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Inhaltsverzeichnis
Till Eulenspiegel 5
Eine Taufe mit Hindernissen 7
Der kleine Tüftler 8
Was ein Häkchen werden will, krümmt sich beizeiten 10
Des Guten zu viel 13
Eine Bosheit für eine andere 14
Till Eulenspiegel will hoch hinaus 15
Wer zuletzt lacht, lacht am besten 16
Till Eulenspiegel verdient sich den Galgen 18
Er verlangt Nachsicht 20
Beim Wort genommen 22
Das Glück auf der Landstraße 24
Guter Rat kommt nie zu spat 25
Till Eulenspiegel versucht es mit der Bäckerei 28
Windbeutelei in Ülzen 31
Schlechte Geschäfte dürfen die Laune nicht verderben 34
Er kann es dem Schuster nie recht machen 36
Die Narrenküche 40
Ein unverschämter Einfall 42
Übel angebrachte Frömmigkeit 45
Allzufeine Arbeit 46
Die Kunst wird nicht belohnt 47
Vergebliche Mühe 48
Die drei Schneider 50
Das große Geheimnis 54
Der Schalk in der Schmiede 57
Der Schmied will ihn zähmen 58
Betrogene Betrüger 6i
Kein Glück bei der Tuchmacherei 65

Der Faulpelz in den Pelzen 69
Nirgends ist Dank zu verdienen 71
Die Wahrheit wird nicht überall gern gehört 74
Seltsame Wäsche 76
Falscher Hase 78
Großes Mißverständnis in Dresden 8i
Er zeigt seine Fertigkeit im Lederbereiten 83
Lustige Streiche in Hamburg 85
An Ihm ist Hopfen und Malz verloren 88
Er kann nicht nur für einen Bauern sondern auch für einen Junker kochen 91
Eine tolle Fahrt 96
Eulenspiegel ist in einer unglücklichen Stunde geboren 99
Gefährliche Bauspekulation 100
Die Beamten in der alten guten Zeit 102
Eulenspiegel pfuscht dem Ruhlaer Schmied ins Handwerk 105
Schlechte Aussichten 108
Der Höhepunkt der Kochkunst 110
Ein Narr findet mehr Glauben als ein Weiser 114
Till Eulenspiegel auf dem Hungerturme 116
In seinen vier Pfählen bleibt jeder unangefochten 121
Das Geschenk des Königs 125
Stiefel muß sterben 127
Eulenspiegel als Landbesitzer 129
Die größte Zunft 132
Der Doktor der Büberei 136
Eulenspiegel findet Gefallen an der Heilkunst 139
Boshafte Neckerei 141
Der ungläubige Wirt 144
Er macht hohen Herrschaften etwas weis 147
Ein hartes Lager 156
Schall und Rauch 158
Lebensweisheit und Bücherkram 160
Eulenspiegels Lebensweisheit 161
Der Gipfel der Unverschämtheit 163

Eine andere Zechprellerei . 166
Ein Narr kann mehr fragen, als sieben Weise beantworten können 167
Ein gelehriger Schüler 171
Billiges Fleisch in Erfurt 175
Nicht jeder wird durch Schaden klug 176
Ein böses Pfänderspiel 177
Der geprellte Weinzäpfer 179
Der Fuchs im Eisen 181
Der lustige Pfeifenmacher 183
Wahrheit im Überfluß 187
Seltsamer Milchhandel in Bremen 190
Die zwölf Blinden 192
Böse Saat bringt keine guten Früchte 200
Bestrafte Ruhmredigkeit 207
Man muß eine Sache nicht verkehrt anfassen 213
Der Buchstabe tötet 215
Doppelt gibt, wer bald gibt 217
Er kann nicht genug Prügel bekommen 218
Die Schwarze Kunst 219
Ein Vater kann leichter sieben Kinder ernähren als sieben Kinder einen Vater 223
Der Appetit kommt nicht immer mit dem Essen 225
Farbenblindheit in altdeutscher Zeit 227
Eulenspiegel wird von einer Bäuerin betrogen 230
Wieder von einer Tasche 232
Wie Eulenspiegel ein Weißmns allein ausaß 234
Er räuchert eine Gesellschaft aus 236
Ungenügende Sühne 239
Die Galgenreue 241
Giftmischerei in Mölln 247
Die zornige Begine 248
Noch einmal von der Schwarzen Kunst 251
Sein letzter Wille 253
Wie ein Narr begraben wird 255
Nachwort 257
Der Urfassung aus dem Jahre 1519
nacherzählt von Robert Münchgesang
Zeichnungen: Wilhelm M. Busch
67.-76. Tausend der Gesamtauflage
Sämtliche Rechte vom Verlag vorbehalten. 21/12. N50-
10
Enßlin-Druck Reutlingen. Bestellnummer 2802



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Ein kurzweilig Lesen
vom


Till Eulenspiegel

und was er
für seltsame Possen
getrieben hat


Enßlin & Laiblin Verlag Reutlingen



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Lenkt einmal ein Wanderer seine Schritte nach dem von lichten
Buchenwäldern und lieblichen Seen umgebenen Städtchen Mölln süd-
lich Lübeck, so wird er auf dem alten Friedhof einen Grabstein finden,
der eine gar merkwürdige Inschrift trägt. Sie sagt nämlich:

Diesen Stein soll nieman erhaben
Hie stat Ulenspiegel begraben
Anno domini MCCCL jahr

Es muß wohl ein seltsamer Kauz gewesen sein, der da seit 1350 in
seinem Grabe steht und nicht wie andere Christenmenschen liegend
des Jüngsten Tages harrt.

Und so verhält es sich auch! Ein wunderlicher Gesell war dieser
Till Eulenspiegel. Kreuz und quer führte ihn ein unstetes Wander-
leben durch die deutschen Lande. Immer war er bereit, seine Mit-
menschen durch launige Streiche und lustigen Schabernack zu fop-
pen und manchmal auch - zu ärgern.



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Viele Streiche werden von ihm erzählt, manchmal auch schlechte, die
aber nur böser Wille gerade ihm ankreidet. Von diesen zu erzählen,
lohnt beim besten Willen nicht. Seine neckischen Schwänke und
übermütigen Foppereien verdienen aber wohl, daß man sie immer
wieder einmal liest. Läuft einem hin und wieder etwas Widriges
über den Weg, so tut es gar gut, wenn einem ein herzhaftes Lachen
die gute Laune zurückbringt. Zudem steckt in Till Eulenspiegels
Narrheiten oft ein gutes Körnlein Lebensweisheit, die man sich ruhig
hinter die Ohren schreiben kann.

Wenn nun gar einer daran zweifeln wollte, daß Till Eulenspiegel
wirklich gelebt habe - ist der Grabstein zu Mölln etwa nicht der
beste Beweis für Eulenspiegels Erdendasein?

Wie Till Eulenspiegel so manches anders machte als seine Mitmen-
schen, so ist es nicht verwunderlich, daß man bei ihm, will man von
seinem Leben berichten, mit diesem Grabstein beginnen muß, indes
man sonst den Lebensweg berühmter Männer von der Wiege an zu
begleiten pflegt.

Für die Zweifelsüchtigen gibt es aber noch andere Beweise, daß Till
Eulenspiegel wirklich gelebt haben muß! Greift man zu Mölln nur
kräftig in den Beutel, so zeigen sie einem dort einen alten verroste-
ten Degen und ein Stück bandartiges Eisen, das gleich einer Brille
zurecht gebogen ist. Beides soll wahr und wahrhaftig dem Lieblings-
narren des deutschen Volkes gehört haben! — Wer will da noch
zweifeln, daß Till Eulenspiegel wirklich gelebt hat - — —



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Eine Taufe mit Hindernissen

Klaus Eulenspiegel, einem biederen Einwohner zu Kneitlingen im
Braunschweigischen, war ein Söhnchen geboren worden. Da er nun
große Stücke auf den Burgherrn Till von Ützen zu Ambleben hielt,
bat er diesen, den kleinen Erdenbürger aus der Taufe zu heben. So
kam es, daß das Knäblein den Namen Till erhielt.

Nachdem alle Taufgäste in der Herberge wacker jenem Biere zu-
gesprochen hatten, das man dortzulande Mumme nennt, zog die aus-
gelassene Gesellschaft mit Holdrio und Juchhei von Ambleben heim-
wärts nach Kneitlingen.

Als sie nun einen schlüpfrigen Steg überqueren mußten, unter dem
ein schmutziges Wasser träge dahinfloß, geschah es, daß die Kindsfrau
schwankte - sie hatte gar fleißig auf des Kindleins Wohl getrunken



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—und mit dem Täufling ins Wasser fiel. Es fehlte nicht viel, so wäre
der kleine Till gleich auf seinem ersten Lebenswege jämmerlich im
Schlamm erstickt.

Mit großem Hallo und Gelächter zog man die beiden aus dem
Morast heraus und begab sich eilends nach Kneitlingen. Dort wurde
Till, der schwarz wie ein Mohr aussah, mit warmem Wasser fein
säuberlich gewaschen.

Seine Mutter, eine geborene Anna Wiebecke, behauptete nun, ihr
Till sei dreimal getauft worden: zuerst in der Kirche zu Ambleben,
zum anderen Male im Moraste und schließlich daheim im Wasch-
zuber.


Der kleine Tüftler

Ein Ellenreiter - so nannte man in jenen Zeiten reisende Kauf-
leute - kam eines Tages mit seinem Pferde, den Mantelsack hinter
sich am Sattel festgebunden, durch Kneitlingen und forschte nach
dem Weg, der nach Schöppenstedt führt.

Da es gerade Erntezeit war, arbeiteten alle Leute auf den Feldern,
und er konnte keinen Menschen auf der Straße erblicken. Schließlich
hielt er vor dem Hause Klaus Eulenspiegels, bog seinen Oberkörper
in die halboffene Tür und rief:

"Ist denn niemand hier?"

"Anderthalb Mann und ein Pferdekopf!" antwortete eine feine
Stimme. Es war der dreijährige kleine Till, der sich allein im Hause
die Zeit vertrieb, so gut er konnte.

"Wie soll ich das verstehen?" fragte der Fremde.

"Das ist ganz einfach", erwiderte das Kind, "ich bin ganz hier,



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von dir ist aber nur die Hälfte im Haus und von deinem Gaul eben
nur der Kopf!"

Dem Kaufmann gefiel diese Antwort, da er aber nicht glaubte,
daß ihm der Kleine den Weg nach Schöppenstedt weisen könnte,
fragte er weiter nach Vater und Mutter des Bübleins.

"Mein Vater macht das Schlimme noch schlimmer; meine Mutter
aber holt sich Schaden oder Schande", meinte Till.

"Daraus soll einer klug werden! Wie meinst du das, du kleiner
Tüftler?"fragte der Ellenreiter.

"Mein Vater zieht Gräben auf dem Acker. Erst war es schon
schlimm genug für die Wagen, da zu fahren. Jetzt wird es aber so
schlimm werden, daß keiner mehr fahren kann. Meine Mutter ist ins
Dorf zum Bäcker gegangen. Dem will sie das Brot bezahlen, das wir
verzehrt haben. Gibt sie nun weniger als es wert war, so ist es ein
Schaden für den Bäcker und eine Schande für sie. Gibt sie aber mehr,
so ist es ihr Schaden und eine Schande für den Bäcker."

"Das läßt sich hören!" sagte der Kaufmann, "ich merke wohl,
du willst ein Rechtsverdreher werden. Weißt du kluger, kleiner
Mann nun aber auch den Weg nach Schöppenstedt?"

"Da mußt du dahin reiten, wo die Gänse gehen", gab ihm der
Kleine Bescheid. Der Reiter dankte Till und ritt den Gänsen nach.
Diese flogen aber erschreckt auf und flüchteten ins Wasser. Der Kauf-
mann kehrte zurück und rief dem Knaben zu:

"Du hast mir einen schönen Weg gewiesen! Die Gänse sind ins Was-
ser geflogen!"

"Ich habe dir ja auch nicht gesagt, daß du dahin reiten sollst, wohin
die Gänse fliegen! Du sollst reiten, wohin sie gehen!"

Da lachte der Kaufmann und dachte: Aus dem wird etwas Rechtes
oder ein Schalk!



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Was ein Häkchen werden will, krümmt sich
beizeiten

Till Eulenspiegel machte sich schon in früher Kindheit gar oft über
ehrbare Leute lustig. Er drehte ihnen lange Nasen, streckte die Zunge
heraus und schnitt Grimassen. Da riefen die Leute entsetzt einmal
über das andere: "Seht nur, was für ein boshaftes Kind! Pfui über
dich Schalk, der du bist!"

Die Mutter hielt den kleinen Till auch für einen Schelm, aber der
gutmütige Vater sagte: "Ich weiß nicht, was das Volk will. Der Junge
spricht kein Wort und sitzt ganz still, wenn die Leute vorbeikom-
men, und dennoch sagen sie von ihm, er sei ein Schalk. Es ist am
besten, wir ziehen in das Magdeburgische an die Saale, damit die Lä-
stereien ein Ende nehmen."

Das war ihm Ernst, aber ehe sie den Umzug ins Werk setzten,
wurden die Eltern vom Herrn Paten in Ambleben zum Kirchweih-
schmaus eingeladen. Dort ging es hoch her, es gab Braten und Würste
in Menge, auch ein großes Faß Bier ward angeschlagen. Und von
diesem Bier naschte Till heimlich so viel, daß er schwindlig und
müde wurde. Da suchte er sich im Garten ein trockenes und ruhiges
Plätzchen zum Schlafen, fand auch bald einen großen leeren Bienen-
korb und kroch hinein, um sich auszuruhen. Inzwischen war es stock-
finster geworden, aber das Fest war noch nicht zu Ende; auf der
Tenne wurde bei Lichterschein munter getanzt und gezecht, und der
Lärm wuchs mit jeder Stunde.

Da merkte natürlich keiner, daß sich ein paar Bösewichte in das
Gehöft einschlichen und sich am Bienenhause zu schaffen machten.
Sie wollten einen Bienenkorb stehlen, tasteten umher und suchten
den schwersten, denn mehr als einer hatte auf der kurzen Tragbahre,



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die sie mit sich führten, nicht Platz. Nun erwischten sie den, in wel-
chem Till Eulenspiegel schlief, luden ihn im guten Glauben auf und
trollten sich damit. Den Weg kannten sie im Finstern.

Inzwischen war Till Eulenspiegel aufgewacht, roch den Braten und
besann sich, wie er den beiden einen Possen spielen könnte. Der Korb
hatte einen Deckel, den hob er auf und zupfte den vorderen Träger
derb an den Haaren. Schwupp! war er wieder unter dem Deckel ver-
schwunden. Der Gefoppte verstand keinen Spaß, glaubte, sein Hin-
termann habe ihn necken wollen, und fing heftig an zu schelten.

"Was fällt dir ein, solch ein Kinderspiel mit mir zu treiben? Ich
muß die Hauptlast tragen, jeden Schritt mühsam suchen und ab-
wagen, und du zupfst mich an den Haaren, daß mir der ganze
Kopf weh tut!"



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Der andere blieb ihm die Antwort nicht schuldig. "Du bist
von jeher ein großer Narr gewesen", sagte er, "ich verstehe dein Ge-
schwätz nicht. Lauf, daß wir heimkommen!"

Nach einigem Hin- und Herreden beruhigten sich die Schelme.
Da schlüpfte Till Eulenspiegel wieder unter dem Deckel hervor und
zupfte nun den Hintermann so herb an den Haaren, daß der Dich
mit dem Kopf an den Korb stieß. Der wurde wütend und rief seinem
Gefährten zu:

"Was für ein Unverstand! Ich schleppe an dem schweren Korb, und
du Narr ziehst mich mit aller Kraft am Schopf! Ich will dir deine
Schelmereien eintränken!"

"Ei, wie du lügst!" erwiderte der Vordermann, "ich krümme mich
unter der Last, habe keine Hand frei und soll dich gar an den Haaren
gezogen haben! Du bist der Narr, der an den Haaren reißt, und willst
durch solches Geschwätz nur deine Büberei verdecken."

So haderten die beiden miteinander. Till Eulenspiegel aber be-
lustigte dieses Hin und Her gar sehr. Das kann gut werden, dachte
er. Nach einiger Zeit schlüpfte er wieder heraus und zerrte den
Vordermann - denn der war jetzt an der Reihe - so heftig an sei-
ner Mähne, daß der Mann sich vor Schmerzen bog.

"Nun wird's mir aber zu bunt!" schrie der Gefoppte, ließ Bahre
und Bienenstock fallen und fiel über seinen Kameraden her. "Du
sollst mir deine Schalkheit büßen!" rief er zornig.

Der Hintermann ließ nun die Bahre gleichfalls los und schlug auf
den Angreifer ein. Zu Tills größter Freude prügelten sich die Diebe
gegenseitig tüchtig durch, purzelten übereinander, trennten und ver-
loren sich schließlich in der Dunkelheit. Als Till merkte, daß sie fort
waren, schlief er in seinem Korbe wieder ein, und als es Tag wurde,
lief er heim nach Kneitlingen.



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Des Guten zu viel

Die Familie Eulenspiegel zog bald danach ins Magdeburgische in
einen Flecken, der nicht weit von Staßfurt an der Bode lag. Dort
starb Klaus Eulenspiegel, und seine Witwe schlug sich durch, so gut sie
konnte, und litt manchmal bittere Not. Das kümmerte aber ihren
Sohn Till sehr wenig. Der war allezeit lustig, trieb sich herum und
hatte allerlei Possen im Sinne.

Nun war es in dem Dorfe Sitte, die armen Leute mit Metzelsuppe
zu beschenken, wenn im Hause geschlachtet wurde. Mildtätige Frauen
legten dann wohl noch ein Würstlein oder ein wenig Wellfleisch in
den Topf, den die Armen zum Füllen brachten, und gaben auch reich-
lich Brot dazu.

In dem Dorfe war aber ein geiziger Meier, der diese milde Gabe
gern sparen und den Bettelleuten den Bittweg zu seinem Gehöfte ver-
leiden wollte. So rief er eines Tages Till Eulenspiegel, den Gassen-
buben, mit gut gespielter Freundlichkeit heran und lud ihn ein,
in seinem Hause eine schöne Metzelsuppe zu kosten.

Till, der immer gern dabei war, wo es etwas Gutes zu schnabu-
lieren gab, folgte selbstverständlich der Einladung. Da stellte der
filzige Meier eine große Schüssel auf den Tisch, in die er schimmelige
Brotrinden eingebrockt hatte. Das sah nicht sehr begehrenswert aus.
Indes, Till Eulenspiegel kostete davon und wollte dann gehen. Aber
da kam er schön an, denn der Geizkragen hatte die Tür zugeschlossen.

"Habe ich dich deshalb hereingerufen, daß du meine schöne Suppe
verachten sollst?" fuhr er ihn an. "Ich sage dir, du kommst mir nicht
früher auf die Gasse, bis du die ganze Schüssel geleert hast."

Ob nun Till wollte oder nicht, er mußte die ganze Schüssel aus-
essen, denn so oft er absetzte und sich ausruhen wollte, griff der



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Wirt nach einem Stecken und gerbte ihn durch. Till würgte also die
ganze Schüssel voll hinunter und wurde danach krank.

Der boshafte Meier aber dachte: Der kommt mir nicht wieder
und wird mir auch das andere Bettelvolk vom Leibe halten.


Eine Bosheit für eine andere

Einige Zeit darauf begegnete Till dem geizigen Meier. Der redete
ihn ganz freundlich an: "Wie ist es, lieber Till Eulenspiegel, hast du
nicht Lust, bei mir eine leckere Metzelsuppe zu essen?"
"Ich komme vielleicht früher, als dir lieb ist", sagte Till.

"Sei nicht dumm, mein Bester, für dich habe ich immer eine fette
Suppe übrig, und an der Zuspeise soll's auch nicht fehlen", sprach
höhnisch der Geizhals.

"Ich werde kommen", antwortete Till, "dann sollen sich vier
von deinen Hühnern um einen Brocken streiten."

"Mir scheint doch, daß dir die Lust vergangen ist", meinte der
Meier im Weggehen und lachte über seinen groben Witz.

Till Eulenspiegel aber wartete nur auf eine Gelegenheit, dem Bau-
ern einen garstigen Streich zu spielen. Als die Hühner des Meiers sich
auf der Straße sehen ließen, lockte er sie mit Brocken an, die er ins
Gras gelegt hatte. Die Hühner schluckten sie nach ihrer Weise hastig
hinunter und merkten nicht, daß je vier der Bissen mit Fäden ver-
bunden waren.

Da standen nun gegen hundert Hühner, immer vier zusammen,
und schluckten und zerrten an den Brocken, ohne sie los werden zu
können. Der Meier mußte sie alle schlachten. Nun gab es auf einmal
wohlfeile und gute Suppen im Dorf.



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Till Eulenspiegel will hoch hinaus

Der Witwe Eulenspiegel war es gar nicht recht, daß ihr Sohn so
wenig Lust zeigte, ein ehrbares Handwerk zu lernen. Er übte sich
vielmehr in den freien Künsten und tat das heimlich auf dem Haus-
boden, damit die Mutter nichts davon merken sollte. Dort hatte er
eine Leine gezogen und bildete sich als Seiltänzer aus. Aber die Mut-
ter bekam Wind von der Sache, nahm einen Besenstiel und wollte ihm
damit zu Leibe.

"Ha, du Lümmel", rief sie erbost, "diese Narrenpossen will ich dir
austreiben!"

Till Eulenspiegel war aber gescheiter als sie, lief behende das Seil
entlang, schlüpfte durch das Bodenfenster und kletterte wie eine
Katze auf den First des Daches, und dorthin konnte ihm die Mutter
natürlich nicht folgen.

Schlimmer ging es ihm ein andermal. Da hatte er das Seil von
der Bodenluke aus über die Bode - seiner Mutter Haus stand an
diesem Fluß — nach dem gegenüberliegenden Gebäude gezogen. So
konnte ihm niemand beikommen, und er durfte auf dem Seile nach
Herzenslust tanzen. An beiden Ufern stand nun jung und alt und sah
der Gaukelei mit größtem Vergnügen zu.

Seine Mutter bemerkte die johlende Menge und ahnte, daß ihr
Till wieder einmal seine Possen trieb. Schnell lief sie auf den Boden,
um ihm das Handwerk zu legen. Vergebens schalt sie und befahl ihm
herzukommen und die Narretei zu lassen. Als aber alles Schelten und
Befehlen umsonst war, wurde sie sehr böse, nahm ein Messer und
—ritz, ratz! schnitt sie das Seil entzwei, so daß der junge Gaukler für
seine Kunst mit einem Bad im Fluß belohnt wurde.

Da er sehr geschickt war, half er sich wohl aus dem Wasser wieder



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heraus, denn Unkraut verdirbt nicht, wie das Sprichwort sagt. Auch
ärgerte er sich nicht weiter, über den Zorn der Mutter, aber das Ge-
lächter und der Jubel der Buben des Dorfes verdrossen ihn sehr.

"Seht den da", schrien die Schlingel, "an drei Taufen hat er noch
immer nicht genug; was ein rechter Schalk ist, der muß freilich auch
jeden Tag ein Bad nehmen! He da, erst wollte er's den Vögeln gleich-
tun und in den Lüften schweben, und nun platscht er mit den Frö-
schen um die Wette."

Das habe ich davon, dachte Till, daß ich euch Faulpelzen die Lange-
weile vertrieben habe; aber wartet, ich zahle euch euern Spott heim.


Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Till Eulenspiegel hatte wieder einmal das Seil von Haus zu Haus
gezogen, und wieder hatte sich die Dorfjugend versammelt, um ihm
zuzusehen, und auch die Alten standen hinter Hecken und Zäunen
und gafften.

Eine Zeitlang tummelte sich Till auf seinem hohen Sitze, als aber
die Schaulust den Höhepunkt erreichte, bat er sich von allen Buben
den linken Schuh aus, um ein schönes Kunststück zu zeigen. So sagte
er wenigtens. Die dummen Knaben ahnten nichts Schlimmes und
reichten ihm arglos jeder seinen linken Schuh, so daß er bald hun-
dert Schuhe beieinander hatte. Die reihte er auf eine Schnur und
stieg wieder auf sein Seil. Das versprochene Kunststück blieb aber
aus, und der Gaukler schien sich ebenso wenig um die aufgehängten
Fußbekleidungen, wie um deren Eigentümer zu kümmern. Da wurde
schließlich die liebe Jugend ungeduldig und verlangte die entliehenen
Schuhe zurück. Till aber ließ sie zappeln.



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Endlich, als es ihm lange genug dünkte, hieß er die Buben auf einem
Platze zusammentreten, schnitt die Schnur durch, daran die Schuhe
aufgereiht waren, und ließ sie so mit einem Male auf die Köpfe der
Untenstehenden herabfallen.

Jeder versuchte so schnell wie möglich seinen Schuh zu ergreifen.
Einige langten zugleich nach einem Schuh. Jeder behauptete, er wäre
der seine. Sie gerieten einander in die Haare, zogen sich an den Ohren,
schlugen sich die Nasen blutig, schrien, weinten, tobten, schlugen Pur-
zelbäume, kurz, es war ein ergötzliches Drunter und Drüber. Schließ-
lich mischten sich auch noch die Alten ein, teilten Püffe und Maul-
schellen aus, warfen sich Grobheiten an den Kopf und verwünschten
schließlich allesamt Till Eulenspiegel, den Urheber der Prügelei. Der
aber hatte sich vom Seile weg in Sicherheit gebracht und wollte sich
schier totlachen.


Till Eulenspiegel verdient sich den Galgen

Seit diesem Abenteuer saß Till lange Zeit ganz still und friedlich
zu Hause und flickte Helmstedter Schuhe.

Darüber freute sich Mutter Anna sehr, denn sie glaubte, ihr Sohn
sei andern Sinnes geworden, wolle der Gaukelei entsagen und ein
fleißiger Arbeiter werden. Aber wie sehr täuschte sie sich! Till
war durchaus nicht gewillt, ein ehrbarer Handwerker zu werden, er
traute sich nur nicht aus dem Hause, denn er wußte wohl, daß ihm
alt und jung wegen seines Streiches mit den Schuhen Rache geschwo-
ren hatte.

Nach einigen Wochen lüstete es ihn aber doch, zu erfahren, ob die
Luft rein wäre. Da warf ihn zwar keiner mit Steinen, auch gingen



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sie ihm nicht mit Knütteln zu Leibe, aber er konnte doch merken, daß
ihm niemand grün war. Da beschloß er, einen anderen Sreidi auszu-
denken, damit die guten Leute die früheren vergessen sollten. Er trieb
sich lange herum, um etwas auszuspähen, und seine Mutter wurde
mit ihm täglich unzufriedener.

"Willst du wieder deine Schalkheit beginnen?" sagte sie, "du
solltest etwas Ehrbares treiben!"

"Wenn einer damit recht anfängt", entgegnete er, "so hört er sein
Leben lang nicht wieder auf!"

"Der Klaus, dein Vater, war ein anderer Mann", sagte sie, "der
brachte Brot ins Haus! Seit vier Wochen habe ich keinen Bissen Brot
gegessen. Schaffe welches, wenn du kein Schalk sein willst."

Das ist viel verlangt, dachte Till und ging nach Staßfurt.
Dort wohnte ein reicher, geiziger Bäcker, den wollte er prellen. Er
ging also dreist in das Haus hinein und begehrte einen Sack voll Weiß-
brot für seinen Herrn, den Pastor, dessen Knecht er sei. Den Sack
hatte er bei sich. Der Bäcker traute ihm aber nicht und verlangte
Geld für die Ware. Der Pfarrer werde zahlen, log Till. Da füllte der
Mann den Sack mit Weißbroten und rief dem Lehrbuben zu, er
solle Eulenspiegel begleiten und für das Geld sorgen. Also gingen
die beiden Burschen nach des Pfarrers Haus, und Eulenspiegel trug
den Sack. Der Sack hatte aber ein Loch, und als sie um die nächste
Ecke gebogen waren, ließ Till durch das Loch ein Brot fallen und tat
so, als wäre das Zufall gewesen. Der Lehrbub reichte es ihm wieder,
aber der Schalk setzte den Sack nieder und sagte:

"Das geht so nicht, das Brot ist schmutzig geworden, und schmut-
ziges Brot darf ich meinem Herrn keinesfalls bringen. Lauf zurück
und laß dir vom Meister ein anderes Brot geben, ich will hier auf dich
warten."



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Der Lehrbursche ahnte nichts Schlimmes und lief davon. Als er aber
keuchend vor Eifer wiederkam, war der Dieb verschwunden, und es
half dem Meister gar nichts, daß er zu dem Pfarrer lief und von die-
sem, der ja an der frechen Betrügerei unschuldig war, Zahlung ver-
langte.

Till Eulenspiegel aber kam mit seinem Raube nach Hause, übergab
ihn der Mutter und sagte: "Hier hast du Brot. Ich hatte große Mühe,
es zu bekommen, aber du hast nun wohl keine Ursache mehr, mir
vorzuwerfen, ich sei ein Schalk und ließe dich hungern!"
Die Mutter war zum ersten Mal mit ihm zufrieden und forschte
nicht weiter nach, wie er zu dem Reichtum gekommen war. Das taten
aber die Richter und Polizisten umsomehr. Sie fanden auch bald die
Spur des Spitzbuben, und er war nahe daran, eingesperrt zu werden.
Till Eulenspiegel roch aber Lunte und machte sich aus dem Staub;
um nie wieder in dieses Dorf zurückzukehren.


