nehmen?"
"Welche Frage!" erwiderte der Meister stolz, "wenn ich nicht
nehmen, damit du das Leder gar bekämest."
Der Meister ging, Eulenspiegel aber dachte:
Wenn die Katz aus dem Haus,
Dann freut sich die Maus;
Ist der Herr zum Gelag,
Hat der Narr seinen Tag.
Geschwind legte er eine Haut nach der andern in den Kessel und
sott das Leder, daß es so mürbe wurde, daß man es zwischen den Fin-
gern
hätte verreiben können. Hierauf schlug er Tische, Stühle und
Bänke im ganzen Hause kurz und klein und kochte die Häute damit
vollends gar. Darauf nahm er sie aus dem Kessel, legte sie auf einen
Haufen und verließ Haus und Stadt.
Armer Meister! Er ahnte nichts Böses, als er spät vom Gelage
heimkam. Aber sein Rausch verging gar schnell, als er die Verwü-
stung
sah. Mit kläglicher Stimme rief er seine Frau, die längst zu
Bett gegangen war, und sagte ihr:
"0 weh, Frau! Hätte ich doch keinen Fuß aus dem Hause gesetzt!
Das Leder ist völlig verdorben, Stühle, Tische und Bänke sind im
ganzen Hause zerschlagen."
"Wer hat das getan?" rief die Frau erschrocken, "doch nicht der
neue Knecht?"
"Wer sonst?" jammerte er, "und nun weiß ich auch, wer er ge-
wesen
ist. Das war Till Eulenspiegel, der hier zu Ostern Eulen und
Meerkatzen gebacken hat, der nimmt alles wörtlich, was man ihm
sagt."
"Du mußt ihm nachlaufen", sagte die Frau, "er muß den Scha-
den
ersetzen.
"Nein", sagte der Gerber, "den lasse ich lieber laufen, der ist zu
boshaft und bringt kein Glück ins Haus."
So ließ auch hier Eulenspiegel keinen guten Ruf zurück und hatte
doch auch nur getan, was ihm befohlen worden war.
Lustige Streiche in Hamburg
Nach so vielen losen Streichen, die Till Eulenspiegel im Sachsen-
lande
verübt hatte, hielt er es für das beste, sich aus der Gegend
zu entfernen. So kam er nach der ehrwürdigen Hansestadt Ham-
burg.
Da gefiel es ihm sehr gut und er nahm sich vor, seiner Schalk-
heit
wieder die Zügel schießen zu lassen. Wie er nun so auf dem
Hopfenmarkt umherschlenderte, traf er einen, dem man schon von
weitem sein Geschäft ansah und anroch, es war nämlich ein Barbier.
"Aus dem Lande Braunschweig", erwiderte Till.
"Und was hast du dort angefangen?"
"Ich habe es allen Leuten recht gemacht."
"Was für ein Gewerbe hast du?"
"Ich bin ein Bartscherer", sagte Eulenspiegel ohne viel Besinnen.
Der Barbier dachte: Ich brauche gerade einen Gehilfen, ich will
den Burschen mieten. Er machte ihm also seinen Vorschlag, Eulen-
spiegel
nahm an, und sie einigten sich über den Lohn. Dann sagte
der Barbier: "Dort drüben ist mein Haus, wo die hohen Fenster
sind, da mußt du hineingehen, ich werde gleich nachkommen."
Eulenspiegel fand das Haus mit den hohen Fenstern, die zu ebener
Erde lagen, sogleich und ging ohne Zaudern durch ein solches Fen-
ster,
daß die zerbrochenen Scheiben nur so in die Stube flogen. Da
len, als Eulenspiegel so durch das Fenster einbrach.
"Gott grüße das ehrbare Handwerk!" sagte Till freundlich.
Die Meisterin aber rief erzürnt: "Plagt dich denn der Teufel, durch
das Fenster hereinzukommen? Ist das eine Art? Als ob das Tor nicht
breit genug wäre!"
Eulenspiegel antwortete sanft: "Seid nicht unwirsch, gute Frau
Meisterin, Euer Hauswirt, der mich soeben als Knecht gedingt hat,
befahl mir, so in sein Haus zu kommen."
"Das ist mir ein schöner Knecht, der seinem Herrn die Fenster
verdirbt", antwortete sie.
Unter solchen Reden kam auch der Meister an, sah den Unfug und
sprach: "Was soll das heißen? Konntest du nicht zur Tür hereinkom-
men?
Wie kommst du dazu, mir mein Fenster zu zerbrechen?"
Da antwortete Till Eulenspiegel: "Lieber Meister, Ihr hießet mich
doch da hineingehen, wo die hohen Fenster sind, Ihr wolltet bald
nachkommen. Nun habe ich treulich nach Euern Worten gehandelt,
Ihr aber habt Euer Versprechen nicht gehalten."
Der Meister wußte hierauf nichts zu erwidern, im Grunde freute
ihn der Witz, denn er war, wie alle Hamburger, kein Feind fröhlicher
Laune. Dann aber dachte er: Das Fenster will ich wohl wieder ma-
chen
lassen, aber ich ziehe es ihm am Lohn nach und nach ab. Ich
müßte doch kein Hamburger Barbier sein, wenn ich mich von einem
Braunschweiger Schalk überlisten lassen wollte. Also sagte er weiter
nichts dazu, verbot auch seiner Frau das Schelten. Der Geselle mußte
arbeiten, und das zerbrochene Fenster wurde ausgebessert.
An einem Tage sagte der Meister nun zu seinem Knechte: "Schleife
mir diese Barbiermesser!"
"Wie soll ich schleifen?" fragte der gehorsame Knecht.
"Schleif sie glatt auf dem Rücken, gleich der Schneide."
o armer Meister! Du weißt nicht, wem du diesen zweideutigen
Auftrag gegeben hast, sonst würdest du ihm nicht vertrauensselig den
Rücken gewandt haben. Eulenspiegel schleift, daß die Funken stieben,
schleift und schleift, daß die Schneide mit jeder Umdrehung des Ra-
des
dem Rücken ähnlicher wird. Bald ist er fertig und hat in kurzer
Zeit ein halbes Dutzend schöne Solinger Klingen völlig verdorben.
o Meister, Meister!
Den Meister führt sein guter Engel noch rechtzeitig her, um die
"Caramba!"schimpfte der Barbier auf spanisch, da ihm augenblick-
lich keine deutschen Verwünschungen zur Hand waren. "Caramba!
— Was treibst du Schelm da?"
"Ich -?" erwiderte Till im Gefühle gekränkter Unschuld, "ich
tue nach Euern Befehlen. Ihr hießt mich doch..
"Ich hieß, ich hieß!" antwortete der wütende Meister, "ich heiße
dich jetzt etwas anderes! Du bist ein unverbesserlicher Schalk, gehe
dahin, wo du hergekommen bist!"
Sogleich stand Eulenspiegel auf, ging in die Stube des Meisters und
brach wieder durch dasselbe Fenster, durch das er gekommen war.
Diesmal flogen die Scherben auf den Hopfenmarkt.
Der Meister aber, der sich weniger darüber ärgerte, daß der Schalk
ihm an den Fenstern und Messern Schaden zugefügt, als darüber, daß
er ihn in der Schalkheit übertroffen hatte, rief laut nach dem Büttel
und schrie ihm nach, er solle ihm seine Fenster und die Messer bezah-
len.
Vergebliche Mühe! Eulenspiegel war flinker als Bartscherer und
Büttel, gewann ein Schiff und schied auf Nimmerwiedersehen.
An ihm ist Hopfen und Malz verloren
Jedermann weiß, daß in Einbeck ein gutes Bier gebraut wird, Eulen-
spiegel
wußte das auch. Er ergriff also seinen Wanderstab und machte
sich auf den Weg nach Einbeck. Dort gab er sich für einen Brauer-
knecht
aus und ging in eine Brauerei, um hier Arbeit zu suchen. Auf
dem Hofe kam ihm ein zottiger Köter mit wütendem Gebell ent-
gegen.
Eulenspiegel wollte ihn mit seinem Stock abwehren, aber das
die Bestie nicht von ihm abließ, rief er den Hausherrn zu Hilfe. Der
wollte sich ausschütten vor Lachen, lobte den Rüden und sagte zu
dem fahrenden Gesellen:
"Der kennt seine Leute! Kommen ordentliche Herren in meinen
Hof, so wedelt er mit dem Schweif, aber das Pack fährt schlecht bei
ihm, dem zerreißt er die Unentbehrlichen. Hopf, komm hierher!"
Der Hund, der Hopf hieß, kam nun endlich und ließ den Gesellen
los. Der kühlte sein Bein am Brunnen, sagte aber weiter nichts dazu.
Die beiden Männer kamen bald in ein Gespräch, das damit endete,
daß der Brauer Eulenspiegel als Knecht dingte. Nun war Eulenspie-
gel
auf einmal ein Brauergeselle.
Nach einigen Tagen war der Brauer mit seiner Frau zu einer Hoch-
zeit
eingeladen und befahl vor seinem Weggehen dem Knecht, Bier
zu brauen. Die Magd würde ihm dabei behilflich sein, die verstände
die Sache.
"Vor allem", sagte er,' "mußt du großen Fleiß darauf verwenden,
den Hopfen ordentlich zu sieden, sonst schmeckt der Sud nicht kräf-
tig,
und keiner will ihn kaufen und trinken."
Da versprach Eulenspiegel, sein Bestes zu tun, auch den Hopfen
ordentlich zu sieden. Nun ging die Arbeit an, wobei die Magd die
nötigen Anweisungen gab. Endlich aber sagte sie:
"Lieber Knecht, ich möchte doch ein Stündchen gehen und mir
ganz heimlich den Tanz auf der Hochzeit ansehen, ich meine, den
Hopfen könntest du auch selber sieden."
"Ei freilich, liebe Jungfer", antwortete er, "geh nur hin und sieh
dich satt, ich will es schon recht machen." Nun hatte Eulenspiegel
das Reich allein. "Jetzt will ich schön sieden", sagte er, ergriff den
Hund, schlug ihn tot und warf ihn in den Braukessel. Dann machte er
dem Tier abfielen und das Gerippe sichtbar wurde.
Bald kam die Magd wieder und sagte: "Lieber Bruder, dem Hop-
fen
ist nun genug geschehen, schlag ab!" Nun wurde der Seihkorb
vorgehängt und von dem Sud ein Hafen voll nach dem andern in den
Braukessel geschüttet. Der Magd kam aber die Sache sehr merkwür-
dig
vor, denn der Abguß war sehr dünn und roch verdächtig. Sie
fragte daher: "Lieber Bruder, hast du auch wirklich den Hopfen in
den Kessel hineingetan? Ich merke nichts davon."
Da antwortete der Schalk: "Sieh nur hinein in den Kessel, liebe
Jungfer, so wirst du den Hopfen schon sehen."
Diese Mühe machte sich die Magd, sah hinein und erblickte zu
ihrem Schrecken das Gerippe.
"Lieber Knecht, was hast du da getan?"fragte sie.
"Je nun, ich habe den Hopfen gesotten, wie mir geheißen ward",
antwortete er einfältig. Indessen kam der Meister heim. Er hatte viel
getrunken und war guter Dinge.
"Tralala, Kinder, seid ihr auch lustig?" rief er in die Braustube
hinein.
"Ach, da ist ein Unglück geschehen, Meister", sagte die Magd, "der
neue Knecht sollte Hopfen sieden, derweil ich ein wenig ging, um den
Tanz zu sehen, und da hat er den Hopf, unsern Hund, in den Kessel
geworfen und gesotten. Solches Bier kann doch kein Mensch
trinken!"
Wenn der Meister nüchtern gewesen wäre, so hätte es nun wohl
etwas gesetzt, denn der Sud war doch offenbar verdorben, so aber
in seinem Rausche sagte er bloß: "Heidi, das ist ein guter Spaß, dar-
über
müssen wir morgen abrechnen; aber jetzt, Kinder, muß ich zu
Bett gehen."
Till Eulenspiegel aber wartete den Morgen und das Donnerwetter
nicht ab, sondern machte sich aus dem Staube. Er hatte wieder ein-
mal
den Leuten den Willen getan und doch nichts recht gemacht.
Er kann nicht nur für einen Bauern,
sondern auch für einen Junker kochen
sondern auch für einen Junker kochen
In Hildesheim wohnte ein reicher, wohlbegüterter Kaufmann, der
aß gut, trank gut, machte gute Geschäfte, zahlte gut und war auch
sonst ein guter Mensch. Vor der Stadt hatte er einen schönen Kohl-
garten,
darin zog er allerhand feines Gemüse, Salat und Kräuter, die
dann zu seinen Mahlzeiten Verwendung fanden. Häufig genug hatte
er Gäste, und die kamen zu dem "Junker", eben darum, weil er eine
gute Küche führte. Gutes Essen und Trinken war seine Hauptsorge,
und manchmal dachte er an nichts anderes.
Eines Tages ging der Junker also wieder aus der Stadt, um im Gar-
ten
nach seinem Kohl zu sehen. Da sah er einen Menschen an der
Landstraße liegen, den er teilnehmend fragte, wer er sei. Eulenspiegel
kannte den guten Mann bereits und antwortete, er wäre ein Küchen-
bursche
und hätte gegenwärtig keinen Dienst.
"Ei, ei", sagte der Junker, "das ist ja mein Fall, ich brauche nämlich
dringend einen Küchenburschen. Die Stuben müßte er auch mit hei-
zen.
Meinetwegen nicht, aber wegen meiner Frau, der schmeckt näm-
lich
das Essen nie, man kann es ihr gar nicht recht machen. Es ist aber
sonst eine gute Frau, sie hält auch das Gesinde nicht schlecht. Ganz
im Gegenteil, sie haben es gut bei ihr, sehr gut. Also, wenn du -aber
wie heißt du denn eigentlich, Bruder Küchenbursche?"
"Bartholomäus!" antwortete Eulenspiegel.
"Ei, ei, das ist ein langer Name, den will ich lieber abkürzen und
dich bloß Toll nennen. Also mein lieber Toll, wenn du recht brav bist
— und du siehst ja danach aus -, dann will ich dich bei mir anstel-
len
als Küchenbursche und Stubenheizer, will dir einen neuen Wams
geben und auch einen guten Sold, und überhaupt sollst du es gut bei
mir haben."
Da antwortete Toll: "Werter Junker, ich bin wohl zufrieden da-
mit."
"Das dachte ich mir", sagte der gütige Kaufmann und fuhr fort:
"Nun komm mit mir in meinen Garten, wir wollen gleich ernstlich
ans Werk gehen. Nächsten Sonntag bekomme ich Besuch, werte
Freunde, auch der Pfarrer Heinrich Hamenstede ist darunter. Denen
muß ich etwas Gutes zu essen vorsetzen. Was meinst du wohl, mein
lieber Toll, was wir da auftischen könnten?"
"Nun, ich meine, gebackene Hühner", sagte Eulenspiegel aufs
Geratewohl.
"Richtig, richtig, mein lieber Toll", erwiderte der Feinschmecker
eifrig, "du sprichst, wie ein gelernter Koch reden muß, Hühner müs-
sen
auf welsche Manier zubereitet werden, ich meine, schön mit Ros-
marin
oder mit Zwiebeln, Lauch und Kresse gefüllt. Eier gehören
aber auch dazu."
"Das will ich meinen", antwortete Toll, "auch Endivien, Gurken
und Sauerampfer."
"Ei, ei", unterbrach ihn der Meister, "ich merke, du verstehst das
Geschäft. Hier sind wir an meinem Garten, nimm dir, soviel du
brauchst, aber die besten Blätter."
Das tat Eulenspiegel, und der Junker half tüchtig mit, denn die
Sache war ihm wichtig. Beide gingen dann zur Stadt zurück in des
Junkers Haus.
Die Frau des Kaufmanns machte große Augen, als ihr Mann mit
dem Landfahrer ankam. "Was soll der im Hause?"fragte sie, denn
sie traute dem Fremden nicht. Es waren ja auch schon viele Geschich-
ten
von einem gewissen Till Eulenspiegel im Umlauf, die davor warn-
ten,
den ersten besten von der Straße weg in das Haus aufzunehmen,
denn in ganz Sachsen waren dadurch die ehrbarsten Leute schändlich
geprellt worden. Die Frau des Junkers hatte von solchen Bübereien
genug vernommen und sah nun in jedem unbekannten Reisenden
einen Till Eulenspiegel. Also war sie auch gegen den redlichen Bartho-
lomäus
eingenommen und sagte weiter zu ihrem Eheherrn:
"Bist du vielleicht besorgt, daß unser Brot schimmelig werden
könnte, weil du solch einen Mitesser in das Haus führst? Ich dachte,
wir hätten Besucher und Kostgänger genug."
"Ei, ei, Frau", erwiderte der gute Mann, "du kennst den Mann
gründlich gelernt."
"Der sieht mir gerade darnach aus", sagte die ungläubige Frau.
"Nun, du wirst sehen", meinte er und rief darauf: "Toll!"
"Junker!" antwortete Eulenspiegel.
"Nimm den Sack und geh mit nach der Fleischbank, wir wollen
Einkäufe machen."
Eulenspiegel nahm den Sack und folgt seinem Herrn an die Fleisch-
bank.
Da war der Junker gern gesehen, denn er kaufte viel, mäkelte
wohl ein wenig an der Ware, aber nie am Preise. Diesmal erstand er
acht Pfund Rindfleisch, dazu einen zehnpfündigen Braten, der sollte
der Mittelpunkt der Tafelrunde für den kommenden Sonntag wer-
den.
Die Hühner waren nun schon zurechtgemacht und konnten,
wenn sie aufgewärmt wurden, serviert werden, über die Fleischspeisen
aber gab der vorsichtige Junker dem Koch genauere Anweisung.
"Mein lieber Toll, du mußt zeitig aufstehen, damit das Rindfleisch
wohl gesotten wird, aber den Braten mußt du recht sorgsam behan-
deln.
Lege ihn zeitig ein und laß ihn kühl und langsam braten, damit
er nicht verbrennt."
Nach solch eindringlicher Belehrung glaubte der wackere Junker
genug für das Wohl seiner werten Gäste gesorgt zu haben, überließ
darum dem treuen Toll leichten Herzens die Ausführung und ging
mit seiner Frau in die Kirche.
Eulenspiegel kochte nun nach Herzenslust Kraut, Fleisch und Hüh-
ner,
aber den Braten steckte er an den Spieß und trug ihn in den Kel-
ler,
dort legte er ihn recht kühl zwischen zwei Fässer Einbecker Bier,
damit er nicht verbrennen könne.
Zur festgesetzten Stunde kamen die Gäste in des Junkers Haus, der
gelehrte Stadtschreiber, der lustige Pfarrer Heinrich Hamenstede und
eines guten Mahles. Die Magd trug auf, und sie ließen es sich wohl
schmecken, lobten die Speisen und den guten Gastgeber. Da rief dieser
in die Küche hinein: "Ei, ei, mein lieber Toll, wo ist denn aber die
Hauptsache, der Braten?"
"Der liegt im Keller."
"Ist er denn bereit? Meine Gäste haben Hunger."
"Bereit ist er nicht, ich wußte ja auch nicht, wann Ihr ihn essen
wolltet. Ihr sagtet mir, ich sollte ihn kühl halten, darum habe ich ihn
im Keller zwischen zwei Fässer Bier gelegt, ich denke, da liegt er kühl
genug."
Dem Junker war diese Kochweise ganz neu, und er machte große
Augen. Aber der lustige Pfarrer Heinrich Hamenstede war dem Wirt
nachgeschlichen, hörte die Unterhaltung und brach in ein ungeheures
Gelächter aus, in das die übrigen Gäste mit einstimmten, sobald sie
die Sache erfahren hatten. Heinrich Hamenstede wurde durch den
Schwank und durch das Einbecker Bier so erregt, daß er Verse
machte:
Dem Fremden gibt zu raten?
Da macht man in dem Kellerloch
Zum Gastmahl einen Braten.
Man brät ihn kühl
Auf dem Gestühl,
Zwei Fässer Bier sind auch dabei.
0 Hildesheimer Kocherei!
Der Junker nahm dem neuen Koche den Witz also nicht sehr übel.
Als die Gäste endlich gegangen waren, kam Eulenspiegel dienst-
eifrig
heran und sagte "Junker, der Braten ist fertig, soll ich ihn
anrichten?
Da wurde der Kaufmann zornig und sagte: "Die Mahlzeit ist zu
Ende, was nützt mir nun dein Braten? Es ist mir gleich, ob er ge-
raten
ist oder nicht. Du magst ihn meinetwegen selber essen."
"Ganz wie Ihr befehlt, Junker", erwiderte vergnügt Eulenspiegel
und machte sich sogleich an die Arbeit.
Aber die Frau des Junkers sagte zu ihrem Eheherrn: "Du willst im-
mer
alles besser wissen. Nun hast du dir den Toll aufgeladen und
siehst selbst, daß er ein Schalk ist. Ich habe nicht eher Ruhe, als bis
der Schelm aus dem Hause ist."
"Habe Geduld", antwortete er, "ich brauche ihn noch; wenn es
Zeit ist, will ich ihm schon das Haus verbieten."
Die erzürnte Frau ließ sich aber durch solche Worte kaum be-
ruhigen.
Eine tolle Fahrt
Einige Tage nach dieser Geschichte sagte der Junker zu seinem
Knecht: "Toll, du mußt mich nach Goslar fahren. Der Pfarrer Hein-
rich
Hamenstede will auch mit. Darum setze den Wagen instand und
schmiere ihn tüchtig."
"Womit soll ich ihn schmieren?" fragte der Schalk.
"Mit Wagenschmiere, Toll", antwortete er. "Hier hast du einen
Schilling, kaufe davon, soviel du erhalten kannst, laß dir auch nicht
zu wenig altes Fett daruntermischen."
"Ich will es genau tun, wie Ihr gesagt habt", sagte Eulenspiegel,
und sein Herr verließ sich darauf. Till ging an die Arbeit. Schmiere
hatte er genug, damit schmierte er den ganzen Wagen, innen und
außen, besonders an den Sitzen. In der Frühe des nächsten Tages
stiegen die beiden Herren auf. Eulenspiegel nahm Zügel und Peit-
sche,
und fort ging es nach Goslar. Die Herren vertrieben sich die
Zeit mit guten Gesprächen, bis auf einmal der lustige Pfarrer sagte:
"Zum Kuckuck, wie fertig ist das hier? Halt, Kutscher!" Nun hielt
Eulenspiegel, und die beiden sahen jetzt am hellen Tage, daß der
ganze Wagen wie Speck glänzte und dick mit übelriechender Wagen-
schmiere
bedeckt war. Da wurde der sonst so friedfertige Junker
ernstlich böse und rief: "Toll, du Schelm, was hast du mit dem Wa-
gen
angefangen?"
"Ich habe ihn geschmiert, wie Ihr mich geheißen habt", antwor-
tete
er.
"Du bist ein Schalksnarr", rief der Kaufmann. "Fahre an den
lichten Galgen!"
Sogleich nahm Eulenspiegel wieder kräftig die Zügel in die Hand
und fuhr darauflos. Unterwegs ließen sie ihn indes wieder halten,
denn ein Bauer kam ihnen mit einer Fuhre Stroh entgegen. Dem
kaufte der Junker einige Bund ab, und die beiden Herren reinigten
damit ihre Sitze von der Wagenschmiere. Nun ging die Fahrt weiter,
bis sie an einen Galgen kamen. Da hielt Eulenspiegel an und spannte
die Pferde aus. Die Herren, die vorher ein wenig eingenickt waren,
sahen sich nun auf einmal unter dem Rabenstein.
"Ei, du gottvergessener Schalk", rief der Junker, "was sollten wir
hier? Ist das eine Art, deinen Herrn an den Galgen zu bringen? Fahre
zu und sieh nicht hinter dich!"
Diesem Auftrage kam Eulenspiegel gewissenhaft nach, er spannte
der Vorderwagen mit dem Hintergestell verbunden war. Nicht
lange fuhren sie, da ging das Fuhrwerk auseinander, das Hinterteil
mit den beiden Reisenden blieb stehen, Eulenspiegel aber jagte mit
dem Vorderstück und den Pferden fröhlich davon, ohne sich umzu-
sehen. Es blieb den beiden nichts weiter übrig, als dem Schalk den
Weg abzuschneiden und ihn zur Umkehr zu veranlassen.
Sie wollten ihn prügeln, doch brauchten sie seine Dienste bis
Goslar und zurück, so ließen sie ihm seine Schalkheit noch einmal
durchgehen.
Eulenspiegel ist in einer unglücklichen Stunde
geboren
geboren
Der Junker kam von Goslar wohl gesund, aber in übler Stimmung
zurück.
"Toll", sagte er zu seinem Knecht, "wir sind Freunde gewesen.
Iß und trink dich satt, gehe dann auch noch einmal zur Ruhe, aber
morgen mußt du das Haus räumen."
Diese Rede hörte die Frau und sagte: "Du scheinst nicht bequem
gefahren zu sein. Hat dir der Knecht etwa einen Streich gespielt?"
"Nicht einen, sondern mehrere", erwiderte er, "den Wagen hat
er boshafterweise von unten bis oben geschmiert, zum Rabenstein
hat er uns gefahren, mit den Pferden ist er durchgegangen, umge-
worfen
hat er den Wagen dreimal, bald wären wir in die Innerste
gefallen, sonst ist nichts weiter vorgekommen."
"Ich habe doch immer recht", sagte die Frau.
Am andern Morgen sah der Junker den Gesellen zornig an und
sagte zu ihm: "Trink und iß, soviel du magst, Kumpan, aber wenn
ich wieder aus der Kirche komme, mußt du das Haus geräumt haben,
denn einen solchen Schelm, wie du bist, mag ich nicht mehr im Hause
dulden. Der Herr Pfarrer hat's auch gesagt."
Nach dieser Strafrede ging der gute Mann in das Gotteshaus. Eu-
lenspiegel
hatte sein Urteil zerknirscht angehört, dann aber ging
er daran, den letzten Willen des gütigen Herrn auszuführen. Zu-
nächst
wollte er sich recht satt essen, fand aber nur Brot vor, denn
die sparsame Wirtin hatte die Speisekammer zugeschlossen und den
Schlüssel eingesteckt. Ohne Besinnen brach er das Schloß auf und
tat sich gütlich an Gebratenem, Gesottenem und Gebackenem, bis
er nicht mehr konnte. Dann fing er an, alles, was er im Hause fand,
Speicher auf die Straße zu tragen, obwohl es regnete, was vom Him-
mel herunter wollte.
Die Nachbarn aber wunderten sich sehr darüber, was wohl der
Junker vorhaben möge, daß er seinen Hausrat vor die Tür setzen
ließe. Einem kam das nicht geheuer vor, er lief in die Kirche und
zeigte es dem Besitzer an. Der eilte heim und sah das Unheil.
"Du meine Güte", rief er, "habe ich dich das geheißen? Solltest du
nicht längst über alle Berge sein, nachdem du dich satt gegessen hat-
test?
Du bist ein böser Schalk!"
"Aber Junker", rief Eulenspiegel, "wie könnt Ihr mir nur so zür-
nen!
Ich habe doch nur nach Euern Worten gearbeitet. Seid so gut
und helft mir, den schweren Schrank auf die Gasse zu tragen, denn
ich vermag es nicht allein."
"Du sollst mir mein Gut nicht auf die Gasse tragen, Erzschelm,
der du bist!" rief der Junker, "du sollst sogleich machen, daß du
fortkommst, dich auch nicht wieder sehen lassen, oder ich will dem
Büttel Bescheid sagen."
Da sagte der Schalk: "Ich bin wohl in einer unglücklichen Stunde
geboren. Ich tue alles, was mich die Leute heißen, und mache es kei-
nem
nach Wunsch. Lebt wohl, Junker, ich bin Till Eulenspiegel."
Da erschrak der Kaufmann und trug sein Gerät stillschweigend
wieder in das Haus, während die Nachbarn herzlich lachten.
Gefährliche Bauspekulation
In Hersfeld sollte einmal eine Brücke über einen Weg gebaut wer-
den,
eine wahre Teufelsbrücke, die von einem Berge zum andern
ster versucht, waren auch damit fertig geworden, aber kaum war
das Gerüst abgenommen, als das Bauwerk mit Krachen in die Tiefe
stürzte. Die ungeschickten Meister wurden bestraft, prophezeiten
aber, daß es keinem andern gelingen werde, den Bau zu einem guten
Ende zu führen, wenn nicht nach alter Väter Sitte ein Kind einge-
mauert würde. Da beschloß der Rat, auf den Bau der Brücke zu ver-
zichten.
Wohlgemut meldete sich Till Eulenspiegel eines Tages in Hers-
feld,
gab sich als italienischer Baumeister aus und erbot sich, die
Brücke herzustellen, wenn ihm hundert Gulden sogleich, hundert an-
dere
nach Abnahme des Werkes gegeben würden. Darauf antwor-
tete
ihm der Bürgermeister: "Lieber Meister, es sind wohl so manche
gekommen, die den Bogen recht zu ziehen meinten, wenn wir aber
das Gerüst abnahmen, dann stürzte das Gebäude zusammen. Nun
wollen es einige mit der schwarzen Kunst versuchen, doch mögen
wir diese Schande nicht auf uns laden."
"Habt keine Sorge, werte Herren", antwortete der Schalk, "ich
gedenke die Brücke so dauerhaft zu machen, daß sie bis in alle
Ewigkeit halten soll, und will keineswegs die schwarze Kunst dazu
verwenden, die eine rechte Sünde und Schande für einen guten Chri-
stenmann
ist. Wenn das Gerüst abgenommen wird, will ich mich
getrost unter den Bogen stellen, und stürzt er zusammen, so soll er
mich erschlagen und begraben."
Ob solcher kühnen und zuversichtlichen Worte horchte der ge-
samte
Rat hoch auf. Eine Beratung ward abgehalten, und dem kennt-
nisreichen
Meister wurde das Werk übertragen. Er bekam auch seine
hundert Gulden, aber insgeheim erhielten Stadtknechte und Schar-
wächter
den Auftrag, den Fremden auf Schritt und Tritt zu be
Rat wollte doch sein Geld nicht wieder nutzlos verschwendet haben.
Das merkte Eulenspiegel sehr bald, doch ließ er sich dadurch nicht
beirren, stellte Maurer und Handlanger an die Arbeit und brachte
das Werk zu Ende. Es hatte aber allerwärts Sprünge und Risse, so
daß jeder Verständige sah, daß es zusammenstürzen müsse, sobald
das Gerüst fiele. Das wußte Eulenspiegel auch, und er hätte sich gern
verabschiedet, wenn ihn die Stadtknechte nicht so scharf behütet hät-
ten.
Über die Brücke durfte er gar nicht hinaus.
Am Abend vorher, als die Balken und Streber abgenommen wer-
den
sollten, schlich er sich an das Holzwerk und legte Feuer an. Es
dauerte nicht lange, so stand das trockene Gerüst in hellen Flam-
men.
Nun lief ganz Hersfeld hinzu und wollte löschen. Das gelang
aber nicht, das Gerüst stürzte krachend zusammen, und das ver-
pfuschte
Mauerwerk, das nur auf diese Erlösung gewartet hatte, fiel
ebenfalls in sich zusammen. Jedermann sah mit Staunen und Ver-
gnügen
dem Wunder zu, indes Eulenspiegel die Gelegenheit be-
nutzte,
um zu entwischen.
Die Beamten in der alten guten Zeit
In der alten guten Zeit, in der Till Eulenspiegel lebte, war das
Sprichwort: Wer im Rohre sitzt, der schneidet sich Pfeifen, ganz un-
bekannt.
Dagegen kannte man damals ein anderes, das lautete:
Es bringt doch etwas ein;
und noch eins: Es ist kein Ämtchen auf dieser Erd,
Oder, es ist des Henkens wert.
Nach solchen guten Regeln wurde allerwärts verfahren. Das
merkte auch Till Eulenspiegel, als er wieder einmal in seine Heimat
Braunschweig kam. Er sah da, wie die Amtleute des Herzogs alle
feist, behäbig und wohlhabend waren, und wäre auch gern reich
geworden, denn in Braunschweig ist der Reichtum keine Schande.
Also bemühte er sich um ein Amt und wollte ein Zeugnis darüber
bringen, daß er in Berlin lange Zeit das ehrwürdige Amt eines Stadt-
knechtes
zur Zufriedenheit der Gestrengen verwaltet habe.
Allein die Ämter waren alle wohlbesetzt durch behäbige Rats-
herren
und Amtsleute. Nun fragte Till Eulenspiegel an, ob er, als
ein Kind des Landes, nicht die Verwaltung der herzoglichen Vieh-
herde
übernehmen dürfe, das sei nach seinem Geschmack, auch habe
er genügend Erfahrung für das Amt.
Der Amtmann, der diese wichtige Stelle zu vergeben hatte, fing
nun an, mit Till zu unterhandeln. Er sagte dabei: "Die Sache ist nicht
so einfach, wie du denkst, denn ein so wichtiges Amt darf nicht so
ohne weiteres angetreten werden. Du hast für den Stempel zehn
Gulden zu bezahlen, für das Papier der Urkunde fünf Gulden, die
Ausfertigung kostet sechs Gulden, die Kopie vier Gulden, für die
Aushändigung werden wieder zehn Gulden gerechnet, das sind zu-
sammen
fünfunddreißig Gulden. Kannst du das bezahlen?"
Da merkte Eulenspiegel, daß ihm der Amtmann den Posten ver-
kaufen
wollte, und erwiderte: "Ein so großes Vermögen besitze ich
wahrlich nicht, doch wäre ich gerne bereit, das Amt statt dessen ein
Jahr lang umsonst zu verwalten."
Der spitzbübische Amtmann rechnete nun aus, ob er dabei wohl
dadurch noch vergrößern würde, war er sehr zufrieden und schloß
den Handel ab.
Eulenspiegel war nun unbesoldeter Herr der herzoglichen Herden
und war sich seiner Würde wohl bewußt. Allein dies Amt brachte
nichts ein, denn was nützte es ihm, daß ihn der ihm unterstellte Sau-
hirt
"Euer Gestrengen" anredete? "Du mußt reich werden, Eulen-
spiegel"
war die ewige Mahnung in seinem Innern; "du mußt ge-
füllt
werden!" knurrte sein Magen.
Da kam der braunschweigische Odysseus auf folgenden Ausweg:
Er schrieb einen Brief an die Gemeinde zu Wolfenbüttel und teilte
ihr mit, daß er, der oberste Viehverwalter des gnädigen Herzogs,
nächstens mit der ganzen Herde in die dortige Flur einrücken werde,
sie möchten sich darauf einrichten. Einen gleichen Brief sandte er
nach der guten Stadt Helmstedt, einen nach Hasselfelde und einen
nach Blankenburg. Mit gleichem Schreiben bedachte er Minden an
der Weser (Holzminden), Seesen, Gandersheim, Duttenstedt, Salder,
Elbe und andere Städte und Orte. Die Ratsherren, die diese Schrei-
ben
empfingen, machten lange Gesichter.
Wenn uns der Herzog seine große Herde in das Land schickt, dann
bleibt für unser Vieh nicht mehr viel übrig, dachten sie. Am besten
ist, wir kaufen uns los!
In Wolfenbüttel beschlossen die Ratsherren also, dem herzog-
lichen
Viehverwalter zwanzig Gulden zu geben, in Helmstedt eben-
soviel,
und ähnlich hielten sie es in den anderen Orten. So kam
Eulenspiegel zu vielem Geld, so daß sich sein Amt durch solche
Schalkheit reichlich bezahlt machte.
Eulenspiegel pfuscht dem Ruhlaer Schmied
ins Handwerk
ins Handwerk
Von der Ruhlaer Schmiede im Thüringer Walde hat wohl jeder
schon einmal etwas gehört und weiß, daß da einstmals der Land-
graf
von Thüringen, der meist auf der Wartburg residierte, uner-
kannt
einkehrte. Der Schmied wollte den vermeintlichen Jägerbur-
schen
anfangs nicht aufnehmen, seines Herrn wegen, der gegen die
Amtleute und sein freches Hofgesinde zu nachsichtig sei. Während
er dann schmiedete, rief er beständig: "Landgraf, werde hart, hart
wie das Eisen!"
Auf solche Weise schmiedete er den Landgrafen wirklich hart,
ohne es zu wissen, und der mächtige Mann, der vordem alles ge-
glaubt
und gut befunden hatte, was seine Diener ihm vortrugen,
ward von nun ab mißtrauisch und sah ihnen gar scharf auf die
Finger.
Solche Rede ging nun im Sachsenlande, und weit und breit ward
der tapfere Schmied gelobt, der den Landgrafen zum Beispiel für
andere hohe Herren hartgeschmiedet hatte.