Er verlangt Nachsicht

Er lief, soweit ihn seine Beine trugen, und kam endlich tod-
müde in Buddenstedt im Braunschweigischen an.

In der Pfarre bat er um Unterkunft. Der Pfarrer war ein recht-
schaffener Mann und behielt Till Eulenspiegel auf seine Bitte als
Knecht bei sich. Es war aber noch eine Magd da, die nur ein Auge
hatte und schon jahrelang im Hause war.
"Du sollst so gut essen wie ich und die Magd", sagte der Pfar-
rer zu Till, "kannst vom Besten deinen Teil mithaben, und was die
Arbeit im Hause angeht, so kannst du dich mit der Magd darein tei-
len, brauchst also nur halbe Arbeit zu verrichten."



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Nach solch gütigem Bescheid nahm sich Till vor, ein anderes Le-
ben anzufangen, seine Pflicht recht zu tun und alle Narreteien zu
unterlassen. Aber sein guter Vorsatz hielt nicht lange an.

Eines Tages hatte die Magd zwei Hühner an den Bratspieß ge-
steckt, die sollte er wenden und recht beträufeln. Da bekam er großen
Hunger, nahm eins von den Hühnern und aß es ohne Brot auf.

Da kam die Magd hinzu, sah, daß nur noch ein Huhn am Spieß
steckte, und fragte, wo das andere Huhn geblieben sei.

"Ei, seht doch recht hin", erwiderte er, "so werdet Ihr es schon
sehen."

"Ich sehe aber nur ein Huhn", rief sie.

"Natürlich", gab er zurück, "weil Ihr eben nur ein Auge auftut.
Tut das andere auch auf, so werdet Ihr es schon erblicken."

Alles konnt die Magd leiden, nur nicht, daß einer auf ihre Ein-
äugigkeit anspielte; sie wurde daher sehr zornig und verklagte den
neuen Knecht bei dem Pfarrer.

Der Pfarrer kam und sagte: "Lieber Knecht, es steckten doch zwei
Hühner am Spieß, wie die Magd sagt."

"Eben darum habe ich ihr gesagt, sie möchte ihre beiden Augen
nur recht auftun, damit sie beide Hühner sähe", antwortete er.

Da lachte der Pfarrer und sagte: "Da hast du von ihr zu viel ver-
langt, denn sie ist einäugig."

"Das sagtet Ihr, nicht ich", unterbrach ihn der Schalk, "ich würde
mich wohl hüten, Eure Magd so zu beleidigen."

"Du tust wohl daran, wenn du sie nicht beleidigst", meinte der Pfar-
rer, "aber nun sage mir, wo ist das andere Huhn geblieben?"

"Das hängt am Spieße", sagte Till.

Wieder lachte der gutmütige Mann und fragte: "Wo ist dann das
eine Huhn geblieben, du Silbenstecher?"



till eulenspiegel-022. arpa

"Das habe ich gegessen, Herr Pfarrer", bekannte er. "Höret hie-
für auch meine guten Gründe. Ihr sagtet mir doch, daß ich in Eurem
Hause so gut essen solle wie Ihr und Eure Magd, und daß ich vom
Besten meinen Teil kriegen würde. Sollte ich nun Euch, meinen hoch-
würdigen und gnädigen Wohltäter, Lügen strafen? Und Ihr hättet
Euer Wort sicher nicht gehalten, denn wenn Ihr und Eure Magd
Euch über die beiden Hühner hergemacht hättet, dann wäre für mich
armes Knechtlein nichts übrig geblieben."

Wieder schmunzelte der Pfarrer und sagte: "Mir liegt nichts
an einem Braten mehr oder weniger, mein guter Knecht, ich will dir
also diese Sache nachsehen, aber höre in Zukunft auf meine Magd,
wenn du gute Tage im Hause haben willst."

"Ja, Herr, das will ich gern tun, Euch zuliebe", sagte Till, und da-
bei plante er in Gedanken schon einen neuen Narrenstreich.


Beim Wort genommen

Till Eulenspiegel konnte die Magd nicht leiden, weil sie hoffärtig
war und tat, als ob sie in Haus und Dorf Herrin wäre. Wenn sie ihm
etwas befahl, spielte er ihr gern einen Schabernack. Sollte er ihr zwei
Scheite Holz bringen, so kam er bloß mit einem, verlangte sie, daß
er eine Maß Wein aus dem Keller hole, so rückte er mit einer halben
an, befahl sie, daß er der Kuh zwei Bund Heu geben solle, so reichte er
dem Tiere nur eins, sollte er einen Eimer Wasser herschleppen, so
brachte er nur einen halben.

Mußte er Unkraut im Garten jäten, so ließ er die Hälfte stehen,
statt zwei Kerzen zündete er nur eine an, er aß aber für zwei und
lag den halben Tag auf der Streu. Das wurde der Magd zu bunt, und



till eulenspiegel-023. arpa

sie beklagte sich beim Pfarrer bitter über den Schalk. Der wollte sich
anfangs gar nicht einmischen, denn er fand Gefallen an Tills Spaßen,
als sie aber nicht locker ließ, mußte er den Schalk um des lieben
Friedens willen doch zur Rede stellen.

"'Wie ist das, mein guter Knecht", sagte er, "die Magd führt Klage
über dich, und ich hatte dir doch befohlen, ihr in allem zu ge-
horchen."

"Hochwürdiger Herr", antwortete Till listig, "ich habe bloß nach
Euren Befehlen gehandelt. Ihr habt mir aufgegeben, im Hause die
halbe Arbeit zu tun, und nun will ich den sehen, der mich hindern
will, Euren Geboten zu gehorchen."



till eulenspiegel-024. arpa

Der Pfarrer lachte über diese Ausrede, aber die erzürnte Magd
sagte: "Wenn Ihr den Schelm nicht sofort aus dem Hause jagt, laufe
ich noch heute davon."

Was wollte der Pfarrer tun? Er mußte ihn mit Rücksicht auf die
Magd entlassen. Eulenspiegel aber nahm das beiden sehr übel.


Das Glück auf der Landstraße

Vom Pfarrer weg ging Till zu einem Buddenstedter Bauern und
nahm sich wieder einmal vor, seinen Herrn nicht zu ärgern und
ihm keine Possen zu spielen. Er tat seine Arbeit, wie es der Bauer
verlangte, und der war daher auch mit ihm zufrieden. Eines Tages
nahm er ihn mit zum Holzfahren. Sie waren auf der Landstraße, die
nach dem Elmwalde führt, da rief Till aus: "Herr, da läuft ein Hase
über den Weg!"

Der Bauer sah den Hasen auch und antwortete: "Lieber Knecht,
das ist kein gutes Zeichen, das bedeutet Unglück. Laß uns um-
kehren!"

Also kehrten sie um und fuhren am andern Tage. Da sah Eulen-
spiegel, der das Pferd leitete, einen Wolf über die Straße laufen.
"Herr, da läuft ein Wolf über den Weg!" sagte er.

"Das bedeutet Glück!" erwiderte der abergläubische Mann, "fahr
nur weiter!"

Sie kamen an den Waldrand, ließen Pferd und Karren stehen
und gingen weiter, um Holz zu schlagen. Dann schickte der Bauer
Eulenspiegel zurück, damit er den Karren hole. Als Till nun in die
Nähe des Karrens kam, sah er, daß der Gaul am Boden lag und ein
Wolf sich hineingefressen hatte. Da erschrak er sehr, freute sich aber



till eulenspiegel-025. arpa

doch, daß der Aberglaube seines Herrn zuschanden wurde, denn er
hatte sich darüber geärgert. Er lief also wieder in den Wald und
rief: "Bauer, das Glück steckt in Eurem Pferde!"

"Wie soll ich das verstehen?"fragte jener.

"Kommt und seht es selbst", gab Eulenspiegel zurück. Da sah der
Bauer, daß sich der Wolf in das Pferd hineingefressen hatte. "Seht Ihr
nun, Meister, daß Euer Aberglaube närrisch ist?" sagte Till. "Wäret
Ihr gestern dem Hasen nachgefahren, der hätte Euer Pferd nicht ge-
fressen."


Guter Rat kommt nie zu spat

Den Kopf voller Possen, kam Till Eulenspiegel auch einmal nach
dem weltberühmten Städtchen Schilda in Sachsen, dessen Bewohner
sich durch kluge Einfälle von jeher ausgezeichnet hatten und dafür
im ganzen Reich gar wohl bekannt waren. Till wußte, daß sie sich
einst aus dem Vogtland ein Gewitter bestellt hatten, als es bei ihnen
einmal lange Zeit nicht regnen wollte.

Da hatten die Vogtländer dem Abgesandten einen Bienenschwarm
in seine Kiepe gesetzt und ihn ziehen lassen. Als nun die Tierchen
summten und brummten, da freute sich der Mann, daß er seinen Auf-
trag pflichtgemäß ausgerichtet hatte, und sagte: "In meiner Kiepe
donnert es schon!"

Till Eulenspiegel fand die Schildbürger bei schwerer Arbeit. Sie
hatten auf dem Berge Bauholz geschlagen, schöne, große Stämme,
und schleppten sie nun mit vieler Mühe ins Tal. Dem Spiele sah der
Schalk lachend zu, und als sie mit dem beschwerlichen Werke fertig
waren, meinte er: "Das hättet ihr leichter haben können, Männer.



till eulenspiegel-026. arpa

Ihr brauchtet ja nur die Stämme den Berg hinunterzurollen, da hät-
tet ihr euch die Mühe des Tragens erspart."

Ein solcher Einfall war den guten Schildbürgern noch nicht ge-
kommen, da sie aber von dem großen Vorteil dieser Beförderungsart
sehr begeistert waren, schleppten sie zu Eulenspiegels größter Freude
die Stämme wieder auf den Berg und rollten sie jauchzend zu Tal.

Diese Bäume wurden danach zugehauen und zum Bau des neuen
Rathauses verwendet. Das sollte ein würdiger Prachtbau werden.
Bei dem regen Gemeinsinn und dem großen Eifer der Bürger gedieh
das Werk zusehends und konnte gar bald eingeweiht und benutzt
werden. Allein da stellte sich ein arger Mißstand heraus: das Gebäude
war innen völlig dunkel, so daß die ehrbaren, würdigen Ratsmannen
am hellen lichten Tage ihre Sitzungen bei brennenden Kienspänen,
die sie sich an die Hüte steckten, abhalten mußten. Sie hatten nämlich
im Übereifer des Bauens die Fenster vergessen, doch merkte das nie-
mand. In ihrer Not wandten sie sich an jenen klugen Ratgeber, der
ihnen bei der Beförderung des Bauholzes eine so vortreffliche An-
weisung gegeben hatte. Eulenspiegel kargte nicht mit seiner Weis-
heit, doch wollte er sie nicht umsonst dem Gemeinwesen zur Ver-
fügung stellen und bat sich für seine Mühe fünfzig Gulden aus, die
ihm auch bewilligt wurden. Darauf rückte er mit seinem Ratschlag
kühn heraus.

"Was tut ein kluger Mann", sagte er, "wenn es ihm an Wasser
in seinem Hause gebricht? Nun, er nimmt einen Zuber oder Eimer,
oder was er sonst gerade zur Hand hat, und füllt das Gefäß mit
Wasser. Das trägt er dann in sein Haus. Kann es einer so mit dem
Wasser halten, warum nicht auch mit dem Licht."
Kaum hatte er seine Rede beendigt, so ging eine freudige Bewe-
gung durch ganz Schilda, und es bedurfte der Mahnung des würdigen



till eulenspiegel-027. arpa

Stadtoberhauptes nicht, die Bürger zu opferwilligen Leistungen
anzuspornen. Männlein und Weiblein gingen froh ans Werk, holten
Säcke, Körbe, Kessel, Fässer, Büchsen, Häfen und Töpfe, was ihnen
gerade in die Hand fiel, und füllten das schöne blanke Sonnenlicht
hinein. War das Gefäß voll, so deckten sie es vorsichtig zu und gossen
den Segen hoffnungsvoll im Rathause aus.

Manche opferten sich förmlich auf für das Gemeinwohl, liefen
wohl über ein Dutzend mal hin und her und keuchten vor Eifer.
Darauf hielten die Ratsmannen wieder ihren feierlichen Einzug im
Rathaus; allein, es war so dunkel wie zuvor in den Beratungsräumen.
Da ärgerten sich die Ratsmänner gar sehr über ihren Ratgeber,
und es ward der Beschluß gefaßt, von Eulenspiegel die fünfzig Gulden



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zurückzuverlangen, wenn er es nicht ermöglichte, Licht zu schaffen.
Eulenspiegel, so in die Enge getrieben, gab ihnen alsbald den Rat, das
Dach abzudecken.

Wieder erstaunte ganz Schilda über diesen unerhörten Einfall, der
sogleich zum Beschluß erhoben wurde und Gesetzeskraft erhielt. Und
wunderbarerweise ergoß sich nun ein herrlicher Strom schönen Son-
nenlichtes in das bisher düstere Rathaus. Aller Kummer war ver-
gessen, die Not hatte ein Ende, bis auf einmal und unverhofft ein
Platzregen kam, der seinen Weg ins Rathaus nahm, alle Räume darin
erweichte, die Ratsherren pudelnaß machte und die Akten verdarb.
Da blieb nichts anderes übrig, als das Dach wieder zuzudecken. Aber
nun herrschte wieder im Hause ägyptische Finsternis.

Nun wurden die Schildbürger ernstlich böse auf den falschen Rat-
geber und wollten ihm zu Leibe. Der aber war längst über alle Berge..
Da nahmen sich die Schildbürger heilig vor, keinem Fremden mehr
zu trauen, keinen Rat von auswärts mehr zu befolgen, überhaupt
immer das Gegenteil von dem zu tun, was die Narren in der Welt
draußen taten. Das wurde bei ihnen Regel, und dadurch wahrten sie
ihren alten, guten Ruf.


Till Eulenspiegel versucht es mit der Bäckerei

Hunger tut weh. Diese alte Weisheit erfuhr Till am eigenen Leibe.
Darum nahm er sich vor, ein nahrhaftes Handwerk zu ergreifen. Er
entschied sich für das Bäckergewerbe. Ein Bäcker hat immer Brot, er
braucht nie zu fasten, dachte er. Er ging also nach Braunschweig und
suchte einen Bäckermeister auf. Als dieser hörte, daß Till das Ge-
werbe erlernt habe, war er froh, denn er brauchte gerade einen Ge



till eulenspiegel-029. arpa

seilen, zumal am andern Tage Ostern gefeiert werden sollte, wo
jeder Braunschweiger gutes Weißbrot essen will.

"Ich will dich als Bäckerknecht annehmen", sagte er also, "und du
kannst gleich in die Backstube gehen und backen. Ich will mich setzt
schlafen legen, morgen früh helfe ich dir."

"Was soll ich backen, Meister?"fragte Till.

Da lachte der Meister, der oft ein Späßchen zu machen pflegte. "Du
willst ein Bäckerknecht sein und fragst erst lange, was du backen
sollst? 'Was wirst du denn weiter zu backen haben als Eulen und
Meerkatzen?"

Damit ging der Meister zur Ruhe und ließ den neuen Gesellen
arbeiten. Der aber dachte: Der gute Meister soll sich in mir nicht
getäuscht haben, ich will ihm gehorsam sein. Darauf formte er
den Teig zu lauter Eulen und Meerkatzen, solchen kleinen Äffchen,
wie sie die Gaukler an den Jahrmärkten sehen lassen. Besonders gut
gerieten ihm die Eulen, denn er war seinem Namen zuliebe schon
früher öfters auf den Einfall gekommen, aus Sand oder Ton der-
gleichen herzustellen.

Am Morgen kam der Meister gerade recht, als der neue Geselle
das wunderliche Gebäck aus dem Ofen zog. Da machte er große
Augen und schrie: "Was hast du da gebacken?"

"Was Ihr mich geheißen habt, Eulen und Meerkatzen", antwortete
der Schalk.

"Was fällt dir ein?" rief der Meister erbost. "Wer heißt dich einen
Spaß so ernst zu nehmen? Semmeln, Wecken und Brötchen sollst du
mir backen, wie das in jeder Backstube üblich ist. Du Narr, was soll
ich mit dem Zeug? Das kauft mir kein Mensch ab!"

Er redete sich immer mehr in Hitze, wurde handgreiflich und
brüllte Eulenspiegel an: "Jetzt bezahist du mir den Teig, du Schelm!



till eulenspiegel-030. arpa

Ich will mein Geld wieder haben, oder du sollst sehen, daß es noch
Richter gibt in Braunschweig!"

"Wenn ich den Teig bezahlen soll, dann gehört mir auch das Ge-
bäck", sagte Till.

"Was gehen mich deine Eulen und Meerkatzen an!" entgegnete
der ergrimmte Mann, "die kauft mir kein Mensch ab, ich will sie
nicht in meinem Laden haben! Zahle mir den Teig und trolle dich
mit deiner Narretei auf Nimmerwiedersehen!"

Es half nichts, Till mußte in seinen ohnehin mageren Beutel grei-
fen und den Teig bezahlen. Er hatte eine Nacht Arbeit und sein
Geld verloren und fing an, sich über seinen Narrenstreich zu ärgern.

In dieser Stimmung ging er in die Herberge "Zum wilden Mann"
und überlegte, was er wohl tun könne. Da hörte er, wie in der Wirts-
stube ein reisender Kaufmann, der hier übernachtet hatte, zu einem
andern sagte: "Ich sage Euch, man kann noch so seltsame Dinge nach
Braunschweig bringen, man gewinnt doch Geld damit."

Aha, dachte Till Eulenspiegel, lieh sich einen Tisch und stellte sich
mit seiner Ware vor die Kirche. Da rief er die muntere Jugend her-
bei und pries laut und fröhlich seine Ware an. "Kauft schöne Eulen
und Meerkatzen! Schöne frische und seltene Ware zum Osterfeste!
Tafelgebäck des Erzbischofs von Magdeburg, des Königs von Däne-
mark und anderer hoher regierender Herren! Kauft Meerkatzen!"

Da nun die Braunschweiger an Feiertagen gern etwas Besonderes
essen, so fanden sich rasch Käufer. Bald war der Vorrat bis auf das
letzte Stück verkauft, der lustige Schalk hätte das Doppelte und Drei-
fache absetzen können, wenn er es gehabt hätte, und die Hauptsache:
er löste aus dem wunderlichen Gebäck mehr Geld, als er dem Bäcker
für den Teig gegeben hatte, kam also wieder zu dem Seinen und er-
hielt auch Lohn für seine Arbeit.



till eulenspiegel-031. arpa

Das erfuhr der Bäcker, und es verdroß ihn heftig, daß sein Knecht
mit seiner Narretei recht behalten haben sollte. Spornstreichs lief er
vor die Kirche, um von Eulenspiegel noch Geld für die Benutzung
seines Backofens und für das verbrannte Holz zu fordern. Aber
Till, der wohl geahnt hatte, daß sein Meister zu ihm kommen würde,
war längst über alle Berge.


Windbeutelei in Ülzen

Nachdem Eulenspiegel Braunschweig den Rücken gekehrt hatte,
ging er nach Ülzen und wurde dort wieder ein Bäckerknecht. Der



till eulenspiegel-032. arpa

Meister war streng und sehr sparsam, wollte es auch bequem haben
und seine Ruhe nicht einbüßen. Gegen Abend sagte er also: "Gesch,
du mußt diese Nacht das Mehl beuteln, damit wir morgen früh bac-
ken können."

"Recht so, Meister, das will ich tun" sprach Eulenspiegel, "gebt
mir ein Licht, damit ich sehen kann."

"Warum nicht gar", antwortete jener, "meine früheren Gesellen
haben nie Licht bekommen, die haben immer im Mondschein gebeu-
telt, und was die konnten, tust du auch." Mit diesen Worten ging er
und legte sich zu Bett.

Dieser Geiz mißfiel Eulenspiegel sehr, und er beschloß, den filzigen
Meister dafür zu bestrafen. Er nahm also den Mehlsack, ging an das
Fenster und siebte das Mahlgut in den Hof, gerade dahin, wo der
Mond schien. Als der Meister endlich aus den Federn kam, stand
er noch immer eifrig am Fenster und beutelte gewissenhaft.

"Daß dich die Pest!" rief der Mann aus, "was fällt dir ein, mit
dem Mehl so umzugehen? Hat es nicht schweres Geld gekostet?"

"Mir ist es auch nicht klar, Meister, weshalb Ihr mir so seltsame
Arbeit aufgehalst habt", antwortete Till, "aber ich mußte mich doch
nach Euren Worten richten. Ihr wißt wohl, daß Ihr mir befohlen
habt, im Mondschein zu beuteln. Es ist eine seltsame Weise in Ülzen,
so Brot zu backen."

"Du Schalksnarr, ich habe gemeint, du solltest bei Mondschein,
nicht im Mondschein beuteln", sagte der Meister, "du hast mich nur
aus Bosheit nicht recht verstehen wollen."

"Daraus sehe ich", entgegnete Till gelassen, "daß Ihr es gern sähet,
wenn ich das Mehl wieder herauf in die Backstube trüge."

"Jawohl", unterbrach ihn der Geizhals, "aber bis du damit fertig
bist, ist die Zeit vorbei, den Teig zu mengen."



till eulenspiegel-033. arpa

"Ich bin Euch gern gefällig, Meister", antwortete Till. "Soll ich
Euch vielleicht den Teig vom Nachbar holen? Der hat ihn schon fer-
tig in der Mulde liegen."

Ober diesen Spott wurde der Bäcker rasend vor Zorn und rief:
"Des Nachbars Teig willst du holen? Geh an den Galgen und hole
den Dieb herbei!"

Der Meister drückte sich wieder ungeschickt aus, denn er wollte
wohl sagen, daß man durch Diebstahl sich den Galgen verdienen
könne.

"Ja, lieber Herr, das will ich tun", sagte Eulenspiegel, und fort
war er.

Der Meister war unter Fluchen und Schimpfen noch damit beschäf-
tigt, das Mehl aus dem Hofe zusammenzufegen, als der neue Gesell
mit einer schweren Last auf dem Rücken zurückkam. In der Back-
stube warf er sie ab, und der Meister sah mit Grausen, daß Eulen-
spiegel seinen Auftrag wieder wörtlich befolgt und den Gehenkten
vom Galgen nicht ohne viel Mühe hergeschleppt hatte. Da lag nun
der halbverweste, greuliche Leichnam in der Backstube.
"Hast du nicht noch mehr vom Galgen zu holen?"schrie der Geiz-
hals.

"Gern hätte ich mehr geholt", sagte der Schalk, "aber es war nicht
mehr vorhanden. Ihr wißt doch, wie gern ich Euch gefällig bin."

"Ich weiß, daß du ein Schalk bist", sagte der Bäcker zornig, "du
hast gestohlen, und ich will dich dafür dem Gericht anzeigen, das du
bestohlen hast. Das sollst du sehen!"

Das war sein Ernst und stracks machte er sich auf den Weg zum
Bürgermeister, um zu klagen. Den traf er auf der Straße. Wie er ihm
nun umständlich seine Klage auseinandersetzte, blickte er zufällig zur
Seite; da stand Eulenspiegel, der ihm nachgeschlichen war, und



till eulenspiegel-034. arpa

machte Augen wie Pflugräder so groß. Da vergaß der Bäcker ganz
seine Klage und fuhr den Gesellen an: "Was willst du hier, du Gal-
genstrick, wer hat dich gerufen?"

Da antwortete Eulenspiegel: "Ihr habt doch gesagt, ich solle sehen,
wie Ihr mich verklaget, und nun muß ich schon dabei sein und die
Augen ordentlich auftun, damit ich sehe, wie Ihr mich verklagt."

"Du bist ein Schalk, du, du. ." sagte der Bäcker in seinem Zorne.

"So haben mich schon viele geheißen", gab Till sanftmütig zur
Antwort, "und doch bin ich dafür bekannt, daß ich nur tue, was mir
geheißen wird."

"Du bist dafür bekannt, daß du ein Windbeutel bist, daß du Scha-
den stiftest und deine helle Freude daran hast."

Nun mischte sich aber der würdige Bürgermeister ein. "Ihr seid
beide Narren, wie mir scheint", sagte er bedächtig, "darum geht eure
Wege und laßt mich ungeschoren. Ich habe wirklich anderes zu tun,
als eure Zänkereien anzuhören, mich rufen Staatsgeschäfte."

Mit diesen Worten ging er feierlich zur Herrenstube in der Schenke,
wo ihn schon einige würdige Männer zum Frühtrunk erwarteten.
Eulenspiegel aber ließ den Meister schelten und wanderte unange-
fochten nach Halberstadt.


Schlechte Geschäfte dürfen die Laune nicht
verderben

Unterwegs traf Eulenspiegel zwei Kaufleute, der eine hieß Schöller,
der andere Möller. Beide waren arme Teufel, mit schweren Ruck-
säcken beladen, die von einem Dorf zum andern zogen und ihre Wa-
ren abzusetzen suchten.



till eulenspiegel-035. arpa

Beide hatten bisher schlechte Geschäfte gemacht und klagten bitter
darüber. "Die Geldbeutel hierzulande sind von Sauleder gemacht",
sagte Schöller, "sie halten die schönen Münzen nicht."
"Was hast du für ein Geschäft, Gesch?"fragte Möller Eulenspiegel.
"Ich bin ein Bäcker", antwortete er, "solange es mir gefällt."
"Ja, die Bäckerei, das ist ein gutes Gewerbe", sagte Schöller. "Zu
dem Bäcker läuft alles hin, denn sie wollen doch leben, wir aber müs-
sen zu ihnen kommen und treffen unfreundliche Gesichter an, wenn
wir ihnen Tuch und andere Wollwaren anbieten. Kostete es nichts,
so hätten wir Käufer die Menge."

Möller meinte: "Ja, wer Brot hat, dem gibt man Brot, das ist eine
alte Weisheit."

Auch Eulenspiegel merkte sich diese Lehre, und als er in Halber-
stadt ankam, beschloß er, wieder zu einem Bäcker in Dienst zu gehen.
Aber die Meister hatten keine Arbeit für ihn und schickten ihn fort.

Nun wollte er es nach der gelernten Regel auf andere Weise ver-
suchen, denn er dachte daran, wie er in Braunschweig so schöne Ge-
schäfte mit Eulen und Meerkatzen gemacht hatte. Er kaufte also eine
Menge Weißbrot, lieh einen Tisch und stellte sich vor den Dom.
Allein diesmal meldeten sich keine Käufer.

Endlich fand sich aber doch ein Abnehmer. Ein großer Hund




till eulenspiegel-036. arpa

erwischte ein Brot und lief damit den Dornberg hinauf. Eulenspiegel,
der nicht gewillt war, seine Ware umsonst abzugeben, setzte ihm
nach, aber der flinke Schalk war nicht so geschwind wie der diebische
Köter, und Eulenspiegel mußte die Jagd bald aufgeben. Als er atem-
los zurückkehrte, war neues Unheil geschehen. Ein Rudel Schweine,
die in Halberstadt wie damals in allen Städten frei umherliefen, hatte
sich über seine Vorräte hergemacht. Eulenspiegel hatte also ausver-
kauft, ohne einen Pfennig gelöst zu haben, sein Anlagekapital im
Betrage von zwei Schilling war verloren. Ein anderer hätte sich wohl
über diesen Verlust und die verlorene Hoffnung auf den Gewinn
schwarz geärgert, aber der lustige Schalk lachte nur über sein Pech.

"Nun merke ich doch", sagte er, "daß ein ehrlicher Handel in Hal-
berstadt auf den Hund kommt, und daß, wie die verdrießlichen
Kaufleute unterwegs sagten, die Pfennigsäcke hierzulande aus
Schweinsleder gemacht sind.

Wer hat, dem regnet's in den Schlot,
Dem gibt man noch zum Brote Brot,
Doch nimmt man dem, der gar nichts hat,
Was er noch hat, in Halberstadt."

Fröhlich packte er auf und zog fort von einem Ort, wo keine Ge-
schäfte zu machen waren.


Er kann es dem Schuster nie recht machen

Die Bäckerei war dem guten Eulenspiegel nun völlig verleidet,
und er beschloß, sich einer schwärzeren Kunst zu befleißigen, das
heißt, das ehrsame Schuhmachergewerbe zu betreiben.



till eulenspiegel-037. arpa

In Wismar fand er einen Meister, der selber nicht gern arbei-
tete, im übrigen aber ein gar wohlhabender Mann und Ratsherr war.
Er hatte guten Zuspruch, große Ledervorräte und ließ auf Lager ar-
beiten. Er führte Eulenspiegel in die Werkstatt, gab ihm Leder genug
und hieß ihn zuschneiden.

Nun fragte der neue Geselle, welche Form er schneiden solle. Dar-
auf sagte der behäbige Meister, der sich gern recht gewählt und schön
ausdrückte, wie es sich für einen würdigen Ratsherrn von Wismar
schickt: "Schneide nur zu, groß und klein, wie sie der Hirt aus dem
Tore treibt." Denn eben, als er das sagte, kam der Hirt an, tutete
und trieb mit Hund und Stecken das Vieh, das aus allen Häusern her-
ausgelassen, wurde, Rinder, Schafe, Schweine und Ziegen, auf die
Gemeindewiese vor dem Tore. Er meinte also, der neue Geselle möge
große und kleine Männer-, Frauen- und Kinderschuhe zuschneiden,
die würden dann mit der Zeit schon ihre Käufer finden.