Nun war zu Frankfurt am Main eine Königswahl. Da dachte Till
Eulenspiegel: Dort gibt es sicher für einen landfahrenden armen
Schlucker Geld zu verdienen, und, wenn es glückt, so nimmt dich
ein vornehmer Herr in seinen Dienst. Das war sein höchster Wunsch,
denn es war ihm leid geworden, dummen, faulen und tückischen
Meistern wie bisher zu dienen, auch hielt er es in Braunschweig
nicht mehr aus, weil die Ratsherren nicht mehr auf seine Schalkheit
eingingen.
Er kam also nach Friedberg in der Wetterau und wartete auf den
Bischof von Trier, der mit großem Gefolge nach Frankfurt fuhr. Da
Dinge, die da kommen sollten.
Als Erster kam der Vorreiter auf schmuckem Rosse, dann folgten
die Falkeniere, die Bratenwender, Tafeldecker, Meier, der Truchseß,
die Vögte, und plötzlich kam der Bischof selbst mit zahlreichen Kle-
rikern.
Waffenknechte und Bogenschützen beschlossen den Zug. Der
Bischof, der sich in einer Sänfte tragen ließ, gewahrte den wunder-
lich
gekleideten Mann und ließ sich herab, ihn zu fragen, was für
ein Handwerk er treibe.
"Hochwürdiger Herr", antwortete Till Eulenspiegel, "ich bin ein
Brillenmacher und komme aus Brabant. Viele Länder habe ich ge-
sehen,
aber überall suche ich vergebens nach Arbeit."
"Das nimmt mich wunder", sagte der Bischof. "Alle Welt wird
in unseren schlechten Zeiten doch kränker und klagt darüber, daß
das Licht der Augen abnimmt, also sollte man meinen, daß das Ge-
schäft
des Brillenmachers eher zu-, als abnehmen müsse."
"Hochwürdiger Herr", antwortete Eulenspiegel, der mit gehöri-
gem
Respekt neben der Sänfte herging. "Ihr würdet es mir sehr übel
nehmen, wenn ich Euch die Gründe für den Rückgang meines Ge-
schäftes
darlegen wollte."
Darauf sagte der Bischof lachend: "Keine Sorge, dir und deines-
gleichen
nimmt man nichts übel, selbst wenn du die Wahrheit
sagtest."
Er hielt Eulenspiegel nämlich für einen Narren und irrte darin
nicht allzusehr.
Eulenspiegel sagte also: "Früher war es anders, in der alten guten
Zeit, da bedurften die Leute noch der Brillen, aber nun leben wir in
einer bösen Zeit. Jetzt sieht keiner den Oberen mehr durch künst-
liche
Gläser, sondern sie helfen sich auf andere Weise. Jeder sicht sei-
Brille. Ja, diese Gewohnheit ist sogar von den Bürgern, den Mei-
stern und selbst den Bauern angenommen worden. Wie soll da un-
ser Geschäft gedeihen? So geht es ferner mit den Geistlichen und
Richtern. In alten guten Zeiten saßen die Herren gar über den Bü-
chern, die Kleriker lasen in den Kirchenvätern, die Rechtskundigen
studierten das römische Recht, die Carolina und den Hexenhammer.
Da brauchten sie scharfe Brillen. Jetzt aber vergehen vier Wochen
und mehr, ehe sie ein Buch auftun. Da frage ich wieder: Wie kann
in solch ungünstigen Zeiten ein armer Brillenmacher noch sein Leben
fristen?"
Der Bischof hatte schweigend und lächelnd diese Rede angehört
und mußte sich sagen, daß der Narr wohl in vielen Fällen recht habe.
Er verübelte ihm darum die freie Rede nicht und sagte gütig: "Du
sollst zu meinem Hofgesinde gehören, ich will dir ein Kleid mit mei-
nem Wappen machen lassen."
Froh über seine List, zog Eulenspiegel mit dem Bischof nach
Frankfurt.
Schlechte Aussichten
Als der Bischof mit seinem Gefolge in Frankfurt war, gingen viele
Tage nutzlos hin, denn die weltlichen Herren fanden mehr Freude an
Kurzweil als an ernsten Beratungen. Tierhetzen, Mysterienspiele und
glänzende Bankette lösten einander ab, so daß der Bischof, der daran
keinen Gefallen fand, öfters seiner Brille bedurfte, um sich durch
Lesen die Zeit zu vertreiben. Dazwischen belustigten ihn die Schwänke
Till Eulenspiegels, der die Hofleute der Reihe nach aufs Korn nahm
und neckte. Darüber ärgerten sich diese sehr und beschlossen, dem
argen Spötter auch einmal einen Streich zu spielen.
Es war kühle Witterung eingetreten, namentlich nachts war es
recht kalt. Da erzählte ein Höfling von ungefähr, wie einer in Frank-
furt
eine ganze Nacht ohne jede Kleidung auf dem platten Dach des
Hauses zugebracht und doch an Leib und Seele keinen Schaden erlit-
ten
habe. Das dünkte dem Bischof unglaublich. Eulenspiegel aber
meinte, das sei keine schwierige Aufgabe. Er würde sie wohl lösen,
wenn damit ein gutes Stück Geld zu verdienen wäre. So weit wollten
ihn die schlauen Hofleute nur haben, sie überredeten den Bischof
leicht, eine Summe für die Lösung auszusetzen.
Der sagte: "Mein lieber Eulenspiegel, getraust du dich wohl, eine
ganze Nacht nackt auf dem Söller unserer Herberge zuzubringen?
Wir würden dir dafür tausend Gulden geben."
Eulenspiegel antwortete: "Das will ich wohl versuchen, wenn mir
Euer Gnaden die tausend Gulden dafür geben würden."Und er dachte:
Leichter könntest du einen solchen Haufen Geld nimmer verdienen.
Der Bischof, der sich zuvor hatte raten lassen, sagte lachend: "Eulen-
spiegel,
du bist ein Schalk und dafür bekannt in allen Landen. Sollen
wir zusammen einen Vertrag schließen, so muß er Hand und Fuß
haben, damit du die Sache nicht wieder falsch verstehst, wie das deine
Gewohnheit ist. Also, du mußt nackt auf unserem Söller bleiben, die
ganze Nacht, und darfst dir kein Feuer anzünden, um dich oben zu
wärmen, darfst kein von anderen angezündetes Feuer mit hinaufneh-
men,
überhaupt dich an keinem Feuer irgendwie wärmen. Nach sol-
cher
Mühsal winkt dir der Preis, den ich ausgesetzt habe."
Eulenspiegel dachte nun wohl: Das wird keine angenehme Nacht
werden, aber der Preis von tausend Gulden ist auch nicht zu verach-
ten.
Er entschloß sich also, noch diese Nacht auf dem Söller zu ver-
bringen,
um das schöne Geld zu verdienen.
Die Nacht wurde ihm sehr lang, es war bitter kalt, und er fror ge-
waltig,
doch tröstete ihn ständig die Aussicht auf den Reichtum, der
ihn am anderen Tage erwartete. Er dachte: Wie jetzt meine Zähne,
so werden bald die tausend Gulden in meiner Tasche klappern. Ge-
duld,
lieber Till, morgen bist du ein wohlhabender Mann!
Endlich war die Qual zu Ende, und Eulenspiegel wurde unter dem
Gelächter der Hofleute aus seinem Söller befreit und durfte sich wär-
men.
Danach fragte ihn der Bischof: "Mein lieber Narr, wie war
es denn diese Nacht auf dem Söller?"
"Gnädiger Herr", antwortete er, "ich habe sehr gefroren und
wundere mich, mit dem Leben davongekommen zu sein."
"Keine Sorge", beruhigte ihn der Kirchenfürst, "deinesgleichen
verdirbt nicht. Und du hast dich auch gewiß nirgends erwärmt?"
"Nein, Euer Gnaden."
"Hast du nichts gesehen auf der Höhe, ganz Frankfurt lag wohl
in tiefem Schlafe?"
"Nicht alle Leute, wie es schien", sagte Eulenspiegel, "denn in der
Ferne erblickte ich mehrere Lichter."
"'Wie, Lichter hast du gesehen?" fragte der Bischof, "das kommt
mir bedenklich vor. Wie denken meine Räte darüber?"
"Wir denken", antworteten die Räte, "daß ein Licht ein Feuer
ist, wenn auch ein kleines. Ein Feuer aber strahlt Wärme aus. Es
steht also fest, daß Eulenspiegel den Vertrag nicht eingehalten hat.
Er hat sich an mehreren Feuern gewärmt."
Dieser Meinung schloß sich auch der Bischof an, so daß Eulenspiegel,
der wohl merkte, daß das abgekartete Sache war, mit langer Nase
abziehen mußte. Das Gelächter der übermütigen Hofleute bekam er
als kostenlose Zugabe.
Der Höhepunkt der Kochkunst
Ungestraft ließ sich Eulenspiegel aber nicht necken, also dachte
er darüber nach, wie er seinem Patron für jenen Schabernack auf dem
Söller wieder einen Streich spielen könne. Die Gelegenheit dazu fand
sich bald. Der Koch des Bischofs erkrankte, und dieser Umstand
setzte den ganzen Haushalt in große Verwirrung. Die bischöflichen
Räte, die den lieben langen Tag nichts weiter zu tun hatten, als gut
zu essen und gut zu trinken, wurden um ihr leibliches Wohl ernstlich
besorgt, und ihr Herr teilte ihren Kummer. Da erwies sich Till Eulen-
spiegel
als Retter in der Not. Er erzählte dem Bischof, daß er im Ko
auch die feinere Kochkunst wohl verstehe und geübt habe. Schließlich
erbot er sich, das wichtige Amt eines Kochs vertretungsweise zu über-
nehmen. Man ging auf sein Anerbieten ein, und alle Welt atmete auf.
Darauf gab Eulenspiegel den Knechten Anweisung, wie sie kochen
sollten.
Die Stunde kam, in der der Bischof zu tafeln pflegte, aber Eulen-
spiegel
hatte noch nicht angerichtet. Der Kirchenfürst ließ ihn kom-
men
und sprach zu ihm: "Wie nun, Herr Koch, ist das Mahl noch
nicht bereitet? Uns hungert ganz gewaltig."
"Es ist noch nicht ganz gar", antwortete Till, "aber wenn sich
Euer Gnaden gedulden wollen, so wird es nachher um so besser mun-
den."
Hierauf erzählte er dem Bischof und seinen Räten fast eine
Stunde lang von allerlei Speisen und deren Zubereitungsweisen, sprach
von den verschiedensten Braten, von Geflügel aller Art, von Fischen,
Brühen und Backwaren, wie sie zubereitet werden und schmecken
müssen. Den Herren aber lief das Wasser im Munde zusammen. End-
lich
sagte der Bischof:
"Deine Rede wäre wohl einem gesättigten Menschen lieber als sol-
chen,
die Hunger haben. Wie weit ist es denn wohl mit deinem Essen?
Ich denke, es könnte gar sein."
Da ging der Schalk wieder vor die Tür, blieb eine lange Zeit
draußen und kehrte mit lächelndem Gesichte zurück. "Geduld, hoch-
würdiger
Herr", sagte er, "es ist noch nicht ganz bereit."Wieder fing
er an, von schön Gesottenem, Gebackenem und Gepökeltem zu
reden, so daß es allen vor Hunger übel wurde.
Der Bischof sah sich das noch eine weitere Stunde mit an, dann
aber sagte er: "Sieh nach, ob dein Essen gar ist, und laß uns nicht über
Gebühr schmachten."
Wieder ging Till hinaus, Der Bischof aber hatte jetzt Da führte der Schalk den ge- Da sagte der Bischof: "Das |
oder zu braten wäre."
"Dort hängen die Töpfe, Euer Gnaden", entgegnete Eulenspiegel
und wies auf die Wipfel der Bäume, in denen in luftiger Höhe wirk-
lich
eine Anzahl Töpfe aufgehängt waren. Eine lange Leiter stand
Brei da oben umrühren wollte.
"Steigt hinauf, hochwürdiger Herr", sagte treuherzig Till Eulen-
spiegel.
"Ihr werdet Euch dann leicht überzeugen können, daß das
Essen wirklich noch nicht gar ist."
"Das glaube ich ohne diese Probe", sagte der Bischof. "Wie kann es
denn von deinem winzigen Feuer da oben kochen? Das ist doch die
größte Narretei, die mir vorgekommen ist. In solcher Entfernung
können doch die Töpfe nicht einmal warm werden!"
Da erwiderte der Schalk: "Das glaubte ich auch, als ich die Nacht
auf dem Söller zubrachte, aber Ihr belehrtet mich tags darauf eines
Besseren. Ein kleines Feuer strahlt Wärme aus, also müssen die Töpfe
oben warm werden, wie ich durch die fernen Lichter von Frankfurt
mich erwärmt habe. Steigt hinauf, hochwürdiger Herr, und wenn
das nicht so ist, so hat sich einer von uns geirrt."
Ober diese Rechtfertigung lachte der Bischof hellauf, wenn auch
sein Magen knurrte, aber der kluge Eulenspiegel, der wohl wußte,
daß man mit hohen Herren den Spaß nicht zu weit treiben darf,
führte seinen Gebieter in den Speisesaal, wo inzwischen eine gute
Mahlzeit angerichtet worden war.
Till Eulenspiegel aber bekam noch am gleichen Tage seine tausend
Gulden.
Ein Narr findet mehr Glauben als ein Weiser
Lange hielt es Till Eulenspiegel im Herrendienste nicht aus, und
da der Bischof von Trier ohnehin nach erledigten Geschäften heim-
reisen
wollte, so nahm Till Urlaub und tauchte bald danach im lie-
ben
Sachsenlande auf, und zwar wieder in der Stadt Magdeburg. Da
sahen ihn viele gern, denn in allen Herbergen, Werkstätten, Märk-
ten
und Straßen wurden seine losen Streiche erzählt und jeder er-
götzte
sich daran, nur nicht die Gefoppten selbst, die außer dem er-
littenen
Schaden auch noch den Spott zu tragen hatten. Jeder wollte
gern einen Witz hören, wenn es nur auf Kosten anderer ging. Der
rußige Schmied forderte Eulenspiegel auf, er möge doch seinem Nach-
barn,
dem Bäcker, mit dem er in ewigem Hader lebte, einen Streich
spielen; der Schneider drängte ihn, er möge dem Stadtschreiber eins
auswischen, der zu hohe Steuern angesetzt habe; der Barbier hätte
gern gesehen, daß der Frau des Schusters nebenan ein Possen gespielt
würde, weil sie eine richtige Hexe sei und sich in einen Werwolf ver-
wandle,
wenn die Walpurgisnacht im Anzuge sei. Natürlich hatte die
andere Partei auch ihre geheimen boshaften Wünsche. Eulenspiegel
hätte ganz Magdeburg ins Unglück stürzen müssen, wenn er allen
Bitten gefolgt wäre.
Als ihn aber alle drängten, er möge ihnen eine Schalkheit zeigen,
und wieder einmal auf dem Seile tanzen, da verkündete er, daß er
von einer Laube am Markt, die zu seiner Herberge gehörte, herab-
fliegen
wolle.
Die "Laube" war ein Erkerbau im zweiten Stockwerk, sie hatte
Fenster nach drei Seiten, und man konnte von dort den ganzen
Markt übersehen. Diese Ankündigung brachte ganz Magdeburg
auf die Beine, und als die Stunde kam, stand der Markt voller
Laube fliegen werde.
Eulenspiegel erschien auch pünktlich an dem angegebenen Orte,
stellte sich frei und ernsthaft hin und machte mit den Armen einige
Bewegungen, als wollte er losfliegen. Als aber alles atemlos in größter
Spannung das Schauspiel erwartete, brach er in ein ungeheures Ge-
lächter
aus und rief:
"Da glaubte ich bisher, daß nur ich ein Narr wäre und als solcher
der einzige sei in meiner Zunft, aber nun sehe ich, daß ganz Magde-
burg
voller Narren steckt. Erznarren, die ihr alle seid! Bin ich denn
ein Vogel und habe ich Flügel, daß ich mich von hier herablassen
könnte?
Hätte einer unter euch nur ein Fünkchen Verstand, so wäre er da-
heim
geblieben und hätte seine Arbeit nicht im Stich gelassen!"
Mit diesen Worten zog er sich lachend zurück. Die Schaulustigen
aber gingen beschämt heim. Die Vernünftigen lachten, die Unver-
nünftigen
beschwerten sich über die betrogene Hoffnung. Viele sag-
ten,
daß sie von vornherein dem Schalk nicht getraut hätten, sie wä-
ren
nur gekommen, um zu sehen, wieviele Leute sich in Magdeburg
am Narrenseil führen ließen. Der Weiseste aber sagte:
"Ein Narr macht viele, und eine unvernünftige Rede findet allemal
mehr Glauben als ein gutes Wort, das noch lange nicht immer auf
guten Boden fällt. Schließlich hat er es doch allen recht gemacht, er
hat sie gefoppt, wie sie es haben wollten."
Till Eulenspiegel auf dem Hungerturme
Auf dem Bernburger Schloß im Herzogtum Anhalt befindet sich
ein Turm im Schloßhof, der den Namen Eulenspiegel führt. Sie zei-
gen
dort auch verschiedene Dinge, die von dem Schalk herrühren
sollen, eine zerbrochene Glastrompete, darauf er geblasen haben soll,
einen Krug, aus dem er trank, einen Mantel, den er trug, und ein
Plüschbarett, das er aufgesetzt haben sollte. Mit diesen Dingen hat es
folgende Bewandtnis:
Eulenspiegel hatte sein Geld ausgegeben und zog von Magdeburg
ins Anhaltische, um neues zu erwerben. Er kam aber dabei nicht auf
seine Rechnung. Der Graf war ein kriegerischer Herr, der mit seinen
Nachbarn in beständigen Fehden lag und darum viele Ritter und
Knechte auf der Bernburg halten mußte. Ohne es zu wollen, kam
Eulenspiegel zwischen die kämpfenden Parteien, fiel den Anhaltischen
in die Hände und wurde von dem Grafen als Gefangener behalten.
Der schickte ihn auf den Turm und sagte zu ihm: "Kumpan, du hast
hier faule Tage und brauchst nichts weiter zu tun, als aufzupassen,
ob Feinde kommen, die uns das Vieh rauben wollen. Sind sie im An-
marsch,
dann mußt du sie anblasen und ,Feindio' rufen. Wenn du aber
Sold verlangst, dann werde ich dich auspeitschen lassen."
So sprach der grimmige Kriegsmann und überließ es Eulenspiegel,
sich mit dieser Lage abzufinden. Der sah nun vom Turme aus wohl in
die Ferne, blickte aber auch in die Burg hinab, in der es von Rittern
und Knechten wimmelte. Kam die Essenszeit heran, dann wurden für
den Grafen und die Ritter in der offenen Halle des mittleren Hofes,
für die Knechte aber im Hofe Tische aufgestellt, und darauf stellte
man Riesenschüsseln mit Braten und Zutaten, große volle Brotkörbe,
Gemüse in mächtigen Töpfen, Backobst und gewürzten Brei. Dann
am besten verstünde. Dazu tranken die Herren welschen Wein, die
Knechte aber leerten ein Faß Bier nach dem andern.
Eulenspiegel sah das von seinem hohen Sitze mit an und wartete
darauf, daß man ihm von dem Überflusse da unten auch etwas brin-
gen
werde, denn er hatte gewaltigen Hunger. Aber da unten dachte
jeder nur daran, seinen eigenen Magen zu füllen, und nachher ver-
gaßen
sie ihn erst recht, denn der Satte weiß nicht, wie dem Hungri-
gen
zumute ist. Seinen Posten durfte er nicht verlassen, das hätte ihm
der Graf übel vermerkt. Es blieb ihm also nichts übrig, als weiter zu
hungern.
Das verdroß Eulenspiegel sehr, und er sah mit geheimer Schaden-
freude,
wie magdeburgische Reiter herankamen und ganz still das an-
haltische
Vieh von der Weide wegtrieben. Er saß am Turmfenster, den
Kopf auf die Arme gestützt, und ließ sie gewähren. Ein Hirt war
aber von der Herde weggelaufen, um denen in der Burg den Überfall
zu melden.
Sogleich schrie der streitlustige Graf nach Pferd und Waffen, im
Augenblick saß er gewappnet im Sattel, ebenso wie seine Diener, und
eisenrasselnd stürmte die mutige Schar aus dem Tore, um über die
Magdeburger herzufallen. Dabei warf der Graf einen Blick nach dem
Turm. Da lag der neue Wächter im Fenster und lachte vergnügt. "Du
Mordskerl, weshalb liegst du im Fenster und bist so still?" rief da der
Graf wütend hinauf.
Eulenspiegel antwortete: "Vor dem Essen singe und tanze ich nicht
gern, das ist so Brauch bei mir."
Der Graf achtete dieser Rede nicht, oder er verstand sie nicht, und
fuhr fort: "Schelm, der du bist, du sollst die Feinde anblasen, hab ich
dir befohlen. Dazu habe ich dir ja auch das Horn gegeben."
"Ihr habt mir nicht gesagt, daß ich durch das Horn die Feinde an-
blasen
soll", sagte er, "aber ich blase schon die ganze Zeit durch mei-
nen
Mund so kräftig, daß Euer Vieh von selbst nach Magdeburg
fliegt."
Der kriegerische Graf hatte keine Lust und Zeit, sich mit dem
Schalksnarren weiter in ein Gespräch einzulassen, er rannte den Fein-
den
nach und schlug sich mit ihnen tapfer herum. Als er heimkehrte,
hatte er den pflichtvergessenen Turmwächter aus dem Auge und Ge-
dächtnis
verloren, auch die andern vergaßen ihn, so daß ihm wieder
kein Essen gebracht wurde.
Am nächsten Tage ging es gerade so zu wie vorher. Unten wurde
geschlachtet, gekocht, gebraten, gebacken, geröstet und schließlich
getafelt, im Hungerturme aber wurde gefastet, gedarbt, ge-
lechzt,
aber auch eine Schalkheit ausersonnen. Auf einmal griff
nämlich Eulenspiegel zu seinem Horn, blies aus Leibeskräften hin-
ein
und schrie: "Feindio!" als ob es ihm ans Leben ginge. Da sprang
alles unten von den Tischen auf, rannte zum Marstall, warf Eisen-
kappen
und Halsberge über, griff zu Schild und Speer, und mit
Hurra und Hussa ging es zum Tore hinaus, dem vermeintlichen
Feinde tapfer entgegen. Eulenspiegel aber war wie der Wind unten,
lief an des Grafen Tisch, nahm da von den guten Speisen, soviel er
tragen konnte, und sprang damit wieder in seine Turmzelle. Dort
hielt er eine gute Mahlzeit. Draußen aber suchte der mutige Graf
mit seinen Mannen nach dem Gegner, fand jedoch keinen.
Da sagten die Leute: "Der Türmer hat uns aus Schalkheit her-
ausgelockt."
Dieser Meinung war schließlich auch der Graf, der zornig sagte:
"Ich will selber auf den Turm steigen und den Schalk mit dem
Schwerte unter der Nase kitzeln." Als der oben ankam, fand er Till
aller Welt.
"Du Schalksnarr", schrie ihn der Graf an, "weshalb hast du ,Fein-
dio'
geblasen, wo doch weit und breit keine magdeburgische Eisen-
kappe
zu sehen ist? Ich will dir deine Tücke mit meiner Klinge aus-
treiben!"
Darauf antwortete Eulenspiegel:
Kennen kein Gebot,
Seid gnädig, es war nicht bös gemeint."
Der Graf, der selbst Hunger hatte, verstand den Schalk jetzt
besser, ließ darum auch Gnade vor Recht ergehen, sagte aber: "Ich
kann dich künftig als Türmer nicht mehr brauchen, deine Stelle
bekommt ein anderer, dich mache ich zu einem meiner Fußknechte."
Es war Eulenspiegel gar nicht recht, daß er mit Waffenrock und
Pike nun seine Haut zu Markte tragen sollte, doch freute er sich,
Ätzung an der Knechtstafel. Da gefiel es ihm immer am besten.
Ging es in den Kampf, dann war er der letzte, wurde dagegen zum
Rückzug geblasen, war er der erste, der wieder an die volle Krippe
eilte. So trieb er es einige Zeit.
Da sagte der Graf einmal zu ihm: "Das ist mir ein schöner Waf-
fenknecht,
der dem Herrn nachhinkt, wenn es zum Treffen geht,
aber die Zeit nicht erwarten kann, um in die Feste zurückzukehren.'
"Gnädiger Herr", antwortete Eulenspiegel, "als ich auf Eurem
Turme saß, war ich der letzte, der zur Mahlzeit gerufen wurde,
nun möchte ich gern dafür der erste bei Tisch sein, nachdem ich zu
Eurem treuen Waffenknechte befördert worden bin."
"Ich aber bin deiner Dienste überdrüssig", antwortete der Herr
von Anhalt, "gib dein Kleid samt deinen Waffen ab und gehe mir
aus dem Lande! Magst dir anderswo einen Galgen suchen."
Solche barsche Rede war Eulenspiegel sehr willkommen. Er ver-
ließ
gern den Hof des streitbaren Herrn, dem er es in keiner Weise
recht machen konnte.
In seinen vier Pfählen bleibt jeder
unangefochten
unangefochten
Der Herzog von Lüneburg hatte in Celle ein großes Ringel-
stechen
und Turnier ausgeschrieben und dazu auch den König von
Dänemark geladen.
Als Till Eulenspiegel das erfuhr, wanderte er mit anderem fahren-
dem
Volke dorthin, um dort seiner Schalkheit freien Lauf zu lassen.
Der Herzog hatte einen großen freien Raum vor der Burg ab-
stecken
lassen, dort sollten die Spiele stattfinden. An drei Seiten wa-
ren
Gerüste gebaut für die Frauen und Vornehmen, namentlich
auch für die auswärtigen hohen Gäste. Alles war mit Maien, Blumen-
ketten,
bunten Laken und Panieren aufs prächtigste ausgestattet,
auch war die Stadt sauber gekehrt und geschmückt. Der Rat hatte
strengstens verboten, unsaubere Sachen, Küchenabfälle oder der-
gleichen,
auf die Straße zu schütten. Jeder, der diesem Gebot zu-
widerhandelte,
sollte einen Schilling Strafe zahlen. Da wurde Celle
so blank und sauber wie nie vorher und nachher, damit der große
Dänenkönig seine rechte Freude daran haben sollte.
Als nun Eulenspiegel diese prächtigen Veranstaltungen sah, be-
stieg
er sein Pferd, einen Falben, und ritt auf alle Dörfer in der
Umgebung von Celle.
Er kehrte bei den Bauern ein, gab sich das Ansehen eines herzog-
lichen
Dieners und sagte: "Im Namen des Herzogs befehle ich, daß
jeder morgen um Mitternacht mit einer Karre voll Stroh vor der
Burg steht. Dort werden euch dann weitere Befehle gegeben werden."
Solch gewichtigen Worten wagten die Bauern nicht zu widerspre-
chen.
Sie luden also Stroh auf ihre Wagen, spannten die Gäule da-
vor
und zogen gehorsam nach der Burg in Celle. Die Stadtwächter
vielen Strohwagen anrückten; als diese aber sagten, sie kämen auf
Befehl des Herzogs, mußten sie ihnen wohl die Tore öffnen und
dulden, daß sich das Stroh -nicht immer das sauberste -auf allen
Straßen verzettelte. Auf dem Turnierplatz stand Eulenspiegel und
befahl den Bauern abzuladen. Das taten die ohne Besinnen, denn
sie waren froh, wieder mit den Pferden heimkehren zu dürfen. Bald
war der schöne große Platz mit Stroh bedeckt, daß er wie ein riesi-
ger Misthaufen aussah. Als der Morgen anbrach, wollte der Herzog
seinem königlichen Freunde den schönen, reinlichen Turnierplatz
zeigen, statt dessen aber erblickte er einen wüsten Strohhaufen, in
dem Pferde und Wagen ihre Spuren zurückgelassen hatten.
Da wurde er sehr zornig und rief: "Wer mir das getan hat, der soll
dafür büßen!"
Er ließ in der ganzen Burg das Gesinde zusammenrufen und nach
dem Übeltäter forschen. Nach vielem Hin und Her stellte sich end-
lich
heraus, daß Eulenspiegel dem Herzog diesen Streich gespielt
hatte. Da befahl der Herzog, den Schalk zu hängen, allein der Scharf-
richter
wartete vergeblich darauf, daß ihm der Büttel den Schelm
brachte, denn der hatte sich inzwischen aus dem Staube gemacht und
trottete auf seinem falben Pferde vergnügt im Lande umher.
Der Herzog wollte diesen Frevel aber nicht ungeahndet lassen und
ließ im ganzen Lande verkünden, daß Till Eulenspiegel im Lünebur-
gischen
vogelfrei wäre.
Eulenspiegel wußte wohl, was ihm nun bevorstand, wenn er sich
von den Schergen des Herzogs erwischen ließe, dennoch ging er nicht
aus dem Lande, denn er hoffte, mit dem König von Dänemark zu-
sammenzukommen,
der als leutseliger und freigebiger Herr be-
kannt
war.
Eines Tages hörte Till Eulenspiegel hinter sich eine Menge Reiter
kommen und sah zu seinem Schrecken, daß ihm der gefürchtete Her-
zog
mit bewaffnetem Gefolge auf den Fersen war. Ohne Zweifel hatte
man ihn auch schon bemerkt. Da sagte sich der Schalk: Wenn du mit
deinem lendenlahmen Tier zu fliehen versuchst, dann holen sie dich
rasch ein und stechen dich vom Gaul herunter; bleibst du stehen, dann
läßt dich der erzürnte Herzog am nächsten Baume aufknüpfen.
Ein anderer hätte nun wohl versucht, die Gnade des strengen Rich-
ters
anzurufen, aber der deutsche Odysseus ersann rasch eine List,
um sich aus der Schlinge zu ziehen. Schnell stach er sein lahmes Pferd
tot, wälzte den Kadaver auf den Rücken, schnitt ihm den Bauch
auf, entfernte rasch die Eingeweide, richtete die vier Beine so, daß sie
kerzengerade standen, und stellte sich in das Tier hinein. Dieser
wunderliche Einfall des seltsamen Mannes mußte erst recht die Auf-
merksamkeit
des ungnädigen Herzogs auf sich ziehen. Aber das be-
absichtigte
Eulenspiegel ja auch.
Indes brauste Herr von Lüneburg mit seinem stolzen Gefolge
heran. Einer der Herren sagte zum Herzog:
"Gnädiger Herr, da steht der gelichtete Eulenspiegel in der Haut
eines Pferdes."
Da hielt der Herzog vor dem Listreichen und sagte zornig: "Finde
ich dich hier, du Erzschelm? Ich will dich hängen lassen. Weshalb
stehst du hier so närrisch in einer Pferdehaut? Tritt heraus!"
"Herr Herzog", antwortete Eulenspiegel, "ich bitte um Gnade,
da ich doch nichts getan habe, was des Hängens wert wäre. Ich bin
ein armer Mann, habe weder Land noch Haus noch Hof. Mein gan-
zes
Vermögen war dieses Pferd, und ich habe mich hineingestellt,
weil doch nach altem Recht ein jeder sicher sein soll in seinem Eigen-
tum
und in seinen vier Pfählen.." damit deutete er auf die vier Beine
des Gauls.
Der Herzog kannte wohl dieses alte Recht aus dem "Sachsenspie-
gel",
jener alten Gesetzsammlung, aber er verstand auch so die List
des Schalks, lachte und sagte: "So mag es dir noch einmal durchgehen,
aber laß dich in meinem Lande nicht wieder blicken."
"Wie Ihr befehlt, gnädiger Herr", antwortete Eulenspiegel, "so
werde ich es tun."
Der Herzog ritt davon, und Eulenspiegel ging nun aus seinen vier
Pfählen, die ihm Sicherheit geboten hatten, und dachte: Es ist besser,
die Raben sättigen sich an meinem Pferde, als daß sie mich fressen.
Hab Dank, mein lieber Gaul, daß du meinen Hals gerettet hast, denn
es hätte wirklich nicht viel daran gefehlt, und ich hätte mit des Seilers
Tochter Hochzeit gemacht!
Das Geschenk des Königs
Nach diesem Erlebnis ging es Eulenspiegel sehr schlecht im Lüne-
burger
Land, und er fing an zu begreifen, daß die Schalkheit ihren
Mann nicht nährt, dafür aber oft in Not und Gefahr bringt. Gar zu
gern wäre er wieder bei einem vornehmen Herrn in Dienst getreten.
Das wollte ihm aber nicht glücken, und er überlegte hin, und her,
ob es nicht das Beste wäre, wieder bei einem Meister als Geselle zu
arbeiten. Da hätte er ein Dach über dem Kopf und könnte sich sein
tägliches Brot verdienen.
Als er eines Tages auf der Straße ziellos dahinschlenderte, gewahrte
er eine vornehme Reisegesellschaft. Auf Pferden und Mauleseln saßen
viele Herren und Damen, die sich laut in einer fremden Sprache un-
terhielten.
Der vornehmste der Reisenden saß auf einem herrlichen
Pferde, dessen Zügel Edelknaben hielten. Neben ihm ritt ein Vor-
leser.
Kein Zweifel, das war der König von Dänemark, der wieder
heimreisen wollte. Da stellte sich Eulenspiegel breitspurig an den
Weg und grüßte recht auffällig und seltsam.
"Wer mag dieser wunderlich gekleidete Mann sein? Aus seinem
Gesicht spricht ein rechter Schalk", wunderte sich der König.
"Das ist Eulenspiegel, ein unsteter Gesch, der alle Männer narrt
und alles tut, was man ihm sagt, wobei aber immer etwas Verkehrtes
herauskommt. Der Herzog hat ihm das Lüneburgische verboten, weil
er ihn nicht hängen konnte. Die Strohfuhren in Celle waren sein letz-
ter
lustiger Streich", antwortete einer aus dem Gefolge.
Der König hatte schon viele Schwänke Eulenspiegels vernommen,
so daß er dem Schalk bereits wohlgeneigt war, ohne ihn zu kennen.
"Halte dich zu meinem Hofgesinde!" rief er Till zu. "Man soll dir
ein Pferd geben."
Darauf hatte Eulenspiegel ja nur gewartet. Er wählte wieder einen
Falben, den keiner sonst reiten mochte, und hielt sich in der Nähe des
Königs auf.
Dem mußte er seine Späße erzählen. Als der König aber einmal
seinem edlen Pferde die Sporen gab, um schneller vom Fleck zu
kommen, blieb Eulenspiegel zurück.
"Warum bleibst du nicht an meiner Seite?" fragte der König.
"Ach Herr", antwortete er, "mein Gaul ist schlecht beschlagen, da-
her
muß er wohl hinter Euch zurückbleiben."
Da sagte der König: "Wir kommen bald nach Lüneburg, dort wol-
len
wir ein paar Tage rasten. Da kannst du deinem Pferde den besten
Hufschlag geben lassen, mein Schreiber wird zahlen."
"Herr König, darf ich Euern Worten nach meinem Pferde die
besten Hufeisen aufschlagen lassen?", fragte er.
"Ja, das darfst du", bestätigte der Herr von Dänemark.
Als der König nun sein Hoflager in Lüneburg hielt, ging Till Eulen-
spiegel
mit seinem Pferde nicht etwa zu einem Grobschmied, sondern
zu einem Goldschmied. Der mußte seinem Gaul goldene Hufeisen an-
messen,
gießen und anschlagen. Dafür forderte er hundert dänische
Mark.
Als Eulenspiegel dem Schreiber des Königs diese Rechnung vor-
legte,
machte der große Augen und sagte: "Ich habe meiner Lebtag
nicht gehört, daß ein Hufbeschlag ein solches Vermögen kostet. Das
darf ich nicht zahlen, ohne vorher gefragt zu haben." Nun wurde die
Angelegenheit dem Herrn vorgetragen.
Dieser sagte: "Mein lieber Eulenspiegel, du scheinst einem teuern
Schmied in die Hände gefallen zu sein, oder ist es in Lüneburg
Brauch, daß man so hohe Preise fordert, wenn es auf Rechnung des
Königs geht?"
"Gnädigster Herr", antwortete Eulenspiegel, "der Hufbeschlag ist
preiswert, wie Ihr sehen werdet." Mit diesen Worten zeigte er ihm
den Falben, und der König sah nun, daß der Hufbeschlag aus Gold
bestand. "Ihr hießet mich doch den besten Hufbeschlag nehmen, den
ich bekommen könnte, daher habe ich Gold nehmen lassen, das doch
ohne Frage besser ist als schlechtes Eisen."
Da lachte der König herzlich und antwortete: "Du bist mir ein
teures Hofgesinde. Wollte ich alle meine Pferde so kostbar beschla-
gen
lassen, so könnte ich Land und Leute verkaufen."
Der Schreiber mußte den kostbaren Beschlag bezahlen, und der
freigebige König nahm dem Schelm den Streich nicht übel. Der aber
riß lachend seinem Pferde die goldenen Beschläge ab und ließ ihm
gewöhnliche eiserne unterschlagen.