Dann ging der Meister. Eulenspiegel nahm das Leder und fing an
zu schneiden, aber keine Schuhe, sondern Rinder, Schafe, Schweine
und Ziegen, Wie sie der Hirt eben aus dem Tore getrieben hatte.
Spät am Abend kam der Meister zurück. Er war müde vom Her-
umschlendern und Schwatzen und wollte nun sehen, was sein neuer
Geselle gearbeitet hatte. Da fand er die Bescherung, schlug die Hände
über dem Kopf zusammen und rief: "Das ist deine Arbeit? Du
Schelm hast mir das ganze Leder verdorben!"

Mit unschuldiger Miene antwortete Till: "Meister, so harte Worte
habe ich nicht verdient. Habe ich nicht nach Eurem Befehl gehan-
delt? Ihr hießt mich ausschneiden groß und klein, wie sie der Hirt
aus dem Tore treibt. Nun treibt der Hirt nichts anderes auf die
Wiese als Ochsen, Schafe, Schweine und Ziegen, das habe ich mir
wohl gemerkt und treulich befolgt."



till eulenspiegel-038. arpa

Als der Meister sah, daß Eulenspiegel den Beleidigten spielte, zog
er andere Saiten auf und sagte: "Mein guter Gesell, ich habe wohl so
gesprochen, aber meine Meinung war, du solltest großes und kleines
Schuhwerk für Männer, Frauen und Kinder zuschneiden, nicht sol-
chen Quark."

"Hättet Ihr das gleich gesagt, so würde ich früher zu Rande ge-
kommen sein, auch längst Feierabend gemacht haben. Ich hätte leich-
teres Arbeiten gehabt als mit diesem Viehzeug", sagte der Schalk.

"Nun will ich dir das nicht weiter nachtragen", antwortete der
Meister, "aber du mußt künftig das tun, was ich dir sage."
"Und gern will ich das tun", versicherte Eulenspiegel.
Am andern Tage legte ihm der Meister wieder Leder vor, das
hatte er zur Vorsicht aber selber zugeschnitten. Es paßte für kleines
und großes Schuhwerk. "Hier, Gesell", sagte er, "nähe die kleinen
mit den großen und mache deine Sache recht."

Das tat Till mit Eifer. Er steckte einen kleinen Schuh in einen
größeren und nähte beide zusammen. Nach einiger Zeit kam der
Meister wieder und wollte sehen, was Eulenspiegel genäht habe,
nahm einen fertigen Schuh und sagte: "Du hast recht brav nach mei-
nen Worten gearbeitet."

"So höre ich doch endlich, daß Ihr mich lobt, Meister", sagte Eu-
lenspiegel, "es ist doch gut, das ich heute das Richtige getroffen habe."

"Ja", meinte der Schuster, "meine Worte hast du wohl befolgt,
aber den Sinn nicht verstanden." Und nun wurde er zornig und rief:
"Esel, der du bist, du solltest nacheinander arbeiten, erst einen kleinen
Schuh nähen und danach einen großen oder umgekehrt. Du wirst
mir noch mein ganzes Leder verderben."

"Aber, Meister", entgegnete Till, "Ihr lobt und tadelt mich in
einem Atem. Wozu ist der Zorn nütze? Hättet Ihr nur Eure Meinung



till eulenspiegel-039. arpa

gleich gesagt, so hätte ich mich nicht mit solcher vergeblichen
Arbeit zu mühen brauchen."

"Ich merke schon", unterbrach ihn der Schuster, "dir muß man
alles deutlich sagen, was du machen sollst. Hier hast du anderes Leder,
schneide die Schuhe zu über einen Leisten. Schuhe sage ich!"

Damit legte er ihm Sohlenleder hin, das sollte für die fertigen
Schuhe passend gemacht werden. Zornig ging er weg, denn er hatte
draußen Geschäfte. Darüber vergingen ein paar Stunden. Dann eilte
der Meister nach Hause, um zu sehen, wie der neue Geselle seinen
Auftrag ausgeführt habe. Der saß in der Werkstatt und arbeitete, daß
die Späne flogen. Als aber der Brotherr den Schaden besah, merkte
er, daß der Schalk alles Sohlenleder über den kleinsten Leisten ge-
schlagen und zugeschnitten hatte.

"Nun sehe mir einer", rief der Mann aus, "du hast ja alles Leder
über den Leisten für Kinderschuhe geschlagen! Bist du des Teufels?
Wie paßt denn der große Schuh über die kleine Sohle?"

"Da muß man eben nur den großen Schuh so klein zurechtschnei-
den, bis er paßt", sagte der Schalk.

"Habe ich dir solche Narretei geheißen?"polterte der Meister.

"Oh, ich höre Eure Worte noch genau", antwortete Till, "Ihr
gabt mir auf, alles über einen Leisten zu schlagen; hätte ich gewußt,
daß Ihr den großen Leisten meintet, so wäre ich Euch, wie Ihr wißt,
gern zu Willen gewesen."

"Du mit deiner Rechthaberei, du kommst noch an den Galgen",
rief der Meister. "Bezahle mir das Leder, das du verschnitten hast,
oder ich lasse dich in den Schuldturm sperren."

"Wisset, Meister", antwortete er, "alles Leder im Römischen
Reiche ist mir nicht so lieb wie meine eigene Haut." Damit sprang
er aus dem Hause, und der geprellte Meister hatte das Nachsehen.



till eulenspiegel-040. arpa


Die Narrenküche

Von Wismar aus wandte sich Eulenspiegel nach Stade und ging
wieder zu einem Schuhmacher als Geselle. Diesmal arbeitete er zur
Zufriedenheit des Meisters, denn der Winter war vor der Tür, und
mit seinem Geld war er zu Ende, da waren keine Narrheiten
am Platze, weil sie ihn die warme Stube gekostet hatten. Außerdem
war der Meister einer von den Geriebenen, denen nicht leicht beizu-
kommen war.

Eines Tages ging der Schuhmacher aus, um einem Bauern eine
Fuhre Holz abzukaufen. Die Fuhre kam vor das Haus, der Bauer
lud ab, und der Meister wollte ihm wie üblich etwas Essen geben.
Aber Frau und Magd waren nicht zu Hause, sie machten auf dem
Markt Einkäufe, denn die Vorräte waren zur Neige gegangen. Da
fand der Meister in der Werkstätte nur Eulenspiegel, dem trug er auf,
für den Bauern eine Suppe zu bereiten, da niemand sonst im Hause
war, und der Meister selbst einen Geschäftsweg vor hatte, der sich
nicht aufschieben ließ.

"Was soll ich zur Suppe nehmen, Meister?" fragte Till.

"Nimm nur, was du findest", antwortete er und ging rasch seines
Weges.

Nun suchte Eulenspiegel im Küchenschrank, fand aber gar nichts
weiter als Brot. Das schnitt er in Scheiben in den Topf, aber nun
fehlte ihm etwas Schmalz. Da nahm er aus einer Büchse Fischtran,
den der Meister zum Schmieren gebrauchte, goß diese stinkende
Brühe über das Brot, machte die Mahlzeit warm und brachte sie in
die Stube, um den Holzbauern damit zu erquicken. Der kostete da-
von und verzog das Gesicht gewaltig, aber da er Hunger hatte,
würgte er das Gericht hinunter.



till eulenspiegel-041. arpa

Eben war er fertig, da kam der Meister an und fragte den Mann,
.wie ihm die Suppe gemundet habe. "Ganz gut", meinte der Bauer,
"sie hatte einen feinen Geschmack und war schön warm, aber hinter-
her schmeckte sie ein bißchen nach altem Leder. Ich danke auch schön
dafür!"

Als der Mann fort war, fragte der Meister Eulenspiegel: "Gesell,
was für eine Suppe hast du denn dem Bauern angerührt? Es riecht
garstig aus seinem Napf."

Da antwortete Till: "Ihr sagtet mir doch, ich möge verbrauchen,
was ich finde. Nun habe ich weiter nichts vorgefunden als Seefisch-
schmalz, das habe ich ihm nach Euern Worten in die Suppe gegossen."




till eulenspiegel-042. arpa


Ein unverschämter Einfall

Nach Jahren fiel es Till Eulenspiegel ein, wieder einmal nach
Braunschweig zurückzukehren. Er hoffte dort unerkannt zu bleiben,
wenn auch alle Welt von seinen Streichen sprach. Eines Tages ging
er zum Schuhmachermeister Christoffer am Kohlenmarkt, brachte
ihm ein paar große Stiefel und fragte ihn: "Meister, wollt Ihr mir
diese Stiefel spicken?" Er meinte natürlich, ob Christoffer sie ihm
mit Speck einreiben wolle.

"Jawohl, ganz gerne, werter Herr", sagte der Meister und nahm
die Stiefel in Empfang.

"Wann kann ich sie wieder holen?"fragte Eulenspiegel.

"Kommt morgen", erwiderte der Meister.

Kaum war Eulenspiegel gegangen, da rief ein Geselle:

"Meister Christoffer, den Kunden kenne ich. Wißt Ihr, wer das
war? Das war Till Eulenspiegel, der Schalk, der in ganz Sachsen
umherzieht und alle Meister äfft, denn ihm ist keiner an Verschla-
genheit gewachsen. Er tut immer scheinheilig, stellt sich, als wolle
er sich umbringen vor Eifer, und treibt doch nichts als Narren-
possen."

Nun ging Meister Christoffer ein Licht auf, auch er hatte schon
von den Schwänken des lustigen Schalks gehört.

"Wißt Ihr", meinte der Geselle weiter, "was ich an Eurer Stelle
täte? Ich spielte ihm einen Streich und machte es so wie er."

"Und wie macht es denn der Schalk?"

"Er nimmt jeden beim Wort. Wie wäre es, Meister, wenn Ihr ihm
mit gleicher Münze dientet und seinen Auftrag so ausführtet, wie er
ihn gegeben hat? Das gäbe einen Spaß, wenn Ihr dem Schalksnarren
einen Streich spielen könntet!"



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Kaum hatte er es gesagt, da klirrten die Butzenscheiben des Fen-
sters und fielen zerbrochen auf die Erde. Als sie erschrocken hinsahen,
lag Eulenspiegel lächelnd im Fenster und hatte mit Kopf, Schultern
und Armen das Fenster eingedrückt. "Zum Teufel, was machst du
da?" schrie Meister Christoffer wütend.

"Werter Meister", antwortet der Schalk, "ich wollte Euch nur
etwas fragen. War der Speck von einem Eber oder von einer Sau?"

"Du Schelm", antwortete der Schuster, "wer hat dir geraten, mir
mein teures Fenster entzweizubrechen? Heraus aus den Scheiben oder
ich schlage dir mit einem Knüppel über den Schädel!"

"Auf meine freundliche Frage hatte ich wohl einen besseren Be-
scheid verdient", antwortete jener. "Sagt mir doch, Meister, war der
Speck von einem Eber oder einer Sau?"

Da holte der zornige Schuster aus und wollte zuschlagen. Allein
Eulenspiegel war flinker als er und sprang zurück. "Wenn Ihr mir
nicht sagen wollt, wovon der Speck geschnitten ist, so muß ich wohl
andere darnach fragen, denn mir liegt sehr viel daran, das zu wissen."
Sprach's und war verschwunden.

Der Meister aber hätte nicht übel Lust gehabt, den Gesellen durch-
zuprügeln. "Du hast mir geraten, mich mit dem Schelm einzulassen.
Wer ist nun der Geäffte, du Esel? Jetzt bezahle mir mein schönes
Fenster, denn dir allein verdanke ich es, daß ich zu solchem Schaden
gekommen bin."

Der Geselle aber besaß kein Geld und hatte auch keine Lust, den
Verlust abzuverdienen. Er lief noch am gleichen Tage seinem Mei-
ster davon.



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Übel angebrachte Frömmigkeit

Auf seinen wunderlichen Kreuz- und Querzügen kam Till Eulen-
spiegel auch nach der reichen Stadt Erfurt. Da hörte er im Gasthof
"Zur hohen Lilie", wie einer von dem frommen Schuster erzählte,
der der Sage nach den reichen Leuten das Leder stahl und den Armen
davon Schuhe machte. Diese Schalkheit gefiel ihm außerordentlich,
denn sie war nach seinem Geschmack. Auch er wollte, so nahm er sich
ernstlich vor, ein so frommes Leben führen und nach seiner Weise
wohltun.

Nun war in der "Hohen Lilie" ein bettelarmer Hausknecht, ein
Krüppel, den der Wirt aus Mitleid aufgenommen hatte. Der besaß
keine Schuhe. Eulenspiegel erbarmte diese Not. Er ging in die Schuh-
gasse und suchte nach Schuhen, die auf Schaubrettern ausgestellt wa-
ren. Geld hatte er freilich keins. Da bot ihm eine Schuhmachersfrau
ein Paar derbe Schuhe an. Er zog den einen an und fand ihn passend,
zog dann den andern an und lief damit davon. Die Schuhmachers-
frau wollte sich die Beute aber nicht so leicht entgehen lassen, lief
ihm nach und rief:

"Haltet den Dieb! Haltet den Dieb!"

Sogleich kamen die Leute aus den Häusern und wollten ihn halten.
Aber der Schalk rief ihnen zu: "Laßt mich laufen, ihr guten Leute! Es
gilt ja nur einen Wettlauf zwischen der Frau und mir, und der Preis
ist ein Paar Schuhe."

Das glaubten sie ihm und ließen ihn entwischen. Er kam unange-
fochten in die Herberge und schenkte die Schuhe dem armen Knüppel.



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Allzufeine Arbeit

Mit der Schuhmacherei gab sich Till Eulenspiegel künftig nicht
mehr ab, weil er meinte, sie mache die Leute grob und ungefüge, auch
sei es kein angenehmes Geschäft, weil es in der Werkstatt und im
ganzen Hause immer nach Tran, Pech und Leder röche, und außer-
dem sei die Arbeit einförmig, es handle sich doch immer nur darum,
größere oder kleinere Fußbekleidungen herzustellen. Also wollte er
etwas Feineres ergreifen und wandte sich der edlen Schneiderzunft zu.
Er fand in Berlin auch bald einen Meister, der ihn als Gesellen an-
nahm.

"Lieber Knecht", sagte der Schneider zu ihm, "in Berlin ist es gar
nicht leicht, die Kunden zufriedenzustellen. Bei den Bauern kommt es
nicht so genau darauf an, aber die Herren vom Rate und die vielen
Ritter in der Umgegend wollen feine Röcke tragen. Darum nähe
recht sorgsam und so fein, daß man es nicht sehen kann."

"Ja, Meister, ich verstehe Euch wohl", sagte Eulenspiegel, "und
werde mich getreulich nach Euren Worten richten." Er nahm darauf
seinen Rock, den er nähen mußte, und setzte sich damit unter eine
große, umgestülpte Bütte.

So fand ihn der Meister wieder und sagte verwundert:

"Wo hast du solche Art zu steppen gelernt? Das habe ich mein
Lebtag nicht gesehen."

Da antwortete Till: "Lieber Meister, Ihr sagtet mir doch, daß ich
so nähen sollte, daß man es nicht sähe. Wenn Ihr nun schon nicht
seht, was ich nähe, so werden es die andern noch weniger sehen.
Meint Ihr nicht?"

Der Meister wußte nicht, wes Geistes Kind er in seinen vier Pfäh-
len hatte, und antwortete: "So habe ich das nicht gemeint, Gesell,



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krieche nur wieder aus deiner Hütte hervor und nähe so, daß man
es sehen kann."
Nun tat Eulenspiegel, was verlangt wurde.

Die Kunst wird nicht belohnt

Eines Tages war der Schneider müde und wollte zu Bett gehen,
denn es war tief in der Nacht. Eulenspiegel hätte sich nun auch gern
nach der Arbeit des Tages ausgeruht, aber der Meister warf ihm einen

grauen, halbfertigen, groben Bauernrock zu und sagte: "Mach den
Wolf ordentlich fertig und geh dann auch zu Bett."

Eulenspiegel ärgerte sich über diese Zumutung, dennoch fing er
an zu arbeiten, aber auf seine Weise. Er schnitt den Rock kurz und
klein und fing an, eine Wolfsfigur daraus zu fertigen, die stopfte er
gehörig aus und stützte die Beine mit Holzstäben. Dieses seltsame
Machwerk stellte er mitten in die Werkstatt, freute sich seines Fleißes
und ging mit gutem Gewissen auch ins Bett.



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Am andern Morgen trat der Meister in die Werkstatt und wollte
sehen, was sein seltsamer Gehilfe in der Nacht zuwege gebracht
habe. Bald darauf kam auch Eulenspiegel mit unschuldigem Gesicht
herein.

"Was hast du gemacht?" rief der Meister zornig.

"Ich habe einen Wolf gemacht, wie Ihr mich geheißen habt",
antwortete Till mit sanfter Miene.

"Du Narr", rief der Meister, "einen solchen Wolf meinte ich doch
nicht, ich nannte eben das grobe Bauernwams einen Wolf."

"Hätte ich das gewußt", antwortete Till, "so würde ich mir viel
Arbeit erspart haben, denn ich hätte wirklich lieber einen Rock
statt einen Wolf gemacht."

Der Meister erwiderte ärgerlich: "Solche Arbeit lohne dir der Teu-
fel; die bezahle ich nicht." Indessen fügte er sich in das Unvermeid-
liche und machte dem Schalk weiter keine Vorwürfe.
Eulenspiegel aber tröstete sich mit der Regel:

Nicht jede Kunst im deutschen Land
Wird von den Weisen anerkannt.

Vergebliche Mühe

Der Meister war durch diesen Schaden nicht klug geworden und
gab Eulenspiegel wieder den Auftrag, zu arbeiten, während er in
tiefer Nacht der Ruhe pflegte. Habsüchtig, wie er war, gönnte er dem
Gesellen den Schlaf nicht. Er übergab also Till einen Rock, der bis
auf die Armel fertig war, und sagte gähnend: "Wirf die Armel an
den Rock, danach magst du dich auch zu Bette legen."



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Das versprach Eulenspiegel, und der Meister ging. Nun zündete der
Schalk zwei Kerzen an, hängte den Rock auf, stellte an jede Seite des
Gewandes ein Licht und warf die Armel an den Rock, hob sie wieder
aufs neue und beschäftigte sich so die ganze Nacht. Waren die Ker-
zen niedergebrannt, dann steckte er neue an. So fand ihn der Meister
am Morgen. Eulenspiegel aber sah weder rechts noch links, sondern
schleuderte unentwegt die Ärmel an den Rock. Da rief der Schneider:
"Was ist das für ein Gaukelspiel?"

"Das ist kein Gaukelspiel", antwortete Eulenspiegel. "Die ganze
Nacht habe ich die Ärmel an den Rock geworfen, aber sie wollen
nicht kleben bleiben. Es wäre besser gewesen, wenn Ihr mir erlaubt
hättet, zu Bett zu gehen, denn ich wußte wohl, daß Ihr mir eine ver-
gebliche Arbeit aufgetragen hattet. Ich hätte Euch das schon gestern
abend sagen können, aber es schickt sich für einen rechtschaffenen Ge-
sellen nicht, seinem Meister zu widersprechen, der das Handwerk
doch besser kennt."

"Nun soll ich wohl die Schuld daran tragen?" fragte der Schnei-
der. "Ich habe gemeint, du solltest die Arme! an den Rock nähen,
nicht daranwerfen."

Da sagte Eulenspiegel: "Das danke Euch der Teufel, daß Ihr eine
Sache anders meint, als Ihr sie sagt. Hättet Ihr Eure Meinung gleich
gesagt, so wäre ich wohl schneller zu Rande gekommen und hätte
auch ein paar Stunden der Ruhe pflegen können. Nun mögt Ihr den
Tag über sitzen und nähen, denn ich muß endlich auch einmal
schlafen."

"Das wäre noch schöner", brauste der Meister auf, "solche Arbeit
wird in Berlin nicht bezahlt und geachtet. Ich habe dich als Knecht
und nicht als Schläfer gedingt. Dein Faulenzen bringt mir kein
Geld ein."



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"Ei, werter Meister", antwortete Eulenspiegel, "Ihr habt mich
für Tagesarbeit gemietet, wollt Ihr, daß ich Tag und Nacht für Euch
schaffen soll, so zahlt mir auch den doppelten Lohn."

"Auch noch doppelten Lohn willst du Schelm haben, wo du mir
bisher alles im Geschäft verdorben hast! Da sollte man ja meinen,
man hätte es mit dem Galgenvogel, dem Till Eulenspiegel, zu tun!
Höre, mein lieber Knecht, du hast mir sechs Lichter verbraucht mit
deiner Narretei, ersetze mir den Schaden, oder ich will dich ein-
sperren lassen."

"Lieber Meister", sagte darauf Till Eulenspiegel, "ich will Euern
Schaden nicht, aber da ich kein Geld habe, so will ich Euch etwas
sagen, das Euch von Herzen erfreuen soll: Lebt wohl, ich bin Till
Eulenspiegel."

Als der Meister diese Worte hörte, erschrak er sehr. Ehe er sich
aber von dem Schrecken erholt hatte und dem Schalk einen Ab-
schiedsgruß mit dem Knüttel geben konnte, war dieser längst aus
dem Hause und bald über alle Berge.


Die drei Schneider

Von Berlin aus ging Eulenspiegel nach Brandenburg und wollte
versuchen, ob er dort mehr Glück hätte als in der reichen Stadt
an der Spree. Darüber war einige Zeit vergangen, so daß seine lusti-
gen Streiche hier schon bekannt waren, ehe er ankam. Als er daher zu
dem Schneidermeister kam und ihn um Arbeit bat, dachte dieser: Du
kommst mir gerade recht. Laut aber antwortete er ihm: "Es tut
mir leid, mein guter Knecht, aber da sitzen schon drei Gesellen
auf dem Ladentisch, und ich habe schon für diese manchmal nicht



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genug Arbeit, so daß ich einen vierten gar nicht brauchen könnte."Zu
den Gesellen sagte er heimlich:

"Das ist der Eulenspiegel aus dem Lande Braunschweig, der durch-
triebenste Bursche in ganz Sachsen. Mit dem will ich nichts zu tun
haben, denn einen Narren soll man meiden, wo man nur kann."

Es blieb Till also nichts anderes übrig, als in die Herberge zu ge-
hen und dem lieben Gott die Tage zu stehlen. Häufig genug kam er an
der Schneiderbude vorbei. Die drei lustigen Gesellen saßen halb auf
der Straße auf dem Ladentisch, der auf Pfählen stand; unter dem
Schneidersitze ging es in den Hof des Meisters, in dem sich die Ställe
befanden. Da saßen nun also die drei vergnügten Gesellen auf dem
Gerüst und sangen zur Arbeit schöne Lieder, wie es der Schneider
Brauch ist. Kam aber Eulenspiegel vorbei, dann hörten sie auf zu
singen und fingen an, ihn tüchtig zu foppen.

"Sage, Eulenspiegel, wieviel mal bist du eigentlich getauft wor-
den? Willst du uns nicht etwas auf dem Seile vortanzen, da es mit
der Schneiderei nichts ist? Freilid~ einen Schuh gäbe dir keiner.
Du sollst ja so schöne Suppen kochen können. Koche eine schöne,
vergiß den Fischtran aber nicht und iß sie dann selber!"

Einer warf dem Schalk einige Fetzen an den Kopf. "Da, Eulen-
spiegel, verachte die gute Gabe nicht, sie reicht aus, den schönsten
Wolf davon zusammenzusteppen."

Ueber diese Witze wurde von allen, auch von den Vorübergehen-
den und Nachbarn, weidlich gelacht.

"Hütet eure Zungen!" warnte der Meister, "mit einem Narren soll
man nicht anbinden, wenn man nicht den kürzeren ziehen will."

"Das hat keine Not, Meister", antworteten die lustigen Schneider.
"Was will er uns tun? Wir sind unser drei und halten zusammen."

Sie ließen sich nicht raten und begannen ihre Neckereien wieder,



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als sie des Gesellen ansichtig wurden. "Wann bäckst du wieder Meer-
katzen, Eulenspiegel?"stichelten sie von neuem. "Backe mir eine mit,
aber nicht aus dem Mehl, das du in den Hof gebeutelt hast. Willst
du nicht hier am Markt einen Tisch voll Weißbrote verkaufen? Der
Meister hat viele Schweine."

Eulenspiegel hörte diese Neckereien wohl, tat aber, als ginge es ihn
nichts an, und freute sich auf einen Streich, den er den lustigen Brü-
dern spielen wollte.

Als nun der nächste Markttag kam, war der ganze Platz voller
Menschen, auch Eulenspiegel stand unter ihnen und gab wohl acht
auf den Schneidertisch, auf dem die lustigen Brüder saßen, sangen
und nähten. Bald erschien auch der Schweinehirt mit seinem Horn,
und auf sein Zeichen kamen aus allen Höfen die Schweine heraus,
damit sie auf die Gemeindetrift geführt wurden. Auch der Schneider-
meister ließ sein grunzendes Borstenvieh aus dem Stall. Die Tiere
kannten den Weg unter dem Laden her und neben sich nach ihrer
Gewohnheit an den Pfählen. Da tat es auf einmal einen Krach, das
Brett gab nach, und ehe es sich die Schneidergesellen versahen, pur-
zelten sie vom Tische herab, überschlugen sich und lagen schließlich
im Kot zwischen Schweinen, Tuch und Röcken.

Da rief Eulenspiegel so laut, daß es alle auf dem Markt hören
konnten: "Seht da! Seht da! Der Wind hat drei Schneider vom Fen-
ster heruntergeweht! Holdrio!"
Da lachte alles unbändig, daß es über den ganzen Markt schallte.

Die Schneider aber erhoben sich schnell wieder und wollten nun
ergründen, warum sie heruntergepurzelt waren. Da sahen sie, daß
die Pfosten, die den Ladentisch trugen, abgesägt und lose wieder
aufgestellt worden waren. Die Schweine hatten mit leichter Mühe
das lose Gerüst umgestoßen.



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"Und das hat kein anderer getan als Eulenspiegel", sagte der
Meister. "Ich sagte es euch ja gleich, mit dem müßt ihr nicht anbin-
den, der ist euch über!"

Das begriffen die fidelen Schneiderknechte dann auch und besser-
ten den Schaden aus. Noch tagelang sprach man von nichts anderem
als von den drei Schneidern und ihrem Mißgeschick und rief ihnen zu:

"Der Wind verweht euch Schneiderlein, drum steckt euch Bügel-
eisen ein!"

Da schämten sich die Gesellen und ärgerten sich nicht wenig, ließen
aber fortan den Schelm in Ruhe.


Das große Geheimnis

Man weiß bis heute noch nicht, wieso Till Eulenspiegel die Kunst
des Schreibens beherrschte und wo er die Kunst des Redens erlernt
hat. In beiden Künsten leistete er aber Großes, wie folgende glaub-
würdige Geschichte beweist.

Till war nach Rostock gekommen und kam dort auf den Einfall,
der ehrsamen Schneiderzunft einen großen Dienst zu erweisen. Also
schrieb er mehrere gleichlautende Briefe und verwendete auf ihre
Abfassung großen Fleiß. Ein Brief wanderte nach Sachsen, ein an-
derer in die wendischen Städte, einer nach Holstein, einer nach
Pommerland, auch Hamburg, Lübeck, Bremen, Wismar und die
übrigen mecklenburgischen Lande wurden nicht vergessen. Der Brief
war an alle Schneidermeister in diesen Ländern und Städten gerich-
tet und hatte folgenden Wortlaut:

"Geliebte, ehrenfeste und werte Meister! Till Eulenspiegel, ein
Mitglied der edlen Schneiderzunft, wohlerfahren in der Kunst, aus-



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gebildet in Paris, Bologna und Antorf, Hoflieferant des Königs von
Frankreich, des Königs von Polen, des Königs von Dänemark, des
Großtürken, sowie vieler regierender Herzöge, Fürsten, Grafen und
Herren, entbietet euch allen seinen brüderlichen Gruß und bittet um
geneigtes Gehör für das, was nun kommt:

Wir laden euch hierdurch freundlichst ein, nach unserer guten
Stadt Rostock zu kommen, und zwar am vierzehnten Tage des Mo-
nats Juli. Dort will ich euch eine Kunst lehren, die geeignet ist, euer
Glück zu begründen, euren Geldsack zu füllen und euch mit fleißigen
Kunden, die gute Zahler sind, zu versehen. Nie werdet ihr vergeblich
arbeiten, aber alles, was ihr beginnt, wird leichter und besser von-
statten gehen. Kommt und seht es!
Rostock, im Monat Mai. Gegeben unter unserem eigenen Insiegel."
Ein Siegel war in der Tat an diesem wunderlichen Schreiben be-
festigt, es zeigte eine Eule und einen Spiegel.

Die ehrsamen Meister ließen sich den Brief von den Stadtschreibern
vorlesen und wunderten sich nicht wenig darüber, einmal über die
Einladung eines so großen und weitgereisten Berufsgenossen, die sie
außerordentlich ehrte, dann aber über die geheimnisvoll angeprie-
sene Kunst, die ihnen zum Wohlstand verhelfen sollte. Sie hielten
in den Zunftstuben über die Sache Morgensprache, wie sie die Be-
ratungen hinter geschlossenen Türen nannten, und kamen überein,
die günstige Gelegenheit, ihr Glück zu begründen, nicht leichtfertig
fahren zu lassen. Ängstliche und vorsichtige Leute warnten freilich
vor Uebereilung, mutmaßten auch Schlimmes.