Stiefel muß sterben
Die Freigebigkeit des Dänenkönigs war landbekannt geworden,
und manche Freibeuter gedachten sie zu ihren Zwecken auszunutzen.
So kam auch eines Tages ein gar gelehrter Herr, der Doktor Stie-
fel,
in das Hoflager des Königs, um einen guten Fischzug zu tun. Er
kam von der Erfurter Universität und war seiner Sache sehr sicher.
Nicht durch die schwarze Kunst, sondern durch eifriges Studium, den
Rat weiser Männer und eigene Erfahrung war es ihm gelungen, jenen
Göttertrank zu bereiten, von dem die alten Römer und Griechen so
viel erzählten, den sie Nektar nannten und der die herrliche Eigen-
schaft
besitzen soll, den, der ihn genießt, unsterblich zu machen.
So prahlte er vor dem leichtgläubigen König und behauptete, daß
er aber den Rest des edlen Getränks für tausend Gulden dem Könige
überlassen wolle. Viele berühmte Herren und Gewalthaber hätten
ihm mehr geboten, aber er habe sich nun einmal vorgenommen, den
huldreichen Herrn der Dänen damit zu beglücken, und biete ihm die
Gabe, die ihn selbst weit mehr gekostet, zu diesem lächerlichen Preise.
Da der Gelehrte so sicher auftrat, und die Leute zu Eulenspiegels
Zeit nicht so mißtrauisch waren wie in späterer Zeit, so glaubten der
König und sein Hofgesinde dem Doktor, und der Schatzmeister klap-
perte schon mit den Gulden. Dabei hegten alle etwas Neid, daß ihnen
nicht ein so großes Glück geboten würde, sondern nur dem König,
der freilich ein gerechter und gütiger Herrscher war, so daß das
Dänenreich einer goldenen Zukunft entgegengehen mußte. Als nun
der Doktor die Phiole hervorzog, da staunte und bebte alles vor Er-
wartung.
Auch Eulenspiegel war neugierig und wollte die Sache genauer
betrachten.
"Komm nur, Eulenspiegel", ermunterte ihn freundlich der König,
"und sieh dir die wenigen Tropfen an, die bald verschwunden sein
werden."
Da ging der Schalk dreist hinzu, nahm das enghalsige Fläschchen
in die Hand, entkorkte es, roch daran und - schluckte den Inhalt
hinunter. Vor Entsetzen über solche Kühnheit schrien die Hofleute
laut auf. Am lautesten aber schrie Doktor Stiefel. Er forderte die
tausend Gulden für den geraubten Trank und verlangte, daß der
dreiste Schelm bestraft werde.
Allein der König sprach nach einigem Besinnen: "Von mir kannst
du nichts verlangen, denn ich habe nichts erhalten. Mache die Sache
mit Eulenspiegel aus, der nun unsterblich ist wie du. Du hast ja mit
stirbt er, so war dein Nektar keinen Pfifferling wert."
So wurde der Doktor beschieden und hatte den Spott zum Scha-
den,
denn seitdem sangen übermütige Gesellen:
Bist noch so jung, so jung!"
Also ist Stiefel doch wohl unsterblich, so gut wie Eulenspiegel. Ob
das aber sein Trank bewirkt hat, wird keiner sagen können.
Eulenspiegel als Landbesitzer
Von allen Schalksnarrenstreichen, die der wunderliche Landfahrer
verübte, ist der folgende nicht der übelste. Die goldenen Hufeisen
des dänischen Königs hatte er längst versilbert, denn es hieß bei ihm
auch: Wie gewonnen, so zerronnen. Doch hatte das erlöste Geld noch
zum Kauf eines Sturzkarrens gereicht. Damit zog Eulenspiegel seine
Straße.
Noch war der Zorn des Herzogs gegen ihn nicht verraucht, aber
dem leichten Sinne des Schalks machte das nicht viel, auch dachte er
ganz richtig: Der Herzog kann nicht überall sein.
So kam er eines Tages wieder in die Nähe von Celle an der Aller.
Unterwegs hatte er gehört, daß der Herzog mit großem Jagdgefolge
ausgerückt wäre und ihn bald einholen müsse. Da wurde er sehr be-
sorgt,
daß er den vielen Jägern nicht werde entrinnen können, und
dachte: "Nun, lieber Till, denke dir einen guten Streich aus, oder es
ist um dich geschehen."
Er fing mit einem Bauern, der seinen Acker pflügte, aus diesem
Grunde ein Gespräch an. "Wem gehört der Acker, guter Freund?"
"Was sagst du?"
"Wem der Acker gehört, frage ich."
"Der Acker?"
"Ja, der Acker."
"Das ist mein Acker, den habe ich geerbt."
Da fuhr Eulenspiegel fort: "Möchtest du mir von deinem Acker
eine Karre voll Erde verkaufen?"
"Was sagst du?"
"Ob du mir von deinem Acker eine Karre voll Erde verkaufen
möchtest."
"Eine Karre voll Erde?"
"Ja, eine Karre voll Erde."
"Ja, aber das kostet einen Schilling."
Schnell gab Eulenspiegel dem Mann einen Schilling, belud seine
Karre mit Erde und setzte sich bis an den Hals hinein. So fuhr er
dreist dem Jagdzug entgegen.
"Was für ein wunderlicher Kauz mag das sein, der da in der Karre
sitzt?"fragte der Herzog einen seiner Herren, als er Eulenspiegel be-
merkte.
"Man sollte meinen, er könnte die Zeit nicht erwarten, bis er
unter die Erde kommt."
"Das kann niemand anders sein als Till Eulenspiegel, der Schalks-
narr,
den Ihr aus dem Land gewiesen habt", antworteten seine Be-
gleiter.
Da brauste der Herzog auf: "Wie, du Erzbösewicht, du wagst es,
mir noch einmal unter die Augen zu kommen? Habe ich dir nicht
mein Land verboten?"
"Gnädiger Herr", antwortete Eulenspiegel, "ich sitze nicht in
erworben habe, und der hatte es ererbt."
"Du redest dich heraus wie ein rechter Schalk", antwortete der
Herzog. "Aber nun richte dich nach meinem Befehl, geh mit deinem
Land aus meinem Land, oder ich lasse dich hängen samt deinem
Land."
Eulenspiegel dankte für die erwiesene Gnade, sprang aus seinem
Land, setzte sich auf sein Pferd, ritt davon und ließ sein Land im
Stich.
Jahrelang stand die Karre voll Erde noch vor der Brücke zu Celle
als ein Wahrzeichen seiner Schalkheit.
Die größte Zunft
Zu den Besitzungen des Erzbischofs von Magdeburg gehörte auch
der Giebichenstein bei Halle. Hier hielt namentlich Burchard III. in
der Zeit von 1307 bis 1325 gern Hof.
Als er nun wieder einmal, von Magdeburg kommend, dort ein-
zog,
kamen ihm die Zünfte von Halle mit festlichem Pomp, mit Ban-
nern
und Wahrzeichen entgegen, voran die Halloren, die Salzsieder,
dann die anderen Zünfte. Darüber war der Erzbischof sehr erfreut.
Am Abend hielt er große Tafel auf der Burg, daran durfte audi
Eulenspiegel teilnehmen, denn der Fürst hatte viel von seinen Strei-
chen
gehört und wollte den unbeständigen Schalk gern um sich ha-
ben,
wenn auch nur kurze Zeit, denn nirgends hielt es Till lange aus.
Als nun die Ereignisse des Tages besprochen wurden, kam jemand
auf den Gedanken, zu fragen, welche Zunft wohl nach den Halloren
die größte in der Stadt sei. Einer meinte, das könnten wohl die
Schreiner sein, denn es gäbe in der Stadt so viele Möbel-, Sarg- und
Bautischler, daß man wohl die Saale damit eindämmen könne. Ein
anderer übertrumpfte ihn aber, indem er die Schneider als die volk-
reichste
Zunft hinstellte.
"In Halle", sagte er, "gibt es so viele Herren-, Frauen-, Flick-,
Stein- und Schweineschneider, dazu Auf-, Zu-, Vor- und Ehrab-
schneider,
daß man die Saale der Länge nach damit besetzen könnte."
Diese Meinung fand den Beifall der Anwesenden.
Da meldete sich auch Eulenspiegel, der Schalk, zum Wort und be-
hauptete,
daß in Halle eine weit größere Zunft vorhanden sei, und
die sei die verbreitetste im ganzen Erzbistum. Nun drangen alle in
ihn, Herr Burchard allen voran, er möge diese große Zunft nennen,
sie seien sehr begierig, das zu erfahren.
Da antwortete er: "Heute über drei Tage werde ich es sagen, dann
werde ich auch die Liste derjenigen mitbringen, die dazu gehören."
Nun waren alle sehr neugierig, allein Eulenspiegel verriet nicht,
was er vorhatte.
Am andern Tage verließ der Schalk das Schloß, hatte den Kopf
verbunden und tat sehr wehleidig. So kam er nach Halle, wo alle
den lustigen Vogel kannten und gern hatten. Wie er nun so kläglich
in die Stadt einzog, rief alles: "Seht da den Herrn Till Eulenspiegel,
der ist krank und hat gewiß Zahnschmerzen."
Gleich kam eine ehrbare Frau auf ihn zu und sagte: "Habt Ihr
denn Zahnschmerzen, armer Mann? Da müßt Ihr eine Nelke in den
hohlen Zahl stecken, das hat mir immer gleich geholfen."
Mit matter Stimme, wie es einem Schwerkranken ziemt, dankte
Eulenspiegel für den guten Rat und fragte dann: "Wie heißt Ihr
doch, gute Frau?" Die Wohltäterin nannte ihren Namen, und der
Schalk schrieb ihn geschwind auf einen langen Zettel, den er bei sich
führte. Dann kam der Rektor der Lateinschule, der auch großen
Gefallen an dem Schalk fand. Der sah das Elend und sagte väterlich:
"Mein guter Eulenspiegel, die congestiones capitis heile ich immer
mit welschem Wein. Nehmt doch einen tüchtigen Schluck davon,
haltet das Haupt nach der erkrankten Stelle und laßt den Trank da
ein wenig wirken."Eulenspiegel dankte auch für diese Auskunft und
notierte den Namen des Lebensretters. Wieder kam eine ehrbare
Matrone, die dem Armen mitleidig einen guten Rat gab. "Für solche
Falle", sagte sie, "gibt es nichts besseres als ein heißes Kissen voll
Kamillen."
"Ach was", rief der Dachdecker, der dies hörte, "da nützt unser-
einem
etwas anderes. Die Füße ein Stündlein in einen Eimer Was-
ser
gesteckt, das hilft! Das treibt das Blut in die Beine, und von da
zieht der Schmerz ins Wasser. Versucht's nur!"
Eulenspiegel dankte beiden verbindlichst und schrieb die Namen
auf. Gleich darauf lief ihm der Stadtschreiber in die Quere. "Aha!"
rief der, "Zahnpein? Das kenne ich auch. Hilft kein Doktor so gut
wie unsere weise Frau an der Mauer" —hier sprach er sehr leise -,
"sie steht im Verdachte der Hexerei, und ich glaube auch, daß es
bei ihr nicht ganz stimmt, aber sie bespricht Zahnschmerzen so gut,
daß wir ohne sie nicht auskommen können. Unter uns gesagt, der
Rat hält die Hand über sie, aus guten Gründen. Wenn Ihr erlaubt,
so führe ich Euch zu ihr."
Eulenspiegel ließ sich führen. Die Alte maß die Eintretenden mit
furchtsamen Blicken, als sie aber den Stadtschreiber erblickte, verlor
Eulenspiegel bedankte sich bei beiden und ging rasch weiter. Da
winkte ihm ein Krämer und gab ihm eine Pille für das Leiden, der
Schäfer aber, der seine Herde zum Tor hinaustrieb, reichte ihm
stumm ein Säckchen, in das irgend etwas eingenäht war, und be-
deutete ihm durch Zeichen, daß man dabei nicht reden dürfe, sonst
würde der Zauber nichts nützen. Der Apotheker legte ihm ein Pfla-
ster hinter die Ohren, ein Schmied bot ihm an, den kranken Zahn
auszuziehen, und zwar mit einem Faden. Der Pfarrer bot ihm sein
Theriaksbüchschen zur Benutzung an, ein Bürger reichte ihm kühle
Kohlblätter und riet ihm, sie an den Kopf zu legen.
"Fleißig Wasser schlürfen!" rief ihm der Bartscherer zu.
"Nein", rief der Bader, "ein wenig Watte in das Ohr, das der
kranken Stelle am nächsten ist, und die kräftig mit Weingeist ge-
tränkt."
"Trinkt vier Maß Bier!" rief der Wirt vom ,Roten Roß', "das
hilft besser als alle Quaksalberei."
"Ich vertreib's Euch", rief dagegen ein Scholast, der in der Her-
berge
zechte, "eine tüchtige Maulschelle auf die kranke Backe, und
vorbei ist alles Ungemach."
Eulenspiegel konnte nicht genug für alle freundlichen Ratschläge
danken und wurde mit dem Schreiben der Namen gar nicht fertig.
Das ging so den ganzen Tag, ebenso den folgenden.
Am dritten Tage kam er müde und matt in Giebichenstein an.
Der Erzbischof saß wieder mit seinem Hofgesinde zusammen, als
der Narr mit seinem Maulkörbe jammernd hereintrat.
Da lachte der Kirchenfürst hell auf und sagte: "Nun sehe einer
den armen Schelm! Er hat Zahnschmerzen. Reicht ihm doch von mei-
nem
Elixier, das wird ihm frommen."
Da riß Eulenspiegel das Tuch ab, notierte auch den Erzbischof
auf seinem Zettel und rief lachend: "Nummer 374! Soviel Arzte gibt
es in Halle. Die Zunft der Doktoren ist und bleibt die größte!"
Der Doktor der Büberei
Einmal kam auch der Doktor Eisenbart auf dem Giebichenstein
an, ein fahrender Geselle, der auf allen Burgen und Jahrmärkten
sein Wesen trieb. Da ihm sein Geschäft viel eintrug, konnte er mit
Pferd und Wagen umherreisen. Für seinen Wagen, in dem er all seine
Arzneien und allerlei seltsames Zeug mit sich führte, suchte er sich
stets den besten Platz aus und schlug dort seinen Verkaufsstand auf,
den er mit Schlangenhäuten, Molchen, einem Totenschädel und eini-
gen
medizinischen Bestecken ausschmückte. In Scharen strömten die
Leute herbei, um Doktor Eisenbarts gewaltige Rede zu vernehmen,
die darauf hinauslief, alle Arzte, die am Orte wohnten, recht verächt-
lich
zu machen. Laut pries er seine Latwergen und Elixiere an, die
alle Gebrechen heilen sollten. Seine Kundschaft bestand meist aus
Landleuten, denen er seine Heilmittel für schweres Geld verkaufte.
So trieb er es auf den Märkten der Städte. Kam er aber an einen
Hof, dann kehrte er den gelehrten Doktor aus Bologna heraus, und
seine Reden trieften von Weisheit und Welterfahrung.
So kam er also auch nach Giebichenstein, um sich an den Erzbischof
zu hängen. Das Hofgesinde mochte ihn aber gar nicht ausstehen we-
gen
seines hochfahrenden Wesens, und jeder hörte lieber den Schwän-
ken
Till Eulenspiegels zu.
Den sah der gelehrte Doktor gar nicht an. "Es ist eine Schande",
sagte er, "daß man dem Narren Zutritt bei Hofe gestattet. Der Fürst
sen angeregt, übt er Weisheit, der Narr hingegen regt ihn nur zu
Narrenstreichen an."
Ober solche Rede ärgerten sich die Hofleute noch mehr. "Herr
Doktor", sagten sie, "wer ist denn weise? Manche, die sich weise
dünken, sind Narren und werden durch einen klugen Schalk genas-
führt.
Mancher aber, der als Narr gilt, hat mehr Verstand als einer,
der sich seiner Weisheit rühmt."
Darauf antwortete der Doktor: "Nun, ich bin weise, mich hat noch
kein Narr betrogen."
Der Doktor blieb lange am Hofe, weil er dort gute Tage hatte.
Eulenspiegel aber mied ihn, wo er konnte. Die Hofleute baten Till
immer wieder, daß er dem aufgeblasenen Marktschreier einen Streich
spielen möchte, und bereitwillig suchte Eulenspiegel dazu eine Gele-
genheit
zu finden.
Nun traf's sich, daß sich der Doktor eines Tages bei Tisch furcht-
bar
übernahm und gar nicht wie ein Weiser, sondern wie ein Narr so
viel vom fetten Wildschweinbraten aß, daß es ihm bald darauf übel
und weh wurde. Nach Art vieler Hagestolze war er um sein Leben
sehr besorgt, jammerte daher im ganzen Hause herum, klagte bitter-
lich
über die heftigsten Beschwerden und behauptete, daß er nach
einem so langen, segensreichen Leben wohl auf Giebichenstein werde
sterben müssen. Da sagten ihm die Hofleute: "Ei, Herr Doktor, Ihr
habt doch im Schuppen einen ganzen Wagen voll Medikamente ste-
hen,
womit Ihr so viele kuriert habt. Bei Euch heißt es doch wohl:
Arzt, hilf dir selber!"Aber der Angstmeier hatte ebenso wenig Ver-
trauen
zu seiner Heilkunst wie zu seinen Heilmitteln und hütete sich
wohl, bei seinen Latwergen und Mixturen Zuflucht zu nehmen.
"Ach", wimmerte er, "der Unweise versteht nicht die Lage des
angegriffen ist. Mir könnte wohl ein Arzt helfen, es dürfte aber
keiner aus Halle sein, denn die sind alle elende Pfuscher."
Diese Rede ward Eulenspiegel hinterbracht, und sogleich nahm
er sich vor, dem Doktor einen Streich zu spielen! Er machte also mit
den Hofleuten gemeinsame Sache, verkleidete sich als Doktor Tillius
komme und von dem Unfall seines Kollegen Doktor Eisenbart ge-
hört habe. Nun wurde der fremde Doktor vor den Kranken geführt
und erklärte den Fall für sehr bedenklich, doch wolle er die Kur über-
nehmen. Doktor Eisenbart, der so viele mit seiner Pfuscherei betro-
gen hatte, ging leichtgläubig auf den Leim und ließ sich von Eulen-
spiegel behandeln.
Der schickte ihn zunächst ins Bett, warf so viele Kissen auf ihn,
wie er bekommen konnte, band ihn fest und ließ ihn tüchtig schwitzen.
aus alle möglichen Heiltränke, Mixturen, Purganzen und Latwergen,
mischte alles gehörig zusammen und füllte es dem Doktor ein. Der
Mann, der sich nicht rühren konnte, denn er war ja festgebunden,
schrie nicht schlecht und bat den "Kollegen", ihn mit diesen scheuß-
lichen Tränken zu verschonen, der aber ließ nicht locker, ihm nach
und nach die ganze Apotheke einzutrichtern.
"Euer Zustand ist noch sehr bedenklich", sagte er, "aber wenn
Ihr alle diese Heilmittel geschluckt haben werdet, seid Ihr für im-
mer
kuriert." Drei Tage ließ er ihn schwitzen, dann erklärte er ihn
für geheilt und ließ ihn frei.
Der Bischof hörte den Vorfall und fragte den Doktor, als er wie-
der
auf den Beinen stehen konnte: "Nun, seid Ihr genesen? Hat Euch
der Doktor Tillius recht behandelt?"
"Ich glaube", antwortete der Weise verstimmt, "ich bin einem
Doktor der Büberei in die Hände gefallen."
Da lachte Burchard und antwortete: "Wißt Ihr auch, wer dieser
Doktor war? Das war mein guter Narr Till Eulenspiegel. Zieht selbst
die Nutzanwendung!"
Da machte der Doktor große Augen und nahm noch am gleichen
Tag Urlaub.
Eulenspiegel findet Gefallen an der Heilkunst
Der Erzbischof von Magdeburg unternahm von Giebichenstein
aus eine Romfahrt, und Eulenspiegel schloß sich eine Zeitlang seinem
Gefolge an. In Nürnberg wurde gerastet, und da gefiel es dem Schelm
so gut, daß er wieder auf lose Streiche verfiel.
Durch die Kreuzzüge waren aus dem Morgenlande ansteckende
Krankheiten in das Römische Reich eingeschleppt worden. Daher
hatten die Nürnberger ein Siechenhaus eingerichtet, um die Frem-
den
darin zu pflegen, wenn möglich auch zu heilen. Man wollte da-
durch
auch die weitere Verbreitung der bösen Krankheiten ver-
hindern.
Das wußte Till Eulenspiegel. Er kleidete sich also als Doktor, mit
Barett und langem Mantel, setzte eine Brille auf und erbot sich,
alle Kranken für zweihundert Gulden gesund zu machen. Diesen
Lohn versprach ihm der Rat gern, denn die Nürnberger wären die
Kranken lieber heute als morgen losgeworden.
Eulenspiegel ließ sich zwanzig Gulden Vorschuß geben und be-
gab
sich ins Spital. Dort gab er sich als weitgereister, wohlerfahrener
Arzt aus, trat an das Bett jedes Kranken und fragte, was ihm fehle.
Beim Weggehen flüsterte er jedem ins Ohr: "Was ich dir jetzt sage,
mußt du für dich behalten. Wenn ich euch alle gesund machen soll,
muß ich einen von euch zu Pulver verbrennen und dieses den ande-
ren
eingeben. Dazu will ich mir den Schwächsten heraussuchen. Um
aber festzustellen, wer unter euch der Schwächste ist, werde ich mit
dem Spittelmeister in die Tür treten und rufen: Wer nicht krank
ist, verlasse Bett und Zimmer! Wenn du das hörst, eile so schnell du
kannst; denn wer als letzter in seinem Bett bleibt, wird für die an-
deren
als Heilmittel verwendet." Die Kranken nahmen diese Worte
des berühmten Arztes für bare Münze und spitzten die Ohren.
Als nun Eulenspiegel den verabredeten Ruf ertönen ließ, begann
ein seltsames Treiben, denn keiner wollte der letzte sein. Selbst
die Lahmen, die sonst nur auf Krücken herumhumpelten, liefen
hurtig davon. Manch einer war unter ihnen, der sein Bett seit zehn
Jahren nicht mehr verlassen hatte.
Im Handumdrehen war das Spital leer, kein Kranker ließ sich
mehr blicken. Da freute sich der Spittelmeister, und Till bekam sei-
nen
Lohn. Fröhlich und guter Dinge ging der Schelm davon.
Am nächsten Tage aber kamen alle Kranken wieder in das Spital
zurück, klagten und jammerten. Jeder schlich und kroch in sein
altes Bett.
"Wie ist das möglich", fragte fassungslos der Spittelmeister, "ge-
stern
ward ihr doch alle gesund?"
Da erzählten ihm die Kranken, wie Eulenspiegel das zuwegege-
bracht
hatte.
So hatten die guten Nürnberger ihr Geld verloren, und ihr Spital
war wieder voll von Kranken wie vorher.
Boshafte Neckerei
Die Nürnberger ließen in jener Zeit nicht mit sich spaßen. Sie hat-
ten
bald herausgefunden, wer ihnen den Streich im Spital "Zum
heiligen Kreuz" gespielt hatte, und geboten den Vierteismeistern,
nach dem Schalk zu fahnden. Der kluge Eulenspiegel roch aber
Lunte und ließ sich bei Tage nicht mehr auf der Straße blicken. Kam
aber der Abend, so machte er sich auf, um etwas auszuhecken. Bald
kannte er alle Wege in der Reichsstadt, auch den langen Steg, der
über die Pegnitz nach dem Saumarkt führt. Da hielt er sich öfters
auf. Es verdroß ihn dabei sehr, daß manchmal ehrbare Dirnen, die
zum Weinholen ausgeschickt worden waren, von losen Buben ge-
neckt
und geplagt wurden. Gerade an dieser Stelle. Ei, dachte er, geht
das so zu in dem stolzen Nürnberg? Wo sind denn die Scharwäch-
ter,
die für Ordnung in der guten Stadt sorgen sollten? Nun ging
Gutes zu erwarten hatte.
Endlich bekam er heraus, daß die getreuen Hüter der Stadt in
einem Schuppen am Rathause ihr Schläfchen zu machen pflegten,
sobald es in den Straßen ruhiger wurde. Hier lagen die ehrsamen
Wächter friedlich beieinander, Wehr und Waffen neben sich.
Da juckte es den Schelm, ihnen einen Streich zu spielen, sie sollten
so munter werden wie am hellen, klaren Tage. Er wartete also, bis
in Nürnberg alle Feuer gelöscht waren, dann ging er an den Steg am
Saumarkt und riß hinterlistig einige Bretter von der Brücke, und
warf sie in die Pegnitz. Dann ging er nach dem Rathause, wo die
Schläfer lagen, und fing an, die Scharwächter auszuschelten.
"Liegt ihr da, ihr Schelme! Ganz Nürnberg steht in Flammen,
sechshundert Ritter und Knechte stehen vor den Toren! Mordio!
Mordio! Wollt ihr gleich Wache halten, ins Horn tuten! Heraus aus
dem Haus! Die Viertelsmeister, halben Meister, ganzen Meister sind
aus den Federn!
Ihr pflegt der Ruh,
Heraus aus dem Haus!
Mit Nürnberg ist's aus!"
"Hol mich der Kuckuck", sagte da einer der Scharwächter, "wenn
dieser Schreihals nicht der Eulenspiegel ist, den wir suchen sollen, so
will ich nicht Veit Fenzel heißen. Kein anderer führt so tolle Reden
und treibt sich herum, wenn andere guten Christenmenschen auf
dem linken Ohr liegen."
"Das ist auch meine Meinung", sagte ein anderer, "man hört ja
der Viertelsmeister hat jedem von uns eine Maß Bier versprochen,
wenn wir ihn fangen. Der verdammte Schalk, ins Loch mit ihm!
Der Tropf will sich über die Obrigkeit lustig machen!"
Die Scharwächter liefen nun eilig hinter Eulenspiegel her und rie-
fen
aus Leibeskräften: "Halt, halt!", denn es war eine Maß zu ver-
dienen.
Weil sie nun jeden Pflasterstein kannten, achteten sie nicht
sonderlich auf den Weg, liefen ihm nach an St. Sebald, an St. Veit
ihnen und mußte seine ganze Flinkheit aufbieten, um ohne Schaden
über den Steg zu kommen. Die Scharwächter aber, die ihrer Beute
gewiß waren, rannten in blinder Wut hinter ihm her und purzelten
Mann für Mann nichtsahnend in die Pegnitz.
"Hallo, ihr Schelme", rief ihnen der Schalk zu, "habt ihr's so
eilig, ein Bad zu nehmen? Freilich tut's auch not nach dem langen
Schlaf. Gehabt euch wohl! Morgen sehen wir uns wieder!"
Die verdutzten Scharwächter hatten Mühe, aus dem nassen Bade
wieder herauszukommen. Sie mußten statt des erhofften Bieres Was-
ser
schlucken, aber munter wurden sie. Sie schworen darauf voll
Grimm, den Schalk schon ausfindig zu machen, und wenn er sich in
einem Mauseloche versteckt hätte. Sie machten indes die Rechnung
ohne den Wirt, denn der kluge Eulenspiegel entwich und zog noch
in der gleichen Nacht dem Bischof nach, der mittlerweile schon in
Augsburg war.
Da zeigte sich wieder die Wahrheit der alten Lehre: Die Nürn-
berger
hängen keinen, sie hätten ihn denn!
Der ungläubige Wirt
Als Eulenspiegel nach Augsburg kam, traf sich's, daß er in der-
selben
Herberge einkehrte, in der das Gesinde des Erzbischofs noch
vor ein paar Tagen genächtigt hatte. Der Wirt leistete dem neuen
Gast Gesellschaft und erzählte ihm, alle Welt hätte viel Wesens ge-
macht
von einem gewissen Till Eulenspiegel, der das ganze Sachsen-
ren habe, selbst wenn sie sich auch noch so klug und weise dünkten.
"Aber das ist alles gelogen", sagte der Wirt, "einen solchen Schalk
gibt es nirgends, und gäbe es einen, so mag er wohl die dummen
Sachsen hinter das Licht führen, bei uns wird er es wohl bleiben las-
sen.
Wir stehen unsern Mann. In unsere gute Stadt kommen die
Leute aus aller Welt, Pfaffen und Laien, und es sind manche darun-
ter,
die Haare auf den Zähnen haben, manche auch, denen der Schelm
im Nacken sitzt, aber sie finden alle hier ihre Meister. Großmäulig
kommen sie an, als ob sie die ganze Welt verschlingen wollten, aber
demütig und heimlich schleichen sie sich wieder davon. Ich sage
Euch, hier gibt es manchen Weber, der klüger ist als anderswo die
Doktoren. Das kommt eben daher, weil Augsburg die Hauptstadt
im Römischen Reiche ist."
So redete der Wirt in seiner einfältigen Weise weiter. Eulenspiegel
aber schwieg ganz still dazu. Als es Abend wurde, legte er sich auf die
Ofenbank, um zu schlafen, am andern Morgen aber machte er sich
zeitig auf und davon.
Der Wirt hatte zwar einen festen Schlaf, wenn es aber Morgen
wurde, wachte er immer zu einer bestimmten Stunde auf, verließ
sein Bett und ging in den Stall, um sein Vieh zu füttern.
Diesmal aber wachte er mitten in der Nacht auf, wunderte sich,
daß er ausgeschlafen hatte, dachte aber: Wozu sollst du um Mitter-
nacht
schon aufstehen und Licht verbrennen? Am besten legst du
dich auf die andere Seite. Er schlief also noch einmal ein. Nach langer
Zeit wachte er wieder auf und fand, daß er völlig ausgeschlafen hatte,
denn er fühlte sich ganz lahm vom langen Liegen. Da wollte er auf-
stehen,
denn es war ihm unerträglich, länger im Bette zuzubringen.
Nun tastete er in der Dunkelheit nach seinen Beinkleidern, fand sie
die Füße nicht durch die Hose.
"Ich glaube, ich bin verhext!" rief er, ließ die Hose und suchte
nach seinen Lederschuhen. Die fand er endlich, konnte sie aber nicht
vom Boden aufheben, so sehr er auch zerrte und riß. Ich bin wirklich
verhext! dachte er und ging, um die Tür zu öffnen. Allein die
wollte nicht aufgehen. Da verwünschte er alle Hexen und Zauberer,
und nahm sich vor, seine Nachbarin, die er nicht ausstehen konnte,
als Urheberin dieses Unheils bei den Gerichten anzuzeigen.
Endlich, als er sich mit aller Macht dagegenstemmte, glückte es
ihm, einen Spalt von der Tür herauszudrücken. Da sah er zu seinem
Schrecken, daß der helle Tag in seine Dachkammer hereinschien. Nun
nahm er den Knüttel, den er immer hinter seinem Bette stehen hatte,
benutzte ihn als Brecheisen und arbeitete sich heraus. Da sah er,
daß einer in der Nacht ein schweres Weinfaß vor die Tür gewälzt
hatte. Seine Hose war zugenäht, die Schuhe aber am Boden festge-
nagelt.
Das schräge Dachfenster hatte jemand mit einem Brett und
lauter Mist verdeckt. Wie er nun zornig hinauslief, merkte er, daß
es längst Mittag war. Die Ställe standen offen, und das Vieh schien
schon am Abend herausgelassen worden zu sein. Natürlich lag die
Magd auch noch im Bette. In der Wirtsstube aber lärmten die Gäste,
die keine Bedienung hatten. Sie hatten das Tor offen gefunden, sich
aus der Speisekammer selbst versorgt, auch so viel Bier und Wein
abgezapft, wie sie wollten. Als der verschlafene Wirt eintrat, wurde
er verlacht, und als er sein Leid erzählte, mußte er zum Schaden auch
noch den Spott hinnehmen.
Er grübelte darüber nach, wer ihm wohl diesen Streich gespielt
haben könne, da sagten ihm zwei Kaufleute, von denen der eine
Schöller, der andere Möller hieß:
"Das wird kein anderer gewesen sein als der, dessen Wappen Ihr
an Euerm Haustor finden werdet. Wir trafen ihn unterwegs und sol-
len
Euch von ihm grüßen. Er ist über alle Berge."
Der gefoppte Wirt ging darauf vor die Tür, sah die Eule mit dem
Spiegel und las darunter: Hic fuit.
Also hat mich der Schalk doch hinters Licht geführt, dachte er.
Mag er seine Romfahrt so weiter fortsetzen. Mag er bleiben, wie
er ist, und Bübereien aushecken, wie er will, wenn er mir nur künf-
tig
nicht mehr unter die Augen kommt, denn ich sehe doch, wenn
einer auch so klug ist wie ich, so wird er doch von einem Schalk
betrogen. Von der Zeit an glaubte er an Eulenspiegel und dünkte
sich nicht weiser.
Er macht hohen Herrschaften etwas weis
Nun wollte Eulenspiegel sein Glück als Maler versuchen. Er ent-
schloß
sich, in das Herzogtum Berg am Rhein auszuwandern, denn
man kannte im Sachsenlande seine Schelmereien schon zu gut, auch
wußte er genau, daß er mit neuen Streichen keinen Anklang finden
würde. Unterwegs traf er seine alten Bekannten Schöller und Möl-
ler,
die sich nicht wenig freuten, ihn wiederzusehen. Ohne große
Mühe überredete er sie, mit ihm zu ziehen und sich als seine Gesellen
auszugeben.
Da es ihm an Dreistigkeit nicht fehlte, wandte er sich nach Düs-
seldorf
und stellte sich dem Herzog als Gelehrten vor, der in Rom
studiert habe. Der Fürst war sehr erfreut darüber, an seinem Hof
Kunst, Gold zu machen, beschäftigte, fragte er Till, ob er die Alche-
mie verstehe. Daran hatte der Schalk bisher nicht gedacht und er-
widerte, daß er eine weit höhere Kunst verstehe, nämlich die Male-
rei, und darin ein anerkannter Meister sei. Auch das war dem Herzog
lieb, denn er hätte längst gern die Wände eines großen Saales in sei-
nem Schlosse mit den Bildern seiner Ahnen schmücken lassen. Bisher
waren ihm aber die Kosten zu hoch gewesen, um eigens dafür einen
Meister aus Rom kommen zu lassen. Nun kam ihm der Zufall zu
Hilfe! Da der Künstler aus Rom kam, zweifelte er keinen Augen-
blick an dessen Können, zumal ihm Till mehrere Gemälde vorlegte,
die er als seine Arbeit ausgab und wohl irgendwo auf ehrliche oder
unehrliche Art erworben hatte.
"Werter Meister", fragte der Herzog also Till, "getraut Ihr Euch
wohl, die schwere Arbeit zu übernehmen? Ich will Euch dafür vier-
hundert
Gulden geben, hundert Gulden für jede Wand."
"Sehr gern, gnädiger Herr", antwortete Till, "und ich will mich
bemühen, die Malerei recht kunstvoll und Euer würdig auszuführen."
Also wurden sie handelseinig. Eulenspiegel ließ sich zweihundert
Gulden Vorschuß geben und begann mit seinen Gesellen, im ver-
schlossenen
Saal zu wirken. Ihre Arbeit bestand darin, daß sie gut
aßen und tranken und sich die Langeweile mit Brettspielen ver-
kürzten.
Das ging so einige Wochen lang. Da ließ der gute Herzog
den Künstler einmal kommen und sagte zu ihm: "Werter Meister,
ich würde mich gern einmal überzeugen, wie weit Eure Bildnisse
fortgeschritten sind. Wollt Ihr mir Eure Kunst nicht einmal zeigen?"
"Recht gern, gnädigster Herr", antwortete der Schelm, "doch
mache ich Euch darauf aufmerksam, daß ich sehr feine Kunst ange-
wandt
habe."
"Sehr wohl", sagte der Herzog.
"Meine Kunst ist reine Wahrheit", fuhr Eulenspiegel fort, "ich
habe Farben, 01, Pinsel und Palette und all mein Malgerät erst wei-
hen
lassen, dazu habe ich ein Geheimnis angewandt, das in Rom
selbst nur den wenigsten bekannt ist. Der große Maler Alighieri
wollte es mir abkaufen für zwei Zentner Gold und ein Schloß in Flo-
renz,
aber ich habe es für mich behalten."
"Ich bin sehr gespannt", sagte der Herzog und machte immer
größere Augen.
"Die Kunst besteht nämlich darin", erklärte Eulenspiegel, "daß
niemand die Bilder erblicken kann, der in seinem Leben gelogen hat,
denn es ist eine Malerei der reinen Wahrheit." Nun führte Eulen-
spiegel
den Herzog in den Saal, der im stillen bei sich dachte: Das
kann gut werden. Du hast dich ja manchmal in deinem Leben raus-
geredet
und bist nicht abgeneigt, deiner Gemahlin, deinem Adel
und sonstigen Dienern so viel vorzuflunkern, daß sich die Balken
biegen. Wie soll das enden?"
Eulenspiegel nahm nun sehr feierlich und so, als ob er die aller-
größte
Vorsicht anwenden müsse, ein großes Tuch von der Wand,
das da wie zum Schutze der Fresken gehangen hatte, und der ver-
blüffte
Herzog sah nun nichts als die weiße, nackte Wand vor sich.
"Hm!" machte er, getraute sich aber sonst nichts zu äußern, um sich
nicht als Lügner bloßzustellen.
Eulenspiegel aber, der große Meister, nahm seinen langen Maler-
stock
aus Holunderholz und begann, die einzelnen Gemälde, die da
sein sollten, zu erklären: "Seht da, gnädigster Herr, das ist Herr
Reginar, der Langhals genannt, der Graf von Lothringen, Lovania
und Brabant, Euer Ahnherr, und hier seine Gemahlin Isabella, Her-
zogin
von Siebenbürgen. Hier seht Ihr seinen Sohn Albrecht den
Greulichen, wie ihn die Sage nennt. Wie Ihr seht, ist sein linker Schuh
noch nicht ganz fertig geworden, weil die rote Farbe so schlecht
trocknet. Ihr könnt Euch davon überzeugen." Mit diesen Worten
tat er so, als ob er an die Wand tippte, und zeigte dem verdutzten
Herzog seinen Finger, den er vorher heimlich in frische rote Farbe
gesteckt hatte. "Seht, gnädiger Herr, es ist noch ganz naß."
"Jawohl", meinte der Herzog, "Es muß noch trocknen."
"Hier seht Ihr Eberhard Schiefmaul, seinen Nachfolger", fuhr
Eulenspiegel dreist fort, "der um 600 nach der Geburt unseres Hei-
lands
lebte, den Herrn von Gudensberg, Thüringen und Hassia. Ist
sein himmelblaues Gewand nicht zum Entzücken geraten? Und wie
funkelt der Ordensstern!"
"Hrn!" machte der Herzog und nickte zum Zeichen des Ver-
ständnisses.
"Das ist seine huldreiche Gemahlin Juliana Plaudertasche, von der
erzählt wird, daß sie besser predigen konnte als jeder Pfarrer im
Lande, und daß sie sieben Doktoren der Beredsamkeit zu Tode dis-
kutierte.
Hier seht Ihr den berühmten Johannes Eisenfresser, den
tapfersten Kämpen im Römischen Reich, hochgeehrt in der ganzen
Christenheit. Die Bockshörner zu seinen Füßen sind eine Allegorie,
gnädigster Herr, und sie bedeuten, daß der tapfere Held in seinen
letzten Lebensjahren ein sehr vorteilhaftes Bündnis mit dem Bösen
abschloß. Hier seht ihr seine Eheliebste, Margareta Zimperlich, samt
ihrer Elster, mit der sie sich auf angelsächsisch unterhielt, denn sie
stammte aus Northumberland. Das da ist ihr beiderseitiges Kind,
Jörg mit der roten Nase, der tapfere Zecher, daneben seine huld-
reiche
Gattin, Leontine Zagnurnicht, eine streitbare Dame, die selbst
den mutigsten Recken Achtung einflößte. Der Schlüssel, den sie in
der Hand trägt, ist gleichfalls eine Allegorie, er bedeutet, daß sie dem
dem Spruchbande, das aus ihrem Munde geht, lest Ihr die Worte:
Der Besen liegt bereits zur Stell,
Leicht magst du aus dem Hause schleichen,
Doch wird die Rache dich erreichen.
Der Sage nach sind das ihre eigenen Worte, wie Ihr wißt. Hier ist
nun ihr Sproß, Jodokus der Dicke, der von den erlauchten Eltern
nicht nur die reichen Güter und Herrschaften, sondern auch die vor-
trefflichen
Eigenschaften erbte. Wie Ihr seht, gnädigster Herr, ist
von seinem Bildnis nur die Untermalung bis jetzt fertig, dafür ist
es eben auch das letzte in der Reihe. Meine Gehilfen werden es in
diesen Tagen vollenden, und dann wird die nächste Wand in An-
griff
genommen werden. Nun, wie gefallen Euch meine Bildnisse,
gnädigster Herr?"
Der Herzog wußte nicht, was er beginnen sollte. Habe ich wirk-
lich
so furchtbar gelogen, dachte er, bin ich blind, oder arbeitete der
Schelm mit der Schwarzen Kunst? Der fremde Meister hat mich auf
eine kitzlige Probe gestellt. Er antwortete hierauf: "Hm, Eure Bil-
der
gefallen mir gar wohl, doch gehört zu Eurer Kunst ein feines
Verständnis, und das ist nicht jedermanns Sache." Damit ging er
weg und wußte noch nicht, was er davon denken sollte.
Bei der Tafel fragte ihn die Herzogin nach dem Werk des frem-
den
Meisters. "Gern möchten meine Jungfern einmal sehen, wie weit
er gekommen ist, und ich möchte ihnen den Gefallen schon tun, sie
in das Atelier einzuführen, nicht meinetwegen also, denn ich bin
ganz und gar nicht neugierig."
"Wenn es der Meister erlaubt, mögt Ihr wohl mit Euern Jungfern
das Werk sehen", beschied der Herzog.
"Kann er wirklich so kunstreich malen?" fragte sie weiter. "Ich
meine, er sähe aus wie ein rechter Schalk."
"Geht nur, Ihr werdet Euch wundern", sagte er darauf und lenkte
das Gespräch dann auf eine Reiherbeize und andere Staatsgeschäfte.
Die Herzogin konnte die Zeit gar nicht erwarten, bis die Tafel auf-
gehoben
war, und obschon sie nicht neugierig war, sondern bloß
ihre Jungfern, so eilte sie doch zu dem Meister und bat ihn, das Werk
sehen zu dürfen. Das erlaubte Eulenspiegel wohl, sagte ihr aber ge-
rade
so wie dem Herzog, daß niemand von der Kunst etwas genießen
werde, der in seinem Leben gelogen habe.
Ein bißchen habe ich wohl auch gelogen, dachte sie, habe meinen
lieben Gatten, meinen Hof und manche meiner Verwandten wohl
einmal hinters Licht geführt, aber vielleicht schadet das nichts. Übri-
gens
kann ich nun wohl erfahren, wer von meinem Gesinde die
Wahrheit redet oder nicht.
Mit diesen Worten ging sie in den Saal und bat den Meister, ihr
das Werk zuerst zu zeigen, obschon sie gar nicht neugierig war und
sich doch nur für ihre Mägde aufopferte. Eulenspiegel aber löste nun
mit derselben Andacht und Vorsicht das Laken, worauf er die lau-
nige
Erklärung der Bilder begann, gerade so, wie er es bei dem Her-
zog
getan hatte, nur daß er noch hinzufügte, daß dem Herrn die
Darstellungen außerordentlich gefallen hätten. Nun starrte die Her-
zogin
die leere Wand an und dachte: Entweder bin ich ein blinder Hesse
geworden, weil ich in meinem Leben so viel gelogen habe, oder mit
der Malerei hat es einen Haken.
So ging es auch den ehrbaren Fräulein, die gleichwohl "Ah", und
"Oh!"und "Wundervoll!" riefen, auch mit den Händen klatschten
schlüssel die Rede war. Ihre Herrin sollte doch von keiner denken,
daß sie eine Lügnerin sei und von der Kunst nichts verstünde. Dabei
aber dachte jede im stillen: 0 weh, du bist auch ein blinder Hesse,
hoffentlich merkt es keine.
Nun war aber unter den Mädchen eine, die nicht aus dem Bergi-
schen
stammte, sondern aus Köln, und die etwas vorlaut war, wie alle
Kölnerinnen von damals. Die sah dem Spiel eine Weile zu, dann aber
sagte sie keck: "Und wenn ich mein Lebtag als eine Erzlügnerin gel-
ten
soll, ich sehe hier nichts weiter als eine weißgetünchte Wand."
Kaum hatte sie so geredet, als alle Jungfrauen "Pfui" riefen und
sich von der mutigen Kölnerin unmutig und mit Verachtung ab-
wandten.
Till Eulenspiegel merkte, daß man das ins Lächerliche
ziehen müsse, und drohte ihr mit dem Finger, wie man ein Mägde-
lein
väterlich zurechtweist, das man bei einer Unwahrheit ertappt hat.
Die Herzogin verließ darauf mit ihren Dienerinnen den Saal. Als
der Fürst sie nun fragte, wie ihr die Malerei gefallen habe, da sagte
sie: "Sie gefällt mir so gut wie Euch, auch meine Jungfern sind sehr
eingenommen davon, aber die kleine Kölnerin behauptet, daß sie
nichts sähe als eine getünchte Wand."
Der Herzog dachte sich sein Teil dabei, meinte aber, es sei das beste,
wenn er morgen mit dem ganzen Hofgesinde erscheine, damit er sähe,
wer von diesem aufrichtig und wer ein Lügner sei. Das wurde Eulen-
spiegel
mitgeteilt.
Seinen beiden Gesellen wurde nun doch der Boden zu heiß, und sie
sagten: "Wir bleiben keine Stunde mehr in Düsseldorf und machen,
daß wir aus dem Bergischen kommen, denn wenn der Herzog hinter
die Büberei kommt, läßt er uns einen Kopf kleiner machen."
Dieser Meinung war auch der berühmte Meister - der Schalk
zog am nächsten Tag mit seinem gesamten Hofstaat kam, da waren
die Vöglein schon ausgeflogen. Nun ließ er das Laken von der Wand
nehmen, um zu sehen, welche Malerei der Künstler vollendet habe.
Es war indes nichts weiter zu sehen als das Wappen Till Eulenspiegels
mit der bekannten Inschrift: Hic fuit.
Da sagte der Herzog: "Wir sind von dem Schelm Eulenspiegel be-
trogen
worden, den ich zur Strafe für seine Büberei aus dem Lande
weise. Aber da sieht man, wie die Menschen sind. Ich wußte von
vornherein, daß wir es mit einem Schalk zu tun hatten, der nichts
gemalt hat, weil er die Kunst nicht verstand. Mich hat er nicht irre-
geführt,
dagegen muß ich erleben, daß er meiner Gemahlin und ihren
Jungfern blauen Dunst vormachen konnte."
"Mir nicht", rief die kecke Kölnerin, aber ihre Stimme wurde nicht
beachtet, ja, sie wurde mit unfreundlichen Blicken und Reden ge-
straft,
weil sie klüger sein wollte als die andern.
Bist du bei Hofe, so dulde und schweige!
Eulenspiegel aber gab nach diesem Ereignis die Malerei wieder auf.
Er beeilte sich, das Bergische Land zu verlassen. Da er sich aber auch
nicht wieder nach Sachsen getraute, beschloß er, nach der Heimat
jenes klugen Fräuleins zu gehen, das ihm hinter die Karten geguckt
hatte. "Ich will nach Köln gehen und ein Trickes werden", sagte er
und zog nach dem Rhein.
Ein hartes Lager
In Köln angelangt, lebte Till Eulenspiegel ganz für sich, nahm
auch keinen Dienst bei einem Herrn oder Meister an, denn er dachte:
Das bleibt des fahrenden Mannes Recht.
Also schlenderte er den ganzen Tag in der freien Stadt herum,
besah den großen Christoph im Dom, rief "Alaaf Kölle!", wenn es
alle schrien, und wohnte im Gasthof "Zur Zweibahn".
Da waren viele fahrende Gesellen. Aber der Wirt war ein Schalk,
und da sich zwei Schälke nicht in einem Hause vertragen, so gedachte
Eulenspiegel, sich eine andere Herberge auszusuchen. Davon bekam
der Wirt Wind und wurde grob und rücksichtslos gegen ihn, wie die
Kölner Gastwirte damals gegen die zu sein pflegten, von denen sie
nichts mehr einzunehmen hofften.
Als es Abend ward, schickte der Wirt seine Gäste zur Ruhe. Jeder
erhielt sein Bett, nur Eulenspiegel nicht. Da sprach er zu dem Her-
bergsvater:
"Lieber Trickes, wie kommt es, daß Ihr mir kein Lager
anweist, wo doch sonst alle Eure Gäste ein Bett erhalten?"
Da nahm der Grobian einen Schlegel, den er beim Bierabzapfen
brauchte, warf ihn Eulenspiegel vor die Füße und sagte: "Da hast du
ein Kopfkissen!" Dann griff er ein Stuhlbein, warf ihm das vor den
Leib und sagte: "Da hast du ein Laken!" Nun nahm er einen Stuhl-
sitz,
stülpte ihn Eulenspiegel auf den Kopf und setzte hinzu: "Da ist
ein ganzes Bett! Schlaf wohl, träume süß und lege mir das Bettzeug
morgen wieder schön zusammen!"Sprach's und ging lachend davon.
Eulenspiegel mußte sich also in dieser Nacht auf der Bank ausstrecken.
aber und dachte: Die Nacht wird wohl auch vorübergehen.
Am andern Morgen kam der Wirt herein und wollte sehen, wie
Till geschlafen habe. Da warf ihm Eulenspiegel den Schlegel an den
Kopf und sagte: "Da hast du dein Kopfkissen wieder!" Ebenso lan-
deten
das Stuhlbein und der Stuhlsitz am Kopf des Wirtes, so daß
dieser die Flucht ergriff. Als er aber wiederkam, war Eulenspiegel
davongegangen, um eine andere Herberge aufzusuchen. Der Wirt
gehörte aber zu jenen Leuten, die eine Grobheit nicht übelnehmen,
weil sie selbst darin Meister sind. Er sandte also seinen Knecht hinter
ihm her und ließ ihn wieder holen. Darauf versöhnten sich die beiden
Grobiane, von denen jeder des andern Wert erkannt hatte.
Schall und Rauch
Eulenspiegel blieb lange Zeit in der Herberge "Zur Zweibahn" in
Köln, bekam auch seit seinem Streit mit dem groben Trickes immer
ein gutes Bett, auch gutes Essen an der Wirtstafel. Aber eines Tages
wurde das Essen viel zu spät auf das Feuer gebracht, als daß es zu Mit-
tag
hätte rechtzeitig fertig werden können, obwohl Eulenspiegel den
Wirt mehrmals gemahnt hatte, weil ihn der Hunger plagte. Es sollte
diesmal drei Stunden länger dauern als sonst. Das verdroß ihn sehr.
Der grobe Wirt merkte wohl, daß das seinem schalkhaften Stamm-
gast
nicht nach Wunsch war, dachte aber: Wozu bin ich Herr im
Hause! Meine Gäste haben sich nach mir zu richten, nicht ich mich
nach ihnen. Laut sagte er dann: "Wer nicht warten gelernt hat, der
mag knabbern, was er hat." Das ließ sich Till nicht zweimal sagen,
er zog eine trockene Semmel hervor und aß sie auf. Da er in der Her-
berge
wie zu Hause war, ging er sodann in die Küche, um nach dem
Essen zu sehen. Die Frau des Wirtes, die nicht minder grob war als
ihr Gatte, fuhr ihn an: "Du brauchst hier nicht Maulaffen feilzuhal-
ten,
willst du hier bleiben, so magst du den Braten am Spieße drehen
und beträufeln." Das tat Eulenspiegel und vertrieb sich damit die
Langeweile, dabei dachte er an seine Kochkünste in früheren Zeiten,
wo er für den Bauern- und Bürgerstand und selbst für einen Bischof
gekocht hatte. Darüber vergaß er den Hunger, und von dem Geruch
des Bratens wurde er vollends satt.
Endlich wurde angerichtet. Der Wirt setzte sich mit seinen Gästen
zu Tisch, Eulenspiegel aber blieb am Herde sitzen. Da kam der Wirt
zu ihm und sagte: "Wie, Eulenspiegel, willst du nicht mit uns essen?"
"Nein, ich habe keinen Hunger mehr", antwortete Eulenspiegel.
Ich bin vom Geruch des Bratens satt geworden."
Das ist Trotz, dachte der Wirt, er will es mich entgelten lassen,
daß die Mahlzeit so lange auf sich warten ließ. Ich will ihn aber leh-
ren,
sich zu betragen, wie es in Köln üblich ist.
Er sagte also nichts. Als die Mahlzeit zu Ende war, ging er reihum
bei den Gästen und nahm jedem für das Essen zwei Weißpfennige
ab. Dann kam er auch mit seinem Zählbrett in die Küche zu Eulen-
spiegel,
der noch immer am Herd saß. Auch von ihm forderte er
zwei Weißpfennige für die Mahlzeit. "Wie, Herr Wirt", entrüstete
sich da Eulenspiegel, "ist das Eure Art, Geld von einem zu fordern,
der Eure Mahlzeit nicht gegessen hat?"
"Ich verlange mein Geld!" rief der Wirt zornig. "Hast du nicht
mitgegessen, so bist du doch von dem Geruche satt geworden. Du
hast hier solange bei dem Braten gesessen, das gilt so viel wie eine
Mahlzeit."
Da zog Eulenspiegel einen Weißpfennig heraus, ließ ihn auf die
Bank fallen und fragte: "Herr Wirt, hört Ihr diesen Klang?"
"Diesen Klang höre ich wohl", antwortete er.
Nun steckte Eulenspiegel geschwind den Weißpfennig wieder in
seine Tasche und sagte: "So viel Euch der Klang dieses Weißpfennigs
in Euerm Beutel nützt, so viel nützt mir der Geruch Eures Bratens
in meinem Magen."
Der Wirt wurde nach dieser Abfertigung nur noch erboster und
verlangte wenigstens diesen Weißpfennig zur Bezahlung. Allein Eu-
lenspiegel
sagte: "Wenn Ihr mit dem Klange des Geldes nicht für den
Geruch Eurer Mahlzeit zufrieden seid, so gibt es noch Richter in Köln,
die unsern Streit schlichten werden." Der Wirt wollte aber nicht mit
ihm rechten, denn er wußte wohl, daß dabei nicht viel Gutes für ihn
herauskommen würde, deshalb ließ er ihn unangefochten. Eulen-
spiegel
aber wandte Köln für immer den Rücken.
Lebensweisheit und Bücherkram
Eulenspiegel ging von Köln aus auch einmal nach Paris. Da merkte
er bald, daß es dort viele gelehrte Leute gab, die sich Scholastiker
nannten. Sie übten sich Tag für Tag in den wunderbarsten gelehrten
Fragen, wozu sie sich in ihrer Universität, der Sorbonne, versammel-
ten.
Da saßen sie dann und beantworteten mit großem Spürsinn alle
Fragen, die ihnen vorgelegt wurden, lösten alle Rätsel mit Leichtig-
keit
und beriefen sich auf ihre Bücher. Kam ein Fremder in ihren
Kreis, so fertigten sie ihn gründlich ab und zeigten ihm, wie viele
Bibliotheken er durchstudieren müsse, um es an Gelehrsamkeit mit
ihnen aufzunehmen.
Sie wußten, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben; was
früher gewesen, der Vogel oder das Ei; wie die Menschen auf dem
Monde aussehen, in welcher Tonart die Planeten ihr Sphärenlied sin-
gen;
wie die Drachen beschaffen gewesen; welche Bäume im Paradiese
gestanden; welche Sterne Glück und welche Unheil bedeuten. Keiner
wußte aber, wie man einen Wams flickt, einen Mehlbrei anrührt,
einen Degen führt, einen Wall errichtet, wie man seine Gesundheit
erhält, ein Pferd kauft oder gar, wie man ein gerechtes Urteil fällt
oder einem Fürsten einen Rat gibt, vielmehr sahen sie nur darin ihren
Lebenszweck, mit spitzen Zungen unnütze Wortgefechte zu führen.
In diese hochweise Versammlung verirrte sich auch Till Eulenspie-
gel,
der freilich nur über ein wenig Mutterwitz und gesunden Men-
schenverstand
verfügte. Er stellte sich eines Tages mitten in den Saal
vor das Katheder, auf dem der Rektor alle Fragen, die gestellt wur-
den,
laut verkündete.
Als er nun des Fremden ansichtig wurde, sagte er: "Junger Mann,
gelüstet es dich vielleicht, eine Frage zu stellen?"
Eulenspiegel sagte ja und fuhr fort: "Was ist besser, daß einer das
übt, was er kennt und weiß, oder daß er das erst lernt, was er im Le-
ben
tun will? Oder, machen die Doktoren die Bücher oder die Bücher
die Doktoren?"
Diese seltsame Frage wurde der gelehrten Gesellschaft vom Rektor
zur Untersuchung vorgelegt, und es bildeten sich sogleich zwei Par-
teien.
Die Mehrzahl der Gelehrten wurde schließlich darüber einig,
daß es richtiger sei, wenn einer das tue, was er verstehe, und daß die
Doktoren die Bücher machen, nicht umgekehrt.
Darauf antwortete Till: "Dann seid ihr alle Narren, denn ihr tut
nicht, was ihr versteht, und bei euch gilt der als der Größte, der die
meisten Bücher verfaßt hat, nicht der, welcher sein Wissen auch an-
zuwenden
versteht. Ihr mögt nun über das Thema disputieren, so
lange ihr wollt."
Damit verließ er die Versammlung der gelehrten Griffelspitzer, um
sie nie wieder aufzusuchen.
Eulenspiegels Lebensweisheit
Wo der lustige Schalk auch war, stets suchte er Gesellschaft auf,
denn er meinte, durch Alleinsein käme keiner in eine heitere Stim-
mung.
Das tat er auch, wenn er Fußwanderungen machte. Da wun-
derten
sich seine Begleiter immer über sein sonderbares Wesen. Ging
es einen Berg in die Höhe, dann ächzten wohl die Wanderer über die
Mühsal, Eulenspiegel aber war dann guter Dinge. Ging es talab, dann
freuten sich die Reisenden, weil sie sich weniger anzustrengen brauch-
ten,
nur Eulenspiegel war verdrießlich. Da fragte ihn jemand nach
mung beim Bergabgehen.
Er antwortete darauf: "Wenn ich auf die Höhe klettern muß,
denke ich allemal an den bequemen Abstieg, der doch danach immer
kommen muß, das stimmt mich heiter. Geht es aber gem~ichlich nach
unten, so graut mir schon vor dem Berge, der kommen wird und
überstiegen werden muß, und das stimmt mich trübe. Habe ich Un
geschick, das mich im Leben noch treffen wird."
Eulenspiegel war auch nicht gern da, wo Kinder waren, denn er
meinte, sie wären nie so artig, wie sie aussähen. Freilich waren die
Kinder zu seiner Zeit nicht so wohlgeraten wie heute, wo sie den El-
tern
und Erziehern nichts als Lust und Freude bereiten. Wenn er an
einem hohen Gebäude ohne Schaden vorüberkam, dann pries er sein
Glück, denn er meinte, es hätte ihm ja von der Höhe ein Stein oder
etwas Ähnliches auf den Kopf fallen können, wenn er eben nicht
Glück gehabt hätte.
Bei einem freigebigen Hausherrn blieb er nicht lange, denn er
meinte, in diesem Heim müsse eine liederliche Wirtschaft herrschen.
Auch freute er sich, wenn er gesunde Speisen zu sich nahm, und hielt
es für einen Glücksfall, daß er statt dessen nicht das genießen mußte,
was in der Apotheke gebraut, gedreht und zusammengegossen wurde.
Für den stärksten Trank hielt er nicht den Wein oder den Absinth,
sondern das Wasser, weil das große Mühlräder treibt und manchen
guten Gesellen umbringt, der davon zu viel schluckt, sei es im Strom
oder im Meer.
Der Gipfel der Unverschämtheit
Als Till Eulenspiegel aus Paris nach dem Römischen Reich zurück-
kehrte,
war sein Geld so zusammengeschmolzen, daß er den Leib-
riemen
sehr eng schnallen mußte. Doch wollte er lieber ganz Sachsen
von einem Ende zum andern durchlaufen, als sich in eines Herren
oder Meisters Dienst begeben, denn vom Arbeiten hielt er nicht viel
und meinte, das sei nur eine unnütze Unterbrechung der Ruhestunden.
Da ging er in einen Gasthof, der einer Witwe gehörte. Das war eine
muntere und kluge Frau. Till Eulenspiegel blieb da die Nacht, am
Morgen aber bekam er Hunger, so daß er gern eine gute Mahlzeit
zu Mittag gehabt hätte.
Als nun die Wirtin von der Fleischbank zurückkam, wo sie Ein-
käufe
gemacht hatte, fragte er bescheiden, ob er wohl eine gute Mahl-
zeit
bekommen könne.
"Ei freilich", sagte die Frau, "soviel Ihr wollt, mögt Ihr essen.
Ihr könnt an der Wirtstafel speisen, wenn Ihr aber etwas Besonderes
nach Eurem Geschmack zu essen wünscht, dann kann ich es Euch
machen."
"Ach, liebe Frau", sagte er, "ich bin ein armer, fahrender Gesell.
Mein Geld ist zur Neige gegangen, schenkt mir eine Mahlzeit um
Gottes Lohn. Was kommt es Euch darauf an, ob Ihr einen Gast
mehr oder weniger habt."
"Werter Gast", antwortete sie, "in den Fleischbänken und bei dem
Bäcker gibt mir keiner etwas umsonst, ich muß dafür Geld geben.
Deshalb muß ich auch für mein Essen Geld nehmen."
"Das ist auch mein Fall, um Geld zu essen", sagte er listig, "um
wie viel Geld kann einer bei Euch essen und trinken?"
Sie sagte: "An der Herrentafel im Stübchen ißt einer um dreißig
Pfennige, an der Wirtstafel um zwanzig und am Gesindetische in
der Küche um zehn Pfennige."
"Liebe Frau, wo es um das meiste Geld geht, ist es mir am lieb-
sten",
meinte Eulenspiegel und setzte sich dreist in das Stübchen an
die Herrentafel zwischen Doktoren und reisenden Kaufleuten, und
hatte doch kaum ein paar Pfennige in der Tasche. Es wurde nun
aufgetragen, und Eulenspiegel aß, als ob er vier Wochen lang im
und getrunken hatte, sagte er zu der Wirtin:
"Liebe Frau, fertigt mich jetzt ab, ich muß weiterfahren, denn ich
habe wenig Zehrgeld."
"Lieber Gast", antwortete sie, "gebt mir meine dreißig Pfennige
und zieht dann, wohin Ihr wollt. Gott geleite Euch!"
Eulenspiegel tat sehr erstaunt und meinte: "Nicht so, liebe Frau,
sondern ich kriege von Euch dreißig Pfennige. Ihr habt mir doch ge-
sagt,
daß ich bei Euch um dreißig Pfennige essen könne; das habe
ich getan, um etwas redlich zu verdienen. Ich habe nach Euern Wor-
ten
gehandelt, habe im Schweiße meines Angesichts gegessen, soviel
ich vermochte. Ich denke, Ihr werdet mir daraus keinen Vorwurf
machen, daß ich nicht mehr leisten konnte. Kostete es auch mein Le-
ben,
ich kann nicht mehr. Gebt mir also meinen sauer verdienten
Lohn, denn ich muß jetzt wirklich aufbrechen, wenn ich noch nach
Bayreuth will."
Die Frau hatte erst Lust, ihren Knecht und den Büttel zu rufen,
als aber der Fremde so ernsthaft zu ihr sprach, wurde sie verblüfft,
so daß sie selber nicht genau wußte, ob sie oder er Geld zu fordern
habe. Endlich sagte sie: "Daß Ihr für drei gegessen habt, weiß ich
wohl. Das mag damit sein Bewenden haben. Mir kommt es nicht auf
eine Mahlzeit mehr oder weniger an. Aber Geld gebe ich Euch nicht
dafür. Sollte ich lauter solche Gäste abfüttern, wie Ihr einer seid, so
trieben sie mich bald von Haus und Hof. Geht Eurer Wege!"
Da ging Eulenspiegel und tat wie einer, dem schweres Unrecht zu-
gefügt
worden war. Er hatte sich nach Leibeskräften bemüht, etwas
zu verdienen, und mußte nun abziehen ohne Dank und Lohn.
Eine andere Zechprellerei
Von Bamberg aus pilgerte Till Eulenspiegel nach Bayreuth. Dort
kam er in eine Herberge, deren Wirt die Klugheit nicht gerade mit
Löffeln gegessen hatte, wie Till bald bemerkte. Geld besaß Eulen-
spiegel
wie gewöhnlich, nicht, dafür hatte er großen Hunger. Der
Wirt fragte ihn, ob er ihm ein Schöpplein Wein bringen solle. Dabei
entdeckte Eulenspiegel, daß in der Küche Rostwürstchen gebraten
wurden. Die rochen gar lieblich. Als nun der Wirt das Schöpplein
Wein brachte und ihm mit einem "Geseg'n es Gott!" vorsetzte, sagte
er schalkhaft: "Lieber Herr Wirt, bringt mir dafür ein Rostwürst-
lein."
Da nahm der Herbergsvater seinen Wein zurück und brachte ihm
ein Rostwürstchen. Das aß Till mit Stumpf und Stiel auf und ging
dann seines Weges. An der Tür aber hielt ihn der Wirt zurück und
sagte: "Ei, ei, mein werter Gast, das ist hier nicht Brauch, ohne Be-
zahlung
davonzugehen. Zahlt mir vorerst das Rostwürstchen!"
"Das Rostwürstchen zahle ich Euch nicht", antwortete Till rasch,
"denn dafür habe ich Euch den Schoppen Wein gegeben."
"Den habt Ihr ja auch nicht bezahlt", sagte der Wirt.
"Ich habe ihn ja auch nicht getrunken", antwortete er und ging
davon, so daß der Wirt, dem so etwas nicht recht in den Kopf
wollte, das Nachsehen hatte.
Ein Narr kann mehr fragen, als sieben Weise
beantworten können
beantworten können
Kein Mensch weiß, wie es Till Eulenspiegel fertig brachte, von
Franken nach Prag zu reisen und dort nicht nur seinen Lebensunter-
halt,
sondern audi viele Freunde zu erwerben. Es war aber wirklich
so, sonst könnte es ja gar nicht erzählt werden. In Prag trug Eulen-
spiegel
statt der Schelmenkappe ein Barett, dazu einen langen Rock
wie die Doktoren, und wurde überall als Gelehrter angesehen.
An Schulen und Kirchen schlug er Streitsätze an, wodurch er die
ganze Universität in Aufregung brachte, denn seine Freunde be-
haupteten
nun, Till Eulenspiegel habe im kleinen Finger mehr Weis-
heit
als die ganze philosophische Fakultät, auch seien sämtliche Dok-
toren
und Magister samt dem aufgeblasenen Rektor nicht wert, ihm
die Schuhriemen zu lösen, weil sie nicht wagten, mit ihm anzuban-
deln.
So wurden bereits garstige Spottverse an die Kollegien ange-
heftet.
Man las da:
Ging ein Doktor verloren.
In Prag ist das Kollegium
Der Herren Magister schrecklich -klug.
Gar mancher Professor studiert Jahr um Jahr,
Und bleibt doch am Ende so schlau wie er war.
Der Rektor trägt ein buntes Barett,
Bei Tag ist er weise, dumm geht er zu Bett.
Die Herren Doktoren konnten sich wohl denken, aus welcher Fa-
brik
diese schlechten Verse stammten, und nahmen sich daher vor,
Tages den Pedell zu Eulenspiegel und ließ ihn auffordern, zum Kol-
leg zu kommen, da wolle man ihm Fragen aufgeben. Eulenspiegel
ließ antworten, daß er hierzu bereit sei, nur möge man ihn mit
Kirchenvätern, längst verstorbenen Heiden und scholastischer Weis-
heit verschonen und ihm nur Fragen aufgeben, die der gesunde Men-
schenverstand lösen könne.
Das wurde ihm zugestanden. Am festgesetzten Tage strömten die
Gelehrten in hellen Scharen zur Universität. Auch die Studenten ka-
men,
die so gelehrt werden wollten wie ihre Professoren, und hatten
nach ihrer Gewohnheit ihre Rapiere mitgebracht. Eulenspiegel aber
hatte auch seinen Anhang bei sich, seinen Wirt, mehrere Bürger und
lustige Gesellen, die alle derbe Knüttel in den Händen hatten, denn
man konnte nicht wissen, was sich ereignen würde. Die Studenten
waren nämlich damals sehr rauflustig.
Der Rektor empfing Eulenspiegel sehr feierlich und gemessen,
wies ihm ein Rednerpult an und legte ihm dann eine Frage vor, die
er beantworten sollte; die Frage hätte niemand beantworten kön-
nen,
selbst wenn man die Gelehrten dieser ganzen Universität dazu
aufgeboten hätte. Sie hieß: "Wieviel Eimer Wasser sind im Meere?"
Darauf erwiderte Eulenspiegel:
Die meerwärts strömen aus allen Reichen,
Und hemmt den Regen, dann will ich Euch sagen,
Wieviel die Eimerzahl mag betragen.
Diese Antwort hatte niemand erwartet, die Freunde Eulenspie-
gels
gaben ihren Beifall zu erkennen, die Doktoren schwiegen, dach-
ten
aber: Recht hat er.
Der Rektor wollte sich indes mit dieser Abfertigung nicht zu-
frieden
geben, er hatte schon eine neue Frage auf der Zunge, und die
hieß: "Wieviel Tage sind vergangen seit Adams Erschaffung bis
heute?"
Er dachte dabei: Jetzt wird sich der ungelehrte Tropf wohl mit
seinen kläglichen Rechenkünsten schändlich blamieren. Eulenspiegel
aber antwortete munter:
Sind verflossen just bis heute.
Wenn von diesen nichts geblieben,
Folgen eben andre sieben.
So geht es seit Adams Zeit
Bis in alle Ewigkeit.
Jetzt lachten Eulenspiegels Anhänger schon, die Doktoren aber
murrten gegen den Rektor, daß er den Schalk nicht aufs Eis zu füh-
ren
verstehe. Der schluckte seinen Arger hinunter, dachte: Aller gu-
ten
Dinge sind drei und stellte die nicht minder schwere Frage: "Wo
ist die Mitte der Welt?"
Oh, wie schlau und fein! dachten die Doktoren. Jetzt muß er doch
Rom nennen, wo der Heilige Vater wohnt, oder Prag, den Sitz der
Gelehrsamkeit. Nennt er das erstere, so verdirbt er es mit allen ge-
schulten
Leuten, bestimmt er das andere, dann kommen ihm die
Geistlichen ans Leder.
Auch seine Freunde wurden besorgt und wollten schon zur Geltung
haben könne, aber der Schalk antwortete:
Ist der Mittelpunkt der Welt.
Wollt Ihr das für wahr nicht halten,
Meßt es aus, wenn's Euch gefällt.
Von dem weiten Rand der Erde
Bis zu mir in gleicher Weite,
Und von mir aus, klug gemessen,
Fehlt nicht eines Strohhalms Breite.
Diese überraschende Antwort machte die Freunde Eulenspiegels
jubeln, die Doktoren und Studenten wurden aber darüber wütend.
Der Rektor, der ihn nun aus dem Gebiete der Physik, der Mathema-
tik
und Geologie gefragt hatte, war mit seinem Latein zu Ende, gab
ihm aber, um ihn schließlich doch noch bloßzustellen, eine Aufgabe
aus der Astronomie, die hieß: "Wie weit ist es von hier bis in den
Himmel?"Eulenspiegel besann sich nur kurze Zeit, um zu erwidern:
Ist der Himmel unsrer Erde
Der gesamten Christenheit,
Wie ich Euch beweisen werde.
Wenn Ihr wollt gen Himmel steigen
Bis zu selger Engel Chören,
Ruft herunter, werter Rektor,
Ich kann Euch von unten hören.
Der Rektor war zu der Probe nicht entschlossen, wohl aber zu
einer letzten Frage aus dem Gebiete der Metaphysik. Sie hieß: "Wie
groß ist der Himmel?"
Auch darauf blieb Eulenspiegel die Antwort nicht schuldig. Er
sagte:
Tausend Klafter ist die Breite,
Hunderttausend Ellenbogen
Ist die Höhe. Wer es besser
Kennt, ein weis'rer Messer,
Sage mir, daß ich gelogen.
Nach dieser Auskunft streckte der Rektor die Waffen. Eulen-
spiegel
wurde im Triumph als Sieger über die hochweise Prager Uni-
versität
nach seiner Herberge geleitet und dort gefeiert, aber er zog
es vor, noch in der Nacht abzureisen, weil die ergrimmten Studen-
ten
einen Anschlag gegen ihn im Schilde führten.