"Es wird wohl die schwarze Kunst sein, die er euch lehren will",
sagten sie. "Dann kann es kommen, daß er euch einen Vertrag vor-
legt, in dem ihr eure Seelen dem Bösen verschreiben müßt. Ob einer
will oder nicht, das ist ganz gleichgültig. Wer einmal der Einladung



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des Teufels gefolgt ist, der wird von ihm gebannt, dem hilft kein
Beten, keine Flucht, er muß seine drei Kreuze unter das höllische
Dokument setzen. Und mit den Versprechungen des Teufels ist es
eitel Betrug. Er gibt wohl einen Topf voll Byzantiner oder Gold-
gulden, wer sie aber anrührt, dem verwandeln sie sich unter den Fin-
gern in Nußschalen oder Holzkohlen."

Aber selbst so ernste Befürchtungen hielten die tapferen Schnei-
der nicht ab, in hellen Haufen auf allen Straßen nach Rostock zu
ziehen.

Eulenspiegel sah mit Vergnügen, daß so viele seiner Einladung
gefolgt waren, bewillkommnete sie freundlich und hörte gern,
daß sie ihm ein Geschenk versprachen, wenn er sie die geheimnis-
volle Kunst gelehrt haben würde. Da in Rostock kein Saal groß ge-
nug war, um eine stattliche Versammlung aufzunehmen, ließ er die
Zunftgenossen auf eine große Wiese kommen. Er selbst wählte das
Fenster eines Hauses am Rande der Wiese als Rednerbühne. Als nun
völlige Ruhe unter den Kleiderkünstlern eingetreten war, trat er
feierlich in das Fenster und begann zu reden:

"Ehrbare Männer unserer hohen Zunft! Ihr besitzt alle das, was
zu unserem Gewerbe gehört, nämlich Schere, Eile, Fingerhut und
Faden, und wißt, wie man diese Dinge recht gebrauchen muß. Das
ist etwas, was jeder versteht und erlernen kann. Das Geheimnis mei-
ner Kunst ist aber etwas anderes, und das will ich euch jetzt verkün-
den. Achtet wohl darauf und nehmt es euch zu Herzen. Nämlich,
wenn ihr eine Nadel eingefädelt habt, so vergeßt nicht, an das andere
Ende des Fadens einen Knoten zu machen. Dann hat der Faden keine
Ursache, aus der Nadel herauszuwitschen, ihr aber werdet nicht man-
chen Stich umsonst machen."

Damit beendete Eulenspiegel seine Rede. Die Schneider aber sahen



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sich verdutzt an und riefen ihm zu: "Hast du nicht mehr zu sagen?
Was wir jetzt gehört haben, wußten wir längst, auch haben wir den
weiten Weg nicht gemacht, um uns Narreteien anzuhören. Dieses
Geheimnis kannten die Schneider schon vor tausend Jahren."

Darauf antwortete Till: "Was vor tausend Jahren geschehen ist,
das weiß heute niemand mehr. Wer dem Lehrmeister aber sagt, er
habe alles schon gekannt und gewußt, der will sich den Dank sparen.
Gut, wenn ihr mir nicht danken wollt, so ist das eure Sache und tut
mir nicht leid. Ihr könnt meinetwegen allesamt dahin gehen, wo ihr
hergekommen seid. Gehabt euch wohl!"

Nun wurden die Schneider ernstlich böse und wollten ihr Mütchen
an dem Schalksnarren kühlen, allein Eulenspiegel ging ihnen durch
die Finger.

Zu ihrem Schaden holten sie sich auch noch den Spott der anwe-
senden Rostocker Schneidermeister. Die sagten: "0 ihr Toren! Einem
solchen Schelm nachzulaufen! Von uns wäre sicher keiner zehn Stun-
den und länger gegangen, um sich so äffen zu lassen. Aber was man
nicht im Kopfe hat, muß man eben in den Beinen haben. Wir kann-
ten Till Eulenspiegel alle schon und wußten, was er für ein Vogel ist."

Die klugen Rostocker Schneider hatten gut reden.


Der Schalk in der Schmiede

Zur Schneiderei war Eulenspiegel die Lust vergangen, auch hätte
ihn wohl kein Meister weit und breit mehr angenommen; er ging
daher in Rostock zu einem Schmied und verdingte sich als Knecht.
Der Schmied hatte von dem Konzil der Kleidermacher und anderen
Streichen des lustigen Landfahrers gehört, ließ sich aber darum doch



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nicht abhalten, den übelbeleumdeten Gesellen anzustellen, denn
er war ein starker, strenger Mann und dachte: Wenn er mir Streiche
spielt, dann will ich ihn schon zähmen, tut er auch dann nicht gut,
so setze ich ihn einfach vor die Tür.

Den ersten Tag wäre beinahe alles gut gegangen, wenn der Schmied
nicht eine komische Redensart an sich gehabt hätte, die hieß: "Ha,
ho, folge mit den Bälgen nach!" Da sollten die Gesellen mit den
großen Blasebälgen Wind im Ofen machen.

Nun traf sich's, daß der Schmied im Hof zu tun hatte. Da rief
er beim Hinausgehen Eulenspiegel zu: "Ha, ho, Gesch, folge mit den
Bälgen nach!"

Nun hatte Eulenspiegel von dem andern Knecht schon gehört,
daß der Meister ein harter Mann sei, nahm sich deshalb vor, ihn zu
necken. Gehorsam lud er also den schweren Balg auf den Rücken
und schleppte ihn dem Meister nach in den Hof.

"Hier ist der Balg, Meister", sagte er, "wo soll ich ihn hin-
legen? Soll ich den andern jetzt gleich bringen oder nachher?"

Du Bösewicht, dachte der Meister, das will ich dir eintränken! Laut
aber sagte er: "Lieber Gesch, so war das nicht gemeint, trage nur den
Balg wieder dahin, wo du ihn hergenommen hast."

"Gern tue ich nach Euerm Willen", antwortete Till und ging wie-
der mit seinem Balg in die Schmiede.


Der Schmied will ihn zähmen

Die ganze Stadt lag noch in tiefer Ruhe, denn es war Mitternacht,
da weckte der Schmied seine Knechte. "Auf, ihr trägen Burschen! Es
heißt jetzt arbeiten, nicht schlafen!"



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Das war den Gesellen nun durchaus nicht nach Wunsch, doch muß-
ten sie sich fügen. Der Schmied gab acht, daß sie das Feuer in Gang
brachten, legte ihnen Arbeit vor und ging darauf wieder in seine
Kammer. Er konnte ja oben hören, ob sie brav zuschlugen, und das
taten die beiden auch, denn es blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie
unterhielten sich auch ein wenig, das konnte ihnen niemand wehren.
Da sagte der erste Gesch zu Eulenspiegel: "Was mag sich der Meister
nur dabei denken, daß er uns so früh aus dem Bett holt? Das tat er
doch sonst nicht!"

Till antwortete: "Das kann man wohl von ihm selbst am besten
erfahren."

"Ich wage es nicht, ihn danach zu fragen, denn er ist sehr streng
und könnte das übelnehmen", meinte der Geselle.
"Gut, so werde ich ihn fragen", sagte Eulenspiegel.
Am Morgen kam der Meister, der gut geschlafen hatte, in die
Werkstatt. Da sagte Eulenspiegel zu ihm: "Meister, wie kommt es
wohl, daß Ihr uns um Mitternacht aus dem Bett holt, wenn andere
ihre Gesellen noch ruhig schlafen lassen?"

Trocken erwiderte der Meister: "Es ist so meine Art, die Gesellen
in den ersten acht Tagen, die sie bei mir sind, nur die halbe Nacht
im Bett liegen zu lassen. Darein wirst du dich finden müssen, wenn
dir an meinem Wohlwollen gelegen ist."

Eulenspiegel erkannte nun, daß der Schmied log und daß er nur so
hart tat, um ihn für seine Narretei mit den Bälgen zu strafen. Doch
schwieg er still, bis seine Zeit gekommen war.

Das nächste Mal holte der Meister die Gesellen wieder zu Mitter-
nacht aus den Federn und schickte sie in die Schmiede. Eulenspiegel
gehorchte zwar, nahm aber sein Bett und band es sich auf Kopf und
Rücken. So ging er in die Werkstatt, stellte sich an den Amboß



till eulenspiegel-060. arpa

und schlug so fest zu, daß die Funken in das Bett schlugen und die
Federn versengten. So fand ihn der Meister, wurde zornig und rief:
"Was ist das für eine Art? Kannst du das Bett nicht liegen lassen,
wo es hingehört? Was treibst du für Mutwillen?"

Da erwiderte Eulenspiegel: "Meister, es ist meine Art so, wie Ihr
seht. Wenn ich nur die halbe Nacht auf dem Bette liegen darf,
so muß das Bett die andere halbe Nacht auf mir liegen."

Ober diese Rede geriet der Meister in Wut und rief: "Du Erzschalk
und Bösewicht! Geh mir aus dem Hause, und zwar auf dem kürze-
sten Weg! Vorher aber bringe das Bett dahin, wo du es hergenom-
men hast!"

"Wie Ihr wollt, Meister", antwortete Eulenspiegel, nahm das
Bett und brachte es in die Gesellenkammer. Danach stieg er unter
das Dach, deckte einen Teil davon ab, daß es Ziegel auf die Straße
regnete, und stieg durch die Lücke auf das Stalldach; denn das war



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nach seiner Ansicht ein kürzerer Weg, als wenn er durch die Haustür
gegangen wäre. Dann sprang er auf die Straße und suchte das Weite.

Der Schmied hörte und merkte anfangs nichts, als er aber hinter
Eulenspiegels List kam und den Schaden besah, den ihm der Schelm
angerichtet hatte, griff er nach seinem Spieß, um den Schadenstifter
einzuholen und zu züchtigen. Der aber hatte flunkere Beine, lachte ihn
aus und verschwand. Da schwor der Schmied, sich nie wieder mit
einem Schalk einzulassen, und wenn er ihn mit noch so honigsüßen
Worten beschwatzen wollte.


Betrogene Betrüger

Im Osnabrücker Lande war einmal Winter und teure Zeit. Da
wurde Eulenspiegel des Herumstreichens müde und sehnte sich nach
einem warmen Plätzchen und einem guten Tisch. Er ging daher wie-
der zu einem Schmied und verdingte sich.

Der Schmied wollte ihn anfangs nicht nehmen. Er sagte, bei ihm
gabe es selber jetzt schmale Bissen. Da sagte Eulenspiegel: "Ich bin
nichts Feines gewohnt, Meister, bin froh, wenn ich satt werde und
das essen kann, was die andern nicht mögen."

Hab ich dich, Eulenspiegel, dachte der hinterlistige Meister, wahr-
lich, dir soll nach deinen Worten geschehen, gerade so, wie das deine
Gewohnheit ist, mit den Leuten umzugehen. Nun wurde Till wie-
der ein Schmied.

In der Werkstatt war viel zu tun, und die Arbeit wurde dem
neuen Knecht sehr sauer, aus zwei Gründen. Einmal arbeitet es sich
schlecht mit hungrigem Magen, wenn einer tagelang gefastet hat, und
dann - stieß die Küche an die Werkstatt des Meisters. Da stand



till eulenspiegel-062. arpa

die Frau mit der Magd, da wurde geklopft, gerührt, gequirlt, gesot-
ten und gebraten, und ein lieblicher Duft verbreitete sich in der
ganzen Werkstatt. Der Meister aber plagte Till sehr mit der Arbeit,
bald mußte er an die Bälge, bald an den Amboß, bald an den Schraub-
stock, hier hämmern, dort zuhalten, laufen und scharwerken, alles
mit hohlem, knurrendem Magen. Allein Eulenspiegel war frohgemut,
denn er dachte: Geduld, mein lieber Magen, bald gibt es eine schmack-
hafte Brühe mit fetten Brocken darin, vielleicht auch einen gewürz-
ten Brei, wohl gar ein Stücklein Fleisch, wie eine Hand groß.

Endlich war das Essen in der Küche fertig und angerichtet, die
Meisterin trat in die Tür und bat den Meister zu Tisch. Von Eulen-
spiegel sagte sie nichts, der mußte weiterarbeiten. Dabei konnte er
hören, wie der Mann das Essen lobte, konnte auch merken, daß es
ihm vortreiflich schmeckte. Du wirst mir wohl nicht alles wegessen,
dachte Eulenspiegel, wenigstens aber einige Knödel übriglassen. Ach,
lieber Meister, hattest du meinen Hunger, so bliebe kein Bissen mehr
übrig. Endlich war der Schmied fertig, wischte sich den Mund und
sagte zu dem Gesellen:

"Deine Mahlzeit ist draußen angerichtet. Komm mit in den
Schweinestall!"

Verwundert folgte Eulenspiegel dem Meister in den Stall; da hatte
die Magd dem Borstenvieh Gerstenschrot in den Trog geschüttet,
und die Tiere schlampten und matschten in dem Futter.

"Sieh, lieber Knecht", sagte der Meister, "da ist gutes Essen für
dich. Nimm dir dein Teil! Du wolltest ja essen, was die andern nicht
mögen. Wünsche gesegnete Mahlzeit!"Dann ging er höhnisch lachend
davon.

Da stand nun Till Eulenspiegel, der redliche, brave Knecht, der
sein Lebtag nichts anderes getan hatte, als was ihm seine Brotherren



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befahlen, stand da wie der verlorene Sohn im Gleichnis und litt
Hungerqualen wie dieser.

Die Magd, welche die Worte des Meisters gehört hatte, erbarmte
es, so daß sie ihm heimlich ein Stück Brot zusteckte, damit der neue
Knecht nicht vor Ermattung umfiele.

Als er nun wieder in die Schmiede kam, gab ihm der Meister Ar-
beit bis zum Abend, dann gab er ihm auch ein wenig zu essen. Er selbst
aß reichlich und legte sich auch zeitig zu Bett. Ehe er aber ging, sagte
er zu dem Knecht: "Steh morgen zeitig auf und schmiede eins
fürs andere, was du hast, haue auch Hufnagel ab, bis ich komme. Die
Magd soll die Bälge ziehen."

Nun ging auch Eulenspiegel zur Ruhe. Am andern Morgen stand
er früh auf und dachte: Eigentlich hat mir der gute Meister nicht
übler mitgespielt, als ich so vielen anderen Leuten, doch soll er nicht
sagen, daß er Till Eulenspiegel übertrumpft habe.

Nun machte er ein großes Feuer an, ließ auch die Magd fleißig
die Bälge handhaben. Dann nahm er die Zangen des Schmiedes und
schweißte die beiden Teile derselben unlöslich zusammen, schweißte
je zwei Hämmer auf dieselbe Weise aneinander, machte es so
mit Schürhaken und Feuerspieß und verdarb so alles Handwerksge-
rät. Nun kam die Reihe an die Hufnagel. Da hieb er keine neuen, wie
der Meister ihm geheißen, sondern hielt sich nach seiner alten Schalk-
heit an die Worte des Auftraggebers, schlug den Nägeln die Köpfe
ab und legte Köpfe und Stifte auf besondere Haufen. Sowie er aber
den Meister die Treppe herunterkommen hörte, nahm er rasch seine
Siebensachen und entwich durch den hohen Schnee.

Als der Meister sah, wie sehr ihn der Schelm genarrt hatte, wurde
er fuchswild und wollte ihm an den Kragen.

Die Magd aber sagte: "Gebt Euch keine Mühe, der ist schon auf



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und davon, hat auch flunkere Beine als Ihr, ist er doch einmal Seil-
tänzer gewesen. Er hat auch noch etwas an die Tür gemalt und
geschrieben, aber ich weiß nicht was."

Da besah sich der Meister seine Tür von draußen, auf der Eulen-
spiegel eine Eule mit einem Spiegel mit Kohle gemalt hatte. Darun-
ter stand auf lateinisch: Hic fuit. Der Schmied wußte nicht, was das
bedeuten solle, rief daher den Pfarrer, der gerade vorüberging, und
bat ihn, die Inschrift zu entziffern.

Der sagte: "Nun, das heißt: Hier ist Eulenspiegel gewesen. Ich
habe gehört, daß es die Gewohnheit des Schalks ist, sein Wappen
überall dort anzumalen, wo er einmal gewesen ist und nicht wieder
hinkommen will. Aber sagt mir doch, lieber Meister, warum habt
Ihr mir nicht mitgeteilt, daß Eulenspiegel unter Euerm Dache war?

Der Überall und Nirgendwo,
Des Streiche sind so dreist und froh
Und landbekannt
Im Sachsenland?
Gern hätte ich den Schalk einmal gesehen."

Der Schmied meinte, daran hätte er nicht gedacht, wäre auch kein
Freund von solchen Streichen wie dem, den ihm der Schalk soeben
in der Schmiede gespielt habe. Damit zeigte er dem Pfarrer die
wüstete Werkstatt.

Der Pfarrer aber lachte nur dazu und meinte: "Nun habt Ihr
ein schönes Andenken an ihn, verehrt mir auch eins. Schenkt mir die
Tür mit seinem selbstgemalten Wappen! Ich will Euch eine andere
beim Meister Schreiner machen lassen."



till eulenspiegel-065. arpa

Das war dem Schmied wohl recht, denn er wollte den Spott des
fahrenden Gesellen nicht an seiner Tür dulden. Der Pfarrer aber
nahm die Tür und verwahrte sie als Andenken. Sie vererbte sich
nach seinem Tode und ging von Hand zu Hand, bis sie ein reicher

Engländer entdeckte. Der kaufte sie für eine hohe Summe und nahm
sie mit in seine Heimat über dem Meere. Wer sie heute noch sehen
will, der muß nach Oxford reisen. Da hängt sie unter allerhand ehr-
würdigem Gerümpel in dem Museum der Universität.


Kein Glück bei der Tuchmacherei

Der harte Winter wollte gar kein Ende nehmen, und als Till Eu-
lenspiegel nach Stendal in der Altmark kam, konnte er nicht mehr
weiter. Um nicht vor Hunger und Kälte zu sterben, mußte er wohl
oder übel einen Meister um Arbeit bitten. Da er bei keinem Schmied
ankommen konnte, versuchte er es bei einem Tuchmacher. Er fand



till eulenspiegel-066. arpa

einen schüchternen, fleißigen Mann, bei dem er sich erholte. Kaum
aber war der Frost aus seinen Gliedern und der hungrige Magen ge-
stillt, so saß ihm wieder der Schalk im Nacken, und er plante über-
mütige Streiche. Am nächsten Sonntag sagte der Meister zu ihm:

"Lieber Knecht, ich weiß sehr wohl, daß ihr Gesellen gern den
Montag feiert und in der Herberge liegt, aber das ist nicht meine
Art. Bei mir wird der Sonntag gefeiert, die ganze Woche aber hin-
tereinander tüchtig geschafft."

"Gerade so bin ich's gewohnt", antwortete Till, "und so werde
ich's halten." Er machte also nicht "blau", wie die Arbeiter im vier-
zehnten Jahrhundert zu tun pflegten, sondern schaffte fleißig auch
am Montag.

Nun fiel das Fest der Heiligen Drei Könige auf den nächsten Don-
nerstag. Da zog der Meister seinen besten Rock an und ging mit sei-
ner Frau in die Frühmesse. Kaum war er in der Kirche, so stürzte der
Mesner wütend auf ihn zu und schnaubte ihn an:

"Das ist mir eine schöne Frömmigkeit! Setzt sich da heuchlerisch
in die Kirche, und daheim bei ihm geht es zu, als ob der Gottseibei-
uns sein Wesen treibe."

Der Meister wußte nicht, wie ihm geschah. Eiligst verließ er die
Kirche, um das Unglück zu Hause anzusehen. Da hörte er schon von
weitem einen Heidenspektakel. Eulenspiegel hatte Fenster und Tü-
ren geöffnet und schlug Wolle wie besessen, daß die Fäden auf die
Straße flogen. Dazu sang er laut, wie ein munterer Geselle tut, der
gern bei der Arbeit ist, tat auch nicht, als ob er den eintretenden
Meister bemerke oder sich durch ihn stören lassen wolle.

Der aber griff ihn beim Arme und sagte erschrocken: "Gesell, was
tust du?"

"Nicht mehr oder minder, wie Ihr mir geheißen habt", erwiderte



till eulenspiegel-067. arpa

er. "Ihr befahlt mir, die ganze Woche tüchtig zu arbeiten, den Sonn-
tag aber zu feiern. Nun will ich den Schelm sehen, der mich von
dem abhält, was meines Amtes ist."

Darauf erwiderte der Meister: "So war das nicht gemeint, mein
guter Gesell. Heute ist ein heiliger Tag, da mußt du gleichfalls fei-
ern, den Lohn will ich dir wohl auszahlen, als ob du gearbeitet hät-
test."

"Wenn Ihr meint, Meister", sagte Eulenspiegel, "so will ich auch
diesen Euern Willen tun und faulenzen. Ich hätte aber lieber ge-
arbeitet, denn nichts macht mir mehr Vergnügen." Das glaubte ihm
der Meister, und darauf ward es ruhig im Hause.

Am Abend saßen Meister und Gesch beieinander und erzählten
sich etwas. Da sagte der Tuchmacher: "Lieber Knecht, ich sehe, daß
du fleißig bist und gerne arbeitest, doch meine ich, du könntest die
Wolle wohl ein wenig höher schlagen, um so besser wird sie."

Das merkte sich Eulenspiegel. Als er am andern Tage aufstand,
nahm er sein Gerät aus der Werkstatt und stieg damit auf den
Boden, stellte sich auf eine Leiter und schlug Wolle aus Leibeskräften.

Davon wachte der Meister auf, ging ihm nach und rief ihm zu:
"Was zum Teufel machst du da? Ist in der Werkstatt etwa kein
Raum zum Arbeiten?"

"Ich tue nach Euern Worten", antwortete Eulenspiegel, "ich sollte
die Wolle doch höher schlagen. Ist es hoch genug, Meister?"

"Warum nicht gar!" sagte der, "auf dem Dache ist es noch höher."
Damit ging er ärgerlich nach unten, glaubte aber, daß der Narr nun
n der Werkstatt arbeiten werde. Der aber stieg durch die Ziegel auf
las Dach, holte seine Arbeit nach und karbatschte seine Wolle auf
diesem luftigen Sitz. Der Meister mußte auf die Gasse gehen, um das
Schauspiel genießen zu können.



till eulenspiegel-068. arpa

"Was sind das für Narrheiten!" rief er hinauf, "hat man je ge-
hört, daß ein Tuchmacher auf dem Dache Wolle geschlagen hätte?"

"Unten schlägt sich's freilich besser", sagte der Schalk, "aber was
kann ich dafür, daß Ihr mir solche seltsamen Aufträge gebt? Ein
armer Knecht muß eben seinem Meister zu Willen sein, wenn er leben
will."

"Du willst eben alles anders verstehen, du Erzschalk!" rief der
Meister. "Du bist imstande, mir die Wolle auf dem Kopfe zu
schlagen."

Kaum hatte er das gesagt, da warf Eulenspiegel alle Wolle dem
Meister auf den Kopf, daß es stäubte und die Straße voll Wolle lag.
"Gleich komme ich hinunter und schlage sie Euch nach Gefallen!"
rief er dem Meister zu.



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"Nein, mein guter Gesell, räume mir lieber die Werkstatt und
lasse dich nicht wieder blicken."

Sogleich sprang Eulenspiegel in die Werkstatt, warf Bütten und
Zuber, Farbfässer, Stühle und Bänke, dazu alles Gerät aus der Werk-
statt, um richtig und wörtlich zu räumen, aber der Meister kam
mit einem großen Knüppel und wollte ihm zu Leibe.

Da entwich Till behende und sagte: "Es tut mir nur leid, daß ich
es Euch nicht recht machen konnte, aber es ist wirklich nicht einfach,
Euern Dank zu verdienen."


Der Faulpelz in den Pelzen

Eulenspiegel wanderte nun nach Aschersieben und suchte auch hier
eine Unterkunft. Die fand er bei einem Kürschner, der wegen des
strengen Winters viel Arbeit hatte und einen Knecht gut gebrauchen
konnte. Bald saß Eulenspiegel mit dem Meister in der Werkstatt
und nähte Pelze, jedoch war ihm der Geruch der Ware sehr zuwider.

Der Kürschner merkte das und lachte ihn aus. "Das ist mir ein
rechter Kürschner", sagte er, "der den Geruch der Schafspelze nicht
vertragen kann. Du scheinst noch nicht lange beim Handwerk zu sein,
sonst würde dich der Geruch nicht anfechten."

"Ihr habt recht, Meister", antwortete er, "ich bin noch nicht
lange dabei."

"Nun", meinte der Kürschner, "wenn du erst, sagen wir, vier
Nächte bei dem Werk geschlafen hast, dann wirst du dich wohl
daran gewöhnt haben."

"Ich höre, daß Ihr mir gestattet, vier Nächte bei dem Werk zu
schlafen", antwortete Eulenspiegel. Da lachte der Meister und ging



till eulenspiegel-070. arpa

zur Ruhe, ohne Schlimmes zu vermuten. Till aber nahm nun die
zubereiteten, fertigen Felle, die an den Gestellen hingen, nahm auch
die nassen, die im Kalk lagen, schleppte alle auf den Boden, warf sie
durcheinander und kroch hinein. So schlief er nun bis in den hellen
Morgen.

Der Kürschner stand als Erster auf und sah nach seinen Vorräten.
0 Himmel! Die nassen Felle waren aus der Beize verschwunden
und an den Gestellen fehlten die fertigen Pelze. Da schrie der Mann
so laut, daß man es auf der Straße hören konnte. "Frau, Frau, wir
sind bestohlen! Oh, ich geschlagener Mann, mein ganzes Vermögen
ist dahin!"

Nun kamen Frau und Magd auch herbeigelaufen und halfen ihm
jammern und wehklagen. Da fiel es dem Meister ein, nach dem neuen
Knecht zu suchen. Er rief nach ihm im ganzen Hause und suchte ihn
auch auf dem Boden. Dort fand er sein ganzes Vermögen bunt durch-
einandergeworfen, so daß ein Stück das andere verderben mußte.
Da fing er an, von neuem zu jammern. Endlich hörte er Eulenspiegels
Stimme: "Was hat man Euch denn getan, Meister, daß Ihr so herz-
bewegend klagt? Sagt mir's, ich bitte Euch!"

Der Mann hörte die Stimme, wußte aber nicht, woher sie kam.
Er rief darum: "Knecht, wo bist du?"

Da stand Eulenspiegel mit der unschuldigsten Miene von der Welt
auf, und der Meister sah nun, daß der Schlingel zwischen den Fellen
gelegen hatte, und konnte sich auch denken, wer das Unheil ange-
richtet habe.

"Also du bist es gewesen", rief er, "der mir die teure Ware von
den Gestellen und die nassen Stücke aus der Beize genommen hat, so
daß eins mit dem andern verderben muß! Du hast mir großen Scha-
den getan. Möge dir nimmer Gutes geschehen!"



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Auf diese Scheltreden antwortete der unschuldige Till ganz ruhig:
"Ihr habt mir doch aufgetragen, vier Nächte bei dem Werk zu schla-
fen, damit ich mich an den Geruch der Felle gewöhnen kann. Nun
seid Ihr ungehalten, weil ich Euch gehorcht habe. Wenn Ihr solche
Reden schon nach der ersten Nacht führt, was soll das werden, wenn
ich nach Eurem Geheiß vier Nächte bei dem Werk geschlafen habe!
Ich will ein Schalk sein, wenn ich das verstehe."

"Du bist ein Schalk und hast mir die Worte im Munde umgedreht;
ich habe dich nicht geheißen, mir die Vorräte zu verderben. Du sollst
mir aber deine Schalkheit büßen, denn ich will nicht umsonst ge-
narrt worden sein."

Mit diesen Worten ergriff der erzürnte Mann einen Knüttel und
wollte auf ihn losschlagen. Allein der gewandte Schelm wich ihm
aus und gewann die Treppe. Doch war der Meister hart hinter ihm
her. Es hätte ihm übel ergehen können, denn vor der Treppe stand
die Meisterin samt der Magd, die ihn aufhalten wollten.

Da sprang der Seiltänzer gewandt über das Geländer in den Flur,
und von da ins Freie. Der Kürschner aber, der ihm in blinder Wut
nachsetzte, fiel über Frau und Magd, worauf alle drei fielen und über-
einanderkugelten. Man weiß in Aschersleben nicht, ob der zornige
Kürschner dem Schalk Zeit ließ, sein Wappen an die Tür zu malen.


Nirgends ist Dank zu verdienen

Nach mannigfachen Kreuz- und Querzügen tauchte Eulenspiegel
wieder in Berlin auf. Du hast dich an den Geruch der Pelze gewöhnt,
dachte er, und kannst es noch einmal bei einem Kürschner versuchen.
Da traf er einen sehr kunstfertigen Meister, der sehr vornehme



till eulenspiegel-072. arpa

Kundschaft hatte und wohl noch einen Knecht brauchen konnte. Der
Kürschner war indes sehr wählerisch, stellte hohe Anforderungen
und prüfte den Neuling erst auf seine Fähigkeiten. Ob er das Hand-
werk auch wohl recht verstände, fragte er.

"Das will ich meinen", antwortete Till, "ich habe überall nach den
Wünschen meiner Meister gearbeitet."

Ob er wohl Wölfe machen könne, fragte jener weiter.

"Gerade Wölfe mache ich am liebsten", erwiderte er. "Dafür bin
ich in ganz Sachsen bekannt."

"Nun, so mache Wölfe", antwortete der Kürschner, "hier sind die
Pelze, Handwerkszeug ist auch vorhanden. Über den Lohn wollen
wir schon einig werden."

"Ja", antwortete Till scheinheilig, "ich habe Euch als einen recht-
schaffenen Meister rühmen hören, der jedem wackeren Knechte sei-
nen gerechten Lohn nicht vorenthält."