Ein gelehriger Schüler
Seitdem Eulenspiegel in Paris und Prag gewesen war, fand er Ge-
fallen
daran, die Gelehrten zu foppen, wo er sie antraf, denn er
hatte die Wahrheit des Sprichwortes erfahren: Je gelehrter, desto
verkehrter. Deshalb beschloß er, noch einmal die gute Stadt Erfurt
aufzusuchen, in der ja auch eine berühmte Universität war. Auch
so viele kluge Leute sein sollten, denn es hieß doch:
Also kam er nach Erfurt und wohnte wieder in der "Hohen
Lilie", doch kannte ihn niemand mehr, denn er hatte sich sehr ver-
ändert
in den letzten Jahren. In der Universität hatten sie aber schon
von ihm und seinem Treiben in Prag erfahren und berieten bereits,
wie sie es anfangen müßten, daß sie nicht ebenso wie die böhmischen
gelehrten Brüder angeführt würden. Eulenspiegel konnte nämlich
seine Neckereien nicht lassen, überall schlug er seine Streitsätze an,
und die Doktoren lasen da zu ihrem Arger: Wovon wird ein Magi-
ster
weiser? Wenn er Puifbohnen oder Brunnenkresse genießt? —
Wieviele Esel werden in Erfurt gehalten in Stadt und Weichbild,
die Akademie inbegriffen? —Haben die Erfurter deshalb die größte
Glocke im Dom, weil zur bedeutendsten Narrenkappe eben auch die
größte Schelle gehört? — Daneben erbot er sich auch, Lesen und
Schreiben zu lehren, gleichviel wem, bemerkte auch, daß er dies in
kurzer Zeit bewerkstelligen könne.
Darauf hielt der Rektor mit seinen Freunden eine Beratung ab.
Am Ende kamen sie auf einen gescheiten Einfall, und der Rektor
sagte vergnügt: "Ich hab's! Mich soll er nicht fangen, wie er den
Herrn Kollega in Prag genasführt hat, dafür stehe ich ein! Also
Und derer von Nürnberg Übermut,
Und derer von Erfurt Witz,
So gäb ich niemand nichts.
Hätt ich dazu der Ulmer Geld,
So wär ich der Reichste in der Welt.
ließ er Eulenspiegel freundlich bitten und fragte ihn, ob er nach
seiner Ankündigung und Verheißung jede Kreatur Lesen und Schrei-
ben lehren könne. Das bejahte Till. Darauf sagte der Rektor: "Dann
möchte ich Euch fragen, werter Herr Magister und Kollega, ob Ihr
Euch getraut, diesem etwas schwierigen Schüler die Künste beizu-
bringen?" Damit führte er ihn in den Stall; dort stand der unge-
lehrige Schüler, ein Esel, an der Krippe. "In welcher Zeit", fragte
der Rektor höhnisch, "würdet Ihr Eure Aufgabe vollbringen?"
Darauf antwortete der Schalk: "Zwanzig Jahre möchten wohl
darüber hingehen, würdiger Herr Rektor, das ist nicht zu lange,
wenn Ihr bedenket, daß hier eine unvernünftige Kreatur zur ersten
Stufe der Weisheit gebracht werden soll."
Darüber wurde nun ein Vertrag aufgesetzt, auch ein Honorar
ausgedungen, und Eulenspiegel machte sich an die Arbeit. Er dachte
dabei: Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Bis dahin kann der Rek-
tor
sterben, oder mein Schüler, oder ich selbst. Wer will mich mah-
nen,
wenn einer von diesen drei Fällen eintritt? Doch gab er sich
mit seinem Schüler nicht geringe Mühe. Er stellte ihn ganz allein
in einen Stall, legte ihm ein altes Buch in die Krippe, und zwischen
die einzelnen Blätter streute er Hafer. Leicht gewöhnte er nun das
Tier daran, daß es die Blätter mit dem Maule umwandte, um den
Hafer, der dazwischen lag, zu verzehren. Kam aber eine leere Seite,
so schrie das Tier, weil es keinen Hafer fand, aus Leibeskräften
"J-ah! J-ah!"
Nach einiger Zeit fragte der Rektor Eulenspiegel: "Nun, werter
Magister, wie steht's mit Eurem Schüler? Nimmt er Lehre an?"
"Er macht gute Fortschritte", antwortete der Schalk, "die Vokale
J und A kann er schon, wovon Ihr Euch überzeugen mögt." Darauf
führte er ihn und einige andere Magister in den Stall. Hier legte er
terte nach seiner Gewohnheit um, fand natürlich nichts und schrie
mit Inbrunst "J-ah! J-ah!"
"Seht, Herr Rektor", sagte der Schalk, "die beiden Vokale hat er
wohl gelernt, er kann es noch weit bringen in der Wissenschaft."
(1:;?
Nun sahen die Gelehrten, daß sie ebenfalls genasführt worden
waren und ließen den unverbesserlichen Spaßvogel in Ruhe. Der
aber zog bald darauf von Erfurt weg, denn er dachte: Du würdest
länger als zwanzig Jahre nötig haben, wenn du alle Esel in Erfurt
klug machen solltest.
Billiges Fleisch in Erfurt
In Erfurt auf dem Fischmarkt, dem Rathaus gegenüber, waren
die Fleischbänke. Da standen die Metzger und boten ihre Waren
an, Bratenstücke, Wurst, Schmalz und was sie sonst noch hatten.
Unter ihnen war auch einer, dem die andern nicht grün waren, weil
er bessere Geschäfte machte als sie. Er rief nämlich die Vorüber-
gehenden
an, lobte seine Ware und veranlaßte manchen bei ihm zu
kaufen, der sonst zu einem andern Metzger gegangen wäre.
Als Eulenspiegel an seiner Bude vorüberging, konnte er es nicht
lassen, auch ihm ein Angebot zu machen. "Wie, Herr Magister, wollt
Ihr nicht auch etwas mitnehmen? Vielleicht einen schönen Braten?"
"Welchen Braten soll ich mitnehmen?" fragte Eulenspiegel, dem
diese Rede nicht ungelegen kam.
"Nun, diesen", meinte der Fleischer, "er wiegt seine sechs Pfund
unter Brüdern."
Da nahm Eulenspiegel den Braten und ging davon. Gleich lief ihm
der Mann nach und sagte: "Lieber Magister, ich habe noch kein Geld
dafür. Ihr müßt erst bezahlen."
Eulenspiegel, der den Braten unter seinen Rock gesteckt hatte,
antwortete entrüstet: "Was wollt Ihr, Meister? Vom Bezahlen habt
Ihr bisher kein Wort verlauten lassen. Ihr habt mir gesagt, ich solle
den Braten mitnehmen, so tue ich Euch den Gefallen, wenn es mir
auch sauer genug wird, ein solch schweres Stück Fleisch Euch zuliebe
schleppen zu müssen. Seid Ihr aber anderer Meinung, so laßt uns die
Nachbarn fragen und den Streit entscheiden, die wissen um unseren
Handel."
Die anderen Fleischer standen um die beiden herum, mischten sich
ein und entschieden aus Bosheit zugunsten Eulenspiegels.
Sie alle hatten wohl vom Mitnehmen, nicht aber vom Bezahlen
etwas gehört, und behaupteten deshalb, der Magister sei im Recht.
Eulenspiegel ließ sie streiten und ging mit seiner Beute unbehel-
ligt
davon.
Nicht jeder wird durch Schaden klug
Einige Tage danach kam Eulenspiegel wieder bei den Fleisch-
bänken
vorbei. Da rief ihm der gleiche Metzger zu: "Herr Magi-
ster,
wollt Ihr nicht wieder einen Braten mitnehmen? Ein schönes
Stück von zehn Pfund."
"Wie Ihr wollt", sagte Eulenspiegel und griff nach dem Fleisch,
das der Metzger ihm gezeigt hatte. Der aber war flinker, hielt die
Hände vor und sagte: "Nicht also, erst Geld, dann die Ware."
Wieder hatten sich die andern Metzger um die beiden gestellt und
wünschten dem Konkurrenten abermals einen tüchtigen Verlust.
Eulenspiegel blieb ganz ruhig und sagte zum Metzger: "Macht keine
Umstände, ich will den Braten bezahlen." Da zog der Fleischer seine
Hände weg und wartete darauf, was ihm der Schalk wohl bieten
würde. Eulenspiegel aber fuhr fort: "Wenn ich Euch nun ein Wort
sage, das Euch erfreut, das Ihr gern hört, wollt Ihr mir dann den
Braten geben?"
"Wenn Ihr mir ein Wort sagt, das mir gefällt, dann sollt Ihr den
Braten haben", erwiderte der Metzger.
"Nun", sagte Eulenspiegel, "das Wort heißt: Beutel auf! Heraus
ihr Pfennige und bezahlt den Braten! Wie gefällt Euch das Wort?"
"Das Wort gefällt mir gut", erwiderte der Metzger, "ich möchte
wohl immer solche Worte hören."
Nun erwischte der Schalk das Fleisch, steckte es geschwind unter
seinen Mantel und rief: "Also gehört mir der Braten. Ihr habt es
alle gehört, daß er ihn mir verkauft hat für ein Wort, das ihm
gefällt."
Der Metzger wollte das so nicht gemeint haben und forderte
sein Geld, aber seine Gegner schlugen sich auf Eulenspiegels Seite, so
daß er abermals ins Unrecht gesetzt ward und zum Schaden auch
noch den Spott hinnehmen mußte.
Ein böses Pfänderspiel
Eulenspiegel war dreist genug, wieder nach Sachsen zu gehen, doch
zog er es diesmal vor, sich zu verkleiden, so daß er wie ein herr-
schaftlicher
Diener aussah. In diesem Aufzug wagte er sich nach
Quedlinburg, wo gerade Wochenmarkt gehalten wurde. Sein Geld
war alle, sein ewig hungriger Magen leer, und zu einer Zechprellerei
im Wirtshause fehlte ihm die Gelegenheit. Da nahm er sich vor,
irgendein Bäuerlein zu betrügen, und er trat auf eine Bauersfrau zu,
die einen Korb voll Hühner samt einem Hahn feilbot.
"Was kosten die Hühner?"fragte er sie.
"Zwei Hühner einen Stephansgroschen", war die Antwort.
"Das ist teuer", sagte er, "könnt Ihr sie mir nicht billiger geben?"
Das lehnte die Frau aber ab. Da nahm Eulenspiegel den Korb mit
den Hühnern und ging davon, ohne ein Wort zu verlieren.
Das war der Frau noch nicht vorgekommen. Sie lief hinter dem
unverschämten Käufer her und rief: "Wie, wollt Ihr mich nicht be-
zahlen?
Das ist mir ein schöner Käufer, der mit der Ware davon-
geht.
Ich will doch gleich dem Marktvogt Bescheid sagen."
"Ich weiß nicht, was Ihr wollt", antwortete er mit erheucheltem
Unwillen, "ich bin der Diener der Äbtissin!"
"Davon habe ich noch kein Geld", sagte sie. "Mein Vater hat mich
gelehrt, mit vornehmen Leuten nichts zu schaffen zu haben. Denen
soll unsereiner nichts borgen oder verkaufen, wenn er nicht den
meine Hühner!"
"Liebe Frau", antwortete er, "Euer Vater hat Euch damit keine
gute Lehre gegeben. Wenn alle Kaufleute so denken wollten, so
stünde es schlecht um die vornehmen und reichen Herren. Meine
Frau hat mir eben kein Geld mitgegeben, weil sie ja doch nicht wußte,
ob Hühner zu kaufen wären. Aber, damit Ihr zufrieden seid, will
Geld und den Korb wiederbringe."
Mit diesen Worten reichte er der Frau den Hahn aus dem Korbe.
So nahm sie ihren eigenen Hahn entgegen, behielt ihn als Pfand
und war vorläufig mit dem Handel zufrieden. Eulenspiegel aber ließ
sich nicht wieder blicken, und die gute Frau sah weder ihre Hühner
noch den Korb wieder.
Der geprellte Weinzäpfer
In Lübeck war Eulenspiegel noch nicht gewesen. Als er aber dort-
hin
ging, nahm er sich heilig vor, keine Büberei zu begehen, weil er
bald herausbekam, daß in dieser Stadt ein sehr strenges Recht
herrschte. Lange Zeit lebte er dort so brav und redlich, daß ihn kei-
ner
wieder erkannt hätte, dem er früher einen Narrenstreich ge-
spielt
hatte.
Nun war am Rathause ein Weinzäpfer oder Kellermeister ange-
stellt,
dem lag die Sorge für die Weinvorräte ob, auch hatte er Wein
zu verkaufen. Weil nun Lamprecht, so hieß er, von den Ratsherren
für sachverständig gehalten wurde, wenn es sich um Einkäufe von
Rheinwein handelte, auch die verschiedenen Jahrgänge wohl kannte,
so hielt er sich selbst für sehr weise und unentbehrlich in Lübeck.
Kamen ehrbare Bürger oder deren Frauen zum Zapf, so spielte er
sich immer sehr großartig auf und tat, als ob er ihnen eine beson-
dere
Gnade erwiese, wenn er ihnen für ihr Geld Wein ausschenkte.
Häufig genug klagte er über die Schererei, die ihm dadurch bereitet
wurde. Saß er aber im Ratskeller mit anderen zusammen, dann
erwarb er sich freilich keine Freunde.
Eulenspiegel kannte den Großsprecher auch, und nach seiner Ge-
wohnheit
konnte er es nicht über sich gewinnen, den klugen Wein-
zäpfer
für seine Aufschneidereien ungestraft zu lassen.
Er verschaffte sich also eines Tages zwei völlig gleiche Wein-
kannen,
füllte die eine mit Wasser, die andere ließ er leer. Die leere
trug er frei in der Hand, die mit Wasser gefüllte versteckt unter sei-
nem
Mantel. Demütig kam er so zu dem Gestrengen und bat um
ein Stübchen Wein.
"Das muß immer saufen!" antwortete Lamprecht grimmig, riß
ihm die Kanne aus der Hand, füllte eine Maß ab und verlangte dafür
acht Pfennige.
"Werter Herr Lamprecht", sagte Till, "könnt Ihr mir den Wein
nicht billiger lassen? Ich habe nur fünf Pfennige, und das ist mein
ganzes Geld."
Hu, da wurde der Kellermeister böse. "Das ist mir ein schöner
Gaudieb!" schrie er, "kommt daher und will mir die Preise fest-
setzen!
Das wäre ja noch schöner! Wer keinen Wein bezahlen kann,
der lasse es bleiben!"
"Recht habt Ihr", antwortete Eulenspiegel sanft, "und da ich
eben keine acht Pfennige bezahlen kann, so nehmt Euern Wein wie-
der.
Könnt ihn ja ins Spundloch eingießen."
Da riß der Wütende dem Schalk die Kanne aus der Hand und
füllte unter Schimpfen und Fluchen den Wein wieder in das Faß.
Dabei merkte er aber nicht, daß Eulenspiegel die Kannen vertauscht
hatte, so daß er Wasser in das Faß schüttete, während der Schalk die
Weinkanne unter seinem Mantel verbarg. Der erboste Küfer schalt
aber noch eine ganze Weile.
"Was bist du für ein Tor", sagte er, "daß du Wein kaufen
willst, ohne Geld zu haben."
Da ging Eulenspiegel lachend davon und sagte: "Es fragt sich nur,
wer der größte Tor von uns beiden ist. Kein Weinzäpfer in Lübeck
ist so klug, daß er nicht doch einmal hinters Licht geführt würde."
Der Fuchs im Eisen
Diese letzten Worte ließen in dem Küfer den Gedanken aufkom-
men,
daß der Mann in dem Mantel ihn betrogen haben könnte.
So etwas sollte aber dem klugen Lamprecht nicht passieren, einem
Mann, bei dem doch selbst die Bürgermeister sich Rat holten! So-
gleich
fiel ihm auch ein, daß der wunderliche Weinkäufer vielleicht der
berüchtigte Till Eulenspiegel gewesen sein könnte, von dessen Strei-
chen
ja in allen Landen geredet wurde.
Schnell entschlossen rief er den Büttel, teilte ihm seinen Argwohn
mit und eilte hinter dem Schalk her. Sie erwischten ihn, fanden bei
ihm zwei Kannen, darunter die mit Wein gefüllte, und der Küfer
schrie laut: "Schelm, der du bist, du hast den Rat bestohlen! Du hast
Wasser in der andern Kanne gehabt, das ich aus Versehen in den
Spund gegossen habe. Du mußt an den Galgen, Erzbösewicht! Jetzt
aber marsch ins Gefängnis!"
Eulenspiegel wurde also in Gewahrsam gebracht, dort hatte er
Zeit, seine Lage zu überdenken. Sie sind hier streng, dachte er, wenn
dich das Glück verläßt, geht es dir an den Kragen. Einige Tage da-
nach
wurde er vor Gericht gestellt. Der Weinzäpfer klagte ihn an,
den Senat betrogen zu haben, zeigte die beiden Kannen, schilderte
den Hergang, gab auch seiner Entrüstung darüber Ausdruck, daß
Spottes gemacht habe.
Die Richter machten nicht lange Federlesen. Es handelte sich ja um
einen Fremden, keinen Lübecker Bürger, zudem hatte Eulenspiegel
keinen guten Leumund. Man munkelt; daß er in Erfurt Fleisch, in
Quedlinburg Hühner gestohlen, in Hamburg unschickliche Dinge ge-
trieben
habe. Hier war der Diebstahl erwiesen, also blieb nichts wei-
ter
übrig, als das Urteil zu sprechen. Es lautete auf Tod am Galgen.
In freier, frischer Luft allein,
Umschwärmt von muntrer Krähen Schar,
Von aller Not frei und Gefahr,
Da ist des Diebes Ruhestatt,
Die er so lang erstritten hat.
Der Ordnung halber wurde der Verurteilte gefragt, ob er noch
etwas zu sagen habe oder einen billigen Wunsch äußern wolle.
Da nahm Eulenspiegel alle seine Schalkheit mutig zusammen und
sagte: "Hochweise Herren von Lübeck, ist es hier Brauch, einen
armen landfahrenden Mann unschuldig zu hängen?"
"Nein", wurde ihm zur Antwort, "das ist bei uns nicht üblich.
Deine Schuld ist doch klar, du hast Wasser statt Wein gegeben,
das ist Diebstahl und Betrug, dafür bist du verurteilt worden. Dein
Vergehen wurde dir nachgewiesen."
"Gnädige, gestrenge Herren", antwortete er darauf, "mir ist nichts
bewiesen worden. Ich habe dem Herrn Weinzäpfer kein Wasser
gegeben, sondern Wein, wirklichen guten Wein, und glaubt ihr nicht,
daß dem so sei, so laßt doch das Faß untersuchen, das Wasser müßte
sich ja darin finden."
Diese Zumutung, aus einem Fasse Wein ein Stübchen Wasser her-
ausfinden
zu wollen, erschien den Gestrengen so lustig, daß sie das
Lachen nicht verbeißen konnten. Eulenspiegel aber fuhr fort: "Ich
hatte mich wohl gehütet, dem ehrsamen Meister Lamprecht ein sol-
ches
Geschenk zu machen, aber er war so eilig und riß mir mein
Eigentum aus der Hand. Es blieb mir nichts anderes übrig, als seinen
Wein zu behalten, wenn ich nicht zu Schaden kommen und doch als
ehrlicher Mann davongehen wollte."
Da begehrte Lamprecht auf und rief, ohne daß ihn freilich einer
zum Reden aufgefordert hatte: "Was wolltest du denn bei mir Wein
kaufen, da du doch welchen besaßest?"
Sanft erwiderte er: "Ich wollte nur sehen, wer den besseren hatte,
Ihr oder ich, denn es kann einer ja wohl ein weiser Mann sein und
doch schlechten Wein verzapfen."
Als Eulenspiegel nun sah, daß er die Lacher auf seiner Seite hatte,
bat er die Gestrengen recht demütig, sie möchten ihm seine Kannen
und seinen Wein wieder erstatten. Was wollten sie tun? Sie hoben
das harte Urteil auf, ließen ihm die Kannen wieder zustellen und
befahlen dem Kellermeister, sie mit Wein zu füllen. Eulenspiegel
verlangte vom besten, erhielt ihn auch von dem gefoppten Küfer
und zog so für diesmal glücklich den Hals aus der Schlinge.
Der lustige Pfeifenmacher
Der Herzog von Lüneburg, der Eulenspiegel einst das Betreten des
Braunschweiger Landes verboten hatte, war gestorben, so daß sich
niemand mehr seines Befehls erinnerte. Da konnte es der Schalk wa-
gen,
wieder nach der Stadt Lüneburg zu gehen. Nach seiner Gewöhn-
Herberge. Möglich ist aber auch, daß sich die heiteren Brüder erst zu-
sammenfanden, nachdem es bekannt wurde, daß der König aller
Landfahrer dort eingekehrt sei.
Unter diesen war ein Pfeifenmacher, ein Spaßvogel, der sich gern
auf Kosten der Dummen vergnügte Stunden machte. Der bandelte
mit Eulenspiegel an, tat, mit ihm schön, lachte über seine Streiche
und sagte einmal: "Iß morgen bei mir zu Mittag, wenn du kannst."
Die Einladung nahm Till gern an, und am Mittag des andern Ta-
ges
ging er denn auch zum Hause des Pfeifenmachers. Da fand er die
Tür verschlossen, an den Fenstern waren die Läden zugeschlagen,
und auf sein Klopfen und Rufen antwortete niemand im Hause.
Eine Stunde lang ging er vor dem Hause auf und ab, lugte, spähte -
alles umsonst. Das Haus blieb verschlossen, kein Fenster wurde auf-
getan,
kein lustiger Pfeifenmacher meldete sich. Auch als er am
Nachmittage noch einmal vorbeiging, blieb alles stumm und tot. Da
sah Eulenspiegel wohl ein, daß er betrogen worden war, schwieg aber
still.
Tags darauf traf er den Pfeifenmacher auf dem Marktplatze. "Ei,
ei", sprach er zu ihm, "Ihr seid mir der Rechte, ladet die Leute ein
und seid nicht zu Hause, wenn sie kommen."
Da lachte der Mann unbändig über seinen guten Witz und sagte:
"Eulenspiegel, du hast meine Einladung nicht richtig verstanden. Ich
sagte dir, du möchtest bei mir zu Mittag essen, wenn du könntest.
Nun konntest du eben nicht, weil das Haus verschlossen war. Siehst
du, ich habe mein Wort gehalten."
"Das ist wahr", antwortete Till, "man lernt doch immer noch
etwas Neues."
Darauf sagte der lustige Pfeifenmann: "Nun, Eulenspiegel, heute
sieden und braten. Ich will gleich nachkommen. Du sollst mein ein-
ziger Gast sein, ich will sonst keinen in meinem Hause haben."
Das ließ sich Eulenspiegel nicht zweimal sagen. Er ging eiligst in
des Pfeifenmachers Haus und fand alles, wie der Hausherr gesagt
hatte. Frau und Magd waren in der Küche bei der Arbeit, eine wen-
dete
den Braten am Spieß, die andere rührte den Brei. Sie kannten
Eulenspiegel bereits, wußten aber nicht, daß er voller Schalkheit
steckte. Also glaubten sie ihm auch, als er ihnen sagte:
"Gute Frau und Ihr, liebe Jungfer, Euer Hausherr schickt mich
in aller Eile her. Er hat zwanzig Pfund Hechte geschenkt bekom-
men
und kann sie nicht allein herschaffen. Lauft ihm doch beide ent-
gegen,
er ist schon auf dem Wege. Ich soll den Braten so lange wen-
den,
bis Ihr wiederkommt."
Da sagte die Frau: "Ja, das wollen wir gleich tun, lieber Eulenspie-
gel,
sorgt aber auch dafür, daß der Braten nicht anbrennt."
Das versprach er ihnen, und sie liefen davon, so schnell sie konnten.
Kaum aber waren sie fort, als Eulenspiegel schnell die Haustür
hinter ihnen schloß und verrammelte, dann schlug er die Läden vor
die Fenster, so daß niemand von draußen hereinkonnte. Hierauf
stellte er sich an den Herd und kochte die Mahlzeit fertig.
Der Pfeifenmacher wunderte sich nicht wenig, als seine Frau und
die Magd im Sturmschritt ankamen und Hechte tragen wollten.
"Dahinter steckt eine Schalkheit", sagte er und eilte heim. Dort
fand er Tür und Fenster verschlossen. "Da haben wir's!" sagte er
ärgerlich. Auf sein Klopfen öffnete niemand, aber Eulenspiegel ant-
wortete
hinter der Tür: "Nichts da! Ich darf nicht aufmachen, denn
der Hausherr hat mir gesagt, ich solle der einzige Gast sein, keiner
solle weiter im Hause sein."
Dem Hausherrn blieb unter solchen Umständen nichts weiter
übrig, als im Hause des Nachbars so lange zu warten, bis es dem
Schalk gefallen würde, die Tür zu öffnen.
Der aber kochte und briet die Mahlzeit vollends gar, deckte sich
selbst den Tisch und aß für drei. Als er damit fertig war, öffnete er
die Tür und gestattete dem Pfeifenmacher den Eintritt.
"Das ist ein netter Gast", sagte der, "der den Hausherrn aus dem
Hause sperrt!"
"Ich habe getan nach Euern Worten", sagte Eulenspiegel, "solltet
Ihr denn zum Lügner werden?"
"Als ob das meine Meinung gewesen wäre!" rief der lustige Haus-
herr.
"Nun gut, du hast mir einen Streich gespielt, gib acht, daß ich
dich nicht übertrumpfe. Ich will dich schon noch einmal fassen, wenn
du auch noch so schalkhaft bist."
"Wer von uns beiden dem andern den besten Streich spielen kann,
der soll als Meister gelten", sagte Eulenspiegel und ging davon.
Später versuchte der Pfeifenmacher wohl, dem Vielgewandten ein
Bein zu stellen, hatte aber damit kein Glück, Eulenspiegel bog ihm
immer aus und blieb darum Meister.
Wahrheit im Überfluß
Als Eulenspiegel wieder einmal nach Wismar kam, ging er in eine
Herberge, die der Schmiede gegenüber lag. Da trieb er in gewohnter
Weise sein Wesen. Die Leute nahmen sich aber alle vor ihm in acht
und hüteten sich sehr, ihn zu necken, denn sie wußten wohl, daß sie
dabei den kürzeren ziehen würden.
Eines Tages fand nun Eulenspiegel, daß die Hufeisen seines Pfer-
des
abgenutzt waren. Er riß sie ab und ging zum Nachbarn, damit
er sein Rößlein aufs neue beschlagen sollte.
Der Schmied freute sich, als er Eulenspiegel sah, denn er hätte
längst gern mit ihm gesprochen, um etwas von ihm zu lernen. Er
war nämlich ein sehr wißbegieriger Mann und konnte sogar lesen.
Während er sich nun anschickte, das Eisen für das Pferd zurecht zu
machen, fing er eine Unterhaltung mit dem Reiter an. Er meinte, die
Menschen würden heutzutage doch immer schlechter, in früheren
Zeiten wäre es besser gewesen. Darin gab ihm Eulenspiegel recht. Der
Schmied führte dann in seiner bedächtigen Weise aus, wie das zu er-
klären
sei. Er fand den Hauptgrund darin, daß die Menschen die
Wahrheit umgingen, wo sie konnten.
"Das ganze Land ist voll Lug und Trug. Keiner will sich von
einem anderen an Lügenhaftigkeit übertreffen lassen. Hört man
wohl auch auf Gassen und Straßen ein wahres Wort?"
"Ich könnte Euch schon eins sagen", meinte Eulenspiegel.
"Und ich würde Euch dafür ein Eisen schenken", antwortete der
wahrheitsliebende Mann.
Da besann sich Eulenspiegel nicht lange und sagte:
Und im Ofen guter Wind,
Wenn's an Eisen nicht gebricht,
Fehlt's dem Schmied an Arbeit nicht.
"Dagegen ist nichts einzuwenden, das ist ein wahres Wort", meinte
der Schmied, "ich gebe Euch dafür ein Hufeisen."
Der Geselle hatte das mit angehört, zog Eulenspiegel auf die Seite
und wisperte ihm zu: "Wenn Ihr mir auch ein solch wahres Wort
nennen könntet, so möchte ich Euch wohl auch ein Eisen verehren."
Auch darauf ging Eulenspiegel ein und sagte nach einigem Nach-
denken:
Früh ans Werk muß der Gesell,
Sparsam sein vor allen Dingen,
Dann kann er's zum Meister bringen.
"Da beißt die Maus keinen Faden ab", sprach der Geselle, "das ist
die reine Wahrheit. Ich gebe Euch dafür ein Hufeisen."
Die Frau des Meisters hatte von den Verhandlungen kein Wort
verloren, obgleich sie sich zum Schein nebenan am Küchenherde zu
schaffen machte. Da ihr nun die Wahrheiten Eulenspiegels gefielen,
so wollte auch sie von dem Wundermanne etwas lernen, sie rief ihn
herbei und versprach ihm auch ein Hufeisen, wenn er ihr eine Wahr-
Hausfrau ihre Freude haben könne.
Da lächelte Eulenspiegel, besann sich ein wenig und sagte dann:
Butter, Schmalz und 01 im Krug,
Dennoch gibt es ohne Mühe
Keinen Braten, keine Brühe.
"Das ist wahrlich ein richtiges und wahres Wort", antwortete er-
freut
die Frau, "mein Mann meint freilich, wenn einer nicht mit
dem Hammer schlüge, daß die Funken fliegen, dann wäre es keine
Mühe. Ich schenke Euch gern ein Hufeisen."
Während dieser Unterhaltungen verging die Magd bald vor Durst
nach Wahrheit. Auch sie versprach ihm ein Hufeisen, wenn er ihr
etwas Schönes sagen wolle wie den andern. Da lächelte der Schalk
und erwiderte:
Fegt Küche, Kammer, Hof und Stall,
Doch schöner ist's zum Tanze gehn,
Am Tor beim Allerliebsten stehn.
"Ei, behüt uns Gott, was für ein wahres Wort ist das!" rief jauch-
zend
die Magd und gab ihm gleichfalls ein Hufeisen.
So hatte denn Eulenspiegel die Prüfung wohl bestanden und ritt
mit seinem Pferde davon, beide gut beschlagen.
Seltsamer Milchhandel in Bremen
Am Sonnabend vor Palmarum wollte in Bremen alles backen, um
zum Feste süßen Kuchen essen zu können. Da kamen die ehrbaren
Frauen mit Häfen, Töpfen und Eimern, um auf dem Markte Milch
zu erhandeln. Aus der Umgegend waren auch genug Bauernfrauen
mit ihren Hundewagen erschienen, worauf sie ihre Milchkannen ge-
laden
hatten.
Auch Eulenspiegel war auf dem Markte, und das war nicht gut,
weder für die Bürgerfrauen noch für die guten Bäuerinnen, weil er
an dem Tage - und kostete es sein Leben - den Bremern einen
Streich spielen wollte. Er verschaffte sich eine riesengroße Bütte und
stellte sie auf. Darauf ging er zu den Milchfrauen und kaufte ihnen
ihre Vorräte ab. Er versprach, einen Pfennig mehr zu zahlen als die
Bürgerfrauen, und schüttete die Milch in seine Bütte. So tat er mit
allen. An die Bütte schrieb er mit Kreide, wieviel er von jeder Frau
bekommen hatte. Die Milchverkäuferinnen saßen nun im großen
Kreise um ihn herum und warteten, wann die Bütte voll sein würde,
denn dann wollte Eulenspiegel ja bezahlen. Kam nun eine Bauern-
frau
mit frischer Milch, so riefen sie schon andere heran, damit sie
ihren Vorrat hier verkaufen möge, denn je eher das Faß voll wurde,
um so früher müßten sie ja doch zu ihrem Gelde kommen. Die Bür-
gerfrauen
aber klagten über die Ungerechtigkeit, daß ihnen durch
einen fremden Aufkäufer, der die Preise verderbe, alle Milch vor der
Nase weggenommen werde.
Endlich war die Bütte voll, und Eulenspiegel sollte nun den Beutel
ziehen. Da sagte er gemütlich: "Nun, liebe Frauen, geht heim. Gott
geleite Euch! In vierzehn Tagen oder drei Wochen könnt ihr euer
Geld holen. Ich habe jetzt keins."
Da gab es ein Schreien, Kreischen und Schimpfen. Die Weiber wur-
den
wütend und wollten dem Schalk mit Kannen und Töpfen zu
Leibe. Geld oder das Leben! Allein Eulenspiegel blieb ganz ruhig
und sagte: "Wer nicht zufrieden ist, wie ich bezahle, der mag seine
Milch wieder nehmen."
Damit ging er und tat wunder wie beleidigt. Nun fielen die Wei-
ber
alle über die Bütte her. Jede wollte die erste sein, die ihre Milch
gegeben hatte, um hinterher sagen zu können, daß sie bei dem Han-
del nicht zu Schaden gekommen sei. Darüber gab es heftigen Streit,
die erzürnten Weiber schütteten sich die Milch über die Köpfe, schlu-
gen, kratzten und bissen sich, rissen sich an den Haaren und wälzten
sich auf dem Boden. Der ganze Platz sah bald darauf aus, als ob es
Milch geregnet habe. Die Bürger, die das Schauspiel sahen, hielten sich
die Bäuche vor Lachen, auch die ehrbaren Frauen stimmten schließlich
mit ein, obwohl sie nun kein Gebäck zu Ostern anfertigen konnten.
Die zwölf Blinden
In Hannover war der reiche Ratsherr Wernicke gestorben, und es
wurde ihm in der Marktkirche ein feierliches Seelenamt gehalten.
Als nun die fromme Wittib mit ihren Muhmen und Vettern aus der
Kirche trat, konnte sie kaum vorwärtsschreiten, denn vor der Tür
de~ Gotteshauses lagerten zahllose Lahme, Krüppel und Blinde. Sie
alle baten um Almosen und schwuren hoch und teuer, daß sie für
das Seelenheil des Entschlafenen beten würden. Solch schöne Gelegen-
heit
zum Wohltun ließ sich die fromme Frau nicht entgehen, sie gab
ihrer Schaffnerin den Auftrag, den Lahmen und Krüppeln einen
Zehrpfennig zu reichen. Der armen Blinden aber erbarmte es sie am
meisten, die schickte sie in die Herberge "Zum Stachelschwein", wo
sie mit Suppe und Gerstenbrot gelabt werden sollten. Es waren ihrer
zwölf. Der Wirt speiste sie alle und ließ die Blinden dann ziehen.
Unter denen war einer, der noch ein wenig sehen konnte; er konnte
zwar nicht immer einen Mann von einer Frau unterscheiden, doch
wußte er genau, ob er vor einem Apfelbaum oder vor einem Kirch-
turme
stand. Der war ihr Führer und König.
Die zwölf Blinden begaben sich also von Hannover nach Hildes-
heim,
wo eine große Hochzeit gefeiert werden sollte. Da hofften sie,
daß für sie etwas abfallen werde. Der "König" verkürzte ihnen unterwegs
teilte. Bald sagte er: "Mich dünkt, wir sind hier am Rabenstein, es
baumelt so etwas in der Luft herum."
Da antworteten sie: "Hier ist nicht gut sein, da legen wir besser
einen Schritt zu." Nach einer Weile fing der Führer wieder an:
"Wenn ich nicht irre, so liegt da linker Hand eine Herde Schafe."Da-
bei
fielen sie bald über die Hammel. "Das bedeutet Glück!" meinten
die Blinden.
Wieder nach einiger Zeit sagte einer: "Ich höre ein Pferd galop-
pieren."
Der König lugte und suchte und meinte schließlich: "Das scheint
mir ein Reiter zu sein."
Dieser Reiter war Eulenspiegel. Der sah das Elend, und es er-
barmte
ihn, denn er war bei aller Schalkheit doch mitleidig. Also
überlegte er, wie er den armen Schelmen helfen und dabei doch eine
Büberei begehen könne. Er fragte sie, woher sie kämen.
Da standen die Blinden still, zogen ihre Kappen ab, und der König
sagte: "Gnädiger Junker, wir kommen aus der Stadt, da wurde eine
Seelenmesse gehalten für den reichen Rat Wernicke, dem Gott gnädig
sein möge. Da haben wir ein Süpplein und Brot erhalten und gehen
nun nach Hildesheim, wo eine große Hochzeit gehalten wird."
"Bis Hildesheim ist es weit", sagte Eulenspiegel, "da wird euer Bet-
telsüpplein
nicht lange vorhalten. Ihr guten Leutchen, ihr müßtet
Braten haben, Speck, Eier und dergleichen, dann wollte ich wohl
glauben, daß ihr den weiten Weg machen könntet, ohne umzufallen."
"Lieber Junker", antworteten die Blinden, "wir sind arme Krüp-
pel,
wie kämen wir zu solchen Speisen! Die sind nur für glückliche
Leute!"
Da sagte der Schalk: "So will ich euch helfen."
Er legte sich auch gleich einen Plan in seinem erfindungsreichen
Kopfe zurecht. Er kannte den Wirt "Zum Stachelschwein" — wel-
chen
Wirt kannte er wohl nicht! — und wußte, daß der ein rechter
Grobian und Betrüger war. Der hatte den armen Blinden nur eine
magere Suppe vorgesetzt und sicher ließ er sich von der reichen
Witwe bezahlen, als ob er ihnen wer weiß wieviel Gesottenes und
Gebratenes aufgetischt hätte!