Er wußte es aber besser, denn es war in ganz Berlin bekannt, daß
der Kürschner ein Betrüger war, der seinen Arbeitern nicht gab,
was ihnen zukam. Doch wollte dieser das nie zugestehen. Die Rede
des Knechtes schmeichelte ihm indessen, und er wies ihm seinen Platz
in der Werkstatt an.

Eulenspiegel aber sagte: "Wie Ihr ein guter Meister seid, so bin ich
auch ein feiner Arbeiter. Ich pflege nicht mit den andern zusammen-
zusitzen, sondern muß mein Stüblein für mich allein haben, wenn ich
etwas Rechtes nach Eurem Willen schaffen soll."

"Recht so", sagte der Meister, "ich habe noch eine Stube, die magst
du für dich allein behalten."

Der Meister trug ihm also die Pelze selbst mit in jenes Zimmer,
gab ihm Maße mit und hieß ihn fleißig Wölfe machen. Da dachte
Eulenspiegel: Es ist doch ein ander Ding, wenn man zur Arbeit richtige



till eulenspiegel-073. arpa

Pelze vor sich hat, nicht Leder oder Tuch. Hieraus läßt sich alle-
mal etwas Rechtschaffenes wirken.
Nun fing er an zu arbeiten, zerschnitt die Pelze, gab ihnen die For-
men von Wölfen und balgte sie mit Heu aus. Dann machte er ihnen
Beine und steckte Hölzer als Stützen darein, so daß es aussah, als ob
sie lebten. Danach rief er den Meister:

"Herr, die Wölfe sind fertig zugeschnitten, soll ich sie auch noch
nähen?"

"Ja, mein Sohn", erwiderte er, "nähe nur, soviel du kannst."

Dabei plagte ihn doch die Neugierde, zu sehen, was der kunst-
reiche Geselle wohl fertiggebracht habe. Er ging in das Zimmer
und sperrte Mund und Augen auf, denn vor sich erblickte er ein Ru-
del nachgemachter Wölfe.

"Du Schalk!" rief er endlich, "das nennst du Wolfspelze? Was
hast du getan! Mir meine schönen Felle verhunzt zu solchen Gauke-
leien! Ich will dich fangen und strafen lassen."

Eulenspiegel antwortete: "Ist das mein Lohn und Dank, so haben
die gelogen, die Euch einen rechtschaffenen Meister nannten, der



till eulenspiegel-074. arpa

jedem wackeren Knechte den verdienten Lohn zahlt. Hättet Ihr mir
gleich gesagt, daß ich Euch Wolfspelze machen soll, so hätte ich mir
mit dieser Arbeit nicht so viel Mühe zu machen brauchen und wäre
zeitiger fertig geworden."

"Suche dir als Meister einen Schelm, der zu dir paßt, du Schaden-
stifter!" rief der erzürnte Mann, "und gehe mir schnell aus dem
Hause."

"Ich gehe schon", sagte Eulenspiegel.

"Schneller!" rief der Kürschner und griff nach einem Knüttel, um
ihm Beine zu machen. Aber es war vergebliche Mühe, einem Eulen-
spiegel eines auszuwischen. Der Kürschner hatte das Nachsehen und
fand zu seinem Verdrusse auch noch des Narren Wappen an seiner
Tür. Hätte ich früher gewußt, was ich jetzt weiß, dachte der Mei-
ster, so wäre ich von dem landbekannten Schalk nicht genarrt
worden.


Die Wahrheit wird nicht überall gern gehört

Auch in Sangerhausen in der Goldenen Aue trieb Eulenspiegel sein
Wesen und verübte lose Streiche. Er kam in die Herberge "Zur
Sonne", wo er sich auszuruhen gedachte. Es war milde Frühlingszeit,
da hatte er es nicht nötig, sich bei einem Meister ein Unterkommen
zu verschaffen. In der Herberge war nur die Sonnenwirtin anwesend,
sie schielte und hatte rote Haare, dazu war sie sehr neugierig.

heißt Ihr denn, werter Gast?" fragte sie.
"Till Eulenspiegel", antwortete er.
"Und woher seid Ihr gebürtig?"
"Aus Kneitlingen, liebe Frau."



till eulenspiegel-075. arpa

"Und was seid Ihr für einer?"

"Ich bin ein Handwerker."

"Da bin ich so klug wie vorher, ich meine, was für einer?"

"Einer, der allen Leuten die Wahrheit sagt."

"Das höre ich gerne", sprach sie, "daß einer die Wahrheit sagt.
Laufen doch so viele Schälke in die ,Sonne', die mit Lügen vollge-
stopft sind. Versteht Ihr sonst keine Kunst?"

"Nun", sagte er, "ich kann alte Weiber von ihren roten Haaren
erlösen."

"Und wie tut Ihr das?"fragte sie.

"Das geht ganz leicht mit einem Rasiermesser."

"Ihr seid ein Schalk, wie ich merke", sagte sie, "mit Eurer Kunst
scheint es nicht weit her zu sein."

"Schiele, schiele Frau", sagte er, "könnte ich bei Euch wohl ein
Weißmus essen? Ich bin nämlich sehr hungrig."

"Eine solche Unverschämtheit hat mir aber noch keiner geboten",
antwortete sie zornig. "Erst macht Ihr Euch - das habe ich wohl
gemerkt - über meine Haare lustig, und nun werft Ihr mir vor,
daß ich schiele, das hat sich doch noch keiner herausgenommen,
wenn auch hier manchmal recht rüdes Volk verkehrt."

"Ei, liebe Frau, wie Ihr doch lügen könnt!" sagte der Schalk.
"Ihr sagtet doch, daß Ihr gerne die Wahrheit hört, nun habe ich
doch nichts weiter gesagt als die Wahrheit, und Ihr seid so zornig ge-
worden. Nun verstehe ich wohl, daß seit Weltbeginn um der Wahr-
heit willen so viele brave Männer Pein leiden mußten. Ein jeder
ist begierig, die Wahrheit zu erfahren, und hat doch keine Ohren
dafür."

Ober solche Schalkheit lachte die Wirtin und bereitete ihm sein
\Veißrnii~



till eulenspiegel-076. arpa


Seltsame Wäsche

Eulenspiegel hatte sich mit der Sonnenwirtin also wieder ver-
söhnt, teilte ihr auch mit, daß er ein Kürschner sei.

"Ich habe in Aschersieben lange bei dem Werk geschlafen", sagte
er, "da gewöhnt sich einer an das Geschäft. In Berlin galt ich als
feiner Arbeiter, hatte eine eigene Werkstatt und machte die schön-
sten Wölfe. Sie reden dort jetzt noch davon."

Als die Sonnenwirtin solche Reden hörte, konnte sie es nicht las-
sen, dem fahrenden Gesellen ihren Pelz zu zeigen, denn sie war
bei aller Einfalt eitel und hatte im vorigen Winter gegen den Wil-
len ihres Mannes das teure Stück gekauft, um es den vornehmen und
adeligen Frauen gleichzutun. Eulenspiegel sollte sein Urteil abgeben.
Er sagte listig: "Der Pelz ist ganz schön und preiswert, will ich mei-
nen, aber er müßte einmal gewaschen werden, dann wird er wieder
wie neu."

Das glaubte die törichte Frau und fragte ihn, ob er den Pelz wohl
waschen könne.

"Ei freilich", sagte er, "ich habe schon manchem den Pelz ge-
waschen."

Nun lief die Sonnenwirtin zu ihren Freundinnen in der Nachbar-
schaft und erzählte ihnen, bei ihr sei ein unglaublich geschickter,
weitgereister Kürschner eingekehrt, der Pelze waschen und dadurch
so gut wie neu zu machen verstehe. Die Gevatterinnen, die ebenso
eitel und womöglich noch dümmer waren als die schielende Sonnen-
wirtin, hatten nun nichts Eiligeres zu tun, als aus Laden und Spinden
ihre Herrlichkeiten zu holen, Iltis-, Nerz-, Biber- und Fuchspelze,
die sie dem Wundermanne in die "Sonne"brachten, damit er sie wa-
schen und wie neu machen sollte.



till eulenspiegel-077. arpa

Das war eine Arbeit nach Eulenspiegels Geschmack. Er begehrte zu
dem Werk die drei größten Kessel, die aufzutreiben waren, dar-
unter entzündete er ein mächtiges Feuer, als ob ein Ochse gebraten
werden sollte. Die Frauen standen dabei und betrachteten alles, um
das Geschäft für künftige Fälle gründlich zu lernen. Das war ihm
unbequem, und er gebot ihnen darum, Milch zu holen, die er für
seine Arbeit benötige. Soviel wie möglich!

Da liefen die guten Weiber heim und holten so viel Milch, wie
zum Füllen der drei großen Kessel nötig war. In die kochende Milch
steckte er nun die Pelze, einen nach dem andern, gleichmäßig auf die
Kessel verteilt. Als nun die Ahnungslosen mit offenem Munde wie-
der in der Küche standen, schickte er sie abermals weg, indem er
ihnen befahl, aus dem Walde recht zarte Birkenrinde zu holen, und
zwar nicht wenig. Dann würde er die Pelze herausnehmen und in
klarem, schönem Wasser auswaschen. Dazu brauche er die Birken-
rinde.

Die Frauen, die durchaus durch Schaden klug werden wollten, be-
eilten sich, diesem Wunsch nachzukommen, und jede war nur darauf
bedacht, daß keine die andere an Eifer übertreffen sollte. Auch die
Kinder gingen mit in den Wald und jubelten: "Ho, ho, wir kriegen
schöne neue Pelze! Wir kriegen neue Pelze!"

Eulenspiegel sah ihnen lachend nach und rief ihnen zu: "Freut
euch lieber erst, wenn sie fertig sind!"

Als nun die Frauen fort waren, legte er noch einige Scheite Holz
in das Feuer, tauchte die Pelze ordentlich unter und ging davon. Die
Frauen beeilten sich sehr, aber als sie mit ihren großen Körben voll
schöner Birkenrinde zurückkamen, war der Vogel ausgeflogen. Nun
wollte jede ihren Pelz aus der Brühe herausnehmen und sehen, ob er
sauber und schön geworden sei, fanden aber zu ihrem Schrecken, daß



till eulenspiegel-078. arpa

alles durchweicht und völlig verdorben war. Nun klagten sie ihren
Kummer den Ehemännern, diese aber sagten: "Ihr seid für eure
Eitelkeit gebührend bestraft worden, seht euch das Tor der Schenke
an, da ist mit Kreide das Wappen desjenigen angemalt, der euch diese
verdiente Lehre gegeben hat."

Falscher Hase

Auch in unseren Tagen können die Köchinnen mit verschiedenen
Fleischsorten, Brühen und Zutaten ein Gericht bereiten, das wenig-
stens in der Form dem Hasenbraten gleichkommt. Till Eulenspiegel
hat als erster ein solches Kochrezept erfunden, und das war in Leip-
zig. Er war in der Herberge "Zum schwarzen Brett" und ärgerte
sich über die Kürschnermeister, von denen ihn keiner aufnehmen
wollte, wenn er auch versicherte, daß er lange bei dem Werk geschla-
fen habe, im Wölfemachen unerreicht sei und in Sangerhausen ein
neues Verfahren entdeckt habe, wonach man die Pelze waschen, da-
durch neu herstellen und die Frauen damit höchlichst beglücken
könne.

Er hätte den ehrbaren Zunftmeistern herzlich gern einen Streich
gespielt, wußte aber nicht, wie er sie fassen sollte. Da hörte er, daß
die Kürschnergilde ein Fest zu feiern gedachte. Es sollte in Braten
und Gose - dem Leipziger Bier -geschlemmt werden. Auch einen
Hasenbraten wollten sie sich leisten, wenn es möglich wäre. Darauf
baute Eulenspiegel seinen Plan. Er ließ sich vom Koch im "Schwar-
zen Brett" ein recht großes Hasenfell schenken, fing eine Katze und



till eulenspiegel-079. arpa

nähte sie in das Fell hinein, lieh einen Sack und einen Bauernkittel,
steckte die Katze in den Sack, sich selbst in den Kittel und stellte sich
dreist auf den Markt, um seine kuriose Ware zu verkaufen. Da kam
wohl mancher und forschte neugierig nach dem Inhalte des Sackes,
doch wartete Till, bis einer von denen kam, die er foppen wollte.

Richtig erschien da ein Kürschner, der zum Festschmaus Einkäufe
machen wollte; dem bot Eulenspiegel seinen Hasen an und ließ den
Mann in den Sack sehen. Als der Mann diesen unverfälschten Braten
erblickte, war er ganz begeistert. Diese herrliche Gelegenheit, sich um
das Gemeinwohl verdient zu machen, wollte er sich nicht entgehen
lassen. Er wurde mit dem vermeintlichen Bauern handelseinig und
bezahlte ihm für das Tier einen Silbergroschen, für den Sack aber
sechs Pfennige, woraus man sehen kann, daß die Hasen zu Eulen-
spiegels Zeit etwas billiger waren als in unseren Tagen.

Der Kürschner aber zog im Triumph mit seiner Beute davon, ern-
tete auch großes Lob von seinen Freunden, denn jeder konnte ja
schon durch den Sack hindurch fühlen, wie fett das Tier war. Die
Freude war wirklich allgemein und stieg auf den Gipfel, als ein heller
Kopf vorschlug, eine fröhliche Hasenjagd im Hofe des obersten
Zunftmeisters zu veranstalten. Und wer liebt nicht das edle Waid-
werk! Außerdem war gar nicht zu fürchten, daß Meister Lampe etwa
entwischen könnte, denn der Baumhof war durch Mauern nach allen
vier Windrichtungen hinlänglich gesichert. Beinahe zum Überfluß
hatten die glücklichen Jäger auch einen Jagdhund, so daß nun alle
Vorbedingungen erfüllt waren.

Erst wurde der Hase aus seiner Haft befreit und dann mit Hussa
der Hund losgelassen. Aber wie groß wurden ihre Augen, als der
Hase wie der Wind vor dem Köter auf den Baum entwich und von
da ein klägliches "Miau" ertönen ließ!



till eulenspiegel-080. arpa

"Wir sind genasführt!" schrie
die ganze ehrbare Zunft, denn das
Verbrechen lag nun klar zu Tage,
"und der Schalk, der uns den
Streich gespielt hat, der soll uns
büßen!"

Sie rannten auf den Markt, um
den Bösewicht zu fassen, aber der
hatte inzwischen andere Kleider
angelegt, und sie konnten ihn nir-
gends entdecken.

Seit der Zeit werden die Leip-
ziger Kürschner ungehalten, wenn
man ihnen nachsagt, daß sie in der
Herberge "Zum schwarzen Brett"
oder sonstwo Katzenbraten statt
Hasenbraten gegessen hätten. Sie
halten das für böse Fopperei.

In Leipzig fühlte sich Eulenspie-
gel indes auf die Dauer doch nicht
sicher, denn die Kürschner, die von
allen Seiten wegen der verunglückten




till eulenspiegel-081. arpa

Hasenjagd gehänselt wurden, hatten seine Spur gefunden
und wollten ihm zu Leibe. Da wandte er den undankbaren Leuten
den Rücken und wählte sich die schöne Stadt Dresden zu neuer
segensreicher Wirksamkeit.

Großes Mißverständnis in Dresden

Hier fand er einen Tischlermeister, dem er sich als Geselle ver-
dingte. Einige Tage verdiente er leidlich seinen Tagelohn, dachte
auch an keine Schalkheit. Lange hielt er es aber so nicht aus. Es war
eine Hochzeit in der Stadt, dazu war der Meister mit seiner Frau
eingeladen. Da sagte er zu Till: "Mein lieber Knecht, ich muß zur
Hochzeit gehen und werde bei Tag nicht wiederkommen. Arbeite
du währenddessen fleißig und bringe die vier Bretter dort auf dem
Tische auf das genaueste in den Leim."

Da fragte Eulenspiegel: "Welche Bretter gehören denn zusam-
men, Meister?"

"Diese vier", antwortete der Tischler, nahm die Bretter und legte
sie aufeinander. Dann ging er zur Hochzeit. Nun wäre Till auch gern
einmal auf einer Hochzeit gewesen, da das aber nicht sein konnte, so
beschloß er, sich auf seine Weise zu vergnügen.

Stets war er doch der gute Knecht,
Tat lieber alles falsch statt recht.

Also kochte er im größten Kessel Leim, nahm dann die schönge-
maserten vier Bretter, die für einen Tisch bestimmt waren, legte sie
aufeinander, nagelte sie zusammen und steckte sie dann in den Leim,



till eulenspiegel-082. arpa

erst am einen Ende, dann am andern, und, froh seines Werkes, nahm
er sie und hängte sie zum Dachfenster hinaus, damit sie an der
Sonne trocknen sollten. Mit dem Gefühl treuer Pflichterfüllung
machte er dann Feierabend und strich in Dresden umher. Am Abend
kam der Meister fröhlich nach Hause und sagte zu Eulenspiegel: "Ge-
sell, hast du nach meinen Worten gearbeitet?"

"Gewiß, Meister", antwortete Eulenspiegel der Wahrheit gemäß,
"ich habe die vier Bretter auf das genaueste in den Leim gebracht
und zum Trocknen aufgehängt."

Der Meister freute sich über diesen Gehorsam und sagte heimlich
zu seiner Frau: "Einen solch guten Knecht kriegt man nicht alle Tage,
den müssen wir uns warm halten."

Da meinte die Frau: "Ich will ihm morgen eine schöne Milch-
suppe kochen und zu Mittag einen gewürzten Mehlbrei, dazu ein
Stück Braten. Wir haben ja heute auch schön gegessen und ge-
trunken."

"Tue das", sagte der Meister und ging zu Bett.

Am andern Tage, als der Mann ausgeschlafen hatte, ging er zu
dem Gesellen und begehrte seine Arbeit zu sehen.

Da lief Till Eulenspiegel pflichteifrig auf den Hausboden, um die
vernagelten, verleimten Bretter herbeizuschleppen.

"Was ist das?" rief da der Meister erstaunt und sehr unliebsam
überrascht, "Knecht, du willst ein Tischler sein und bringst solche
Narretei zuwege? Ich denke, du bringst die fertige Tischplatte!"

"Was Ihr denkt, das weiß ich nicht", antwortete der Schalk, "wie
kann einer des andern Gedanken erraten! Aber was Ihr mir gesagt
habt, das weiß ich."

"Knecht, wo hast du denn das Handwerk erlernt?"fragte zornig
der Meister.



till eulenspiegel-083. arpa

"Ich weiß nicht, was Ihr wollt", sagte er, "warum fragt Ihr da-
nach?"

"Warum ich danach frage? Nun, weil du mir meine schönen Bret-
ter ruiniert hast, deshalb frage ich. Und jetzt gehe mir aus den Augen
und meide mir Werkstelle und Haus, denn einen solchen Schalksnar-
ren, wie du bist, mag ich nicht mehr unter meinem Dach haben."

Also schied der fromme Eulenspiegel von Dresden und verdiente
sich auch keinen Dank, obschon er nichts anderes getan, als man ihm
aufgetragen hatte.


Er zeigt seine Fertigkeit im Lederbereiten

Das Heimweh zog den braven Till Eulenspiegel aus dem Meißner
Land doch wieder nach seinem lieben Braunschweig. Da ging er zu
einem Gerber und half tüchtig mit, das Leder für die Schuhmacher
zu bereiten. Es war kalter Winter, eine Zeit, in der vielen die Lust
zu Narrenstreichen vergeht, darum hielt sich auch Till eine Woche
lang kreuzbrav, und das wollte bei ihm viel heißen. Überdies saß
ihm der Meister den ganzen Tag auf den Hacken, so daß der lose
Vogel keine Büberei ausführen konnte, wenn er auch gewollt hatte.
Alles ging also schön und gut.

Nun hielt der Meister jede Woche einmal ein Gelage mit seinen
Berufsgenossen ab und fehlte dabei nie. So sagte er eines Tages zu
Eulenspiegel: "Knecht, ich gehe ein paar Stündchen in die Stadt,
mach du den Zuber voll Leder gar."

Da antwortete Eulenspiegel: "Woher soll ich denn das Holz dazu
nehmen?"

"Welche Frage!" erwiderte der Meister stolz, "wenn ich nicht



till eulenspiegel-084. arpa

Holz genug auf dem Boden hätte, so würde ich Stühle und Bänke
nehmen, damit du das Leder gar bekämest."
Der Meister ging, Eulenspiegel aber dachte:

Wenn die Katz aus dem Haus,
Dann freut sich die Maus;
Ist der Herr zum Gelag,
Hat der Narr seinen Tag.

Geschwind legte er eine Haut nach der andern in den Kessel und
sott das Leder, daß es so mürbe wurde, daß man es zwischen den Fin-
gern hätte verreiben können. Hierauf schlug er Tische, Stühle und
Bänke im ganzen Hause kurz und klein und kochte die Häute damit
vollends gar. Darauf nahm er sie aus dem Kessel, legte sie auf einen
Haufen und verließ Haus und Stadt.

Armer Meister! Er ahnte nichts Böses, als er spät vom Gelage
heimkam. Aber sein Rausch verging gar schnell, als er die Verwü-
stung sah. Mit kläglicher Stimme rief er seine Frau, die längst zu
Bett gegangen war, und sagte ihr:

"0 weh, Frau! Hätte ich doch keinen Fuß aus dem Hause gesetzt!
Das Leder ist völlig verdorben, Stühle, Tische und Bänke sind im
ganzen Hause zerschlagen."

"Wer hat das getan?" rief die Frau erschrocken, "doch nicht der
neue Knecht?"

"Wer sonst?" jammerte er, "und nun weiß ich auch, wer er ge-
wesen ist. Das war Till Eulenspiegel, der hier zu Ostern Eulen und
Meerkatzen gebacken hat, der nimmt alles wörtlich, was man ihm
sagt."

"Du mußt ihm nachlaufen", sagte die Frau, "er muß den Scha-
den ersetzen.



till eulenspiegel-085. arpa

"Nein", sagte der Gerber, "den lasse ich lieber laufen, der ist zu
boshaft und bringt kein Glück ins Haus."

So ließ auch hier Eulenspiegel keinen guten Ruf zurück und hatte
doch auch nur getan, was ihm befohlen worden war.


Lustige Streiche in Hamburg

Nach so vielen losen Streichen, die Till Eulenspiegel im Sachsen-
lande verübt hatte, hielt er es für das beste, sich aus der Gegend
zu entfernen. So kam er nach der ehrwürdigen Hansestadt Ham-
burg. Da gefiel es ihm sehr gut und er nahm sich vor, seiner Schalk-
heit wieder die Zügel schießen zu lassen. Wie er nun so auf dem
Hopfenmarkt umherschlenderte, traf er einen, dem man schon von
weitem sein Geschäft ansah und anroch, es war nämlich ein Barbier.

"Woher kommst du?" redete ihn der Barbier an.
"Aus dem Lande Braunschweig", erwiderte Till.
"Und was hast du dort angefangen?"
"Ich habe es allen Leuten recht gemacht."
"Was für ein Gewerbe hast du?"

"Ich bin ein Bartscherer", sagte Eulenspiegel ohne viel Besinnen.
Der Barbier dachte: Ich brauche gerade einen Gehilfen, ich will
den Burschen mieten. Er machte ihm also seinen Vorschlag, Eulen-
spiegel nahm an, und sie einigten sich über den Lohn. Dann sagte
der Barbier: "Dort drüben ist mein Haus, wo die hohen Fenster
sind, da mußt du hineingehen, ich werde gleich nachkommen."

Eulenspiegel fand das Haus mit den hohen Fenstern, die zu ebener
Erde lagen, sogleich und ging ohne Zaudern durch ein solches Fen-
ster, daß die zerbrochenen Scheiben nur so in die Stube flogen. Da



till eulenspiegel-086. arpa

saß die Meisterin und spann. Vor Schrecken ließ sie die Spindel fal-
len, als Eulenspiegel so durch das Fenster einbrach.

"Gott grüße das ehrbare Handwerk!" sagte Till freundlich.

Die Meisterin aber rief erzürnt: "Plagt dich denn der Teufel, durch
das Fenster hereinzukommen? Ist das eine Art? Als ob das Tor nicht
breit genug wäre!"

Eulenspiegel antwortete sanft: "Seid nicht unwirsch, gute Frau
Meisterin, Euer Hauswirt, der mich soeben als Knecht gedingt hat,
befahl mir, so in sein Haus zu kommen."



till eulenspiegel-087. arpa

"Das ist mir ein schöner Knecht, der seinem Herrn die Fenster
verdirbt", antwortete sie.

Unter solchen Reden kam auch der Meister an, sah den Unfug und
sprach: "Was soll das heißen? Konntest du nicht zur Tür hereinkom-
men? Wie kommst du dazu, mir mein Fenster zu zerbrechen?"

Da antwortete Till Eulenspiegel: "Lieber Meister, Ihr hießet mich
doch da hineingehen, wo die hohen Fenster sind, Ihr wolltet bald
nachkommen. Nun habe ich treulich nach Euern Worten gehandelt,
Ihr aber habt Euer Versprechen nicht gehalten."

Der Meister wußte hierauf nichts zu erwidern, im Grunde freute
ihn der Witz, denn er war, wie alle Hamburger, kein Feind fröhlicher
Laune. Dann aber dachte er: Das Fenster will ich wohl wieder ma-
chen lassen, aber ich ziehe es ihm am Lohn nach und nach ab. Ich
müßte doch kein Hamburger Barbier sein, wenn ich mich von einem
Braunschweiger Schalk überlisten lassen wollte. Also sagte er weiter
nichts dazu, verbot auch seiner Frau das Schelten. Der Geselle mußte
arbeiten, und das zerbrochene Fenster wurde ausgebessert.

An einem Tage sagte der Meister nun zu seinem Knechte: "Schleife
mir diese Barbiermesser!"

"Wie soll ich schleifen?" fragte der gehorsame Knecht.

"Schleif sie glatt auf dem Rücken, gleich der Schneide."

o armer Meister! Du weißt nicht, wem du diesen zweideutigen
Auftrag gegeben hast, sonst würdest du ihm nicht vertrauensselig den
Rücken gewandt haben. Eulenspiegel schleift, daß die Funken stieben,
schleift und schleift, daß die Schneide mit jeder Umdrehung des Ra-
des dem Rücken ähnlicher wird. Bald ist er fertig und hat in kurzer
Zeit ein halbes Dutzend schöne Solinger Klingen völlig verdorben.
o Meister, Meister!

Den Meister führt sein guter Engel noch rechtzeitig her, um die



till eulenspiegel-088. arpa

Zerstörung des andern halben Dutzend Messer zu verhindern.
"Caramba!"schimpfte der Barbier auf spanisch, da ihm augenblick-
lich keine deutschen Verwünschungen zur Hand waren. "Caramba!
— Was treibst du Schelm da?"

"Ich -?" erwiderte Till im Gefühle gekränkter Unschuld, "ich
tue nach Euern Befehlen. Ihr hießt mich doch..

"Ich hieß, ich hieß!" antwortete der wütende Meister, "ich heiße
dich jetzt etwas anderes! Du bist ein unverbesserlicher Schalk, gehe
dahin, wo du hergekommen bist!"

Sogleich stand Eulenspiegel auf, ging in die Stube des Meisters und
brach wieder durch dasselbe Fenster, durch das er gekommen war.
Diesmal flogen die Scherben auf den Hopfenmarkt.

Der Meister aber, der sich weniger darüber ärgerte, daß der Schalk
ihm an den Fenstern und Messern Schaden zugefügt, als darüber, daß
er ihn in der Schalkheit übertroffen hatte, rief laut nach dem Büttel
und schrie ihm nach, er solle ihm seine Fenster und die Messer bezah-
len. Vergebliche Mühe! Eulenspiegel war flinker als Bartscherer und
Büttel, gewann ein Schiff und schied auf Nimmerwiedersehen.


An ihm ist Hopfen und Malz verloren

Jedermann weiß, daß in Einbeck ein gutes Bier gebraut wird, Eulen-
spiegel wußte das auch. Er ergriff also seinen Wanderstab und machte
sich auf den Weg nach Einbeck. Dort gab er sich für einen Brauer-
knecht aus und ging in eine Brauerei, um hier Arbeit zu suchen. Auf
dem Hofe kam ihm ein zottiger Köter mit wütendem Gebell ent-
gegen. Eulenspiegel wollte ihn mit seinem Stock abwehren, aber das



till eulenspiegel-089. arpa

wütende Tier biß ihn derb ins Bein und zerriß ihm die Hose. Da nun
die Bestie nicht von ihm abließ, rief er den Hausherrn zu Hilfe. Der
wollte sich ausschütten vor Lachen, lobte den Rüden und sagte zu
dem fahrenden Gesellen:

"Der kennt seine Leute! Kommen ordentliche Herren in meinen
Hof, so wedelt er mit dem Schweif, aber das Pack fährt schlecht bei
ihm, dem zerreißt er die Unentbehrlichen. Hopf, komm hierher!"

Der Hund, der Hopf hieß, kam nun endlich und ließ den Gesellen
los. Der kühlte sein Bein am Brunnen, sagte aber weiter nichts dazu.
Die beiden Männer kamen bald in ein Gespräch, das damit endete,
daß der Brauer Eulenspiegel als Knecht dingte. Nun war Eulenspie-
gel auf einmal ein Brauergeselle.

Nach einigen Tagen war der Brauer mit seiner Frau zu einer Hoch-
zeit eingeladen und befahl vor seinem Weggehen dem Knecht, Bier
zu brauen. Die Magd würde ihm dabei behilflich sein, die verstände
die Sache.