Da sagte Eulenspiegel zu den Blinden: "Hier habt ihr Geld, zwölf
Gulden, da ihr eurer zwölf seid. Geht wieder zurück zur Herberge
"Zum Stachelschwein"und laßt euch zu essen und zu trinken geben,
so lange das Geld reicht."
Ober diese Rede waren die Blinden sehr froh. Sie dankten dem
großmütigen Geber tausendmal, wünschten ihm alles Gute und zo-
gen
wieder nach Hannover in der festen Meinung, daß der fremde
Junker einem von ihnen zwölf Gulden gegeben habe. Dabei hatte in
gewöhnlich nichts in seinem Beutel. Als sie zur Herberge kamen, er-
zählten sie dem Wirt voller Freude, daß sie unterwegs einen Wohl-
täter gefunden hätten, der ihnen zwölf Gulden gegeben habe, damit
sie davon verköstigt werden könnten.
Der Wirt dachte: Zwölf Gulden sind viel Geld, dafür kannst du
gibst, hast du ein schönes Sümmchen verdient. Er nahm sie darum
auf, ließ in der Küche backen, sieden, rösten und braten für die Blin-
den, so daß die meinten noch nie ein so gutes Leben geführt zu haben.
Jeden Tag gab es ein Festessen. Das gefiel den armen Schelmen gar
sehr.
Eines Tages aber sagte der Wirt zu ihnen: "Eure zwölf Gulden
sind aufgebraucht, gebt mir mein Geld und zieht eure Straße."
Da sprach der "König" zu ihnen: "Wer die zwölf Gulden hat,
fragte einer den andern, ob er das Geld von dem fremden Junker er-
halten habe. Aber vergeblich! Die armen Schlucker mußten schließ-
lich dem Wirte gestehen, daß sie betrogen worden waren.
Da geriet der jähzornige Mann in große Wut, und da er die Krüp-
pel
nicht aus dem Hause werfen durfte, denn es war Abend, so sperrte
er sie in seine Scheune und ließ sie fasten. Sie ertrugen ihr Unglück
mit Geduld, weil ihnen ja auch nichts anderes übrig blieb.
Zur gleichen Zeit kam Eulenspiegel wieder in die Herberge. Er
hatte sich aber so verkleidet, daß der Wirt ihn nicht erkannte. Wie
Eulenspiegel nun sein Pferd in den Stall führte, merkte er, daß die
armen Blinden eingesperrt waren. Da sagte er zu dem Herbergsvater:
"Erbarmt es Euch nicht, die armen Leute da liegen zu lassen, wo doch
keiner liegen mag, der seine Augen noch besitzt?"
Da rief der Wirt: "Daß sie der Gottseibeiuns hole, die gottverges-
sene
Brut! Ich wollte, sie lägen da, wo alle Wasser zusammenfließen.
Haben mich geprellt, die Schelme. Vierzehn Tage lang haben sie bei
mir geschlemmt, die Gäuche. Jeden Tag verlangten sie Gesottenes
und Gebratenes, als ob sie Junker wären. Zwanzig Gulden unter
Brüdern habe ich ihnen für Speis und Trank gegeben aus Barmher-
zigkeit,
und nun betrügen sie mich, daß ich ein geschlagener
Mann bin."
Da sagte Eulenspiegel: "Habt Ihr nicht die reiche Wittib des Rats
Wernicke ersucht, für Euren Schaden aufzukommen?"
"Die wäre mir die Rechte", sagte er. "Meiner billigen Forderung
wegen habe ich neulich dreimal zu ihr gehen müssen, das drittemal
mit meinem Spieße und dem Knechte. Es war ihr sehr leid, die paar
Suppen bezahlen zu müssen. Der darf im ganzen Jahre die gesamte
Wohltätigkeit nicht mehr kosten als einen Gulden."
Darauf sagte Eulenspiegel: "Könntet Ihr denn nicht einen Bürgen
bekommen im Städtchen?"
"Ja, wenn ich einen Bürgen bekommen könnte!"jammerte der ge-
schlagene
Mann, "aber wer wird für diese blinden Schufte gutsagen
wollen?"
"So will ich versuchen, ob ich einen Bürgen bekommen werde",
meinte Eulenspiegel edelmütig und ging auf der Stelle in die Duven-
straße.
Hier wohnte der Doktor Sapubi, ein Rechtsanwalt, der auf
der hohen Schule in Bologna studiert hatte und den die Leute nur
den Rechtsverdreher nannten, weil er sich jeder unlauteren Sache
annahm, wenn sie ihm nur Geld einbrachte. Er sagte zwar immer,
daß er den Armen zu ihrem guten Rechte helfen wolle, in Wahrheit
aber diente er den Wucherern, und mancher Bauersmann war durch
ihn um Hab und Gut gekommen.
Zu diesem Manne ging Eulenspiegel, tat sehr bescheiden und de-
mütig
und bat ihn, seinem lieben Freunde, dem Wirt "Zum Stachel-
schwein",
in einer recht schwierigen Sache beistehen zu wollen.
"Ich helfe gern", sagte der Doktor, "wenn auch jetzt gerade viele
Leute kommen, denen ich beistehen muß, damit sie zu ihrem guten
Rechte gelangen. Sagt mir Euern Fall in Kürze!"
"Ich dachte mir wohl", erwiderte Eulenspiegel, "daß Ihr, ein so
hochgelehrter Herr, gern allen Leuten beisteht, die in Not sind und
wüßte keinen, an den ich mich lieber gewandt hätte."
Solche Rede schmeichelte dem Wucherer, und er antwortete da-
her:
"Recht habt Ihr, daß ich den Armen diene, doch erzählt mir nun
Euern Fall in Kürze."
"Es tut nicht not", meinte listig der Schalk, "daß Ihr gleich heute
helft, Herr Doktor, wenn Ihr wichtigere Geschäfte zuvor abtun
möchtet. Es ist genug, wenn Ihr Eure Hilfe in einigen Tagen leistet."
"Gut, in einigen Tagen will ich helfen. Aber berichtet mir nun die
Sache."
"Das lohne Euch Gott, daß Ihr mir helfen wollt", sagte der Schalk
und wollte gehen.
Der Rechtsanwalt hielt ihn jedoch fest und sagte: "Eure Rede
macht mich nicht klug. Weiß ich denn, um was es sich handelt?"
"Um den Wirt ,Zum Stachelschwein", sagte Till.
"So erzählt mir ohne Umstände."
"Es ist eine schwierige Sache, Herr Doktor. Denkt Euch, vor eini-
ger
Zeit kommen mehrere fremde Männer und begehren Aufnahme
in der Herberge. Mein guter Freund, der Wirt, nimmt sie mildtätig
auf und speist sie mit dem Besten, was er hat. Bald schicken sie ihn
in den Hühnerstall nach auserlesenen Eiern, bald in den Keller, den
besten Wein zu zapfen, bald muß er in die Vorratskammer, bald in
die Küche, wo sie Gebratenes und Gesottenes begehren. Wie er aber
nun für seine viele Mühe und Kosten ihnen eine Rechnung macht,
da zahlen sie nicht und höhnen ihn noch dazu aus."
"Läßt er sich dergleichen gefallen?" fragte Sapubi. "Ein anderer
hätte solche Gäste aus dem Hause gewiesen."
"Das ist es eben, Herr Doktor", antwortete Eulenspiegel, "sie
gehen nicht, und der Wirt kann sie nicht los werden. Was wollte er
wohl machen gegen die vielen? Er darf auch nicht aus dem Hause
gehen, damit sie keinen Schaden oder Unfug stiften, und hat mich,
seinen guten Freund, darum gebeten, Euch um Hilfe zu bitten."
"Dann müßte ich mit den Bütteln in die Herberge kommen", ent-
schied
kurz der Rechtsmann.
"Nein, Herr Doktor", sagte Till dagegen, "das wäre nicht wohlge-
tan.
Es sind gar absonderliche Leute in der Herberge, und einen
sehen sie als ihren König an. Ich will aber die Frau meines Freundes
es schon ein großer Trost sein, wenn Ihr ihnen, wie Ihr versprochen,
in einigen Tagen helfen wollt."
Der Rechtsanwalt dachte: An dem Handel ist nicht viel zu verdie-
nen.
Denn, sind die Gäste vornehme Leute, wie es den Anschein
hat, so werden sie wohl zahlen. Tun sie es aber nicht, so kann ich
ihnen nichts abnehmen, denn mit Vornehmen gebe ich mich nicht
ab. Dem Wirt aber kann ich nicht viel berechnen, da er durch den
Handel schon genug verloren hat.
Er sagte also kurz: "Wohl, so schickt mir die Frau." Damit wandte
er sich wieder anderen Geschäften zu. Eulenspiegel ging aber ver-
gnügt
in die Herberge und sagte dem Wirt: "Ich habe Euch einen
guten Bürgen gefunden. Laßt Eure Frau mit mir zu dem Doktor Sa-
pubi
gehen, der wird es ihr selbst sagen."
Darüber freute sich der Wirt nicht wenig und ließ seine Frau
mit Eulenspiegel zu dem gelehrten Herrn gehen.
"Hier ist die Frau vom Wirt ,Zum Stachelschwein", sagte Till zu
Doktor Sapubi. "Sagt ihr nun selber, ob Ihr helfen wollt."
"Ja, ich will Eurem Manne helfen", antwortete der, "doch erst in
einigen Tagen."
Darüber war die Frau sehr erfreut und lobte den klugen Vermitt-
ler.
Der Wirt aber ließ die Blinden gehen, und diese, die sich ihrer
Erlösung nicht wenig freuten, wandten sich, so schnell sie konnten,
nach Braunschweig, wo ein Hoffest gehalten werden sollte. Dort
hofften sie die Brosamen sammeln zu können, die von der Reichen
Tische fallen mochten. Eulenspiegel aber sattelte sein Roß und ritt
davon.
Einige Tage darauf ging der Wirt zu dem Rechtsanwalt und for-
derte
von ihm zwölf Gulden. Als der Advokat aber hinter die Sache
für den Beistand, den er ihm zugesichert habe. Er brachte die Sache
sogar vors Gericht. Da sich aber die Richter nicht einigen konnten,
wem sie recht geben sollten, so schickten sie beide Parteien fort und
ließen sie die Prozeßkosten zu gleichen Teilen bezahlen.
Böse Saat bringt keine guten Früchte
Eulenspiegel hat auch die Rattenfängerstadt Hameln einmal be-
sucht.
Durch ihre Treulosigkeit verloren die Bürger von Hameln
einst ihre Kinder, die im tiefen Zauberberg verschwanden. Die Treu-
losigkeit
aber blieb in Hameln zurück und vermehrte sich unheimlich.
Eulenspiegel hielt sich in allen Herbergen auf und fand so viel
Untreue, daß selbst er, der Schalk, vor so viel Bosheit erschrak. Was
in einem Hause verloren ging, war in einem andern zu suchen, und
war es auch verboten, durch die Bungelose, jene bekannte Straße,
mit Musik zu ziehen, so gingen doch bei Tage und bei Nacht Diebe
und Einbrecher mit ihrem zu Unrecht erworbenen Gute hindurch.
In Hameln traf Eulenspiegel seine alten Bekannten wieder, die
Kaufleute Schöller und Möller. Die Wiedersehensfreude war groß.
Schöller bestellte eine Kanne vom besten Weine, damit sie das
'Wiedersehen feiern könnten, der Wirt brachte aber den schlechte-
sten,
den er im Hause hatte, denn er dachte: Für die Fremden ist er
gut genug. Dafür ließ er sich den höchsten Preis bezahlen, den er zu
fordern pflegte, weil er meinte: "Das herumgelaufene Volk mußt du
prellen, dafür sollst du mit den Einheimischen klüger handeln, sonst
zwicken sie dich wieder, drei- und vierfach."In der Wirtsstube waren
nun verschiedene Leute, darunter einer, der wie ein rechter Bösewicht
den wohl merken. Der Wirt hätte ihm gern das Haus verboten,
konnte es aber der andern wegen nicht. So konnte er ihm nur einen
bösen Blick zuwerfen. Jener kehrte sich aber nicht im geringsten
daran. Da er ein Schneider war, kam er mit Schöller ins Gespräch.
Er wollte Tuch von ihm kaufen und hatte bald ein Stück für einen
Mantel in den Fingern, das ihm sehr gefiel. Nur wollte er kein
Geld dafür zahlen. Also bestellte er einen neuen Krug Wein und
trank Schöller fleißig zu, denn er hoffte ihn betrunken zu machen,
um ihm dann das schöne Tuch abzulisten. Doch bei Schöller kam er
an den Unrechten, denn der war klug und vorsichtig. Für den
schlimmsten Fall hatte er ein gutes Schwert bei sich, das er wohl zu
führen wußte. Da es inzwischen Abend geworden war und der Wirt
längst brennende Kienspäne angesteckt hatte, wollte Schöller über-
haupt
nicht mehr verkaufen, und sagte: "Wir wollen morgen davon
reden, wenn es Tag ist und Ihr die Farben besser sehen könnt."
Da antwortete der Bösewicht: "Du bist ein Narr!" Erwischte das
Tuch und lief davon. Das war aber Schöller zu arg, er nahm sein
Schwert, das er griffbereit bei sich führte, und lief dem Schneider
nach. Draußen war es stocknacht, so daß man die Hand vor den
Augen nicht sehen konnte.
Das Wirtshaus hatte aber noch einen andern Ausgang, der nach
der Bungelose führte. Durch diese nun lief der Wirt schnell hinaus,
als wollte er sehen, was draußen los sei. Möller und Eulenspiegel blie-
ben
aber sitzen, denn sie hätten in der Dunkelheit ja doch nichts
wahrnehmen können. Sie hörten später, daß draußen geschlagen
wurde; in dem Augenblicke aber trat Schöller wieder ein und sagte
verdrießlich: "Mein Tuch bin ich los! Seht, so wird einer gefoppt in
Nach einiger Zeit trat auch der Wirt wieder ein und schickte die
Gäste zu Bett.
Am frühen Morgen ward aber auf der Straße laut geschrien: "Je-
sus,
Maria! Hier liegt einer tot!"
Da sammelten sich viele Menschen an. Bald darauf trat der Wirt
in die Kammer, in der Eulenspiegel samt den beiden Kaufleuten
schliefen, brachte Ratsdiener mit, zeigte auf Schöller und sagte: "Das
ist er, den laßt nicht entrinnen."
Die Büttel zogen den Kaufmann aus dem Bett, banden ihm die
Hände zusammen, nahmen sein Gut und brachten ihn ins Stadtge-
fängnis.
Dort teilten die Stadtknechte sein Geld und seine Ware
unter sich und schlossen ihn ein. In der Bungelose lag der Schneider
erschlagen, das Tuch war aber nirgends zu finden.
Eulenspiegel tat es sehr leid um den guten Freund Schöller, und er
zürnte dem Wirte, daß der den Kaufmann als Mörder beim Rate
angezeigt hatte. Er glaubte nicht, daß Schöller den Bösewicht erschla-
gen
haben sollte. So dachte auch Möller. Da aber die beiden wußten,
daß in Hameln die Fremden nicht gut angeschrieben waren, so fürch-
teten
sie, daß der Richter ihn zum Tode verurteilen werde. Der
Wirt aber verbot ihnen sein Haus, da er die Gesellen eines Straßen-
mörders
nicht beherbergen wollte, ging auch zu den anderen Wirten
und verlästerte die beiden, daß sie keine Unterkunft mehr in Ha-
meln
fanden. So hielten sie sich in der nächsten Zeit in der Um-
gebung
von Hameln auf, erkundigten sich aber immer eifrig, wann
über Schöller Gericht gehalten werden sollte. Darüber vergingen vier
Monate, denn die Richter nahmen sich Zeit, hatten auch vielerlei
andere Händel abzutun.
Endlich kam der Tag des Gerichts für Schöller. Da hatte sich viel
Volk im Rathaus eingefunden, aber Eulenspiegel und Möller fehlten
schwor mit einem heiligen Eide, daß Schöller den Schneider erschlagen
hätte.
"Das kam so", sagte er; "Schöller hatte ein Stück schlechtes Tuch,
das die Motten zerfressen hatten, und wollte es dem Schneider auf-
hängen.
Der mochte es aber nicht haben, denn er wollte nicht betro-
gen
werden, auch hätte er es sich bei Tage lieber erst einmal genau
angesehen. Da kann man merken, wie listig die Fremden sind: Schöl-
ler
ließ sich von dem Schneider einen Gulden bezahlen, dazu sechs
Kannen Wein, und sagte ihm, er möge das Tuch ruhig mit nach
Hause nehmen. Sollte ihn der Kauf gereuen, so könne er es morgen
zurückgeben oder umtauschen. Damit ging der Schneider um des
lieben Friedens willen aus dem Hause, und wie er kaum gegangen
war, setzte ihm Schöller mit seinem Schwert nach, erwischte ihn, in
der Bungelose und schlug ihn tot. Das Tuch hat er seinen Helfers-
helfern
gegeben. Das alles habe ich gesehen."
Schöller wurde nicht gefragt, ob sich das so verhalte, sondern der
freundliche Richter zeigte ihm nur die Folterkammer mit ihren nied-
lichen
Daumenschrauben, prächtigen Streckbetten, anmutigen Reiß-
zangen,
wärmenden Kohlenbecken und anderen begehrenswerten
Dingen, die die schöne, herrliche Aufgabe hatten, die Wahrheit ans
Licht zu bringen.
Schöller, der in dem engen, finsteren Loch müde und matt gewor-
den
war, wollte es darauf nicht ankommen lassen und war schon be-
reit,
sich als Mörder zu bekennen, da drängte sich Till Eulenspiegel
vor. Er hatte sich verkleidet, trug Barett und Mantel, so daß er wie
ein Doktor der Rechte aussah. Einem so gelehrten Herrn konnten
die Richter den Zutritt zum Tische, an dem sie saßen, nicht versagen.
Eulenspiegel tat sehr wichtig, öffnete feierlich ein gewaltiges Buch,
Justinian vorstellen sollte. Er nannte sich Doktor Tillius, Lehrer der
Rechte an der hohen Schule zu Montpellier. Da neigte sich jedermann
vor so viel Gelehrsamkeit und Würde. Die Richter aber sagten, wenn
sich der Herr Doktor in diesem Rechtsfalle bemühen und sie mit sei-
nem Rate bei der Urteilssprechung unterstützen wolle, so möge er
mit seiner Weisheit nicht kargen, sie würden ihm dafür ihre Gunst
erweisen.
Eulenspiegel blätterte geheimnisvoll ein wenig in seinem Buche
und blickte dann den Kläger an.
"Herr Wirt", sagte er zu ihm, "gebt der Wahrheit die Ehre. Wo-
her
wißt Ihr, daß Schöller den Schneider erschlagen hat?"
"Nun, er hatte doch ein Schwert und lief ihm nach", erwiderte der
Wirt.
"Das ist mir kein Beweis", fuhr Eulenspiegel fort. "Es läuft so
mancher einem mit den Waffen nach und tut ihm doch kein Leid.
Das müßt Ihr besser erhärten."
"Nun, ich habe es doch mit meinen Augen gesehen, wie er ihm den
Schädel spaltete", behauptete der Wirt, doch konnten ihm alle an-
merken,
daß er große Angst hatte.
"Ihr habt es gesehen?"meinte Eulenspiegel, "wie war das möglich?
Es war doch finstere Nacht, als der Totschlag geschehen ist."
"Was wollt Ihr, Herr Doktor", antwortete der Wirt, "der Voll-
mond
schien doch hell und klar."
"Eure Worte in Ehren", sagte darauf Eulenspiegel, "aber ich bitte
um einen Almanach."
Die Richter staunten über die Wechselreden, zitterten vor Erre-
gung
und holten den Almanach herbei. Da lasen sie, daß an dem Tage
des Verbrechens nicht Vollmond sondern Neumond gewesen war.
Nun wandte sich Eulenspiegel an den Kläger und rief mit starker
Stimme: "Mörder, der du bist! Du hast dich festgelogen! Klar sehen
wir deine Schalkheit. Du hast den Schneider erschlagen, mit dem du
seit Jahren in Feindschaft lebtest, den Schöller aber hast du bezich-
tigt,
um den Verdacht von dir abzuwälzen. Greift den Mörder!"
Der Wirt wurde leichenblaß, die Schuld stand ihm auf der Stirn
geschrieben, dennoch wollte er leugnen, stammelte etwas und lief
dann eiligst aus dem Saale. Die Büttel waren ihm aber schnell auf
den Fersen, faßten ihn und legten ihn in Eisen. In seinem Hause fand
Eulenspiegel das geraubte Tuch, und nun war kein Zweifel mehr:
Galgen büßen. Schöller aber ward freigegeben.
Ehe Eulenspiegel von Hameln wegzog, tat er ein wunderbares
Werk, wovon noch lange nachher geredet wurde. Er ging vor aller
Augen auf die Gemeindeflur und säte Kieselsteine aus einem Sacke,
den er am Strande der Weser gefüllt hatte. Da fragte ihn ein Bürger:
"Lieber Herr Doktor, was tut Ihr da?"
"Ich säe Schälke", antwortete er. Solche Rede wurde dem hohen
Rat hinterbracht, der sandte eiligst Abgeordnete zu Eulenspiegel, die
ihm sagen sollten, er möge lieber gute Menschen statt Schälke säen.
"Jene gedeihen hier nimmer", erwiderte er, "hierzulande kommen
nur Schälke fort."
Darauf sagten sie: "Wir glauben auch, daß es hier schon mehr als
zu viele gibt, weshalb wolltet Ihr die Zahl vermehren?"
"Je mehr, desto besser", entgegnete er, "da bringt einer den an-
dern
um."
Da baten sie ihn, daß er ihre Stadt verlassen möge, denn es graue
ihnen davor, daß die böse, schreckliche Saat aufgehen möge. Aber
wohin sich Eulenspiegel auch wenden mochte, überall lief ihm das
Gerücht voraus, daß er Schälke säe, und allerwärts baten sie ihn, daß
er die Stadt nicht betreten möge und nicht komme, um Speise und
Trank zu fordern. So kam er bis nach Minden, da riß der Sack, die
Steine fielen heraus und blieben lange Zeit dort liegen. Eulenspiegel
ward aber in dieser Gegend nicht mehr gesehen.
Bestrafte Ruhmredigkeit
Von der Weser zog Till Eulenspiegel wieder nach Obersachsen
und kehrte in einer Herberge in Eisleben ein. Da fand er einen Wirt,
der voller Hochmut steckte und tat, als wenn er der König von Eis-
leben
wäre. Kam ein Gast zu ihm, so fragte er ihn aus, wußte aber
alles besser. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätten die Chri-
sten
längst das Heilige Grab in Besitz genommen, die Schweizer
hätten den Herzog Leopold von Österreich nicht bei Morgarten be-
siegt
und erschlagen, Philipp von Frankreich den Papst nicht gefan-
gen
und die Tempelherren in Paris verbrannt, auch hätten ihn die
reichen Venediger wohl zu ihrem Herzog gemacht, wenn er Lust
dazu gezeigt hätte. Hörte er von Mord und Totschlag, Gewalttat
und Fehde, dann sagte er: "Da hätte ich dabei sein müssen, denen
hätte ich die rechten Wege wohl gewiesen." Alle Welt war seiner
Meinung nach dumm und töricht, er allein der Vernünftige unter so
vielen Narren.
Solche Reden hörte Eulenspiegel ganz gern, denn er hatte schon
im voraus seine Freude über den Streich, den er dem Wirte für seine
Prahlereien spielen wollte. Die Gelegenheit dazu wird sich bald fin-
den,
dachte er.
Eines Abends nun saß er in der Wirtsstube, und der Herbergsvater
prahlte gerade, wie er schon die wilden Heiden im Westgotenlande
aus der festen Burg Granada herausgetrieben haben würde, wenn er
der Papst oder sonst ein christlicher König oder Herzog gewesen
wäre. Die sollten laufen, daß sie die Schuhe verlieren würden! Dabei
schlug er auf den Tisch, daß er krachte.
Wie er nun im besten Reden war, tat sich die Tür auf und - als
ob Eulenspiegel sie herbeigerufen hätte - kamen seine alten Freunde
zuerst begrüßt, aber der Wirt kam ihm zuvor.
"Was, zum Teufel, ist das für eine Art, so spät in die Herberge zu
kommen? Wer heißt euch so lange auf der Landstraße umher-
trödeln?
Das ist in Eisleben, wo ich etwas zu sagen habe, nicht Brauch.
Schert euch zum Teufel! Legt euch in die Ackerfurche und deckt euch
mit dem ganzen Himmel zu, ich habe nichts dagegen. Ich nehme
keine Nachtschwärmer auf!"
Die beiden antworteten: "Herr Wirt, Ihr dürft uns nicht so zür-
nen,
denn wir sind sehr gegen unseren Willen zurückgehalten wor-
den.
Wir kommen über Mansfeld, und da war im Moore unterwegs
ein Wolf, gegen den wir uns wehren mußten, der hat uns viel zu
schaffen gemacht."
Da lachte der Wirt, daß das ganze Haus dröhnte. "Da kann einer
sehen, was für hasenherziges Volk auf den Landstraßen verkehrt.
Fürchten sich vor einem Wolf! Wie oft bin ich im Moore gewesen,
wo mir zehn, zwanzig Wölfe ans Zeug wollten. Ich habe nichts in der
Hand gehabt und bin mit ihnen leicht fertig geworden. Zuckerbuben
und Muttersöhnchen seid ihr, die eher zu Mägdlein taugten als zu
rechtschaffenen Männern. Geht hinauf in die Kammer, da sind keine
Wölfe, höchstens ein paar Mäuse, und wenn ihr mit denen den Kampf
nicht besteht, so will ich durch den Büttel dem Turmwächter Be-
scheid
sagen lassen, daß er die Feuerglocke läutet und die Bürgerwehr
unter Waffen tritt, damit ihr mit dem Leben davonkommt."
So verhöhnte der Wirt die späten Gäste. Diese würgten die Grob-
heiten
hinunter, weil sie in so später Stunde froh sein mußten, daß
sie noch einer aufnahm, denn es war Winter und überall lag hoher
Schnee.
Die Reisenden nächtigten mit Eulenspiegel zusammen in der glei
sprachen sie auch von dem Wirt, der sie so durch seine Prahlereien
geärgert hatte, und die Kaufleute sagten: "Till, alter, guter Freund,
du mußt dir überlegen, wie man dem Schelm seine hochfahrenden
Reden eintränken kann. Du weißt immer guten Rat, wie man einem
ein Bein stellen kann. Wir verlassen uns auf dich."
Nun verabredeten die drei, wie sie dem Wirt auf seine Grobhei-
ten
antworten wollten. Die Kaufleute mußten am andern Tag
weiterreisen, aber in drei Wochen wollten sie wieder in dieser Her-
berge
zusammentreffen.
Als Schöller und Möller sich verabschiedeten, unterließ es der Wirt
nicht, sie noch tüchtig auszuhöhnen. "Nehmt euch ja vor dem Wolf
in acht", sagte er, "daß er euch nicht in die Beine beißt."
Da sagte Schöller: "Wir wollen schon aufpassen und uns glücklich
in drei Wochen wiedersehen. Freilich, frißt er uns auf, dann wird
nichts daraus, auch nicht, wenn er Euch in das Gehege kommt und
Euch auffrißt."
Am andern Tage trennten sie sich, die Kaufleute wandten sich
nach Naumburg, Eulenspiegel aber ging in den Harz. Da glückte es
ihm, bei Dietersdorf einen Wolf zu erlegen. Den ließ er hartfrieren,
steckte ihn in einen Sack und schaffte ihn nach Eisleben. Dort brachte
er den Wolf in die Herberge, ohne daß es der Wirt merkte, und
schleppte ihn in jene Kammer, in der er sonst geschlafen hatte. Bald
darauf trafen auch Schöller und Möller ein, die braven Händler, die
sich auf den Spaß, der nun kommen sollte, sehr freuten.
Als man nun zu Bett ging, begehrte Eulenspiegel ein Licht und
fing in der Kammer an, seine alten Künste auszuüben. Er hatte ja aus
Leder, Pelzen und Tuch die schönsten Wölfe hergestellt, sodaß es
ihm ein leichtes war, seinen gefrorenen Wolf mit Hölzern und Fä
steckte er Schuhe, die den Kindern des Wirtes gehörten, und wenn
einer an dem Bindfaden zog, so sah es aus, als ob das schreckliche
Tier daran würge und kaue.
Indes schickte der Wirt auch die Kaufleute zu Bett und verfehlte
nicht, sie mit dem Wolf zu necken. Sie sagten aber nichts darauf.
Als nun eine Stunde vergangen war und der Grobian von Wirt
im Bett lag, da machten die Kaufleute Lärm im Hause, genau so, wie
es ihnen Eulenspiegel angegeben hatte.
"Herr Wirt, sendet uns doch die Magd oder den Knecht", riefen
sie, "daß er uns eine Maß Bier zapfe, denn wir vergehen hier vor
Durst und können nicht einschlafen."
Da sagte der Wirt zu seiner Frau: "Hörst du den Lärm? Das sind
so rechte Sachsen, die können trinken Tag und Nacht und verstehen
es, einem guten Wirt Scherereien zu machen."
Er hatte keine Lust, den Fremden zu Willen zu sein. Da aber das
Rufen und Bitten kein Ende nahm, weckte er schließlich die Magd,
damit sie den Gästen das Verlangte brächte. Die Magd stand auf,
tastete im Hause umher und suchte den Herd, da wollte sie an der
glühenden Asche ein Licht entzünden und dann in den Keller gehen,
um Bier zu zapfen. Als nun das Licht brannte, sah sie zu ihrem
größten Schrecken einen Wolf stehen, der die Schuhe der Kinder
in seinem gräßlichen Maule hatte, und daran zu kauen und zu wür-
gen
schien. Da schrie sie laut auf, denn sie glaubte, ein Wolf sei in
das Haus eingedrungen, hätte die Kinder gefressen und wolle sie
jetzt als Nachtisch verspeisen. Sie lief, so schnell sie ihre Füße trugen,
und verlor dabei ihre Schürze. Doch kam sie glücklich in ihre Dach-
kammer,
wo sie sich verrammelte und verschanzte.
Der Wirt war wieder eingeschlafen, denn er glaubte, daß seine
Bier riefen, wurde er wieder munter und nahm an, daß die Magd
nicht aufgestanden war. Um die Schreier endlich loszuwerden, und
auch um seiner Ruhe wegen, die er sehr schätzte, trommelte er den
Knecht heraus. Der sollte den ungestümen Gästen ihren Willen tun.
Der Knecht stand auf, besann sich ein wenig und ging dann zum
Herd, um mit der glühenden Asche und Schwefelfaden Feuer zu
schlagen. Das gelang ihm, aber bei dem Schein des Lichtes erblickte
er auf einmal das fürchterliche Ungeheuer, sah die Kinderschuhe im
Rachen, die Schürze der Magd am Boden und glaubte, der Wolf
habe die Kinder samt der Magd gefressen. Hals über Kopf lief er da-
von, verlor seine Kappe und die Pantoffel. Mit Mühe und Not flüch-
tete er in den Keller, wo er sich verbarrikadierte.
Der Wirt war wieder eingeschlafen und glaubte, daß nun endlich
Ruhe im Hause einkehren würde. Als er aber das beständige Rufen
und Bitten der Kaufleute hörte, mußte er annehmen, daß auch der
Knecht seinen Weckruf nicht gehört habe, und, so sauer und ärger-
lich
es ihm auch war, mußte er selbst aufstehen, um die Schreier zu
befriedigen. Verdrießlich ging er nach dem Herd, um Feuer anzu-
zünden.
Wie er nun einen Krug fassen wollte, um in den Keller zu
gehen, erblickte er das Ungeheuer, das an den Füßen seiner Kinder
würgte und kaute und anscheinend die Magd bis auf die Schürze und
den Knecht bis auf Kappe und Pantoffel gefressen hatte.
Da schrie er vor Angst und Not laut auf, ließ das Licht fallen und
rettete sich in die Kammer, in der Eulenspiegel mit seinen Gefähr-
ten
war.
"Ach, liebe Herren", rief er in der Verzweiflung, "helft mir in
dieser schrecklichen Bedrängnis! Draußen steht ein greuliches Tier
und hat mir die Kinder, dazu Knecht und Magd gefressen!"
Aber statt aller Antwort erhoben die drei ein Gelichter, daß das
Haus zitterte und bebte. Als der Knecht das Lachen hörte, dachte er:
Das muß wohl da oben nicht so schlimm sein, du hast dich ins Bocks-
horn
jagen lassen. Darauf ging er nach oben. Die Magd hörte auch die
Heiterkeitsausbrüche und dachte:
Und lernst immer noch dazu.
Dann räumte sie ihr Bollwerk weg und lief nach dem Herd, um
der Gefahr ins Auge zu sehen. Schließlich plagte auch die Frau des
sich's ebenfalls nicht nehmen, ihr zu folgen.
Da stand nun alles um den Herd herum.
Eulenspiegel aber stieß den Wolf mit dem Fuße um und sagte
lachend: "Ei, ei, Herr Wirt, wenn Euch schon ein toter Wolf so in
Angst und Schrecken setzen kann, wie soll es dann werden, wenn
Euch ein lebender im Moor begegnet?"
Nun schämte sich der Wirt nicht wenig seiner Feigheit, meinte
aber, die Magd und der Knecht wären ja auch weggelaufen.
"Die haben auch nicht geprahlt, daß sie es im Moore mit zwanzig,
dreißig Wölfen aufnehmen würden", entgegnete Eulenspiegel.
Nun lachte alles über den ruhmredigen Mann, der aber schlich
ganz still in seine Kammer und nahm seitdem den Mund nicht mehr
so voll. Schöller und Möller aber reisten vergnügt von Eisleben weg
und sagten sich: "Das hat er wieder einmal sehr gut gemacht, unser
Eulenspiegel."
Man muß eine Sache nicht verkehrt anfassen
In Wismar muß es Eulenspiegel wohl sehr gut gefallen haben, denn
er war sehr häufig dort. Sein Hauptvergnügen war, mit Pferden um-
zugehen,
Pferde zu kaufen und wieder zu verkaufen, wie das alle
fahrenden Leute gern tun. Mit der Zeit verstand er sich sehr gut auf
dieses Geschäft und sah einem Gaul sofort an, ob er etwas wert war
oder nicht. Dabei betrachtete er vor allem die Füße, das Gebiß und
den Bau, und irrte dabei selten, so daß ein Roßtäuscher von Beruf
von Eulenspiegel bei Einkäufen dieser Art beraten und stand sich gut
dabei.
Nun lebte ein Schuster in der Stadt, der war durch eine Erbschaft
reich geworden und hielt sich seitdem für wunder wie gescheit. Auf
Markt und Straßen bummelte er umher und schwatzte klug, meist
von Dingen, die er nicht verstand, als ob ihm das Sprichwort: Schu-
ster,
bleib bei deinem Leisten! ganz unbekannt sei. Vor allem aber
hielt er sich für einen großen Pferdekenner. Dabei hatte er eine wun-
derliche
Weise erfunden, ein Roß auf seine Güte zu prüfen. Da für
gewöhnlich alte Leute die Haare auf dem Kopfe verlieren und ein
kahler Kopf meist einem bejahrten Manne gehört, so meinte er, das
müsse bei den Pferden auch so sein. Blieben ihm Haare in der Hand
hängen, dann zuckte er die Achseln, machte eine abwehrende Hand-
bewegung
und meinte, der Eigentümer werde wohl nicht lange
Freude an dem Tier haben, das sei reif für den Schindanger; ging
aber kein Haar aus, so lobte er das Tier über den grünen Klee. Weil
nun die dümmste Prophezeiung hin und wieder recht behält, einige
Gäule, die er getadelt, wirklich eingingen, andere, die er des Lobes
würdig befunden, sich gut hielten, so galt der Schuster in Wismar für
sehr sachverständig und bildete sich gar viel darauf ein.
Darüber ärgerte sich Eulenspiegel und dachte darüber nach, wie
er dem überklugen Schuster eine gute Lehre erteilen könne. Eines
Tages ging er mit seinem Pferd auf den Markt, gerade als viele Bür-
ger
dort versammelt waren. Der Schuster war auch unter ihnen. Der
sah kaum Eulenspiegels Pferd, als er nach seiner Gewohnheit herbei-
eilte
und das Rößlein mit aller Macht am Schwanze riß. Im nächsten
Augenblicke schoß er einen Purzelbaum und hielt den ganzen
Schwanz in seiner Hand. Das ging ganz einfach zu. Eulenspiegel
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setzt. Die Umstehenden glaubten aber nicht anders, als daß der
Schuster den Schwanz mit aller Kraft ausgerissen habe. Dieser glaubte
es natürlich auch.