"Vor allem", sagte er,' "mußt du großen Fleiß darauf verwenden,
den Hopfen ordentlich zu sieden, sonst schmeckt der Sud nicht kräf-
tig, und keiner will ihn kaufen und trinken."

Da versprach Eulenspiegel, sein Bestes zu tun, auch den Hopfen
ordentlich zu sieden. Nun ging die Arbeit an, wobei die Magd die
nötigen Anweisungen gab. Endlich aber sagte sie:

"Lieber Knecht, ich möchte doch ein Stündchen gehen und mir
ganz heimlich den Tanz auf der Hochzeit ansehen, ich meine, den
Hopfen könntest du auch selber sieden."

"Ei freilich, liebe Jungfer", antwortete er, "geh nur hin und sieh
dich satt, ich will es schon recht machen." Nun hatte Eulenspiegel
das Reich allein. "Jetzt will ich schön sieden", sagte er, ergriff den
Hund, schlug ihn tot und warf ihn in den Braukessel. Dann machte er



till eulenspiegel-090. arpa

ein so mächtiges Feuer darunter, daß Haar, Haut und Fleisch von
dem Tier abfielen und das Gerippe sichtbar wurde.

Bald kam die Magd wieder und sagte: "Lieber Bruder, dem Hop-
fen ist nun genug geschehen, schlag ab!" Nun wurde der Seihkorb
vorgehängt und von dem Sud ein Hafen voll nach dem andern in den
Braukessel geschüttet. Der Magd kam aber die Sache sehr merkwür-
dig vor, denn der Abguß war sehr dünn und roch verdächtig. Sie
fragte daher: "Lieber Bruder, hast du auch wirklich den Hopfen in
den Kessel hineingetan? Ich merke nichts davon."

Da antwortete der Schalk: "Sieh nur hinein in den Kessel, liebe
Jungfer, so wirst du den Hopfen schon sehen."

Diese Mühe machte sich die Magd, sah hinein und erblickte zu
ihrem Schrecken das Gerippe.

"Lieber Knecht, was hast du da getan?"fragte sie.

"Je nun, ich habe den Hopfen gesotten, wie mir geheißen ward",
antwortete er einfältig. Indessen kam der Meister heim. Er hatte viel
getrunken und war guter Dinge.

"Tralala, Kinder, seid ihr auch lustig?" rief er in die Braustube
hinein.

"Ach, da ist ein Unglück geschehen, Meister", sagte die Magd, "der
neue Knecht sollte Hopfen sieden, derweil ich ein wenig ging, um den
Tanz zu sehen, und da hat er den Hopf, unsern Hund, in den Kessel
geworfen und gesotten. Solches Bier kann doch kein Mensch
trinken!"

Wenn der Meister nüchtern gewesen wäre, so hätte es nun wohl
etwas gesetzt, denn der Sud war doch offenbar verdorben, so aber
in seinem Rausche sagte er bloß: "Heidi, das ist ein guter Spaß, dar-
über müssen wir morgen abrechnen; aber jetzt, Kinder, muß ich zu
Bett gehen."



till eulenspiegel-091. arpa

Till Eulenspiegel aber wartete den Morgen und das Donnerwetter
nicht ab, sondern machte sich aus dem Staube. Er hatte wieder ein-
mal den Leuten den Willen getan und doch nichts recht gemacht.


Er kann nicht nur für einen Bauern,
sondern auch für einen Junker kochen

In Hildesheim wohnte ein reicher, wohlbegüterter Kaufmann, der
aß gut, trank gut, machte gute Geschäfte, zahlte gut und war auch
sonst ein guter Mensch. Vor der Stadt hatte er einen schönen Kohl-
garten, darin zog er allerhand feines Gemüse, Salat und Kräuter, die
dann zu seinen Mahlzeiten Verwendung fanden. Häufig genug hatte
er Gäste, und die kamen zu dem "Junker", eben darum, weil er eine
gute Küche führte. Gutes Essen und Trinken war seine Hauptsorge,
und manchmal dachte er an nichts anderes.

Eines Tages ging der Junker also wieder aus der Stadt, um im Gar-
ten nach seinem Kohl zu sehen. Da sah er einen Menschen an der
Landstraße liegen, den er teilnehmend fragte, wer er sei. Eulenspiegel
kannte den guten Mann bereits und antwortete, er wäre ein Küchen-
bursche und hätte gegenwärtig keinen Dienst.

"Ei, ei", sagte der Junker, "das ist ja mein Fall, ich brauche nämlich
dringend einen Küchenburschen. Die Stuben müßte er auch mit hei-
zen.

Meinetwegen nicht, aber wegen meiner Frau, der schmeckt näm-
lich das Essen nie, man kann es ihr gar nicht recht machen. Es ist aber
sonst eine gute Frau, sie hält auch das Gesinde nicht schlecht. Ganz
im Gegenteil, sie haben es gut bei ihr, sehr gut. Also, wenn du -aber
wie heißt du denn eigentlich, Bruder Küchenbursche?"

"Bartholomäus!" antwortete Eulenspiegel.



till eulenspiegel-092. arpa

"Ei, ei, das ist ein langer Name, den will ich lieber abkürzen und
dich bloß Toll nennen. Also mein lieber Toll, wenn du recht brav bist
— und du siehst ja danach aus -, dann will ich dich bei mir anstel-
len als Küchenbursche und Stubenheizer, will dir einen neuen Wams
geben und auch einen guten Sold, und überhaupt sollst du es gut bei
mir haben."

Da antwortete Toll: "Werter Junker, ich bin wohl zufrieden da-
mit."

"Das dachte ich mir", sagte der gütige Kaufmann und fuhr fort:
"Nun komm mit mir in meinen Garten, wir wollen gleich ernstlich
ans Werk gehen. Nächsten Sonntag bekomme ich Besuch, werte
Freunde, auch der Pfarrer Heinrich Hamenstede ist darunter. Denen
muß ich etwas Gutes zu essen vorsetzen. Was meinst du wohl, mein
lieber Toll, was wir da auftischen könnten?"



till eulenspiegel-093. arpa

"Nun, ich meine, gebackene Hühner", sagte Eulenspiegel aufs
Geratewohl.

"Richtig, richtig, mein lieber Toll", erwiderte der Feinschmecker
eifrig, "du sprichst, wie ein gelernter Koch reden muß, Hühner müs-
sen auf welsche Manier zubereitet werden, ich meine, schön mit Ros-
marin oder mit Zwiebeln, Lauch und Kresse gefüllt. Eier gehören
aber auch dazu."

"Das will ich meinen", antwortete Toll, "auch Endivien, Gurken
und Sauerampfer."

"Ei, ei", unterbrach ihn der Meister, "ich merke, du verstehst das
Geschäft. Hier sind wir an meinem Garten, nimm dir, soviel du
brauchst, aber die besten Blätter."

Das tat Eulenspiegel, und der Junker half tüchtig mit, denn die
Sache war ihm wichtig. Beide gingen dann zur Stadt zurück in des
Junkers Haus.

Die Frau des Kaufmanns machte große Augen, als ihr Mann mit
dem Landfahrer ankam. "Was soll der im Hause?"fragte sie, denn
sie traute dem Fremden nicht. Es waren ja auch schon viele Geschich-
ten von einem gewissen Till Eulenspiegel im Umlauf, die davor warn-
ten, den ersten besten von der Straße weg in das Haus aufzunehmen,
denn in ganz Sachsen waren dadurch die ehrbarsten Leute schändlich
geprellt worden. Die Frau des Junkers hatte von solchen Bübereien
genug vernommen und sah nun in jedem unbekannten Reisenden
einen Till Eulenspiegel. Also war sie auch gegen den redlichen Bartho-
lomäus eingenommen und sagte weiter zu ihrem Eheherrn:

"Bist du vielleicht besorgt, daß unser Brot schimmelig werden
könnte, weil du solch einen Mitesser in das Haus führst? Ich dachte,
wir hätten Besucher und Kostgänger genug."

"Ei, ei, Frau", erwiderte der gute Mann, "du kennst den Mann



till eulenspiegel-094. arpa

noch nicht, der soll dir etwas Gutes kochen, denn er hat das Geschäft
gründlich gelernt."

"Der sieht mir gerade darnach aus", sagte die ungläubige Frau.

"Nun, du wirst sehen", meinte er und rief darauf: "Toll!"

"Junker!" antwortete Eulenspiegel.

"Nimm den Sack und geh mit nach der Fleischbank, wir wollen
Einkäufe machen."

Eulenspiegel nahm den Sack und folgt seinem Herrn an die Fleisch-
bank. Da war der Junker gern gesehen, denn er kaufte viel, mäkelte
wohl ein wenig an der Ware, aber nie am Preise. Diesmal erstand er
acht Pfund Rindfleisch, dazu einen zehnpfündigen Braten, der sollte
der Mittelpunkt der Tafelrunde für den kommenden Sonntag wer-
den. Die Hühner waren nun schon zurechtgemacht und konnten,
wenn sie aufgewärmt wurden, serviert werden, über die Fleischspeisen
aber gab der vorsichtige Junker dem Koch genauere Anweisung.

"Mein lieber Toll, du mußt zeitig aufstehen, damit das Rindfleisch
wohl gesotten wird, aber den Braten mußt du recht sorgsam behan-
deln. Lege ihn zeitig ein und laß ihn kühl und langsam braten, damit
er nicht verbrennt."

Nach solch eindringlicher Belehrung glaubte der wackere Junker
genug für das Wohl seiner werten Gäste gesorgt zu haben, überließ
darum dem treuen Toll leichten Herzens die Ausführung und ging
mit seiner Frau in die Kirche.

Eulenspiegel kochte nun nach Herzenslust Kraut, Fleisch und Hüh-
ner, aber den Braten steckte er an den Spieß und trug ihn in den Kel-
ler, dort legte er ihn recht kühl zwischen zwei Fässer Einbecker Bier,
damit er nicht verbrennen könne.

Zur festgesetzten Stunde kamen die Gäste in des Junkers Haus, der
gelehrte Stadtschreiber, der lustige Pfarrer Heinrich Hamenstede und



till eulenspiegel-095. arpa

einige Kaufleute aus Hildesheim, alles ehrbare Leute und Freunde
eines guten Mahles. Die Magd trug auf, und sie ließen es sich wohl
schmecken, lobten die Speisen und den guten Gastgeber. Da rief dieser
in die Küche hinein: "Ei, ei, mein lieber Toll, wo ist denn aber die
Hauptsache, der Braten?"

"Der liegt im Keller."

"Ist er denn bereit? Meine Gäste haben Hunger."

"Bereit ist er nicht, ich wußte ja auch nicht, wann Ihr ihn essen
wolltet. Ihr sagtet mir, ich sollte ihn kühl halten, darum habe ich ihn
im Keller zwischen zwei Fässer Bier gelegt, ich denke, da liegt er kühl
genug."

Dem Junker war diese Kochweise ganz neu, und er machte große
Augen. Aber der lustige Pfarrer Heinrich Hamenstede war dem Wirt
nachgeschlichen, hörte die Unterhaltung und brach in ein ungeheures
Gelächter aus, in das die übrigen Gäste mit einstimmten, sobald sie
die Sache erfahren hatten. Heinrich Hamenstede wurde durch den
Schwank und durch das Einbecker Bier so erregt, daß er Verse
machte:

Wer weiß, was unsre gute Stadt
Dem Fremden gibt zu raten?
Da macht man in dem Kellerloch
Zum Gastmahl einen Braten.

Man brät ihn kühl
Auf dem Gestühl,
Zwei Fässer Bier sind auch dabei.
0 Hildesheimer Kocherei!




till eulenspiegel-096. arpa

Der Junker nahm dem neuen Koche den Witz also nicht sehr übel.
Als die Gäste endlich gegangen waren, kam Eulenspiegel dienst-
eifrig heran und sagte "Junker, der Braten ist fertig, soll ich ihn
anrichten?

Da wurde der Kaufmann zornig und sagte: "Die Mahlzeit ist zu
Ende, was nützt mir nun dein Braten? Es ist mir gleich, ob er ge-
raten ist oder nicht. Du magst ihn meinetwegen selber essen."

"Ganz wie Ihr befehlt, Junker", erwiderte vergnügt Eulenspiegel
und machte sich sogleich an die Arbeit.

Aber die Frau des Junkers sagte zu ihrem Eheherrn: "Du willst im-
mer alles besser wissen. Nun hast du dir den Toll aufgeladen und
siehst selbst, daß er ein Schalk ist. Ich habe nicht eher Ruhe, als bis
der Schelm aus dem Hause ist."

"Habe Geduld", antwortete er, "ich brauche ihn noch; wenn es
Zeit ist, will ich ihm schon das Haus verbieten."

Die erzürnte Frau ließ sich aber durch solche Worte kaum be-
ruhigen.


Eine tolle Fahrt

Einige Tage nach dieser Geschichte sagte der Junker zu seinem
Knecht: "Toll, du mußt mich nach Goslar fahren. Der Pfarrer Hein-
rich Hamenstede will auch mit. Darum setze den Wagen instand und
schmiere ihn tüchtig."

"Womit soll ich ihn schmieren?" fragte der Schalk.

"Mit Wagenschmiere, Toll", antwortete er. "Hier hast du einen
Schilling, kaufe davon, soviel du erhalten kannst, laß dir auch nicht
zu wenig altes Fett daruntermischen."



till eulenspiegel-097. arpa

"Ich will es genau tun, wie Ihr gesagt habt", sagte Eulenspiegel,
und sein Herr verließ sich darauf. Till ging an die Arbeit. Schmiere
hatte er genug, damit schmierte er den ganzen Wagen, innen und
außen, besonders an den Sitzen. In der Frühe des nächsten Tages
stiegen die beiden Herren auf. Eulenspiegel nahm Zügel und Peit-
sche, und fort ging es nach Goslar. Die Herren vertrieben sich die
Zeit mit guten Gesprächen, bis auf einmal der lustige Pfarrer sagte:
"Zum Kuckuck, wie fertig ist das hier? Halt, Kutscher!" Nun hielt
Eulenspiegel, und die beiden sahen jetzt am hellen Tage, daß der
ganze Wagen wie Speck glänzte und dick mit übelriechender Wagen-
schmiere bedeckt war. Da wurde der sonst so friedfertige Junker
ernstlich böse und rief: "Toll, du Schelm, was hast du mit dem Wa-
gen angefangen?"

"Ich habe ihn geschmiert, wie Ihr mich geheißen habt", antwor-
tete er.

"Du bist ein Schalksnarr", rief der Kaufmann. "Fahre an den
lichten Galgen!"

Sogleich nahm Eulenspiegel wieder kräftig die Zügel in die Hand
und fuhr darauflos. Unterwegs ließen sie ihn indes wieder halten,
denn ein Bauer kam ihnen mit einer Fuhre Stroh entgegen. Dem
kaufte der Junker einige Bund ab, und die beiden Herren reinigten
damit ihre Sitze von der Wagenschmiere. Nun ging die Fahrt weiter,
bis sie an einen Galgen kamen. Da hielt Eulenspiegel an und spannte
die Pferde aus. Die Herren, die vorher ein wenig eingenickt waren,
sahen sich nun auf einmal unter dem Rabenstein.

"Ei, du gottvergessener Schalk", rief der Junker, "was sollten wir
hier? Ist das eine Art, deinen Herrn an den Galgen zu bringen? Fahre
zu und sieh nicht hinter dich!"

Diesem Auftrage kam Eulenspiegel gewissenhaft nach, er spannte



till eulenspiegel-098. arpa

die Pferde wieder ein, löste aber heimlich den Pflock, durch den
der Vorderwagen mit dem Hintergestell verbunden war. Nicht
lange fuhren sie, da ging das Fuhrwerk auseinander, das Hinterteil
mit den beiden Reisenden blieb stehen, Eulenspiegel aber jagte mit
dem Vorderstück und den Pferden fröhlich davon, ohne sich umzu-
sehen. Es blieb den beiden nichts weiter übrig, als dem Schalk den
Weg abzuschneiden und ihn zur Umkehr zu veranlassen.

Sie wollten ihn prügeln, doch brauchten sie seine Dienste bis
Goslar und zurück, so ließen sie ihm seine Schalkheit noch einmal
durchgehen.



till eulenspiegel-099. arpa


Eulenspiegel ist in einer unglücklichen Stunde
geboren

Der Junker kam von Goslar wohl gesund, aber in übler Stimmung
zurück.

"Toll", sagte er zu seinem Knecht, "wir sind Freunde gewesen.
Iß und trink dich satt, gehe dann auch noch einmal zur Ruhe, aber
morgen mußt du das Haus räumen."

Diese Rede hörte die Frau und sagte: "Du scheinst nicht bequem
gefahren zu sein. Hat dir der Knecht etwa einen Streich gespielt?"

"Nicht einen, sondern mehrere", erwiderte er, "den Wagen hat
er boshafterweise von unten bis oben geschmiert, zum Rabenstein
hat er uns gefahren, mit den Pferden ist er durchgegangen, umge-
worfen hat er den Wagen dreimal, bald wären wir in die Innerste
gefallen, sonst ist nichts weiter vorgekommen."

"Ich habe doch immer recht", sagte die Frau.

Am andern Morgen sah der Junker den Gesellen zornig an und
sagte zu ihm: "Trink und iß, soviel du magst, Kumpan, aber wenn
ich wieder aus der Kirche komme, mußt du das Haus geräumt haben,
denn einen solchen Schelm, wie du bist, mag ich nicht mehr im Hause
dulden. Der Herr Pfarrer hat's auch gesagt."

Nach dieser Strafrede ging der gute Mann in das Gotteshaus. Eu-
lenspiegel hatte sein Urteil zerknirscht angehört, dann aber ging
er daran, den letzten Willen des gütigen Herrn auszuführen. Zu-
nächst wollte er sich recht satt essen, fand aber nur Brot vor, denn
die sparsame Wirtin hatte die Speisekammer zugeschlossen und den
Schlüssel eingesteckt. Ohne Besinnen brach er das Schloß auf und
tat sich gütlich an Gebratenem, Gesottenem und Gebackenem, bis
er nicht mehr konnte. Dann fing er an, alles, was er im Hause fand,



till eulenspiegel-100. arpa

Betten, Truhen, Bänke, Schreine, dazu alle Vorräte aus Keller und
Speicher auf die Straße zu tragen, obwohl es regnete, was vom Him-
mel herunter wollte.

Die Nachbarn aber wunderten sich sehr darüber, was wohl der
Junker vorhaben möge, daß er seinen Hausrat vor die Tür setzen
ließe. Einem kam das nicht geheuer vor, er lief in die Kirche und
zeigte es dem Besitzer an. Der eilte heim und sah das Unheil.

"Du meine Güte", rief er, "habe ich dich das geheißen? Solltest du
nicht längst über alle Berge sein, nachdem du dich satt gegessen hat-
test? Du bist ein böser Schalk!"

"Aber Junker", rief Eulenspiegel, "wie könnt Ihr mir nur so zür-
nen! Ich habe doch nur nach Euern Worten gearbeitet. Seid so gut
und helft mir, den schweren Schrank auf die Gasse zu tragen, denn
ich vermag es nicht allein."

"Du sollst mir mein Gut nicht auf die Gasse tragen, Erzschelm,
der du bist!" rief der Junker, "du sollst sogleich machen, daß du
fortkommst, dich auch nicht wieder sehen lassen, oder ich will dem
Büttel Bescheid sagen."

Da sagte der Schalk: "Ich bin wohl in einer unglücklichen Stunde
geboren. Ich tue alles, was mich die Leute heißen, und mache es kei-
nem nach Wunsch. Lebt wohl, Junker, ich bin Till Eulenspiegel."

Da erschrak der Kaufmann und trug sein Gerät stillschweigend
wieder in das Haus, während die Nachbarn herzlich lachten.


Gefährliche Bauspekulation

In Hersfeld sollte einmal eine Brücke über einen Weg gebaut wer-
den, eine wahre Teufelsbrücke, die von einem Berge zum andern



till eulenspiegel-101. arpa

reichen sollte. An diesem Werk hatten sich schon viele Maurermei-
ster versucht, waren auch damit fertig geworden, aber kaum war
das Gerüst abgenommen, als das Bauwerk mit Krachen in die Tiefe
stürzte. Die ungeschickten Meister wurden bestraft, prophezeiten
aber, daß es keinem andern gelingen werde, den Bau zu einem guten
Ende zu führen, wenn nicht nach alter Väter Sitte ein Kind einge-
mauert würde. Da beschloß der Rat, auf den Bau der Brücke zu ver-
zichten.

Wohlgemut meldete sich Till Eulenspiegel eines Tages in Hers-
feld, gab sich als italienischer Baumeister aus und erbot sich, die
Brücke herzustellen, wenn ihm hundert Gulden sogleich, hundert an-
dere nach Abnahme des Werkes gegeben würden. Darauf antwor-
tete ihm der Bürgermeister: "Lieber Meister, es sind wohl so manche
gekommen, die den Bogen recht zu ziehen meinten, wenn wir aber
das Gerüst abnahmen, dann stürzte das Gebäude zusammen. Nun
wollen es einige mit der schwarzen Kunst versuchen, doch mögen
wir diese Schande nicht auf uns laden."

"Habt keine Sorge, werte Herren", antwortete der Schalk, "ich
gedenke die Brücke so dauerhaft zu machen, daß sie bis in alle
Ewigkeit halten soll, und will keineswegs die schwarze Kunst dazu
verwenden, die eine rechte Sünde und Schande für einen guten Chri-
stenmann ist. Wenn das Gerüst abgenommen wird, will ich mich
getrost unter den Bogen stellen, und stürzt er zusammen, so soll er
mich erschlagen und begraben."

Ob solcher kühnen und zuversichtlichen Worte horchte der ge-
samte Rat hoch auf. Eine Beratung ward abgehalten, und dem kennt-
nisreichen Meister wurde das Werk übertragen. Er bekam auch seine
hundert Gulden, aber insgeheim erhielten Stadtknechte und Schar-
wächter den Auftrag, den Fremden auf Schritt und Tritt zu be



till eulenspiegel-102. arpa

wachen, ihn auch abends nicht aus den Toren zu lassen, denn der
Rat wollte doch sein Geld nicht wieder nutzlos verschwendet haben.

Das merkte Eulenspiegel sehr bald, doch ließ er sich dadurch nicht
beirren, stellte Maurer und Handlanger an die Arbeit und brachte
das Werk zu Ende. Es hatte aber allerwärts Sprünge und Risse, so
daß jeder Verständige sah, daß es zusammenstürzen müsse, sobald
das Gerüst fiele. Das wußte Eulenspiegel auch, und er hätte sich gern
verabschiedet, wenn ihn die Stadtknechte nicht so scharf behütet hät-
ten. Über die Brücke durfte er gar nicht hinaus.

Am Abend vorher, als die Balken und Streber abgenommen wer-
den sollten, schlich er sich an das Holzwerk und legte Feuer an. Es
dauerte nicht lange, so stand das trockene Gerüst in hellen Flam-
men. Nun lief ganz Hersfeld hinzu und wollte löschen. Das gelang
aber nicht, das Gerüst stürzte krachend zusammen, und das ver-
pfuschte Mauerwerk, das nur auf diese Erlösung gewartet hatte, fiel
ebenfalls in sich zusammen. Jedermann sah mit Staunen und Ver-
gnügen dem Wunder zu, indes Eulenspiegel die Gelegenheit be-
nutzte, um zu entwischen.


Die Beamten in der alten guten Zeit

In der alten guten Zeit, in der Till Eulenspiegel lebte, war das
Sprichwort: Wer im Rohre sitzt, der schneidet sich Pfeifen, ganz un-
bekannt. Dagegen kannte man damals ein anderes, das lautete:

Es ist kein Ämtchen so klein,
Es bringt doch etwas ein;



till eulenspiegel-103. arpa

und noch eins: Es ist kein Ämtchen auf dieser Erd,

Oder, es ist des Henkens wert.

Nach solchen guten Regeln wurde allerwärts verfahren. Das
merkte auch Till Eulenspiegel, als er wieder einmal in seine Heimat
Braunschweig kam. Er sah da, wie die Amtleute des Herzogs alle
feist, behäbig und wohlhabend waren, und wäre auch gern reich
geworden, denn in Braunschweig ist der Reichtum keine Schande.
Also bemühte er sich um ein Amt und wollte ein Zeugnis darüber
bringen, daß er in Berlin lange Zeit das ehrwürdige Amt eines Stadt-
knechtes zur Zufriedenheit der Gestrengen verwaltet habe.

Allein die Ämter waren alle wohlbesetzt durch behäbige Rats-
herren und Amtsleute. Nun fragte Till Eulenspiegel an, ob er, als
ein Kind des Landes, nicht die Verwaltung der herzoglichen Vieh-
herde übernehmen dürfe, das sei nach seinem Geschmack, auch habe
er genügend Erfahrung für das Amt.

Der Amtmann, der diese wichtige Stelle zu vergeben hatte, fing
nun an, mit Till zu unterhandeln. Er sagte dabei: "Die Sache ist nicht
so einfach, wie du denkst, denn ein so wichtiges Amt darf nicht so
ohne weiteres angetreten werden. Du hast für den Stempel zehn
Gulden zu bezahlen, für das Papier der Urkunde fünf Gulden, die
Ausfertigung kostet sechs Gulden, die Kopie vier Gulden, für die
Aushändigung werden wieder zehn Gulden gerechnet, das sind zu-
sammen fünfunddreißig Gulden. Kannst du das bezahlen?"

Da merkte Eulenspiegel, daß ihm der Amtmann den Posten ver-
kaufen wollte, und erwiderte: "Ein so großes Vermögen besitze ich
wahrlich nicht, doch wäre ich gerne bereit, das Amt statt dessen ein
Jahr lang umsonst zu verwalten."

Der spitzbübische Amtmann rechnete nun aus, ob er dabei wohl



till eulenspiegel-104. arpa

auf seine Kosten käme. Als er nun herausfand, daß sich sein Gewinn
dadurch noch vergrößern würde, war er sehr zufrieden und schloß
den Handel ab.

Eulenspiegel war nun unbesoldeter Herr der herzoglichen Herden
und war sich seiner Würde wohl bewußt. Allein dies Amt brachte
nichts ein, denn was nützte es ihm, daß ihn der ihm unterstellte Sau-
hirt "Euer Gestrengen" anredete? "Du mußt reich werden, Eulen-
spiegel" war die ewige Mahnung in seinem Innern; "du mußt ge-
füllt werden!" knurrte sein Magen.

Da kam der braunschweigische Odysseus auf folgenden Ausweg:
Er schrieb einen Brief an die Gemeinde zu Wolfenbüttel und teilte
ihr mit, daß er, der oberste Viehverwalter des gnädigen Herzogs,
nächstens mit der ganzen Herde in die dortige Flur einrücken werde,
sie möchten sich darauf einrichten. Einen gleichen Brief sandte er
nach der guten Stadt Helmstedt, einen nach Hasselfelde und einen
nach Blankenburg. Mit gleichem Schreiben bedachte er Minden an
der Weser (Holzminden), Seesen, Gandersheim, Duttenstedt, Salder,
Elbe und andere Städte und Orte. Die Ratsherren, die diese Schrei-
ben empfingen, machten lange Gesichter.

Wenn uns der Herzog seine große Herde in das Land schickt, dann
bleibt für unser Vieh nicht mehr viel übrig, dachten sie. Am besten
ist, wir kaufen uns los!

In Wolfenbüttel beschlossen die Ratsherren also, dem herzog-
lichen Viehverwalter zwanzig Gulden zu geben, in Helmstedt eben-
soviel, und ähnlich hielten sie es in den anderen Orten. So kam
Eulenspiegel zu vielem Geld, so daß sich sein Amt durch solche
Schalkheit reichlich bezahlt machte.



till eulenspiegel-105. arpa


Eulenspiegel pfuscht dem Ruhlaer Schmied
ins Handwerk

Von der Ruhlaer Schmiede im Thüringer Walde hat wohl jeder
schon einmal etwas gehört und weiß, daß da einstmals der Land-
graf von Thüringen, der meist auf der Wartburg residierte, uner-
kannt einkehrte. Der Schmied wollte den vermeintlichen Jägerbur-
schen anfangs nicht aufnehmen, seines Herrn wegen, der gegen die
Amtleute und sein freches Hofgesinde zu nachsichtig sei. Während
er dann schmiedete, rief er beständig: "Landgraf, werde hart, hart
wie das Eisen!"

Auf solche Weise schmiedete er den Landgrafen wirklich hart,
ohne es zu wissen, und der mächtige Mann, der vordem alles ge-
glaubt und gut befunden hatte, was seine Diener ihm vortrugen,
ward von nun ab mißtrauisch und sah ihnen gar scharf auf die
Finger.

Solche Rede ging nun im Sachsenlande, und weit und breit ward
der tapfere Schmied gelobt, der den Landgrafen zum Beispiel für
andere hohe Herren hartgeschmiedet hatte.

Nun war zu Frankfurt am Main eine Königswahl. Da dachte Till
Eulenspiegel: Dort gibt es sicher für einen landfahrenden armen
Schlucker Geld zu verdienen, und, wenn es glückt, so nimmt dich
ein vornehmer Herr in seinen Dienst. Das war sein höchster Wunsch,
denn es war ihm leid geworden, dummen, faulen und tückischen
Meistern wie bisher zu dienen, auch hielt er es in Braunschweig
nicht mehr aus, weil die Ratsherren nicht mehr auf seine Schalkheit
eingingen.

Er kam also nach Friedberg in der Wetterau und wartete auf den
Bischof von Trier, der mit großem Gefolge nach Frankfurt fuhr. Da



till eulenspiegel-106. arpa

stellte er sich in wunderlicher Tracht an den Weg und harrte der
Dinge, die da kommen sollten.