Da fing Eulenspiegel an, laut über Unrecht zu klagen.
"Seht da, ihr guten Bürger, der Mann kommt daher und schimp-
fiert
mir mein schönes Pferd! Ich lade euch alle zu Zeugen, denn ich
will die Sache beim Rate angeben."
So weit wollte der verblüffte Schuster die Sache aber nicht trei-
ben,
er bot daher Eulenspiegel zehn Gulden Schweigegeld, die der
Schalk auch nahm. Dem Schuster ist seitdem die Lust vergangen, wie-
der
einen Gaul durch Schwanzausziehen auf seine Güte zu prüfen.
Der Buchstabe tötet
Es brauchte einer nicht viel vom Pferdehandel zu verstehen, um
zu wissen, daß manche Tiere, die ganz gesund und kräftig aus-
sehen,
mitunter ihre Mucken und Schrullen haben, wodurch sie an
Wert gewaltig einbüßen. Deshalb fragt der Käufer gewöhnlich, welchen
gen. Nun traf sich's, daß Eulenspiegel in Frankenhausen ein schönes
Pferd verkaufen wollte. Das wollte ein Salzsieder gern erwerben,
fragte aber als kluger Hausvater, welchen Fehler das Roß habe.
Darauf antwortet der Schalk arglistig: "Keinen, soviel ich weiß, nur
geht es nicht gern über die Baume."
Da lachte der Salzsieder und sagte: "Ober die Bäume will ich nicht
damit fahren und reiten. Wenn es weiter nichts ist und es keinen an-
deren
Fehler hat, so kaufe ich den Gaul. Hier ist das Geld."
Das Pferd ward also verkauft. Der Salzsieder war darüber froh,
denn er hatte das Tier billig erstanden. Bald danach spannte er es
vor seinen Wagen und fuhr los. Das ging so lange gut, bis sie an eine
hölzerne Brücke kamen. Da scheute das Pferd. Kein Rufen und Peit-
schen
half, das Tier war weder mit Güte noch mit Gewalt über die
Brücke zu bringen, so daß der Salzsieder zu seinem Arger umkehren
mußte. Nun wandte er sich an das Gericht, um Eulenspiegel zu ver-
klagen.
Der aber verteidigte sich: "Ich habe Euch gesagt, daß das Hottchen
nicht über die Bäume geht. Vor einer steinernen Brücke ist es nicht
bange, aber eine Brücke, die aus Bäumen gemacht ist, will es nicht
überschreiten. Ich bleibe bei meinen Worten als ehrlicher Mann, der
ich zeitlebens gewesen bin."
Als das die Richter hörten, kratzten sie sich den Kopf, schickten
schließlich die Parteien fort, ohne ein Urteil zu sprechen, und gaben
ihnen den Rat, sich zu vertragen.
Doppelt gibt, wer bald gibt
In der alten Bischofsstadt Hildesheim wollte sich Eulenspiegel wie-
der
ein Pferd kaufen. Ein Roßhändler bot ihm eins an, verlangte
aber noch einmal so viel, als es wert war, nämlich vierundzwanzig
Gulden. Da sagte Eulenspiegel: "Zwölf Gulden will ich dir gleich
geben, die andere Hälfte will ich dir schuldig bleiben."
Damit war der Roßhändler zufrieden, so daß sie durch Handschlag,
Wie üblich, den Kauf abschlossen. Eulenspiegel zahlte zwölf Gulden
und nahm das Pferd. Nach einem Vierteljahr meldete sich der Roß-
händler
wieder und verlangte die andere Hälfte des ausgedungenen
Kaufpreises.
Eulenspiegel sagte: "Die will ich dir schuldig bleiben." Der Roß-
händler
mahnte ihn darauf noch einmal und schließlich zum dritten
Mal, aber immer sagte der Schalk: "Ich will dir die zwölf Gulden
schuldig bleiben."
Endlich riß dem Pferdehändler die Geduld, und er brachte die An-
gelegenheit
vor den Richter.
Vor dem verteidigte sich Eulenspiegel: "Ich habe ihm gesagt, daß
ich ihm zwölf Gulden schuldig bleiben wolle. Das wäre eine schöne
Sache, wenn ich mein Wort brechen sollte, das ich doch allezeit ehr-
lich
gehalten habe."
Da wußten die Richter nicht, wie sie entscheiden sollten, und
schickten die Parteien fort. Eulenspiegel aber hat das Geld bis heute
nicht gezahlt.
Er kann nicht genug Prügel bekommen
In Nordhausen in Sachsen war Eulenspiegel einmal in einer Her-
berge,
da wurde ein Pferdehandel abgeschlossen, über den er sich sehr
ärgerte, denn der Roßhändler betrog den Käufer gewaltig. Da über-
legte
er, wie er dem Schelm wohl einen Denkzettel dafür geben
könnte. Da er nun herausbekam, daß der Pferdehändler ein geldgie-
riger
Mensch ohne Ehrgefühl war, so sagte er zu ihm: "Hör, Joseph,
es juckt mich, dir die Jacke einmal gründlich vollzuhauen. Ich zähle
dir zwanzig Hiebe auf und gebe dir dafür fünfzig Gulden."
Da dachte der Roßhändler: Die fünfzig Gulden sind rasch ver-
dient.
Wenn es ihm Spaß macht, mich zu prügeln, so soll es mir nach-
her
um so größere Freude machen, wenn mir seine fünfzig Gulden
in der Tasche klimpern.
Sie wurden handelseinig, und Eulenspiegel rief die Bürger her-
bei,
sie möchten achtgeben, damit ja kein Unrecht geschehe. Der Be-
trüger
legte sich also auf ein leeres Faß, und Eulenspiegel zählte ihm
die Hiebe auf. Die Bürger zählten mit. Dem Roßhändler ward es
übel und weh, denn jeder Schlag saß, aber er kniff die Zähne zusam-
men
und dachte: Fünfzig Gulden sind ein schönes Stück Geld.
Eulenspiegel aber schlug ohne Schonung, bis der Spitzbube neun-
zehn
Schläge bekommen hatte. Da hörte er auf, setzte sich an den
Tisch und tat, als ob nichts geschehen sei. Da verlangte der Roß-
händler
seine fünfzig Gulden.
"Behüte", antwortete Till gelassen. "Unser Vertrag ging auf zwan-
zig
Hiebe, die hast du nicht bekommen, daher bin ich dir nichts
schuldig."
Nun bat und flehte der Spitzbube um den zwanzigsten Schlag,
Eulenspiegel aber blieb unerbittlich und zog davon.
Die Schwarze Kunst
Zu Eulenspiegels Zeit gab es genug Bösewichte, die mit Hilfe des
Gottseibeiuns und seiner Gesellen Zauberei trieben und sich auf Kosten
ihrer Mitchristen Vorteile verschafften. Solche Bübereien sahen aber
die Geistlichen sehr ungern und säumten nicht, die zu strafen, die
solch gottloses Werk trieben. Auch der Bischof von Bremen war
ein abgesagter Feind der Schwarzen Kunst, doch hatte er Gefallen an
lustigen Schwänken und ließ daher Eulenspiegel sagen, er möge sich,
solange er in Bremen sei, zu seinem Hofgesinde halten, er wolle ihn
und sein Pferd versorgen. Ein solches Anerbieten schlug Till Eulen-
spiegel
niemals aus. Er hatte nun gute Tage, ging täglich spazieren
und ersann allerlei Possen.
Einmal schlenderte er über den Markt, wo die Bäuerinnen aller-
hand
zu verkaufen hatten. In der Reihe, in der die Töpfer zu sitzen
pflegten, fand er eine arme Frau, die recht trübselig in die Welt sah.
Das fiel Eulenspiegel auf, und da er eben nichts zu tun hatte, ließ er
sich mit ihr in ein Gespräch ein. "Wie kommt es, gute Frau, daß Ihr
ein so sauertöpfisch Gesicht macht? Oder habt Ihr Eure Geschirre
nur dafür, daß Essig hineingegossen wird?"
"Ich habe sie zum Verkaufen", antwortete sie, "aber nun nimmt
mir keiner etwas ab, und Mann und Kinder darben daheim! Da hat
einer keine Ursache lustig zu sein."
"Gut, daß ich jetzt gerade Geld habe", meinte Eulenspiegel. "Was
wollt Ihr für den ganzen Kram?"
Die Frau glaubte anfangs, der wunderliche Mann wolle sie foppen,
als der aber drängte, sie möge ihm ihre Forderung nennen, sagte sie,
daß sie ihm das ganze Geschirr für dreißig Gulden verkaufen wolle.
Da griff Eulenspiegel in seinen Beutel, zog ohne Besinnen das Geld
ihr geschah, denn eine so große Geldsumme enthob sie vieler Sorgen.
Gern schloß sie nun noch mit dem "fremden Junker" einen gehei-
men Vertrag ab und blieb bei ihrer Ware sitzen.
Eulenspiegel aber lauerte dem Bischof auf, der in der Kirche war
und diese bald verlassen würde, um nach seinem Hause zu gehen.
Endlich kam der Herr heraus, und ihm folgten seine Lehensleute, die
Ritter und Herren, die ihm in der Kirche wieder den Treueid ge-
schworen
hatten. Als der Bischof Eulenspiegel erblickte, lachte er und
winkte ihm, an seine Seite zu kommen. So gingen sie zusammen über
den Markt. Da zeigte ihm der Schalk die Töpferfrau, die noch immer
ruhig hinter ihrem Geschirr saß.
"Die Frau setzte vordem eine recht traurige Miene auf", sprach
der Bischof. "Das macht die Sünde, die tut dem Herzen leid. Doch
hat die Kirche genug wirksame Mittel gegen dieses Übel."
Darauf sagte Eulenspiegel: "Wenn ich nur will, so verliert diese
Frau den Verstand und schlägt ihr ganzes Geschirr entzwei, und
zwar, ohne daß ich sie ansehe oder ihr auch nur ein Wort sage."
Der Bischof erwiderte: "Und wenn du alle deine Schalkheit auf-
bötest,
würde dir das nimmermehr gelingen, denn das ist unmöglich."
Eulenspiegel sagte: "Soll die Wette dreißig Gulden gelten, Herr
Bischof? Das heißt, Ihr gebt mir dreißig Gulden, wenn es mir gerät.
Ich gebe Euch ebensoviel, wenn es mißlingt."
"Diese Wette gehe ich ein", antwortete der Bischof, "denn dabei
kann ich nur gewinnen, und du gewinnst auch, denn das Wetten
wird dir für immer leid werden, so daß du in der Folge dein Geld
sparst, wenn du es auch heute durch eigene Schuld einbüßen mußt."
Die Ritter und Herren hörten auch von der Wette, spitzten die
Ohren und dachten: Das kann gut werden. Mag verlieren, wer will,
den, denn ehe die Frau auf sein Kommando den Verstand verliert,
eher wird er ihn selbst verlieren, wenn man bei ihm überhaupt noch
von Verstand reden kann.
Sie standen alle weit genug von der Frau entfernt, Eulenspiegel
aber drehte ihr sogar den Rücken. "Wollen wir anfangen, gnädiger
Herr?"fragte er den Bischof.
"Jawohl", antwortete der, "verliere deine dreißig Gulden!"
Kaum hatte er das gesagt, da stand die Töpferfrau auf, nahm einen
Knüttel und schlug damit all ihr Geschirr, Häfen, Töpfe, Krüge,
Teller kurz und klein, daß die Scherben nur so über den Markt flogen.
Dabei machte sie ein fröhliches Gesicht und ging davon, nachdem die
letzte Pfanne zerschlagen war. Auf dem Markte lachten Bürger
ihren Augen nicht recht, der Bischof selber wurde aber sehr, sehr
ernst und sagte kein Wort.
Im Palast nahm er Eulenspiegel beiseite und sagte zu ihm: "Die
Wette habe ich verloren, mein Schatzmeister wird dir dafür dreißig
Gulden zahlen. Das macht mir den geringsten Kummer. Weit mehr
schmerzt mich etwas anderes. Verlorener Mann! Du hast dich der
Schwarzen Kunst ergeben, denn ohne diese wäre das Mirakel nicht
möglich gewesen. War dir deine unsterbliche Seele nicht lieber als
elende dreißig Gulden?"
Darauf antwortete Till: "Gnädigster Herr, es ging alles mit rech-
ten
Dingen zu, wie ich Euch wohl beweisen werde. Doch möchte ich
mein Geheimnis nicht umsonst preisgeben."
Nach solcher Rede beruhigte sich der geistliche Herr etwas und
versprach ihm einen feisten Ochsen, wenn er ihm das Rätsel lösen
wollte. Eulenspiegel erklärte nun die Sache. Er hatte mit der Frau
verabredet, daß sie alle Häfen entzweischlagen solle, wenn er ihr ein
Zeichen gäbe. Das tat die Töpferin, sowie sie sah, daß der Schalk vor
dem Bischof die Kappe lüftete.
Der Bischof war nun sehr zufrieden über diese Auskunft, lachte
über die Schalkheit und erzählte bei Tisch seinen Lehensleuten, daß
er hinter das Geheimnis des Narren gekommen sei. Da wurden die
Herren neugierig und plagten ihn, daß er den Schleier lüften möge.
Da es nun zu Eulenspiegels Zeit in Bremen Brauch war, daß einer das,
was er haben wollte, bezahlen mußte, so gab er jedem Lehensmanne
auf, ihm dafür einen feisten Ochsen, vier Gulden an Wert, zu stiften.
Das versprachen die Herren, die vor Ungeduld fast vergingen, und
stellten ihre Ochsen, zwölf Stück im ganzen. Als sie dafür das Ge-
heimnis
erfuhren, zogen sie lange Gesichter. Sie hatten alle etwas
einem einfachen Kniff abgespeist, der ihnen ihr Geld nicht wert war.
Doch schwiegen sie still, denn sie wollten den Lehnsherrn nicht be-
leidigen.
Der aber ließ Eulenspiegel nach der Verabredung den fettesten
Ochsen aussuchen, damit er ihn für sich behielt. Weil der Bischof
aber ein gelehrter Mann war, wußte er, daß die alten Weisen unter
den Heiden Ochsen opferten, wenn sie eine neue Wahrheit entdeckt
hatten. Das wollte er auch tun. Er ließ also die elf Rinder verkaufen
und den Erlös für dieselben in der Stille der armen Töpferfrau sen-
den,
von deren Not er durch Eulenspiegel erfahren hatte.
Ein Vater kann leichter sieben Kinder ernähren
als sieben Kinder einen Vater
als sieben Kinder einen Vater
Eulenspiegel hatte lange nichts von seinen guten Freunden Schöller
und Möller vernommen und freute sich daher sehr, als er eines
Tages in Leipzig wieder von ihnen hörte. Schöller lag unter dem grü-
nen
Rasen und war erlöst von aller Not. Möller aber hatte sich zur
Ruhe gesetzt, denn er war des ewigen Wanderns müde und auch
in die Jahre gekommen, in denen einer gern zu Hause hinter dem
Ofen bleibt, wenn draußen der Hagel an die Fensterscheiben klopft.
Er freute sich sehr, den fahrenden Mann wieder zu erblicken, fing
aber bald an, bitterlich über sein Los zu klagen. Er hatte sich viel
Geld erworben auf seinen Reisen, um gut und sorgenlos leben zu
können, wenn er nicht zwei Kinder gehabt hätte, einen Sohn und
war mit einem Kaufmann vermählt, und der Sohn war selbst ein
Kaufmann. Da hatte Möller nun sein ganzes Vermögen redlich in
zwei gleiche Teile geteilt, dem Sohne den einen Teil, der Tochter den
andern gegeben. Nun war ihm nichts mehr geblieben, aber er hatte
gedacht: Sie werden dich schon ernähren und dir dafür dankbar sein,
daß du für sie in deinem Leben so viel erworben hast, wie sauer es dir
auch geworden ist. Doch hatte er dabei die Rechnung ohne den Wirt
gemacht, denn als seine Kinder wußten, daß der Vater gar nichts
mehr besaß, verachteten sie ihn und behandelten ihn schlecht. Er be-
kam kein ordentliches Essen, kein gutes Bett, ging in zerrissenen
Kleidern, und wenn er sich am Herde wärmen wollte, so stießen sie
ihn weg. Den ganzen Tag hörte er zudem kein freundliches Wort.
Das vernahm Eulenspiegel mit Betrübnis und dachte darüber nach,
wie er dem Freunde helfen könne. Er zählte sein ganzes Geld zu-
sammen,
es waren genau hundert Gulden. Die gab er dem Freunde
und sagte:
"Ich leihe dir das Geld bis morgen. Dann will ich kommen und es
mir wieder holen."
Möller sträubte sich, die Summe anzunehmen. Als ihm Eulen-
spiegel
aber sagte, welche Schalkheit er damit plane, war er zufrieden
und nahm das Geld.
Am andern Tage erschien Eulenspiegel auch wirklich bei Müllers
und tat schön mit dem Sohne und seiner lieben Frau. Und wie nun
die guten Leutchen so in Eintracht und Liebe beieinandersaßen, da
sagte auf einmal Eulenspiegel zu dem alten Möller:
"Lieber, alter Freund, ich habe eine Bitte an dich. Ich habe kein
Geld mehr. Könntest du mir nicht auf ein Jahr hundert Gulden
leihen?"
Da tat Möller ordentlich böse. "Wie?" rief er, "lumpige hundert
Gulden? Du kannst jederzeit tausend Gulden von mir bekommen
und behalten, solange du willst. Da du aber nur hundert forderst, so
will ich deinen Wunsch erfüllen."
Nach diesen Worten ging er in den Garten, tat, als ob er aus einem
Versteck das Geld genommen habe, und zählte bare hundert Gulden
auf den Tisch. Eulenspiegel wollte ihm dafür einen Schuldschein ge-
ben,
aber Möller wehrte zornig ab.
"Zwischen uns braucht es keinen Fetzen Papier", sagte er, "und
solltest du mir das Geld nicht wiedergeben können, so macht mir das
nicht einen Pappenstiel, denn unsere Freundschaft ist wohl mehr
wert, auch habe ich genug, mehr als ich bedarf."
Die jungen Leute machten große Augen, als sie solche Wunder-
dinge
sahen, und von der Zeit an hatte der Alte das beste Leben
im Hause. Täglich brachten sie ihm Gesottenes und Gebratenes, und
alles wurde ihm zuliebe getan. Nicht lange danach kam die Tochter
und wollte mit Gewalt den Vater zu sich nehmen. Bei ihr sollte es
ihm gar wohl ergehen.
Also führte der Alte durch Eulenspiegels List ein gutes Leben bis
an sein Ende.
Der Appetit kommt nicht immer mit dem Essen
Wenn unsere Vorfahren recht gesehen haben, dann ist Till Eulen-
spiegel
auch einmal in Antwerpen gewesen. Das war eine große Stadt
im Herzogtum Brabant, und viele reiche Leute wohnten dort. Eines
Tages ging er dort in eine Herberge.
Da er sich nicht wohl fühlte, ließ er sich ein paar weiche Eier
kochen.
Nun war unter den Gästen ein Holländer, ein feiner Mann, der
Eulenspiegel am nächsten saß und ihn für einen Bauern hielt. Der
fuhr ihn an: "Wie, du Bauernlümmel, kommst hierher und verach-
test
das gute Essen, das dir der Wirt vorsetzt und das mir genügt?
Du scheinst mir ein rechter Feinschmecker zu sein." Mit diesen Wor-
ten
nahm er die von Eulenspiegel bestellten Eier, schlug sie auf und
schluckte Sie hinunter. Dann warf er Eulenspiegel die Schalen ins
Gesicht und sagte: "Da, nimm und iß, die halbe Mahlzeit reicht noch
für dich."
Dieser herrliche und anmutige Witz wurde von allen Gästen sehr
belacht und gelobt, denn zu Eulenspiegels Zeit war jede Grobheit
gegen Bauern und Juden gestattet. Eulenspiegel lachte auch mit; das
war das klügste, was er unter solchen Umständen tun konnte.
Nach Tisch verschaffte er sich einen schönen, großen Apfel, den
höhlte er aus, füllte ihn mit Fliegen und Mücken und briet ihn, dann
bestreute er ihn appetitlich mit Zimt. Den Apfel stellte er auf seinen
Platz und ging in die Küche, als ob er sich noch etwas anderes holen
wolle. Der feine Holländer hatte kaum den schönen Apfel gesehen,
als er ihn stahl und kräftig hineinbiß. Wieder lachte alles über den
klugen Einfall und lobte den Herrn, daß er so schön seinen Vorteil
wahrgenommen und den dummen Bauern wiederum geprellt habe.
Allein schon nach dem zweiten Bissen sah er, woran er war. Ihm
wurde sterbenselend, und er jammerte kläglich, so daß man es im
ganzen Hause hören konnte.
Nun hatte Eulenspiegel die Lacher auf seiner Seite. Der Holländer
aber sagte zu ihm: "Ulenspiegel, mit dir esse ich mein Lebtag nicht
wieder und wenn du mir auch Kapaun und Krammetsvögel anbietest."
Farbenblindheit in altdeutscher Zeit
Till Eulenspiegel hatte keinen Grund, sich über andere Leute zu
beschweren, die ihn neckten, denn er selbst spielte doch so vielen
Menschen böse Streiche und legte es besonders darauf an, einfältige
Bauersleute hinters Licht zu führen.
Einmal war in Ülzen bei Lüneburg ein großer Jahrmarkt. Da ka-
men
die Bauersleute in hellen Haufen und kauften, was sie bedurften.
Nun hatten sich an Eulenspiegel zwei fahrende Scholaren ange-
schlossen,
mutwillige Gesellen, die sich durch das Land hindurchfoch-
ten
und dem Galgen immer nahe blieben. Alle drei waren jämmer-
lich
bekleidet, und es ging in den Winter hinein, der kein Freund
der armen Leute ist. Da sahen sie, wie ein Bauer grünes englisches Tuch
kaufte und damit heimzog. Das Tuch hätte wohl zu drei Röcken für
die Gesellen gereicht, und die Galgenvögel berieten arglistig, wie sie
das Bäuerlein darum prellen wollten. Waren sie adelige Herren ge-
wesen,
so hätten sie ihm einfach im Busch aufgelauert, denn damals
galt das herrliche Sprichwort:
Das tun die Besten im Lande.
Da sie aber nicht zu den Besten gehörten, mußten sie eine List an-
wenden.
Das Bäuerlein war kaum aus dem Tore, da begegnete ihm
einer der Scholaren und sagte zu ihm: "Na, Bauer, kommst du auch
vom Jahrmarkt? Was hast du denn für das blaue Tuch bezahlen
müssen?"
"Das Tuch ist grün und nicht blau", antwortete der Bauer.
"Mach doch keine Umstände, Bauer", sagte jener wieder, ,ich
nennt man blau, es ist mit Erfurter Waid gefärbt."
"Nun höre mir aber auf und halte mich nicht für dumm", sagte
der Bauer, der nun ernstlich böse wurde, "der Himmel ist blau, das
Laub ist grün, und so wie das Laub sieht mein Tuch aus."
"Du sprichst wie ein Pfaff", meinte der Scholar, "aber mir machst
du nichts weis, auch nichts grün. Blau ist das Tuch, oder ich will zehn
Gulden verwetten. Willst du es gelten lassen?"
"Ja, das soll gelten", sagte der Bauer, "du wirst dein Geld schon
verlieren. Dort kommt einer, der soll unsern Streit entscheiden.
Heda, guter Freund!" rief er einem zu, der müßig und unschlüssig
am Wege stand. Es war aber niemand anders als der zweite fahrende
Student. "Kommt doch her und knöpft dem da die Augen auf!
Welche Farbe hat dieses Tuch?"
"Das blaue Tuch, meint Ihr?" antwortete der Mensch in aller
Seelenruhe, "was wollt Ihr damit sagen?"
"Welche Farbe es hat, sollt Ihr sagen", sagte der Bauer, der immer
ärgerlicher wurde.
"Blau ist es, das sagte ich Euch ja schon", sprach der Spitzbube,
"blau, blitzblau, das kann Euch jedes Kind sagen. Seid Ihr denn so
töricht, daß Ihr die Farben nicht unterscheiden könnt! Geht Eurer
Wege!"
"Von Euch ist einer so gut ein Schalk wie der andere", rief der
Bauer, "ich gebe mich nicht damit zufrieden."
"Nun", meinte der erste Scholar, "wie Ihr wollt, wir können ja
noch die Meinung eines dritten hören. Dort geht ein heiliger Mann,
der mag den Streit schlichten."
Vor ihnen ging würdevoll ein Priester. Gott weiß, woher Eulen-
spiegel
das Gewand so schnell entliehen hatte, aber es kleidete ihn, als
fromme Miene aufgesetzt und ein Büchlein in die Hand genommen,
in dem er sehr eifrig las.
"Ehrwürdiger Vater", rief ihm der Scholar zu, "haltet doch ein
wenig an und tut uns die Liebe, unsern Streit zu entscheiden."
"In Streitigkeiten mische ich mich nicht", antwortete Till Eulen-
spiegel,
"macht es selber aus und hadert nicht unter freiem Himmel,
denn das nimmt selten ein gutes Ende."
"Ei", mischte sich nun auch der Bauer ein, "es ist nur eine Kleinig-
keit
und gilt eine Wette. Der junge Mann kann die Farben nicht un-
terscheiden.
Ihr solltet nur sagen, wie das Tuch aussieht."
"Was kümmert mich Euer Tuch", antwortete Eulenspiegel, "das
ist eine große Kinderei, die Leute auf der Straße mit solchen Dingen
zu plagen. Geht in Frieden!"
"Ihr braucht ja nur zu sagen, ob das Tuch grün oder blau ist",
drängelte der Bauer.
"Nun, dann laßt sehen", sagte Eulenspiegel.
Der Bauer breitete das schöne englische Tuch auseinander und
sah ihn fragend an.
"Nun, das sieht doch jeder, daß das Tuch blau ist. Wie kann es
darum zwischen euch zum Streite kommen! Aber nun laßt mich zu-
frieden,
denn ich habe über andere Sachen nachzudenken." Damit
ging er würdevoll weiter.
Der Bauer aber war nun aller Zweifel enthoben. "Dir wollte ich es
nicht glauben und dem andern Gesellen auch nicht, aber nun glaube
ich es, weil es mir ein heiliger Mann versichert hat. Da hast du
das Tuch, denn nun mag ich es auch nicht mehr sehen."
Mit den Worten warf, er den Scholaren das Tuch zu und ging
eiligst davon. Die drei Schelme aber teilten die Beute.
Eulenspiegel wird von einer Bäuerin betrogen
In seinen späteren Jahren kam der lustige Schalk wieder in jenes
Dorf nahe bei Staßfurt, wo er die Seiltänzerei und andere freie
Künste geübt hatte. Seine Schelmereien waren längst vergessen, auch
waren die meisten Leute, die damals Eulenspiegels Narrheiten mit
erlebt hatten, gestorben. Jener geizige Meier aber, dessen Brot-
suppe
ihm noch immer in unangenehmer Erinnerung war, lebte
noch. Er war alt und schwachsinnig geworden, seine Frau aber, die
das Hauswesen zusammenhielt, war um so pfiffiger. Der Meier erinnerte
kannten Streichen nichts vernommen. Der Schalk fragte ihn, wie
lange er verheiratet sei.
"So an die fünfzig Jahre", sagte er, "genau weiß ich es selbst nicht.
Wer kann das alles im Kopfe behalten!"
Till fing nun an zu rechnen und brachte heraus, daß in zwei Ta-
gen
die fünfzig Jahre auf Tag und Stunde genau verflossen seien.
Ob das seine Richtigkeit hatte oder nicht, war dem Schelm recht
gleichgültig, ihm ging es nur darum, dem Alten einen Festschmaus
abzulisten. Er sagte also: "Wißt Ihr auch, daß Ihr nach gemeinem
und Kirchenrecht verpflichtet seid, an diesem Tage abermals Hoch-
zeit
zu machen? Es möchte Euch übel ausschlagen, wenn Ihr's ver-
gäßet,
und stehen schwere Strafen und Bußen darauf. Darum hört
meinen wohlgemeinten Rat. Schlachtet einen guten Ochsen, dazu
Schafe und Schweine, bittet Eure Kinder, Freunde und Verwandten
zu Gaste, ich aber will den Herrn Pfarrer bitten, Euch einzusegnen,
wofür ich mich selbst zum Hochzeitsfeste einlade."
Dem Meier machte das Nachdenken Mühe, er war mit allem zu-
frieden
und ließ dem listigen Schmarotzer freie Hand. Der Frau half
ihr Widerspruch nichts, so daß die Vorbereitungen getroffen wurden.
Die Hochzeit fand darauf statt, es wurde wacker gezecht, und Eulen-
spiegel
sah dabei wohl zu, daß er nicht zu kurz kam. Während des
Mahles wurde es der Bäuerin übel, sie verließ darum ihren Ehren-
platz
oben am Tisch und ging hinaus, um sich ans Wasser zu setzen.
Eulenpiegel hielt danach seine Zeit gekommen, bestieg sein Roß
und trabte lachend heim. Da sah er die Bäuerin sitzen, die nicht gut
auf ihn zu sprechen war, weil sie in ihm den Urheber des großen,
nutzlosen Aufwandes sah. Um sie zu necken, ließ er sein Pferd aller-
hand
Sprünge machen, ohne dabei zu merken, daß er seine Gürtel-
aber nahm die Tasche und setzte sich darauf. Bald nachher merkte
Eulenspiegel seinen Verlust, trabte zurück und suchte. Als er nun
wieder an das Gehöft kam, fragte er die alte Bäuerin, ob sie nicht
eine rauhe, alte Tasche wahrgenommen oder gefunden habe.
Die Alte antwortete listig: "Ja, guter Freund, bei meiner Hoch-
zeit
bekam ich eine rauhe Tasche, die habe ich noch und sitze darauf.
Ist es die?"
Da antwortete er, diesmal unüberlegt: "Wenn du die Tasche bei
deiner Hochzeit erhalten hast, so kann es die meine nicht sein. Die
muß ja schrecklich alt und verbraucht sein."
So ward Eulenspiegel, so schalkhaft und listig er auch sonst war,
doch von einer alten Bäuerin geäfft, bekam das Seine nicht wieder
und mußte seine Mahlzeit teuer bezahlen. Die Tasche wurde aufbe-
wahrt
und lange Zeit als Wahrzeichen dafür gezeigt, daß auch der
schlaueste Fuchs sich einmal im Eisen fängt und seinen Meister findet.
Daß "Gefundenes verhehlen so gut ist wie stehlen", war zu Eulen-
spiegels
Zeit keine beliebte Sittenregel, blieb doch so mancher Raub
auf der Straße ungesühnt und unerwähnt.
Wieder von einer Tasche
Als Eulenspiegel nach Helmstedt kam, verübte er wieder eine "ab-
sonderliche
Schalkheit". Er ging zu einem Taschenmacher und fragte
ihn, ob er ihm wohl eine gute, große und hübsche Tasche machen
könne.
Der Mann fragte: "Ja, wie groß soll sie denn sein?"
"Sie soll groß genug sein", antwortete Eulenspiegel, gab aber dabei
zu verstehen, daß er zweifle, ob der Handwerker sie ihm nach
Wunsch machen werde.
Da fühlte sich dieser in seiner Ehre gekränkt und sagte, daß er nicht
umsonst in Nürnberg gelernt, in Augsburg und Frankfurt bei den
besten Meistern gearbeitet habe, um eine so gewöhnliche Bestellung
nicht ausführen zu können. Es war damals die Zeit, in der man weite
und breite Taschen besonders liebte. Der Taschenmacher machte nun
eine große Tasche, als er sie aber fertig hatte, gefiel sie Eulenspiegel
nicht. Der Handwerker meinte, sie sei ihm nicht groß genug, er nahm
also eine ganze Kuhhaut, schnitt die zurecht und machte eine Tasche
daraus, daß man ein einjähriges Kalb hätte darin bergen können.
Eulenspiegel sah sie, schüttelte den Kopf und sagte: "Ich will Euch
zwei Gulden als Draufgeld geben, erwarte aber, daß Ihr mich nach
Wunsch bedient."
Da dachte der Mann: Du ewiger Mäkler und Nörgler, dir will ich
doch eine Tasche machen, die dir endlich einmal groß genug sein
soll. Wenigstens sollst du nicht sagen, daß ich mein Geschäft nicht
verstehe und nicht nach Bestellung arbeiten könnte!
Er nahm darauf ärgerlich drei Ochsenhäute und fertigte davon
ein Ungeheuer an, so groß, daß es in der Werkstatt kaum Platz hatte
und so geräumig war, daß wohl ein Scheffel Korn darin hätte unterge-
bracht
werden können. Zwei Männer würden sie mit Mühe auf einer
Tragbahre kaum geschleppt haben. Die wird ihm wohl genügen,
dachte der Meister. Aber sie genügte dem Schalk immer noch nicht.
"Das soll eine gute, große und hübsche Tasche sein?" fragte er.
"Darunter hatte ich mir etwas ganz anderes vorgetellt. Was soll ich
mit einer Tasche, in der nichts ist? Damit darf ich den Leuten nicht
kommen. Ich will deinen Ledersack nicht. Das Draufgeld magst du
Frankfurt nichts gelernt hast."
"Ich lerne", antwortete der ergrimmte Taschenmacher, "daß ich
es mit einem rechten Erzschelm und Galgenvogel zu tun gehabt habe.
Hier bleibst du! Ich habe auf dein Geheiß für zehn Gulden Leder
verschnitten, das mußt du mir zahlen, oder wir reden vor Gericht
darüber."
Aber Eulenspiegel machte sich schnell aus dem Staube. Der Ta-
schenmacher
hatte das Nachsehen und die beste Gelegenheit, durch
Schaden klug zu werden.
Wie Eulenspiegel ein Weißmus allein ausaß
Eulenspiegel war eines Tages am frühen Morgen aufgebrochen und
kam gegen Mittag in ein Dorf. Da wurde es ihm übel und weh, denn
er hatte einen wahren Heißhunger, weil er schon zwei Tage gefastet
hatte. Er trat in das erste beste Haus, um zu sehen, ob er nicht etwas
zu essen erhalten könne. Nun hatte die Bäuerin ein Weißmus auf
dem Feuer, wonach es überall lieblich roch. Da sagte er zu der Frau:
"Wollt Ihr mir nicht Euer Essen verkaufen, wenn es gar ist? Ich
will Euch wohl bezahlen."
"Verkaufen kann ich Euch die Mahlzeit nicht", erwiderte die
Frau, "denn sie ist für meine Leute bestimmt, aber Ihr könnt mit-
essen,
es wird auf einen mehr oder weniger nicht ankommen."
"Da bin ich auch zufrieden", sagte Till. Als nun angerichtet wurde,
kam der Mann der Bäuerin und ihre beiden Söhne, die nahmen ihre
weh, dachte Eulenspiegel, wenn das so fortgeht, wird für mich nichts
übrig bleiben.
Also dachte er sich eine Narrheit aus und fing an zu erzählen: "Übel
erging es soeben einem Frachtfuhrmann auf der Landstraße", sagte
er. "Fuhr da sorglos daher und dachte an nichts, da scheuen plötzlich
und sucht Hilfe, wird aber damit kein Glück haben, denn umsonst
macht sich keiner die Mühe, und bezahlen kann er nicht."Nun wollte
der Bauer wissen, was der Fuhrmann geladen habe.
"Allerhand", antwortete Eulenspiegel, "doch habe ich nur das ge-
sehen,
was in den Fässern und Körben war, die von dem Sturze ge-
borsten
sind und ihren Inhalt augeschüttet haben. Schönes Schuh-
werk
war darunter, feine Fürtücher und Nürnberger Tand die
Menge. Da liegt nun das schöne Gut, und keiner ist dabei, der es be
Als der Bauer das hörte, warf er seinen Löffel hin, denn es gelüstete
ihn, etwas von der Beute zu erwischen, Frau und Kinder folgten ihm
eilig. Eulenspiegel aber machte sich lachend über das Weißmus her
und aß es auf mit Stumpf und Stiel. Dann ging er wohlgesättigt da-
von
und brauchte nicht zu danken, denn der Bauer und die Seinen
suchten immer noch vergeblich nach der Beute. Als sie heimkamen,
merkten sie freilich, daß sie geäfft worden waren, und schimpften
auf den Schalk, der sie betrogen hatte.
Er räuchert eine Gesellschaft aus
Nach langer Zeit ließ sich Eulenspiegel auch wieder einmal in
Nürnberg sehen. Neben der Herberge, in der er wohnte, war das
Haus eines reichen Mannes, der bei allen seinen guten Eigenschaften
doch die Spielleute und Gaukler nicht leiden konnte. Der hatte die
Gewohnheit, einmal im Jahr seine Nachbarn zu Gast zu laden und
sie mit auserlesener Kost und dem besten Wein zu bewirten. Hatte
aber einer seiner Nachbarn einen Gast bei sich, etwa einen reisenden
Kaufmann, so lud er den allzeit mit, mochten es auch zwei oder drei
Fremde sein, sie waren ihm willkommen.