Als Erster kam der Vorreiter auf schmuckem Rosse, dann folgten
die Falkeniere, die Bratenwender, Tafeldecker, Meier, der Truchseß,
die Vögte, und plötzlich kam der Bischof selbst mit zahlreichen Kle-
rikern. Waffenknechte und Bogenschützen beschlossen den Zug. Der
Bischof, der sich in einer Sänfte tragen ließ, gewahrte den wunder-
lich gekleideten Mann und ließ sich herab, ihn zu fragen, was für
ein Handwerk er treibe.

"Hochwürdiger Herr", antwortete Till Eulenspiegel, "ich bin ein
Brillenmacher und komme aus Brabant. Viele Länder habe ich ge-
sehen, aber überall suche ich vergebens nach Arbeit."

"Das nimmt mich wunder", sagte der Bischof. "Alle Welt wird
in unseren schlechten Zeiten doch kränker und klagt darüber, daß
das Licht der Augen abnimmt, also sollte man meinen, daß das Ge-
schäft des Brillenmachers eher zu-, als abnehmen müsse."

"Hochwürdiger Herr", antwortete Eulenspiegel, der mit gehöri-
gem Respekt neben der Sänfte herging. "Ihr würdet es mir sehr übel
nehmen, wenn ich Euch die Gründe für den Rückgang meines Ge-
schäftes darlegen wollte."

Darauf sagte der Bischof lachend: "Keine Sorge, dir und deines-
gleichen nimmt man nichts übel, selbst wenn du die Wahrheit
sagtest."

Er hielt Eulenspiegel nämlich für einen Narren und irrte darin
nicht allzusehr.

Eulenspiegel sagte also: "Früher war es anders, in der alten guten
Zeit, da bedurften die Leute noch der Brillen, aber nun leben wir in
einer bösen Zeit. Jetzt sieht keiner den Oberen mehr durch künst-
liche Gläser, sondern sie helfen sich auf andere Weise. Jeder sicht sei-



till eulenspiegel-107. arpa

nen Untergebenen durch die Finger, keiner sieht mehr durch die
Brille. Ja, diese Gewohnheit ist sogar von den Bürgern, den Mei-
stern und selbst den Bauern angenommen worden. Wie soll da un-
ser Geschäft gedeihen? So geht es ferner mit den Geistlichen und
Richtern. In alten guten Zeiten saßen die Herren gar über den Bü-
chern, die Kleriker lasen in den Kirchenvätern, die Rechtskundigen
studierten das römische Recht, die Carolina und den Hexenhammer.
Da brauchten sie scharfe Brillen. Jetzt aber vergehen vier Wochen
und mehr, ehe sie ein Buch auftun. Da frage ich wieder: Wie kann
in solch ungünstigen Zeiten ein armer Brillenmacher noch sein Leben
fristen?"
Der Bischof hatte schweigend und lächelnd diese Rede angehört
und mußte sich sagen, daß der Narr wohl in vielen Fällen recht habe.



till eulenspiegel-108. arpa

Er verübelte ihm darum die freie Rede nicht und sagte gütig: "Du
sollst zu meinem Hofgesinde gehören, ich will dir ein Kleid mit mei-
nem Wappen machen lassen."

Froh über seine List, zog Eulenspiegel mit dem Bischof nach
Frankfurt.


Schlechte Aussichten

Als der Bischof mit seinem Gefolge in Frankfurt war, gingen viele
Tage nutzlos hin, denn die weltlichen Herren fanden mehr Freude an
Kurzweil als an ernsten Beratungen. Tierhetzen, Mysterienspiele und
glänzende Bankette lösten einander ab, so daß der Bischof, der daran
keinen Gefallen fand, öfters seiner Brille bedurfte, um sich durch
Lesen die Zeit zu vertreiben. Dazwischen belustigten ihn die Schwänke
Till Eulenspiegels, der die Hofleute der Reihe nach aufs Korn nahm
und neckte. Darüber ärgerten sich diese sehr und beschlossen, dem
argen Spötter auch einmal einen Streich zu spielen.

Es war kühle Witterung eingetreten, namentlich nachts war es
recht kalt. Da erzählte ein Höfling von ungefähr, wie einer in Frank-
furt eine ganze Nacht ohne jede Kleidung auf dem platten Dach des
Hauses zugebracht und doch an Leib und Seele keinen Schaden erlit-
ten habe. Das dünkte dem Bischof unglaublich. Eulenspiegel aber
meinte, das sei keine schwierige Aufgabe. Er würde sie wohl lösen,
wenn damit ein gutes Stück Geld zu verdienen wäre. So weit wollten
ihn die schlauen Hofleute nur haben, sie überredeten den Bischof
leicht, eine Summe für die Lösung auszusetzen.

Der sagte: "Mein lieber Eulenspiegel, getraust du dich wohl, eine
ganze Nacht nackt auf dem Söller unserer Herberge zuzubringen?
Wir würden dir dafür tausend Gulden geben."



till eulenspiegel-109. arpa

Eulenspiegel antwortete: "Das will ich wohl versuchen, wenn mir
Euer Gnaden die tausend Gulden dafür geben würden."Und er dachte:
Leichter könntest du einen solchen Haufen Geld nimmer verdienen.

Der Bischof, der sich zuvor hatte raten lassen, sagte lachend: "Eulen-
spiegel, du bist ein Schalk und dafür bekannt in allen Landen. Sollen
wir zusammen einen Vertrag schließen, so muß er Hand und Fuß
haben, damit du die Sache nicht wieder falsch verstehst, wie das deine
Gewohnheit ist. Also, du mußt nackt auf unserem Söller bleiben, die
ganze Nacht, und darfst dir kein Feuer anzünden, um dich oben zu
wärmen, darfst kein von anderen angezündetes Feuer mit hinaufneh-
men, überhaupt dich an keinem Feuer irgendwie wärmen. Nach sol-
cher Mühsal winkt dir der Preis, den ich ausgesetzt habe."

Eulenspiegel dachte nun wohl: Das wird keine angenehme Nacht
werden, aber der Preis von tausend Gulden ist auch nicht zu verach-
ten. Er entschloß sich also, noch diese Nacht auf dem Söller zu ver-
bringen, um das schöne Geld zu verdienen.

Die Nacht wurde ihm sehr lang, es war bitter kalt, und er fror ge-
waltig, doch tröstete ihn ständig die Aussicht auf den Reichtum, der
ihn am anderen Tage erwartete. Er dachte: Wie jetzt meine Zähne,
so werden bald die tausend Gulden in meiner Tasche klappern. Ge-
duld, lieber Till, morgen bist du ein wohlhabender Mann!

Endlich war die Qual zu Ende, und Eulenspiegel wurde unter dem
Gelächter der Hofleute aus seinem Söller befreit und durfte sich wär-
men. Danach fragte ihn der Bischof: "Mein lieber Narr, wie war
es denn diese Nacht auf dem Söller?"

"Gnädiger Herr", antwortete er, "ich habe sehr gefroren und
wundere mich, mit dem Leben davongekommen zu sein."

"Keine Sorge", beruhigte ihn der Kirchenfürst, "deinesgleichen
verdirbt nicht. Und du hast dich auch gewiß nirgends erwärmt?"



till eulenspiegel-110. arpa

"Nein, Euer Gnaden."

"Hast du nichts gesehen auf der Höhe, ganz Frankfurt lag wohl
in tiefem Schlafe?"

"Nicht alle Leute, wie es schien", sagte Eulenspiegel, "denn in der
Ferne erblickte ich mehrere Lichter."

"'Wie, Lichter hast du gesehen?" fragte der Bischof, "das kommt
mir bedenklich vor. Wie denken meine Räte darüber?"

"Wir denken", antworteten die Räte, "daß ein Licht ein Feuer
ist, wenn auch ein kleines. Ein Feuer aber strahlt Wärme aus. Es
steht also fest, daß Eulenspiegel den Vertrag nicht eingehalten hat.
Er hat sich an mehreren Feuern gewärmt."

Dieser Meinung schloß sich auch der Bischof an, so daß Eulenspiegel,
der wohl merkte, daß das abgekartete Sache war, mit langer Nase
abziehen mußte. Das Gelächter der übermütigen Hofleute bekam er
als kostenlose Zugabe.


Der Höhepunkt der Kochkunst

Ungestraft ließ sich Eulenspiegel aber nicht necken, also dachte
er darüber nach, wie er seinem Patron für jenen Schabernack auf dem
Söller wieder einen Streich spielen könne. Die Gelegenheit dazu fand
sich bald. Der Koch des Bischofs erkrankte, und dieser Umstand
setzte den ganzen Haushalt in große Verwirrung. Die bischöflichen
Räte, die den lieben langen Tag nichts weiter zu tun hatten, als gut
zu essen und gut zu trinken, wurden um ihr leibliches Wohl ernstlich
besorgt, und ihr Herr teilte ihren Kummer. Da erwies sich Till Eulen-
spiegel als Retter in der Not. Er erzählte dem Bischof, daß er im Ko



till eulenspiegel-111. arpa

chen wohlbewandert sei und nicht nur die Hausmannsküche, sondern
auch die feinere Kochkunst wohl verstehe und geübt habe. Schließlich
erbot er sich, das wichtige Amt eines Kochs vertretungsweise zu über-
nehmen. Man ging auf sein Anerbieten ein, und alle Welt atmete auf.
Darauf gab Eulenspiegel den Knechten Anweisung, wie sie kochen
sollten.

Die Stunde kam, in der der Bischof zu tafeln pflegte, aber Eulen-
spiegel hatte noch nicht angerichtet. Der Kirchenfürst ließ ihn kom-
men und sprach zu ihm: "Wie nun, Herr Koch, ist das Mahl noch
nicht bereitet? Uns hungert ganz gewaltig."

"Es ist noch nicht ganz gar", antwortete Till, "aber wenn sich
Euer Gnaden gedulden wollen, so wird es nachher um so besser mun-
den." Hierauf erzählte er dem Bischof und seinen Räten fast eine
Stunde lang von allerlei Speisen und deren Zubereitungsweisen, sprach
von den verschiedensten Braten, von Geflügel aller Art, von Fischen,
Brühen und Backwaren, wie sie zubereitet werden und schmecken
müssen. Den Herren aber lief das Wasser im Munde zusammen. End-
lich sagte der Bischof:

"Deine Rede wäre wohl einem gesättigten Menschen lieber als sol-
chen, die Hunger haben. Wie weit ist es denn wohl mit deinem Essen?
Ich denke, es könnte gar sein."

Da ging der Schalk wieder vor die Tür, blieb eine lange Zeit
draußen und kehrte mit lächelndem Gesichte zurück. "Geduld, hoch-
würdiger Herr", sagte er, "es ist noch nicht ganz bereit."Wieder fing
er an, von schön Gesottenem, Gebackenem und Gepökeltem zu
reden, so daß es allen vor Hunger übel wurde.

Der Bischof sah sich das noch eine weitere Stunde mit an, dann
aber sagte er: "Sieh nach, ob dein Essen gar ist, und laß uns nicht über
Gebühr schmachten."



till eulenspiegel-112. arpa

Wieder ging Till hinaus,
blieb eine Weile draußen und
kehrte wieder mit der Meldung
zurück, daß das Essen noch
nicht gar sei, worauf er wieder
Geduld empfahl.

Der Bischof aber hatte jetzt
keine Geduld mehr, er wurde
ärgerlich und sagte: "Es hilft
uns nicht, wir müssen in Person
nach dem Rechten sehen. Zeige
uns deine Töpfe!"

Da führte der Schalk den ge-
strengen Hungerleider nicht in
die Küche, sondern in den Gar-
ten der Herberge. Unter den
Bäumen brannte ein kleines
Feuer, und diensteifrig warf
Till Eulenspiegel ein Scheit hin-
ein, blies und schürte die
Flamme.

Da sagte der Bischof: "Das
ist mir eine seltsame Art zu ko-
chen, lieber Eulenspiegel, auch

sehe ich wohl das Feuer, aber keinen Topf, in dem etwas zu sieden
oder zu braten wäre."

"Dort hängen die Töpfe, Euer Gnaden", entgegnete Eulenspiegel
und wies auf die Wipfel der Bäume, in denen in luftiger Höhe wirk-
lich eine Anzahl Töpfe aufgehängt waren. Eine lange Leiter stand



till eulenspiegel-113. arpa

dabei, so daß es der Koch nicht allzu leicht hatte, wenn er Mus und
Brei da oben umrühren wollte.

"Steigt hinauf, hochwürdiger Herr", sagte treuherzig Till Eulen-
spiegel. "Ihr werdet Euch dann leicht überzeugen können, daß das
Essen wirklich noch nicht gar ist."

"Das glaube ich ohne diese Probe", sagte der Bischof. "Wie kann es
denn von deinem winzigen Feuer da oben kochen? Das ist doch die
größte Narretei, die mir vorgekommen ist. In solcher Entfernung
können doch die Töpfe nicht einmal warm werden!"

Da erwiderte der Schalk: "Das glaubte ich auch, als ich die Nacht
auf dem Söller zubrachte, aber Ihr belehrtet mich tags darauf eines
Besseren. Ein kleines Feuer strahlt Wärme aus, also müssen die Töpfe
oben warm werden, wie ich durch die fernen Lichter von Frankfurt
mich erwärmt habe. Steigt hinauf, hochwürdiger Herr, und wenn
das nicht so ist, so hat sich einer von uns geirrt."

Ober diese Rechtfertigung lachte der Bischof hellauf, wenn auch
sein Magen knurrte, aber der kluge Eulenspiegel, der wohl wußte,
daß man mit hohen Herren den Spaß nicht zu weit treiben darf,
führte seinen Gebieter in den Speisesaal, wo inzwischen eine gute
Mahlzeit angerichtet worden war.

Till Eulenspiegel aber bekam noch am gleichen Tage seine tausend
Gulden.



till eulenspiegel-114. arpa


Ein Narr findet mehr Glauben als ein Weiser

Lange hielt es Till Eulenspiegel im Herrendienste nicht aus, und
da der Bischof von Trier ohnehin nach erledigten Geschäften heim-
reisen wollte, so nahm Till Urlaub und tauchte bald danach im lie-
ben Sachsenlande auf, und zwar wieder in der Stadt Magdeburg. Da
sahen ihn viele gern, denn in allen Herbergen, Werkstätten, Märk-
ten und Straßen wurden seine losen Streiche erzählt und jeder er-
götzte sich daran, nur nicht die Gefoppten selbst, die außer dem er-
littenen Schaden auch noch den Spott zu tragen hatten. Jeder wollte
gern einen Witz hören, wenn es nur auf Kosten anderer ging. Der
rußige Schmied forderte Eulenspiegel auf, er möge doch seinem Nach-
barn, dem Bäcker, mit dem er in ewigem Hader lebte, einen Streich
spielen; der Schneider drängte ihn, er möge dem Stadtschreiber eins
auswischen, der zu hohe Steuern angesetzt habe; der Barbier hätte
gern gesehen, daß der Frau des Schusters nebenan ein Possen gespielt
würde, weil sie eine richtige Hexe sei und sich in einen Werwolf ver-
wandle, wenn die Walpurgisnacht im Anzuge sei. Natürlich hatte die
andere Partei auch ihre geheimen boshaften Wünsche. Eulenspiegel
hätte ganz Magdeburg ins Unglück stürzen müssen, wenn er allen
Bitten gefolgt wäre.

Als ihn aber alle drängten, er möge ihnen eine Schalkheit zeigen,
und wieder einmal auf dem Seile tanzen, da verkündete er, daß er
von einer Laube am Markt, die zu seiner Herberge gehörte, herab-
fliegen wolle.

Die "Laube" war ein Erkerbau im zweiten Stockwerk, sie hatte
Fenster nach drei Seiten, und man konnte von dort den ganzen
Markt übersehen. Diese Ankündigung brachte ganz Magdeburg
auf die Beine, und als die Stunde kam, stand der Markt voller



till eulenspiegel-115. arpa

Menschen, denn alle wollten doch gern sehen, wie der Narr von der
Laube fliegen werde.

Eulenspiegel erschien auch pünktlich an dem angegebenen Orte,
stellte sich frei und ernsthaft hin und machte mit den Armen einige
Bewegungen, als wollte er losfliegen. Als aber alles atemlos in größter
Spannung das Schauspiel erwartete, brach er in ein ungeheures Ge-
lächter aus und rief:

"Da glaubte ich bisher, daß nur ich ein Narr wäre und als solcher
der einzige sei in meiner Zunft, aber nun sehe ich, daß ganz Magde-
burg voller Narren steckt. Erznarren, die ihr alle seid! Bin ich denn
ein Vogel und habe ich Flügel, daß ich mich von hier herablassen
könnte?

Hätte einer unter euch nur ein Fünkchen Verstand, so wäre er da-
heim geblieben und hätte seine Arbeit nicht im Stich gelassen!"

Mit diesen Worten zog er sich lachend zurück. Die Schaulustigen
aber gingen beschämt heim. Die Vernünftigen lachten, die Unver-
nünftigen beschwerten sich über die betrogene Hoffnung. Viele sag-
ten, daß sie von vornherein dem Schalk nicht getraut hätten, sie wä-
ren nur gekommen, um zu sehen, wieviele Leute sich in Magdeburg
am Narrenseil führen ließen. Der Weiseste aber sagte:

"Ein Narr macht viele, und eine unvernünftige Rede findet allemal
mehr Glauben als ein gutes Wort, das noch lange nicht immer auf
guten Boden fällt. Schließlich hat er es doch allen recht gemacht, er
hat sie gefoppt, wie sie es haben wollten."



till eulenspiegel-116. arpa


Till Eulenspiegel auf dem Hungerturme

Auf dem Bernburger Schloß im Herzogtum Anhalt befindet sich
ein Turm im Schloßhof, der den Namen Eulenspiegel führt. Sie zei-
gen dort auch verschiedene Dinge, die von dem Schalk herrühren
sollen, eine zerbrochene Glastrompete, darauf er geblasen haben soll,
einen Krug, aus dem er trank, einen Mantel, den er trug, und ein
Plüschbarett, das er aufgesetzt haben sollte. Mit diesen Dingen hat es
folgende Bewandtnis:

Eulenspiegel hatte sein Geld ausgegeben und zog von Magdeburg
ins Anhaltische, um neues zu erwerben. Er kam aber dabei nicht auf
seine Rechnung. Der Graf war ein kriegerischer Herr, der mit seinen
Nachbarn in beständigen Fehden lag und darum viele Ritter und
Knechte auf der Bernburg halten mußte. Ohne es zu wollen, kam
Eulenspiegel zwischen die kämpfenden Parteien, fiel den Anhaltischen
in die Hände und wurde von dem Grafen als Gefangener behalten.

Der schickte ihn auf den Turm und sagte zu ihm: "Kumpan, du hast
hier faule Tage und brauchst nichts weiter zu tun, als aufzupassen,
ob Feinde kommen, die uns das Vieh rauben wollen. Sind sie im An-
marsch, dann mußt du sie anblasen und ,Feindio' rufen. Wenn du aber
Sold verlangst, dann werde ich dich auspeitschen lassen."

So sprach der grimmige Kriegsmann und überließ es Eulenspiegel,
sich mit dieser Lage abzufinden. Der sah nun vom Turme aus wohl in
die Ferne, blickte aber auch in die Burg hinab, in der es von Rittern
und Knechten wimmelte. Kam die Essenszeit heran, dann wurden für
den Grafen und die Ritter in der offenen Halle des mittleren Hofes,
für die Knechte aber im Hofe Tische aufgestellt, und darauf stellte
man Riesenschüsseln mit Braten und Zutaten, große volle Brotkörbe,
Gemüse in mächtigen Töpfen, Backobst und gewürzten Brei. Dann



till eulenspiegel-117. arpa

fing ein Schmausen an, als ob sie eine Wette gemacht hätten, wer das
am besten verstünde. Dazu tranken die Herren welschen Wein, die
Knechte aber leerten ein Faß Bier nach dem andern.

Eulenspiegel sah das von seinem hohen Sitze mit an und wartete
darauf, daß man ihm von dem Überflusse da unten auch etwas brin-
gen werde, denn er hatte gewaltigen Hunger. Aber da unten dachte
jeder nur daran, seinen eigenen Magen zu füllen, und nachher ver-
gaßen sie ihn erst recht, denn der Satte weiß nicht, wie dem Hungri-
gen zumute ist. Seinen Posten durfte er nicht verlassen, das hätte ihm
der Graf übel vermerkt. Es blieb ihm also nichts übrig, als weiter zu
hungern.

Das verdroß Eulenspiegel sehr, und er sah mit geheimer Schaden-
freude, wie magdeburgische Reiter herankamen und ganz still das an-
haltische Vieh von der Weide wegtrieben. Er saß am Turmfenster, den
Kopf auf die Arme gestützt, und ließ sie gewähren. Ein Hirt war
aber von der Herde weggelaufen, um denen in der Burg den Überfall
zu melden.

Sogleich schrie der streitlustige Graf nach Pferd und Waffen, im
Augenblick saß er gewappnet im Sattel, ebenso wie seine Diener, und
eisenrasselnd stürmte die mutige Schar aus dem Tore, um über die
Magdeburger herzufallen. Dabei warf der Graf einen Blick nach dem
Turm. Da lag der neue Wächter im Fenster und lachte vergnügt. "Du
Mordskerl, weshalb liegst du im Fenster und bist so still?" rief da der
Graf wütend hinauf.

Eulenspiegel antwortete: "Vor dem Essen singe und tanze ich nicht
gern, das ist so Brauch bei mir."

Der Graf achtete dieser Rede nicht, oder er verstand sie nicht, und
fuhr fort: "Schelm, der du bist, du sollst die Feinde anblasen, hab ich
dir befohlen. Dazu habe ich dir ja auch das Horn gegeben."



till eulenspiegel-118. arpa

"Ihr habt mir nicht gesagt, daß ich durch das Horn die Feinde an-
blasen soll", sagte er, "aber ich blase schon die ganze Zeit durch mei-
nen Mund so kräftig, daß Euer Vieh von selbst nach Magdeburg
fliegt."

Der kriegerische Graf hatte keine Lust und Zeit, sich mit dem
Schalksnarren weiter in ein Gespräch einzulassen, er rannte den Fein-
den nach und schlug sich mit ihnen tapfer herum. Als er heimkehrte,
hatte er den pflichtvergessenen Turmwächter aus dem Auge und Ge-
dächtnis verloren, auch die andern vergaßen ihn, so daß ihm wieder
kein Essen gebracht wurde.

Am nächsten Tage ging es gerade so zu wie vorher. Unten wurde
geschlachtet, gekocht, gebraten, gebacken, geröstet und schließlich
getafelt, im Hungerturme aber wurde gefastet, gedarbt, ge-
lechzt, aber auch eine Schalkheit ausersonnen. Auf einmal griff
nämlich Eulenspiegel zu seinem Horn, blies aus Leibeskräften hin-
ein und schrie: "Feindio!" als ob es ihm ans Leben ginge. Da sprang
alles unten von den Tischen auf, rannte zum Marstall, warf Eisen-
kappen und Halsberge über, griff zu Schild und Speer, und mit
Hurra und Hussa ging es zum Tore hinaus, dem vermeintlichen
Feinde tapfer entgegen. Eulenspiegel aber war wie der Wind unten,
lief an des Grafen Tisch, nahm da von den guten Speisen, soviel er
tragen konnte, und sprang damit wieder in seine Turmzelle. Dort
hielt er eine gute Mahlzeit. Draußen aber suchte der mutige Graf
mit seinen Mannen nach dem Gegner, fand jedoch keinen.
Da sagten die Leute: "Der Türmer hat uns aus Schalkheit her-
ausgelockt."

Dieser Meinung war schließlich auch der Graf, der zornig sagte:
"Ich will selber auf den Turm steigen und den Schalk mit dem
Schwerte unter der Nase kitzeln." Als der oben ankam, fand er Till



till eulenspiegel-119. arpa

Eulenspiegel gemächlich schmausend und zufrieden mit sich und
aller Welt.

"Du Schalksnarr", schrie ihn der Graf an, "weshalb hast du ,Fein-
dio' geblasen, wo doch weit und breit keine magdeburgische Eisen-
kappe zu sehen ist? Ich will dir deine Tücke mit meiner Klinge aus-
treiben!"

Darauf antwortete Eulenspiegel:

"Hunger und Not
Kennen kein Gebot,
Seid gnädig, es war nicht bös gemeint."

Der Graf, der selbst Hunger hatte, verstand den Schalk jetzt
besser, ließ darum auch Gnade vor Recht ergehen, sagte aber: "Ich
kann dich künftig als Türmer nicht mehr brauchen, deine Stelle
bekommt ein anderer, dich mache ich zu einem meiner Fußknechte."

Es war Eulenspiegel gar nicht recht, daß er mit Waffenrock und
Pike nun seine Haut zu Markte tragen sollte, doch freute er sich,



till eulenspiegel-120. arpa

aus dem Hungerturm erlöst zu sein, denn jetzt fand er täglich seine
Ätzung an der Knechtstafel. Da gefiel es ihm immer am besten.
Ging es in den Kampf, dann war er der letzte, wurde dagegen zum
Rückzug geblasen, war er der erste, der wieder an die volle Krippe
eilte. So trieb er es einige Zeit.

Da sagte der Graf einmal zu ihm: "Das ist mir ein schöner Waf-
fenknecht, der dem Herrn nachhinkt, wenn es zum Treffen geht,
aber die Zeit nicht erwarten kann, um in die Feste zurückzukehren.'

"Gnädiger Herr", antwortete Eulenspiegel, "als ich auf Eurem
Turme saß, war ich der letzte, der zur Mahlzeit gerufen wurde,
nun möchte ich gern dafür der erste bei Tisch sein, nachdem ich zu
Eurem treuen Waffenknechte befördert worden bin."

"Ich aber bin deiner Dienste überdrüssig", antwortete der Herr
von Anhalt, "gib dein Kleid samt deinen Waffen ab und gehe mir
aus dem Lande! Magst dir anderswo einen Galgen suchen."

Solche barsche Rede war Eulenspiegel sehr willkommen. Er ver-
ließ gern den Hof des streitbaren Herrn, dem er es in keiner Weise
recht machen konnte.




till eulenspiegel-121. arpa


In seinen vier Pfählen bleibt jeder
unangefochten

Der Herzog von Lüneburg hatte in Celle ein großes Ringel-
stechen und Turnier ausgeschrieben und dazu auch den König von
Dänemark geladen.

Als Till Eulenspiegel das erfuhr, wanderte er mit anderem fahren-
dem Volke dorthin, um dort seiner Schalkheit freien Lauf zu lassen.

Der Herzog hatte einen großen freien Raum vor der Burg ab-
stecken lassen, dort sollten die Spiele stattfinden. An drei Seiten wa-
ren Gerüste gebaut für die Frauen und Vornehmen, namentlich
auch für die auswärtigen hohen Gäste. Alles war mit Maien, Blumen-
ketten, bunten Laken und Panieren aufs prächtigste ausgestattet,
auch war die Stadt sauber gekehrt und geschmückt. Der Rat hatte
strengstens verboten, unsaubere Sachen, Küchenabfälle oder der-
gleichen, auf die Straße zu schütten. Jeder, der diesem Gebot zu-
widerhandelte, sollte einen Schilling Strafe zahlen. Da wurde Celle
so blank und sauber wie nie vorher und nachher, damit der große
Dänenkönig seine rechte Freude daran haben sollte.

Als nun Eulenspiegel diese prächtigen Veranstaltungen sah, be-
stieg er sein Pferd, einen Falben, und ritt auf alle Dörfer in der
Umgebung von Celle.

Er kehrte bei den Bauern ein, gab sich das Ansehen eines herzog-
lichen Dieners und sagte: "Im Namen des Herzogs befehle ich, daß
jeder morgen um Mitternacht mit einer Karre voll Stroh vor der
Burg steht. Dort werden euch dann weitere Befehle gegeben werden."

Solch gewichtigen Worten wagten die Bauern nicht zu widerspre-
chen. Sie luden also Stroh auf ihre Wagen, spannten die Gäule da-
vor und zogen gehorsam nach der Burg in Celle. Die Stadtwächter



till eulenspiegel-122. arpa

wunderten sich nicht wenig, als von allen Seiten die Bauern mit den
vielen Strohwagen anrückten; als diese aber sagten, sie kämen auf
Befehl des Herzogs, mußten sie ihnen wohl die Tore öffnen und
dulden, daß sich das Stroh -nicht immer das sauberste -auf allen
Straßen verzettelte. Auf dem Turnierplatz stand Eulenspiegel und
befahl den Bauern abzuladen. Das taten die ohne Besinnen, denn
sie waren froh, wieder mit den Pferden heimkehren zu dürfen. Bald
war der schöne große Platz mit Stroh bedeckt, daß er wie ein riesi-
ger Misthaufen aussah. Als der Morgen anbrach, wollte der Herzog
seinem königlichen Freunde den schönen, reinlichen Turnierplatz
zeigen, statt dessen aber erblickte er einen wüsten Strohhaufen, in
dem Pferde und Wagen ihre Spuren zurückgelassen hatten.

Da wurde er sehr zornig und rief: "Wer mir das getan hat, der soll
dafür büßen!"

Er ließ in der ganzen Burg das Gesinde zusammenrufen und nach
dem Übeltäter forschen. Nach vielem Hin und Her stellte sich end-
lich heraus, daß Eulenspiegel dem Herzog diesen Streich gespielt
hatte. Da befahl der Herzog, den Schalk zu hängen, allein der Scharf-
richter wartete vergeblich darauf, daß ihm der Büttel den Schelm
brachte, denn der hatte sich inzwischen aus dem Staube gemacht und
trottete auf seinem falben Pferde vergnügt im Lande umher.