So war es auch diesmal, er bat die Gäste seiner Nachbarn und auch
die aus Eulenspiegels Herberge. Nur mit dem braven und ehrlichen
Till selbst wollte er nichts zu tun haben, eben weil er ihn für einen
Spielmann oder Gaukler hielt und ihm nicht traute. Er hatte mit ihm
in der Herberge zusammengesessen und sich da sein Urteil gebildet.
Für landfahrendes Volk war sein Tisch nicht gedeckt.
Als nun die Nachbarn zu der Gasterei gingen und der Herbergs-
vater
seine Gäste mitnahm, sagte er Eulenspiegel den Grund, wes-
halb
er ihn nicht mitnähme. Der Gastgeber liebe nun einmal das fah-
rende
Volk nicht und halte auch ihn für einen Spielmann und
Gaukler.
"Wir essen drüben gebackene Hühner und trinken guten Wein
dazu", sagte der Wirt, "du magst dich mit Schwarzbrot behelfen,
und für den Durst ist im Hofe ein tiefer Brunnen. Gehab dich wohl!"
Damit ging der Wirt. Eulenspiegel aber dachte: Bin ich ein Gauk-
ler,
so will ich euch meine Gaukelei schon beweisen.
Nun war es bald nach Martini, wo die Festlichkeiten in der Reichs-
stadt
zu beginnen pflegten. Der Wirt saß mit seinen Gästen in einem
köstlichen Gemach, das stieß an Eulenspiegels Herberge. Das wußte
der Schalk, und er sann eine große Büberei aus. Er hatte schon vor-
her
für alle Fälle ein Loch in die Wand gebohrt, doch so, daß auf
beiden Seiten niemand etwas davon wahrnehmen konnte. Dann ver-
brannte
er faules Holz und fettige Lumpen auf dem Herde, ver-
schaffte
sich einen Blasebalg und blies verstohlen den übelriechenden
Dampf in das schöne Zimmer, in dem die Geladenen tafelten, so daß
der Raum bald mit brenzlichem Rauch und schlechtem Dunst er-
füllt
war.
Eine Zeitlang sahen sich das alle ruhig an, dann rief der Gastgeber:
"Hilf, Himmel, es brennt in meinem Hause! Helft mir alle löschen
und retten, liebe Nachbarn!"
Da sprangen alle auf, ließen Wein und Speisen stehen und rannten
Hals über Kopf hinaus, um den Brand zu ersticken.
Der eine rief: "Feuerjo!", der andere schrie nach den Scharwäch-
tern
und der Feuerwehr, jener nach Eimern und Wasser. asser. Wie die
Unsinnigen rannten sie im ganzen Hause umher, durchsuchten es
Scheune und den Ställen, fanden aber nirgends etwas, so daß sich
keiner erklären konnte, woher der scheußliche Brandgeruch gekom-
men sein könne.
Nun hatte einer im Speisezimmer die Fenster geöffnet, und durch
den Luftzug wie durch die Bewegung der Gäste hatte sich der Qualm
etwas verloren. Da bat der Gastgeber, die Sitze wieder einzunehmen
und weiterzuspeisen, als ob nichts geschehen wäre. Doch war man-
chem
der Appetit schon vergangen, auch war das Essen kalt und un-
schmackhaft
geworden. Weil es nun kühl war, hatte der Hausherr
Fenster und Türen wieder geschlossen. Aber kaum war das geschehen,
so war das Zimmer bald wieder voller Rauch und häßlichem Geruch.
Die Gäste saßen in dichten Wolken, husteten und warteten, daß die
Flammen irgendwo durchbrechen möchten. Schließlich mochte kei-
ner
weder essen noch trinken, und einer nach dem andern verließ das
unfreundliche Haus. Auch der Herbergsvater ging verdrießlich heim
und wollte Eulenspiegel den merkwürdigen Vorfall erzählen, der
ihm wie Hexerei oder schwarze Kunst vorgekommen war.
Da fand er nun, daß es auch in seinem Hause so abscheulich und
beängstigend roch. Er suchte und fand die Bescherung auf dem
Herde, bald darauf auch den Blasebalg, und zuletzt das Loch in der
Wand. Nun wurde ihm die Büberei sonnenklar, und er mutmaßte
richtig, daß ihm der Landfahrer den Streich gespielt und das Mahl
drüben verekelt hatte. Er wollte mit dem Unheilstifter abrechnen,
der aber war nirgends zu finden. Da holte er den reichen Nachbarn
herüber und deckte die Schandtat auf.
Dieser sagte bedächtig:
"Lieber Nachbar, wie ich Euch immer gesagt habe, hat niemand
von Narren und Spielleuten Nutzen. Darum will ich dergleichen
sah ich gleich die Schalkheit an, deshalb lud ich ihn nicht ein. Wenn
er nun schon in Eurem Hause solches Unheil gestiftet hat, wie würde
er sich betragen haben, wenn er in meinen vier Pfählen gewesen
wäre! Denn Ihr wißt doch, daß das landfahrende Volk der Spielleute
uns Wohlhabenden gern ein Schnippchen schlägt. An Eurer Stelle
würde ich die Lehre beherzigen und hinfort solchen Schälken die
Türe weisen."
"Lieber Nachbar", erwiderte der andere, "ein Wirt kann dem Gast
nie ansehen, ob er ein Schalk ist. Unsereiner muß mit allerlei Leuten
halten, mit dem Gaukler so gut wie mit dem Besten im Lande. Ihr
kennt wohl die Rede: Vor einen Schalk muß man zwei Lichter set-
zen.
Wer es versäumt, sich in Güte mit dem abzufinden, dem kann
es gehen wie Euch und mir heute."
Ungenügende Sühne
In der Nähe von Staßfurt konnte es Eulenspiegel nicht lassen, wie-
der
einer Wirtin einen bösen Streich zu spielen. Er ging in die Her-
berge
und sah, daß in dem Hause ein Rad stand, das wohl zum Wag-
ner
wandern sollte, oder von diesem geschickt worden war. Darauf
legte er sich, bot der Wirtin einen guten Tag und fragte sie, ob sie
nichts von Till Eulenspiegel vernommen habe. Sie antwortete, schon
der Name dieses Schalks sei ihr widerwärtig, sie wolle weder etwas
von ihm hören noch sehen. Eulenspiegel sagte: "Frau, hat er Euch
denn etwas Übles getan, daß Ihr ihm so gram seid?"
Die Frau wollte es nicht gern erzählen, aber endlich sprach sie:
"Vor einem Jahre kam er hierher, aß und trank Bier. Ich hatte ein
kleines, liebes Hündlein, das sprang um ihn herum, wie alle Hunde
tun, die gern einen Brocken erwischen wollen. Dazu trank das Tier
gern Bier, und meine Gäste pflegten ihm davon etwas in sein Schüs-
selchen
zu schütten. Wie der Hund nun den Schelm so durch Gebär-
den
bat, sagte ich zu dem Schalk: ,Gebt ihm doch ein wenig von
Eurer Mahlzeit und schüttet ihm ein wenig Bier aus Eurer Kanne in
seinen Napf, dann wird er Euch gut werden.' Das tat der Schelm, und
ich ahnte nichts Schlimmes. Danach ging er hinaus und kam zurück
ohne mein Hündlein, das ihm nachgelaufen war. Er sprach dann zu
mir: ,Wir wollen rechnen. Wie ist das bei Euch Brauch, Wirtin, wenn
ein Gast Eure Kost genießt und nicht zahlen kann, mögt Ihr ihm
dann borgen?'
,Geborgt wird hier nicht', sagte ich ihm, ,wer hier verzehrt, muß
zahlen oder ein Pfand lassen.' Da legte er mir die Hälfte von dem
hin, was seine Zeche machte, greift dann unter den Mantel und legt
die Haut meines Hundes daneben, die er ihm draußen abgezogen
hatte. Das wäre der beste Rock des Gastes, der nicht zahlen könne,
sagte der Schelm. Denkt Euch solche Büberei!"
Eulenspiegel antwortete darauf: "Frau, Ihr habt recht, das war
nicht wohlgetan."
Die Wirtin meinte: "Nun, es wird ihm auch wie einem Schalk er-
gehen."
Da lachte Eulenspiegel: "Sein Schicksal und Eure Wünsche haben
sich schon erfüllt, er liegt auf dem Rade."
"Dafür sei Gott gelobt!" sagte sie, denn sie meinte das Rad, durch
das Verbrecher in jener Zeit qualvoll zu Tode gemartert wurden.
"Seit wann ist das?"
"Erst seit heute", antwortete er. "Und nun lebt wohl, liebe Frau.
Ich bin Eulenspiegel!"
Da schrie die Wirtin nach Bütteln und Nachbarn, aber der Schalk
verschwand, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Die Galgenreue
Als Eulenspiegel älter wurde, stellten sich Gebrechen bei ihm ein.
Da erfaßte ihn die "Galgenreue", denn er dachte an seine vielen bö-
sen
Streiche. Fortan wollte er ein anderes Leben führen in rechter
Beschaulichkeit, untermischt mit frommen Bußübungen. Dann
konnte ein seliges Ende nicht ausbleiben. Lange überlegte er diesen
Entschluß, dann wandte er sich endlich zur Zisterzienser-Abtei Ma-
riental
bei Helmstedt in Sachsen, dort klopfte er bußfertig bei dem
Abt an.
"Ei, ei", sagte dieser, "so kommen denn die verlorenen Schäflein
alle richtig wieder in unseren Stall. Der Teufel hält seine Leute doch
schlecht beieinander und läßt sein Reich vor unseren Augen zerfallen.
Ist doch schon so mancher hier eingetreten, der vordem mit Spieß
und Blechkappe an der Heerstraße gelegen hat, mancher auch, den
nur seine geschwinden Beine vor Bütteln, Folter und Galgen rette-
ten,
warum sollte ein Schalk nicht hier unterkommen können, wohl-
gemerkt,
wenn er eben seine Bübereien draußen läßt."
"Hochwürdiger Herr Abt", sagte Eulenspiegel, "meine Sünden
drücken mich schwer."
"Das dachte ich mir", fuhr der Abt fort, "sagt man doch, daß du
verdächtig seiest, die Schwarze Kunst geübt und eine Zeitlang ein
nicht, wir kennen hier wohl deine Streiche, wie du Wölfe gemacht,
einen Esel lesen lehrtest, die Lübecker berückt und viele andere ange-
führt hast, von deinen Kochkünsten ganz zu schweigen. Wenn das
Alter kommt, werden die Schälke alle fromm, und man sagt wohl
nicht umsonst: Jugend hat keine Tugend."
Solche und ähnliche Worte sagte ihm der fromme Abt, um ihn
zu prüfen; als er aber merkte, daß bei der Erwähnung seiner Streiche
Eulenspiegel keine Miene verzog, sondern recht zerknirscht und reu-
mütig
dreinschaute, da dachte er: Der ist mürbe, und fuhr fort:
"Lieber Eulenspiegel, ich will dich als Laienbruder wohl aufnehmen,
aber du mußt dich im Kloster nützlich machen, damit du die Kost
verdienst, denn alle Brüder müssen im Hause, Garten oder Feld hel-
fen,
jeder nach seinen Kräften. Willst du das tun?"
"Ja, lieber Herr, gerne", versicherte er.
Der Abt fuhr fort: "Freilich weiß ich auch, daß du nicht gern ar-
beitest,
denn du bist zu lange Landfahrer gewesen, hast es auch nir-
gend
lange ausgehalten. Also will ich dir ein Amt geben, wobei du
wenig zu tun hast. Du sollst Pförtner werden. Als solcher brauchst du
nur die Leute einzulassen und in den Keller zu gehen, um Bier und
Wein heraufzuholen, oder Essen aus der Küche. Hier hast du die
Schlüssel, tue nun deine Pflicht!"
"Gott vergelte Euch, was Ihr an mir tut", antwortete Eulenspiegel
und trat sein neues Amt in Demut an.
In das Kloster kam nun allerhand Besuch, nicht nur wandernde
Mönche, die Botschaften überbringen sollten, sondern auch Landfah-
rer,
Bettelvolk und namentlich Ritter und Herren mit ihrem Ge-
folge.
An solchen Besuchen war dem Abte nichts gelegen, denn sie
machten das Kloster nicht reicher.
Am gleichen Tage, an dem nun Till Eulenspiegel im Kloster aufge-
nommen
worden war, kam ein Schwarm Scholaren vor die Kloster-
pforte.
Die lustigen Brüder taten gar fromm und begehrten um Got-
tes
willen ein Nachtlager, und wenn es angehe, einen Bissen Brot,
dazu ein Schlückchen Wein. Da lächelte Eulenspiegel, führte sie in
den Saal, schleppte aus der Küche alles heran, was da war, Fleisch,
Schinken, Würste, Eier und Gebackenes, das setzte er ihnen vor. Dann
schlug er ein Faß Wein an und zapfte es ab und setzte sich mit den
lustigen Vögeln zu Tisch und zechte mit ihnen. Die ausgehungerten
Burschen freuten sich nicht wenig, als ihnen so reichlich aufgetragen
ward, machten sich fleißig darüber her, und was sie nicht vertilgten,
das verschwand in ihren Schnappsäcken. Als dann der Wein seine
Wirkungen übte, da ging ein lustiges Leben in den heiligen Kloster-
räumen
los. Da wurde gesungen:
Haec est illa bona dies - Heut' ist nun jener schöne Tag,
und:
Mihi est propositum in taberna mori,
Mir ist bestimmt, im Wirtshaus einst zu sterben,
sodann:
Der liegt im Klosterkeller,
Er hat ein hölzern Röcklein an
Und heißt der Muskateller;
oder:
Du hast mich vom großen Durst erlost,
der wurden von dem Getöse wach, glaubten nicht anders, als daß
Hexensabbat im Kloster sei, standen aber nicht auf, um dem Umfug
zu steuern. Der Prior war taub und hörte nichts, der Abt aber wohnte
in einem anderen Gebäude und schlief den Schlaf des Gerechten. Also
lärmten Eulenspiegels Gäste unbehelligt weiter, bis einer nach dem
andern unter den Tisch fiel.
Am andern Morgen sahen der Abt und die Brüder mit Grausen
die Bescherung und trieben die Schmarotzer aus dem Hause. Da sagte
der Abt zu Eulenspiegel: "Es ist nicht fein, solche Völlerei im Klo-
ster
zu erlauben, das sollst du dir merken."
Eulenspiegel antwortete: "Gnädiger Herr, Ihr befahlt mir, die
Leute einzulassen, Kost aus der Küche, dazu Bier und Wein zu holen.
Nun habe ich nach Befehl getan, so gut das mir einfältigem Laien-
bruder
gelingen wollte."
Darauf sagte der Abt: "Bei unserer Lieben Frau, wenn wir alle,
die zu uns kommen, so bedienen wollten, dann könnten wir bald
mit dem Bettelsacke von Haus zu Haus wandern, und das Kloster
würde arm. Von allen, die kommen, darfst du nur den dritten Mann
einlassen. Merke dir das!"
"Das will ich mir gewiß merken", antwortete Till Eulenspiegel de-
mütig.
Von der Zeit an übte Eulenspiegel eine andere Schalkheit. Er
ließ nur den dritten Mann ein und sperrte auch die Brüder aus,
die doch in das Kloster gehörten. Die mußten dann sehen, wo sie
unterkamen. Das ging einige Tage gut, dann erfuhr es der Abt. Er
ließ Eulenspiegel zu sich kommen und sprach zu ihm: "Fängst du im
Kloster Narrenstreiche an? Wie darfst du die Brüder aussperren, die
doch in das Kloster gehören?"
"Herr", antwortete er, "ich habe nach Eurem Gebote immer den
Dritten eingelassen, damit die andern das Kloster nicht arm essen.
Es sollte mir leid tun, wenn ich es anders geübt hätte, als Ihr mich
befohlen habt."
"Das ist mir eine ausgesuchte Schalkheit", sagte der Abt, "mir
machst du kein X für ein U. Ich kann dich als Türschließer nicht
mehr gebrauchen und will einen andern an deine Stelle setzen."
Das war dem Schalk auch recht, denn das wenige Arbeiten war ihm
wieder leid geworden, und der Müßiggang gefiel ihm weit besser. Da
schlenderte er denn in den Ställen, in der Mühle, im Brauhaus und
der Bäckerei umher und trieb aus Langeweile Narrenpossen. Da er-
wischte
ihn der Abt einmal im Klostergarten und sprach zu ihm:
"Was treibst du hier, Eckensteher?"
"Ach, Herr", sagte er, "ich Basche ein Vöglein und glaubte fast,
es ginge mir wie jenem Bruder in Heisterbach am Rhein, der drei-
hundert
Jahre lang einem solchen Tierlein nachstellte, weil er ein
Zweifler war. Wie ich Euch aber nun sehe, erfahre ich selber, daß ich
nicht zweifle."
"Ich aber zweifle, daß ich dich lange im Kloster behalten werde,
denn du scheinst mir zu nichts nütze zu sein", antwortete der Abt.
"In Mariental werden keine Vogelfänger geduldet. Ich sehe, ich muß
dir eine Beschäftigung geben, damit du nicht wieder auf Narren-
streiche
kommst. Du sollst mir in der kommenden Nacht, wenn es
zur Mette geht, die Brüder zählen, die in die Kirche gehen, denn ich
weiß wohl, daß es einige darunter gibt, die lieber auf den Betten
liegen bleiben." Damit ging er.
Eulenspiegel aber dachte: Das ist ein schwieriger Auftrag, denn
wer kann im Dunkeln sehen, wieviele Männer nach der Kirche gehen!
Also riß er einige Stufen von der Treppe ab, über die die Mönche
gehen mußten, und wartete, bis die Glocke läutete. Da kam zuerst
der Prior, der ging seinen ruhigen, bedächtigen Schritt. Als er aber
an die Lücke kam, plumpste er hinunter und schrie vor Schreck. Nun
wollten die andern Brüder sehen, was ihm zugestoßen sei, liefen und
das alles wahr, und so oft er einen fallen hörte, schnitt er eine Kerbe
in sein Merkholz. Die Mönche kamen nun zwar mit dem Schrecken
davon, klagten aber über ihren Unfall beim Abte. Da wurde dieser
sehr böse und sagte zu Eulenspiegel: "Du bist ein verdammter Schalk,
nicht zu bessern oder zu retten. Gehe zum Teufel und kehre nicht
wieder! Vorher aber sollst du die Geißel spüren."
Als Eulenspiegel dieses Wort hörte, empfahl er sich, ohne Abschied
zu nehmen. Sie hielten zwar an der Pforte Wache, um ihn nicht un-
gestraft
entweichen zu lassen. Er aber hatte sich bereits vorher für
den Fall der Not ein Loch in der Scheune gebrochen und entwischte
ihnen, ohne seine Lektion geschmeckt zu haben.
Giftmischerei in Mölln
Von Mariental aus begab sich Eulenspiegel nach Mölln und wurde
da sehr krank. Er wohnte bei einem Apotheker, denn er glaubte,
daß ihm da am besten geholfen werden könnte. Doch mußte er sich
gleich zu Bett legen, denn alle Glieder taten ihm weh. Der Apothe-
ker
war aber auch ein Schalk, der gerne andere hinter das Licht
führte. Da wohnten denn zwei Schälke unter einem Dache.
Der Apotheker dachte: Eulenspiegel ist ein verlorener Mann, der
tut keinem mehr etwas, du willst ihm einen Streich spielen zum Lohn
dafür, daß er so viele betrogen hat. Als Eulenspiegel nun ein schmerz-
stillendes
Mittel verlangte, reichte er ihm eine scharfe, ätzende Medi-
zin,
so daß er nur noch größere Schmerzen empfand.
Da stand er auf und wollte den Apotheker fragen, warum er ihm
solche Pein bereitet hätte. Der aber war ausgegangen und hatte das
Gibst du solche Medizin, dann nützt deine ganze Apotheke nichts.
Er nahm alle Büchsen und Phiolen, leerte sie auf einen Haufen, goß
die Mixturen und Brühen darüber und sagte: "Es ist besser, alle Arz-
neien verderben, als daß die Kranken dadurch kränker gemacht
werden."
Als der Apotheker nach Hause kam und den Schaden besah, wurde
er wütend und ließ gleich Leute kommen, die den Kranken in das
Spital bringen mußten, denn er hatte eingesehen, daß zwei Schälke
sich in einem Hause nicht vertragen können.
Die zornige Begine
Zu Eulenspiegels Zeit gab es viele fromme Leute, die in beschau-
lichem
Dasein lebten, still und abgesondert, und die gern Liebes-
werke
verrichteten, wenn sich die Gelegenheit hierzu bot. Manchen
sagte man freilich nach, sie meinten es nicht ehrlich. Das waren die
Beginen. Nun war eine unter ihnen, die ging gern in das Spital,
um die armen Kranken zu trösten. Als sie hörte, daß Eulenspiegel
im Hause sei, freute sie sich sehr, den argen Sünder auf gute Wege
bringen zu können, denn das hatte sie ernstlich vor und zweifelte
nicht am Erfolg ihrer Bemühungen. Sie machte sich auf den Weg und
fand den Schelm sehr leidend. Das erbarmte die gute Frau, und sie
fragte ihn mitleidig: "Wo seid Ihr denn krank, Eulenspiegel?"
"Hier in diesem Zimmer", antwortete er, um bei der Wahrheit
zu bleiben.
"Ach, Ihr müßt das genauer sagen", fragte sie weiter, "denn mit
dieser Antwort gebe ich mich nicht zufrieden. Denkt, ich bin eine
auch schon manche arme Seele geheilt, die dann in die Ewigkeit abge-
fahren ist. Also, wo seid Ihr krank?"
"Nun, zwischen der Bettlade und der Wand", gab er zurück. Die
Begine hätte nun lieber gehört, daß er ihr seine Sünden geklagt
meinte. Die Antwort gefiel ihr also nicht, doch dachte sie: Wer die
Mühe scheut, der macht aus einem Schalk keinen Engel.
Also fuhr sie fort, dem argen Sünder zuzureden, er möge "Gottes
Recht"nehmen und seine vielen und schweren Sünden beichten, dann
wäre ihm der Tod süß.
"Ach, liebe Frau", antwortete er, "der Tod ist allemal eine bittere
Pille, es ist nichts Süßes daran."
"Wäre mir doch lieb, wenn Ihr mir ein süßes Wort sagtet", fuhr
sie hartnäckig fort.
"Honig!" erwiderte er.
Auch dadurch wollte sich die fromme Frau nicht abschrecken las-
sen.
Sie fing ihren Heilsweg nun auf andere Weise an. "Sagt mir doch,
lieber Eulenspiegel, habt Ihr in Eurem langen Leben wohl etwas Gu-
tes
getan? Denn Ihr wißt doch, daß gute christliche Werke viel wert
sind für einen, der sich zum letzten Gange rüstet."
"Gute Werke habe ich viel getan in meinem Leben, wo ich hätte
Böses tun können", erwiderte er. "Nie habe ich den Wein mit Was-
ser
verdünnt, so oft ich dazu Gelegenheit hatte, nie einen Jäger aus-
gehöhnt,
der einen Hasen fehlte, nie die Hühner verwünscht, wenn
ich ein faules Ei fand, auch den frommen Leuten in der Kirche nicht
den Platz weggenommen, wie das manche tun, die nur nach ihrer
Bequemlichkeit fragen und sich in den Kirchstühlen faul hinrekeln,
während sie beim Wein im Wirtshause sitzen sollten. Ich habe vom
Brot nie die Rinde abgeschnitten. Von Kirschen und Pflaumen ließ
ich stets die Steine übrig, auch war mir das Braune vom Braten
immer lieber als das andere. Sehr genau habe ich's mit den Sonn-
und Feiertagen gehalten, an denen verboten ist, zu arbeiten. Ja, ich
habe wochen- und tagelang überhaupt nicht gearbeitet, damit ich
nicht einmal durch sündhaftes Schaffen den heiligen Tag aus Ver-
sehen
entweihen möchte. Dann habe ich mein Lebtag immer be-
hauptet,
daß die Milch weiß, das Wasser naß und der Mond rund
wäre, denn ich bin allezeit ein Freund der Wahrheit gewesen."
"Das sind aber alles lästerliche Reden", sagte die Begine. "Ihr
wollt mich wohl nicht verstehen. Tut Euch denn Eure Sünde nicht
leid, Eulenspiegel?"
"Nur eins tut mir leid", sagte er.
"Und was wäre das?" forschte sie begierig.
"Das ist", sagte er, "daß ich das Geschwätz einer alten Betschwe-
ster
anhören muß und ihr nicht den Mund verbieten darf."
Nun wurde aber die Begine giftig. "Jetzt sehe ich, daß du ein
rechter Schalksnarr und Höllenbraten bist. Mit der alten Betschwester
meinst du natürlich mich, wo ich es doch so gut mit dir meine. Geh
zum Teufel! Du wirst den Weg dahin schon allein finden." Damit
ging sie sehr zornig davon.
Eulenspiegel aber lachte und sagte: "Es ist keine Begine so an-
dächtig:
wenn sie zornig wird, so ist sie ärger als der Teufel." Diese
Worte hatte sie noch gehört und wollte ihm scharf antworten; weil
ihr aber vor Arger die Stimme verging, sah sie ihn nur grimmig an
und drohte ihm mit der Faust.
Noch einmal von der Schwarzen Kunst
Eulenspiegel führte in Kisten und Kasten viel Gerümpel mit sich,
allerhand Dinge von geringem Werte, die er zu seinen Narrenstrei-
chen
nötig hatte. Da hatte sich nun das Gerücht verbreitet, daß er
sehr reich sei.
Als die Begine nach Hause zurückkehrte, erzählte sie, wie Eulen-
spiegel
sie beleidigt habe und wie sie ihm dafür grolle. Das hörte ein
frommer Weber, der sich auch zu den Beginen hielt, und dachte:
Was der guten Brigitte mißglückt ist, könnte mir vielleicht geraten,
aber Eile tut not, er könnte sonst sterben. Also ging er zu dem Kran-
ken,
um ihn zu trösten. Schließlich sagte er: "Eulenspiegel, Ihr seid
ein reicher Mann, habt Fürsten und Herren zu Eurem Vorteil gedient
Glücksgüter nicht mit Euch nehmen. Dazu habt Ihr weder Ver-
wandte noch Freunde, soviel ich weiß, denen Ihr Eure Schätze ver-
machen könntet. Hört darum den Vorschlag eines Mannes, der Euch
wohl will. Vermacht mir einen Teil von dem Segen, der Euch jetzt
zur Last wird, dann werde ich für Euer Seelenheil Vigilien halten und
Messe lesen lassen, und Euer Andenken soll bei mir ein gesegnetes
bleiben."
"Ich gebe Euch in allen Punkten recht", antwortete Eulenspiegel,
"kommt heute nachmittag wieder, da sollt Ihr mich beerben." Der
fromme Weber ging auf diesen Bescheid hin froh heim. Inzwischen
hatte sich Eulenspiegel seinen Hausrat bringen lassen und fand darun-
ter
einen Topf, der mit Teer gefüllt war. Damit hatte er schon man-
chem
ein Schnippchen geschlagen. Der schien ihm gut geeignet für
sein Vorhaben. Er legte oben auf einige Münzen, so daß die Ober-
fläche
bedeckt war, und erwartete mit Behagen den Erbschleicher.
Der kam auch richtig zur festgesetzten Zeit an und freute sich nicht
wenig auf das, was kommen sollte.
Eulenspiegel aber sprach zu ihm: "Lieber Freund, da ist ein Teil
meines Vermögens. Nehmt Euch, soviel Ihr mögt, doch rate ich Euch,
die Hand nicht zu tief hineinzustecken."
Der fromme Weber machte große Augen, als er den Reichtum sah,
und dachte: Du willst nicht der Dumme sein und dich nur mit einem
Kinderhändchen voll der Gottesgabe begnügen. Also griff er tief
hinein in den Topf, um eine tüchtige Handvoll des Segens zu er-
beuten.
Da fühlte er, daß er in etwas Weiches faßte, zog die Hand
heraus und sah, daß diese mit schmierigem, übeiriechendem Teer ge-
füllt
war.
Da ließ er die Maske fallen und sprach:
"0 du Erzbösewicht! Nahe vor deinem Ende willst du einen from-
men
Mann noch betrügen! Eine solche Schalkheit muß zeitliche und
ewige Strafe nach sich ziehen."
Eulenspiegel antwortete: "Euch geschieht nach Wunsch. Ich sagte
Euch gleich, Ihr möchtet die Hand nicht zu tief hineinstecken. Aber
Ihr wolltet ja nicht hören."
Der Weber aber ging zornig mit seiner Hand voll Teer nach Hause.
"Nehmt doch die Münzen mit!" rief ihm Till noch nach. Der aber
antwortete wütend: "Du hast dich mit der Schwarzen Kunst einge-
lassen,
ich will von dir nichts besitzen. Geh zur Hölle und büße da
deine Schalkheit!"
Eulenspiegel aber lachte und sagte: "Wenn der frömmste Mann
kein Geld bekommen hat, so kann ihn keiner von einem Erzschelm
unterscheiden."
Sein letzter Wille
"Als es mit Noah ging zu End, gedacht er an sein Testament."
Nach dieser alten Regel setzte auch Till Eulenspiegel seinen letzten
Willen auf und bedachte dabei als guter und redlicher Hausvater seine
Freunde, den Rat von Mölln und den Kirchenvorstand.
"Dies ist mein letzter Wille", hieß es in der Urkunde, "es sollen
meine guten Freunde, Klaus der Zimmermann, Gottlieb der ehrbare
Nachtwächter, Kunst der Henker und Lieb der Schinder, einen Teil
von meinem Vermögen besitzen, den zweiten der hochweise und ehr-
würdige
Rat der Stadt, den dritten Franz Greve, der hochwürdige
Herr Pfarrer, dazu die heiligen Vikare. Und so bestimme ich, daß
mehr und nicht weniger. All mein Vermögen befindet sich in einer
mit Eisen beschlagenen Kiste, die mit kostbaren Schlössern verwahrt
ist, doch bestimme ich, Till Eulenspiegel aus Kneitlingen, daß sie erst
vier Wochen nach meinem Tode geöffnet werden darf im Beisein der
drei Parteien. Bis dahin will ich in geweihter Erde begraben sein, und
man soll Vigilien und Seelenmessen für mich, als einen guten Chri-
sten, abhalten.
So gegeben in Mölln unter meinem Insiegel."
An der Echtheit dieses Dokuments war kein Zweifel, denn des
Schalks Eule samt dem Spiegel war darunter in Wachs abgebildet.
Als nun Eulenspiegel gestorben und begraben war, konnten die
lachenden Erben kaum die Zeit erwarten, die Kiste mit den Herrlich-
keiten
zu öffnen.
Endlich kam der Tag, die Kiste wurde geöffnet, doch fand man
darin nichts weiter als einen schweren Pflasterstein. Da waren sie alle
sehr enttäuscht und kamen sich in die Haare, wie das bei Eulenspie-
gels
Zeiten unter Erben üblich war. Eine Partei beschuldigte die an-
dere,
den Schatz entwendet zu haben, und erst später, als sie sich den
Fall überlegten, kamen sie zu der Einsicht, daß sie der Verstorbene
überlistet haben könne, und sie bereuten, daß sie ihn in geweihter
Erde bestattet und ihm Seelenmessen gehalten hatten, denn zu jener
Zeit waren die Menschen nicht so gesittet wie früher oder später, und
es tat not, daß ein Mann wie Eulenspiegel dazu berufen war, sie zu
bessern, freilich nach seiner komischen Weise.
Wie ein Narr begraben wird
Als Eulenspiegel gestorben war, kamen die Klageweiber und be-
weinten
ihn. Dann taten sie ihn in einen einfachen Sarg und setzten
ihn auf eine Bahre im Hausflur. Darauf kam die Geistlichkeit von
Mölln, um die Vigilie zu singen. Viele Leute kamen zum Spital und
die mußten wohl nicht recht auf die Ställe achtgegeben haben, denn
während der heiligen Handlung drangen die Schweine in den Haus-
flur, warfen die Bahre um und störten die ganze Trauerversammlung.
Die Weiber wollten die Tiere verjagen, die aber - man weiß
doch, wie Schweine sind - brachten alles in Unordnung, stießen
die Leute und den Sarg um und liefen im Spital hin und her, und es
kostete Mühe, sie zu vertreiben.
Dann kamen die Träger und hoben den Sarg auf, um ihn zum
Kirchhof zu bringen. Sie nahmen ihn, wie er war, und sahen erst am
Ziele, daß der tote Schalk auf dem Bauche lag. Da lachte alles, und ein
Weiser sagte: "Er zeigt selber, wie er liegen will, tun wir ihm denn
seinen allerletzten 'Willen."
Als sie den Sarg nun auf die Seite legten, um ihn, wie es Brauch
war, in das Grab hinabzulassen, riß zufällig das Seil am Fußende, und
der Sarg schoß in das Grab, so daß Eulenspiegel aufrecht darin stand.
Da sagte derselbe weise Mann: "Laßt ihn nur stehen, wunderlich ist
er gewesen im Leben, wunderlich will er auch sein im Tode."
Da warfen sie das Grab zu und setzten ihm einen Leichenstein, auf
dem zu lesen war:
Hie stat Ulenspiegel begraben.
Dazu meißelten sie sein Wappen ein, eine Eule und einen Spiegel.
Till Eulenspiegel! — Viele Narrenstreiche sind mit diesem Namen
verknüpft, die bei aller Derbheit voll gesunden Humors und echter
Volkstümlichkeit sind.
Till Eulenspiegel lebt unter uns fort als das Urbild des fahrenden
Gesellen aus einer Zeit, in der das einst so mächtige und glanzvolle
Heilige Römische Reich Deutscher Nation zum Spottbild kaiser-
licher
Macht und zum Spielball händelsüchtiger Landesfürsten herab-
gesunken
war, in dem strenge Zunftgesctze und Ortssatzungen jede
freie Regung erstickten, und eine harte, oft unmenschliche Justiz
Bürgern und Bauern das Leben erschwerte.
Der lockere Gesell Till Eulenspiegel ist stets bei der Hand, wenn
es gilt, Geistlichen und ehrsamen Bürgern ein Bein zu stellen. Nie
versagt sein Mutterwitz und er ist darin allen noch so gelahrten Pro-
fessores
und Doktores weit überlegen. Seine Späße sind derb und oft
wenig rücksichtsvoll. Mehr als einmal streift er nach damaligen Be-
griffen
den Galgen, vor dem ihn schließlich immer wieder nur seine
unverfrorene Keckheit rettet.
Dieser Till Eulenspiegel wurde nach und nach in den Erzählungen
aus dem Leben der Fahrenden jener Zeit der Held vieler Streiche,
die ein einzelner nie hätte ausführen können. Sein Name nimmt
seine Deutung aus der Spruchrede jener Zeit, die da sagt: Der Mensch
erkennt seine Fehler ebensowenig, wie ein Affe oder eine Eule, die
in den Spiegel sehen, ihre eigene Häßlichkeit erkennen.
Der älteste bekannte Druck von "Till Eulenspiegel" stammt aus
dem Jahre 1519. In diesem erzählt der nicht genannte Verfasser in
seiner Vorrede, daß er von mehreren Personen aufgefordert worden
sei, die Streiche "des behenden, listigen und durchtriebenen Bauern-
sohnes"
zu beschreiben, "um dem Lesenden ein fröhlich Gemüt zu
machen in schweren Zeiten". — Er erwähnt außerdem, daß er ein
schlichter, der lateinischen Sprache unkundiger Laie sei. Liest man
sein Buch aber aufmerksam, so wird man finden, daß der Verfasser
entgegen seiner Versicherung ein Geistlicher gewesen sein muß. Da-
für
spricht seine Vorliebe für Schilderungen kirchlichen Lebens und
sein zungenkräftiges Herfallen über Ketzer und Beginen. — Der
Schlauberger mag gewußt haben, warum er seinen Namen ver-
schwieg!
— Er vervollständigte sein Buch mit Anekdoten des Pfaf-
fen
vom Kalenberg. Manche wollen in ihm Thomas Murner (1475
bis 1537) erkennen, der zu jener Zeit seine derbhumorvolle "Schel-
menzunft"
sowie die nicht minder allerlei Zeitgebrechen anprangernde
"Gäuchmatte" schrieb. Mag diese Mutmaßung nun stimmen
oder nicht - "Till Eulenspiegel" war und ist eines der beliebtesten
Volksbücher, dem schon Hans Sachs manchen Stoff für seine Rüpel-
spiele
entnahm und das so recht ein unsterbliches Zeugnis herzhaf-
ten
Volkshumors ist.