Der Herzog wollte diesen Frevel aber nicht ungeahndet lassen und
ließ im ganzen Lande verkünden, daß Till Eulenspiegel im Lünebur-
gischen vogelfrei wäre.

Eulenspiegel wußte wohl, was ihm nun bevorstand, wenn er sich
von den Schergen des Herzogs erwischen ließe, dennoch ging er nicht
aus dem Lande, denn er hoffte, mit dem König von Dänemark zu-
sammenzukommen, der als leutseliger und freigebiger Herr be-
kannt war.



till eulenspiegel-123. arpa

Eines Tages hörte Till Eulenspiegel hinter sich eine Menge Reiter
kommen und sah zu seinem Schrecken, daß ihm der gefürchtete Her-
zog mit bewaffnetem Gefolge auf den Fersen war. Ohne Zweifel hatte
man ihn auch schon bemerkt. Da sagte sich der Schalk: Wenn du mit
deinem lendenlahmen Tier zu fliehen versuchst, dann holen sie dich
rasch ein und stechen dich vom Gaul herunter; bleibst du stehen, dann
läßt dich der erzürnte Herzog am nächsten Baume aufknüpfen.

Ein anderer hätte nun wohl versucht, die Gnade des strengen Rich-
ters anzurufen, aber der deutsche Odysseus ersann rasch eine List,
um sich aus der Schlinge zu ziehen. Schnell stach er sein lahmes Pferd
tot, wälzte den Kadaver auf den Rücken, schnitt ihm den Bauch
auf, entfernte rasch die Eingeweide, richtete die vier Beine so, daß sie
kerzengerade standen, und stellte sich in das Tier hinein. Dieser
wunderliche Einfall des seltsamen Mannes mußte erst recht die Auf-
merksamkeit des ungnädigen Herzogs auf sich ziehen. Aber das be-
absichtigte Eulenspiegel ja auch.



till eulenspiegel-124. arpa

Indes brauste Herr von Lüneburg mit seinem stolzen Gefolge
heran. Einer der Herren sagte zum Herzog:

"Gnädiger Herr, da steht der gelichtete Eulenspiegel in der Haut
eines Pferdes."

Da hielt der Herzog vor dem Listreichen und sagte zornig: "Finde
ich dich hier, du Erzschelm? Ich will dich hängen lassen. Weshalb
stehst du hier so närrisch in einer Pferdehaut? Tritt heraus!"

"Herr Herzog", antwortete Eulenspiegel, "ich bitte um Gnade,
da ich doch nichts getan habe, was des Hängens wert wäre. Ich bin
ein armer Mann, habe weder Land noch Haus noch Hof. Mein gan-
zes Vermögen war dieses Pferd, und ich habe mich hineingestellt,
weil doch nach altem Recht ein jeder sicher sein soll in seinem Eigen-
tum und in seinen vier Pfählen.." damit deutete er auf die vier Beine
des Gauls.

Der Herzog kannte wohl dieses alte Recht aus dem "Sachsenspie-
gel", jener alten Gesetzsammlung, aber er verstand auch so die List
des Schalks, lachte und sagte: "So mag es dir noch einmal durchgehen,
aber laß dich in meinem Lande nicht wieder blicken."

"Wie Ihr befehlt, gnädiger Herr", antwortete Eulenspiegel, "so
werde ich es tun."

Der Herzog ritt davon, und Eulenspiegel ging nun aus seinen vier
Pfählen, die ihm Sicherheit geboten hatten, und dachte: Es ist besser,
die Raben sättigen sich an meinem Pferde, als daß sie mich fressen.
Hab Dank, mein lieber Gaul, daß du meinen Hals gerettet hast, denn
es hätte wirklich nicht viel daran gefehlt, und ich hätte mit des Seilers
Tochter Hochzeit gemacht!



till eulenspiegel-125. arpa


Das Geschenk des Königs

Nach diesem Erlebnis ging es Eulenspiegel sehr schlecht im Lüne-
burger Land, und er fing an zu begreifen, daß die Schalkheit ihren
Mann nicht nährt, dafür aber oft in Not und Gefahr bringt. Gar zu
gern wäre er wieder bei einem vornehmen Herrn in Dienst getreten.
Das wollte ihm aber nicht glücken, und er überlegte hin, und her,
ob es nicht das Beste wäre, wieder bei einem Meister als Geselle zu
arbeiten. Da hätte er ein Dach über dem Kopf und könnte sich sein
tägliches Brot verdienen.

Als er eines Tages auf der Straße ziellos dahinschlenderte, gewahrte
er eine vornehme Reisegesellschaft. Auf Pferden und Mauleseln saßen
viele Herren und Damen, die sich laut in einer fremden Sprache un-
terhielten. Der vornehmste der Reisenden saß auf einem herrlichen
Pferde, dessen Zügel Edelknaben hielten. Neben ihm ritt ein Vor-
leser. Kein Zweifel, das war der König von Dänemark, der wieder
heimreisen wollte. Da stellte sich Eulenspiegel breitspurig an den
Weg und grüßte recht auffällig und seltsam.

"Wer mag dieser wunderlich gekleidete Mann sein? Aus seinem
Gesicht spricht ein rechter Schalk", wunderte sich der König.

"Das ist Eulenspiegel, ein unsteter Gesch, der alle Männer narrt
und alles tut, was man ihm sagt, wobei aber immer etwas Verkehrtes
herauskommt. Der Herzog hat ihm das Lüneburgische verboten, weil
er ihn nicht hängen konnte. Die Strohfuhren in Celle waren sein letz-
ter lustiger Streich", antwortete einer aus dem Gefolge.

Der König hatte schon viele Schwänke Eulenspiegels vernommen,
so daß er dem Schalk bereits wohlgeneigt war, ohne ihn zu kennen.
"Halte dich zu meinem Hofgesinde!" rief er Till zu. "Man soll dir
ein Pferd geben."



till eulenspiegel-126. arpa

Darauf hatte Eulenspiegel ja nur gewartet. Er wählte wieder einen
Falben, den keiner sonst reiten mochte, und hielt sich in der Nähe des
Königs auf.

Dem mußte er seine Späße erzählen. Als der König aber einmal
seinem edlen Pferde die Sporen gab, um schneller vom Fleck zu
kommen, blieb Eulenspiegel zurück.
"Warum bleibst du nicht an meiner Seite?" fragte der König.
"Ach Herr", antwortete er, "mein Gaul ist schlecht beschlagen, da-
her muß er wohl hinter Euch zurückbleiben."

Da sagte der König: "Wir kommen bald nach Lüneburg, dort wol-
len wir ein paar Tage rasten. Da kannst du deinem Pferde den besten
Hufschlag geben lassen, mein Schreiber wird zahlen."

"Herr König, darf ich Euern Worten nach meinem Pferde die
besten Hufeisen aufschlagen lassen?", fragte er.
"Ja, das darfst du", bestätigte der Herr von Dänemark.
Als der König nun sein Hoflager in Lüneburg hielt, ging Till Eulen-
spiegel mit seinem Pferde nicht etwa zu einem Grobschmied, sondern
zu einem Goldschmied. Der mußte seinem Gaul goldene Hufeisen an-
messen, gießen und anschlagen. Dafür forderte er hundert dänische
Mark.

Als Eulenspiegel dem Schreiber des Königs diese Rechnung vor-
legte, machte der große Augen und sagte: "Ich habe meiner Lebtag
nicht gehört, daß ein Hufbeschlag ein solches Vermögen kostet. Das
darf ich nicht zahlen, ohne vorher gefragt zu haben." Nun wurde die
Angelegenheit dem Herrn vorgetragen.

Dieser sagte: "Mein lieber Eulenspiegel, du scheinst einem teuern
Schmied in die Hände gefallen zu sein, oder ist es in Lüneburg
Brauch, daß man so hohe Preise fordert, wenn es auf Rechnung des
Königs geht?"



till eulenspiegel-127. arpa

"Gnädigster Herr", antwortete Eulenspiegel, "der Hufbeschlag ist
preiswert, wie Ihr sehen werdet." Mit diesen Worten zeigte er ihm
den Falben, und der König sah nun, daß der Hufbeschlag aus Gold
bestand. "Ihr hießet mich doch den besten Hufbeschlag nehmen, den
ich bekommen könnte, daher habe ich Gold nehmen lassen, das doch
ohne Frage besser ist als schlechtes Eisen."

Da lachte der König herzlich und antwortete: "Du bist mir ein
teures Hofgesinde. Wollte ich alle meine Pferde so kostbar beschla-
gen lassen, so könnte ich Land und Leute verkaufen."

Der Schreiber mußte den kostbaren Beschlag bezahlen, und der
freigebige König nahm dem Schelm den Streich nicht übel. Der aber
riß lachend seinem Pferde die goldenen Beschläge ab und ließ ihm
gewöhnliche eiserne unterschlagen.


Stiefel muß sterben

Die Freigebigkeit des Dänenkönigs war landbekannt geworden,
und manche Freibeuter gedachten sie zu ihren Zwecken auszunutzen.

So kam auch eines Tages ein gar gelehrter Herr, der Doktor Stie-
fel, in das Hoflager des Königs, um einen guten Fischzug zu tun. Er
kam von der Erfurter Universität und war seiner Sache sehr sicher.
Nicht durch die schwarze Kunst, sondern durch eifriges Studium, den
Rat weiser Männer und eigene Erfahrung war es ihm gelungen, jenen
Göttertrank zu bereiten, von dem die alten Römer und Griechen so
viel erzählten, den sie Nektar nannten und der die herrliche Eigen-
schaft besitzen soll, den, der ihn genießt, unsterblich zu machen.
So prahlte er vor dem leichtgläubigen König und behauptete, daß



till eulenspiegel-128. arpa

er diesen Trank genossen und füglich nimmer sterben könne, daß
er aber den Rest des edlen Getränks für tausend Gulden dem Könige
überlassen wolle. Viele berühmte Herren und Gewalthaber hätten
ihm mehr geboten, aber er habe sich nun einmal vorgenommen, den
huldreichen Herrn der Dänen damit zu beglücken, und biete ihm die
Gabe, die ihn selbst weit mehr gekostet, zu diesem lächerlichen Preise.
Da der Gelehrte so sicher auftrat, und die Leute zu Eulenspiegels
Zeit nicht so mißtrauisch waren wie in späterer Zeit, so glaubten der
König und sein Hofgesinde dem Doktor, und der Schatzmeister klap-
perte schon mit den Gulden. Dabei hegten alle etwas Neid, daß ihnen
nicht ein so großes Glück geboten würde, sondern nur dem König,
der freilich ein gerechter und gütiger Herrscher war, so daß das
Dänenreich einer goldenen Zukunft entgegengehen mußte. Als nun
der Doktor die Phiole hervorzog, da staunte und bebte alles vor Er-
wartung.

Auch Eulenspiegel war neugierig und wollte die Sache genauer
betrachten.

"Komm nur, Eulenspiegel", ermunterte ihn freundlich der König,
"und sieh dir die wenigen Tropfen an, die bald verschwunden sein
werden."

Da ging der Schalk dreist hinzu, nahm das enghalsige Fläschchen
in die Hand, entkorkte es, roch daran und - schluckte den Inhalt
hinunter. Vor Entsetzen über solche Kühnheit schrien die Hofleute
laut auf. Am lautesten aber schrie Doktor Stiefel. Er forderte die
tausend Gulden für den geraubten Trank und verlangte, daß der
dreiste Schelm bestraft werde.

Allein der König sprach nach einigem Besinnen: "Von mir kannst
du nichts verlangen, denn ich habe nichts erhalten. Mache die Sache
mit Eulenspiegel aus, der nun unsterblich ist wie du. Du hast ja mit



till eulenspiegel-129. arpa

deinem Anspruch Zeit bis ans Ende der Welt. Stirbst du aber, oder
stirbt er, so war dein Nektar keinen Pfifferling wert."

So wurde der Doktor beschieden und hatte den Spott zum Scha-
den, denn seitdem sangen übermütige Gesellen:

"Stiefel, mußt sterben!
Bist noch so jung, so jung!"

Also ist Stiefel doch wohl unsterblich, so gut wie Eulenspiegel. Ob
das aber sein Trank bewirkt hat, wird keiner sagen können.


Eulenspiegel als Landbesitzer

Von allen Schalksnarrenstreichen, die der wunderliche Landfahrer
verübte, ist der folgende nicht der übelste. Die goldenen Hufeisen
des dänischen Königs hatte er längst versilbert, denn es hieß bei ihm
auch: Wie gewonnen, so zerronnen. Doch hatte das erlöste Geld noch
zum Kauf eines Sturzkarrens gereicht. Damit zog Eulenspiegel seine
Straße.

Noch war der Zorn des Herzogs gegen ihn nicht verraucht, aber
dem leichten Sinne des Schalks machte das nicht viel, auch dachte er
ganz richtig: Der Herzog kann nicht überall sein.

So kam er eines Tages wieder in die Nähe von Celle an der Aller.
Unterwegs hatte er gehört, daß der Herzog mit großem Jagdgefolge
ausgerückt wäre und ihn bald einholen müsse. Da wurde er sehr be-
sorgt, daß er den vielen Jägern nicht werde entrinnen können, und
dachte: "Nun, lieber Till, denke dir einen guten Streich aus, oder es
ist um dich geschehen."



till eulenspiegel-130. arpa

Er fing mit einem Bauern, der seinen Acker pflügte, aus diesem
Grunde ein Gespräch an. "Wem gehört der Acker, guter Freund?"

"Was sagst du?"

"Wem der Acker gehört, frage ich."

"Der Acker?"

"Ja, der Acker."

"Das ist mein Acker, den habe ich geerbt."

Da fuhr Eulenspiegel fort: "Möchtest du mir von deinem Acker
eine Karre voll Erde verkaufen?"

"Was sagst du?"

"Ob du mir von deinem Acker eine Karre voll Erde verkaufen
möchtest."

"Eine Karre voll Erde?"

"Ja, eine Karre voll Erde."

"Ja, aber das kostet einen Schilling."

Schnell gab Eulenspiegel dem Mann einen Schilling, belud seine
Karre mit Erde und setzte sich bis an den Hals hinein. So fuhr er
dreist dem Jagdzug entgegen.

"Was für ein wunderlicher Kauz mag das sein, der da in der Karre
sitzt?"fragte der Herzog einen seiner Herren, als er Eulenspiegel be-
merkte. "Man sollte meinen, er könnte die Zeit nicht erwarten, bis er
unter die Erde kommt."

"Das kann niemand anders sein als Till Eulenspiegel, der Schalks-
narr, den Ihr aus dem Land gewiesen habt", antworteten seine Be-
gleiter.

Da brauste der Herzog auf: "Wie, du Erzbösewicht, du wagst es,
mir noch einmal unter die Augen zu kommen? Habe ich dir nicht
mein Land verboten?"

"Gnädiger Herr", antwortete Eulenspiegel, "ich sitze nicht in



till eulenspiegel-131. arpa

Eurem, sondern in meinem Land, das ich von einem Bauer ehrlich
erworben habe, und der hatte es ererbt."

"Du redest dich heraus wie ein rechter Schalk", antwortete der
Herzog. "Aber nun richte dich nach meinem Befehl, geh mit deinem
Land aus meinem Land, oder ich lasse dich hängen samt deinem
Land."

Eulenspiegel dankte für die erwiesene Gnade, sprang aus seinem
Land, setzte sich auf sein Pferd, ritt davon und ließ sein Land im
Stich.

Jahrelang stand die Karre voll Erde noch vor der Brücke zu Celle
als ein Wahrzeichen seiner Schalkheit.



till eulenspiegel-132. arpa


Die größte Zunft

Zu den Besitzungen des Erzbischofs von Magdeburg gehörte auch
der Giebichenstein bei Halle. Hier hielt namentlich Burchard III. in
der Zeit von 1307 bis 1325 gern Hof.

Als er nun wieder einmal, von Magdeburg kommend, dort ein-
zog, kamen ihm die Zünfte von Halle mit festlichem Pomp, mit Ban-
nern und Wahrzeichen entgegen, voran die Halloren, die Salzsieder,
dann die anderen Zünfte. Darüber war der Erzbischof sehr erfreut.
Am Abend hielt er große Tafel auf der Burg, daran durfte audi
Eulenspiegel teilnehmen, denn der Fürst hatte viel von seinen Strei-
chen gehört und wollte den unbeständigen Schalk gern um sich ha-
ben, wenn auch nur kurze Zeit, denn nirgends hielt es Till lange aus.

Als nun die Ereignisse des Tages besprochen wurden, kam jemand
auf den Gedanken, zu fragen, welche Zunft wohl nach den Halloren
die größte in der Stadt sei. Einer meinte, das könnten wohl die
Schreiner sein, denn es gäbe in der Stadt so viele Möbel-, Sarg- und
Bautischler, daß man wohl die Saale damit eindämmen könne. Ein
anderer übertrumpfte ihn aber, indem er die Schneider als die volk-
reichste Zunft hinstellte.

"In Halle", sagte er, "gibt es so viele Herren-, Frauen-, Flick-,
Stein- und Schweineschneider, dazu Auf-, Zu-, Vor- und Ehrab-
schneider, daß man die Saale der Länge nach damit besetzen könnte."
Diese Meinung fand den Beifall der Anwesenden.

Da meldete sich auch Eulenspiegel, der Schalk, zum Wort und be-
hauptete, daß in Halle eine weit größere Zunft vorhanden sei, und
die sei die verbreitetste im ganzen Erzbistum. Nun drangen alle in
ihn, Herr Burchard allen voran, er möge diese große Zunft nennen,
sie seien sehr begierig, das zu erfahren.



till eulenspiegel-133. arpa

Da antwortete er: "Heute über drei Tage werde ich es sagen, dann
werde ich auch die Liste derjenigen mitbringen, die dazu gehören."

Nun waren alle sehr neugierig, allein Eulenspiegel verriet nicht,
was er vorhatte.

Am andern Tage verließ der Schalk das Schloß, hatte den Kopf
verbunden und tat sehr wehleidig. So kam er nach Halle, wo alle
den lustigen Vogel kannten und gern hatten. Wie er nun so kläglich
in die Stadt einzog, rief alles: "Seht da den Herrn Till Eulenspiegel,
der ist krank und hat gewiß Zahnschmerzen."

Gleich kam eine ehrbare Frau auf ihn zu und sagte: "Habt Ihr
denn Zahnschmerzen, armer Mann? Da müßt Ihr eine Nelke in den
hohlen Zahl stecken, das hat mir immer gleich geholfen."



till eulenspiegel-134. arpa

Mit matter Stimme, wie es einem Schwerkranken ziemt, dankte
Eulenspiegel für den guten Rat und fragte dann: "Wie heißt Ihr
doch, gute Frau?" Die Wohltäterin nannte ihren Namen, und der
Schalk schrieb ihn geschwind auf einen langen Zettel, den er bei sich
führte. Dann kam der Rektor der Lateinschule, der auch großen
Gefallen an dem Schalk fand. Der sah das Elend und sagte väterlich:
"Mein guter Eulenspiegel, die congestiones capitis heile ich immer
mit welschem Wein. Nehmt doch einen tüchtigen Schluck davon,
haltet das Haupt nach der erkrankten Stelle und laßt den Trank da
ein wenig wirken."Eulenspiegel dankte auch für diese Auskunft und
notierte den Namen des Lebensretters. Wieder kam eine ehrbare
Matrone, die dem Armen mitleidig einen guten Rat gab. "Für solche
Falle", sagte sie, "gibt es nichts besseres als ein heißes Kissen voll
Kamillen."

"Ach was", rief der Dachdecker, der dies hörte, "da nützt unser-
einem etwas anderes. Die Füße ein Stündlein in einen Eimer Was-
ser gesteckt, das hilft! Das treibt das Blut in die Beine, und von da
zieht der Schmerz ins Wasser. Versucht's nur!"

Eulenspiegel dankte beiden verbindlichst und schrieb die Namen
auf. Gleich darauf lief ihm der Stadtschreiber in die Quere. "Aha!"
rief der, "Zahnpein? Das kenne ich auch. Hilft kein Doktor so gut
wie unsere weise Frau an der Mauer" —hier sprach er sehr leise -,
"sie steht im Verdachte der Hexerei, und ich glaube auch, daß es
bei ihr nicht ganz stimmt, aber sie bespricht Zahnschmerzen so gut,
daß wir ohne sie nicht auskommen können. Unter uns gesagt, der
Rat hält die Hand über sie, aus guten Gründen. Wenn Ihr erlaubt,
so führe ich Euch zu ihr."

Eulenspiegel ließ sich führen. Die Alte maß die Eintretenden mit
furchtsamen Blicken, als sie aber den Stadtschreiber erblickte, verlor



till eulenspiegel-135. arpa

sie ihre Scheu und besprach das Übel im Namen aller bösen Geister.
Eulenspiegel bedankte sich bei beiden und ging rasch weiter. Da
winkte ihm ein Krämer und gab ihm eine Pille für das Leiden, der
Schäfer aber, der seine Herde zum Tor hinaustrieb, reichte ihm
stumm ein Säckchen, in das irgend etwas eingenäht war, und be-
deutete ihm durch Zeichen, daß man dabei nicht reden dürfe, sonst
würde der Zauber nichts nützen. Der Apotheker legte ihm ein Pfla-
ster hinter die Ohren, ein Schmied bot ihm an, den kranken Zahn
auszuziehen, und zwar mit einem Faden. Der Pfarrer bot ihm sein
Theriaksbüchschen zur Benutzung an, ein Bürger reichte ihm kühle
Kohlblätter und riet ihm, sie an den Kopf zu legen.

"Fleißig Wasser schlürfen!" rief ihm der Bartscherer zu.

"Nein", rief der Bader, "ein wenig Watte in das Ohr, das der
kranken Stelle am nächsten ist, und die kräftig mit Weingeist ge-
tränkt."

"Trinkt vier Maß Bier!" rief der Wirt vom ,Roten Roß', "das
hilft besser als alle Quaksalberei."

"Ich vertreib's Euch", rief dagegen ein Scholast, der in der Her-
berge zechte, "eine tüchtige Maulschelle auf die kranke Backe, und
vorbei ist alles Ungemach."

Eulenspiegel konnte nicht genug für alle freundlichen Ratschläge
danken und wurde mit dem Schreiben der Namen gar nicht fertig.
Das ging so den ganzen Tag, ebenso den folgenden.

Am dritten Tage kam er müde und matt in Giebichenstein an.
Der Erzbischof saß wieder mit seinem Hofgesinde zusammen, als
der Narr mit seinem Maulkörbe jammernd hereintrat.

Da lachte der Kirchenfürst hell auf und sagte: "Nun sehe einer
den armen Schelm! Er hat Zahnschmerzen. Reicht ihm doch von mei-
nem Elixier, das wird ihm frommen."



till eulenspiegel-136. arpa

Da riß Eulenspiegel das Tuch ab, notierte auch den Erzbischof
auf seinem Zettel und rief lachend: "Nummer 374! Soviel Arzte gibt
es in Halle. Die Zunft der Doktoren ist und bleibt die größte!"


Der Doktor der Büberei

Einmal kam auch der Doktor Eisenbart auf dem Giebichenstein
an, ein fahrender Geselle, der auf allen Burgen und Jahrmärkten
sein Wesen trieb. Da ihm sein Geschäft viel eintrug, konnte er mit
Pferd und Wagen umherreisen. Für seinen Wagen, in dem er all seine
Arzneien und allerlei seltsames Zeug mit sich führte, suchte er sich
stets den besten Platz aus und schlug dort seinen Verkaufsstand auf,
den er mit Schlangenhäuten, Molchen, einem Totenschädel und eini-
gen medizinischen Bestecken ausschmückte. In Scharen strömten die
Leute herbei, um Doktor Eisenbarts gewaltige Rede zu vernehmen,
die darauf hinauslief, alle Arzte, die am Orte wohnten, recht verächt-
lich zu machen. Laut pries er seine Latwergen und Elixiere an, die
alle Gebrechen heilen sollten. Seine Kundschaft bestand meist aus
Landleuten, denen er seine Heilmittel für schweres Geld verkaufte.
So trieb er es auf den Märkten der Städte. Kam er aber an einen
Hof, dann kehrte er den gelehrten Doktor aus Bologna heraus, und
seine Reden trieften von Weisheit und Welterfahrung.

So kam er also auch nach Giebichenstein, um sich an den Erzbischof
zu hängen. Das Hofgesinde mochte ihn aber gar nicht ausstehen we-
gen seines hochfahrenden Wesens, und jeder hörte lieber den Schwän-
ken Till Eulenspiegels zu.

Den sah der gelehrte Doktor gar nicht an. "Es ist eine Schande",
sagte er, "daß man dem Narren Zutritt bei Hofe gestattet. Der Fürst



till eulenspiegel-137. arpa

sollte sich nur mit weisen Männern umgeben, denn, durch den Wei-
sen angeregt, übt er Weisheit, der Narr hingegen regt ihn nur zu
Narrenstreichen an."

Ober solche Rede ärgerten sich die Hofleute noch mehr. "Herr
Doktor", sagten sie, "wer ist denn weise? Manche, die sich weise
dünken, sind Narren und werden durch einen klugen Schalk genas-
führt. Mancher aber, der als Narr gilt, hat mehr Verstand als einer,
der sich seiner Weisheit rühmt."

Darauf antwortete der Doktor: "Nun, ich bin weise, mich hat noch
kein Narr betrogen."

Der Doktor blieb lange am Hofe, weil er dort gute Tage hatte.
Eulenspiegel aber mied ihn, wo er konnte. Die Hofleute baten Till
immer wieder, daß er dem aufgeblasenen Marktschreier einen Streich
spielen möchte, und bereitwillig suchte Eulenspiegel dazu eine Gele-
genheit zu finden.

Nun traf's sich, daß sich der Doktor eines Tages bei Tisch furcht-
bar übernahm und gar nicht wie ein Weiser, sondern wie ein Narr so
viel vom fetten Wildschweinbraten aß, daß es ihm bald darauf übel
und weh wurde. Nach Art vieler Hagestolze war er um sein Leben
sehr besorgt, jammerte daher im ganzen Hause herum, klagte bitter-
lich über die heftigsten Beschwerden und behauptete, daß er nach
einem so langen, segensreichen Leben wohl auf Giebichenstein werde
sterben müssen. Da sagten ihm die Hofleute: "Ei, Herr Doktor, Ihr
habt doch im Schuppen einen ganzen Wagen voll Medikamente ste-
hen, womit Ihr so viele kuriert habt. Bei Euch heißt es doch wohl:
Arzt, hilf dir selber!"Aber der Angstmeier hatte ebenso wenig Ver-
trauen zu seiner Heilkunst wie zu seinen Heilmitteln und hütete sich
wohl, bei seinen Latwergen und Mixturen Zuflucht zu nehmen.

"Ach", wimmerte er, "der Unweise versteht nicht die Lage des



till eulenspiegel-138. arpa

Gelehrten. Er begreift nicht, daß der Geist leidet, wenn der Körper
angegriffen ist. Mir könnte wohl ein Arzt helfen, es dürfte aber
keiner aus Halle sein, denn die sind alle elende Pfuscher."

Diese Rede ward Eulenspiegel hinterbracht, und sogleich nahm
er sich vor, dem Doktor einen Streich zu spielen! Er machte also mit
den Hofleuten gemeinsame Sache, verkleidete sich als Doktor Tillius

aus Bologna und ließ dem Kranken melden, daß er soeben von dort
komme und von dem Unfall seines Kollegen Doktor Eisenbart ge-
hört habe. Nun wurde der fremde Doktor vor den Kranken geführt
und erklärte den Fall für sehr bedenklich, doch wolle er die Kur über-
nehmen. Doktor Eisenbart, der so viele mit seiner Pfuscherei betro-
gen hatte, ging leichtgläubig auf den Leim und ließ sich von Eulen-
spiegel behandeln.

Der schickte ihn zunächst ins Bett, warf so viele Kissen auf ihn,
wie er bekommen konnte, band ihn fest und ließ ihn tüchtig schwitzen.



till eulenspiegel-139. arpa

Dann ging er über den Wagen des Doktors her und nahm dar-
aus alle möglichen Heiltränke, Mixturen, Purganzen und Latwergen,
mischte alles gehörig zusammen und füllte es dem Doktor ein. Der
Mann, der sich nicht rühren konnte, denn er war ja festgebunden,
schrie nicht schlecht und bat den "Kollegen", ihn mit diesen scheuß-
lichen Tränken zu verschonen, der aber ließ nicht locker, ihm nach
und nach die ganze Apotheke einzutrichtern.

"Euer Zustand ist noch sehr bedenklich", sagte er, "aber wenn
Ihr alle diese Heilmittel geschluckt haben werdet, seid Ihr für im-
mer kuriert." Drei Tage ließ er ihn schwitzen, dann erklärte er ihn
für geheilt und ließ ihn frei.

Der Bischof hörte den Vorfall und fragte den Doktor, als er wie-
der auf den Beinen stehen konnte: "Nun, seid Ihr genesen? Hat Euch
der Doktor Tillius recht behandelt?"

"Ich glaube", antwortete der Weise verstimmt, "ich bin einem
Doktor der Büberei in die Hände gefallen."

Da lachte Burchard und antwortete: "Wißt Ihr auch, wer dieser
Doktor war? Das war mein guter Narr Till Eulenspiegel. Zieht selbst
die Nutzanwendung!"

Da machte der Doktor große Augen und nahm noch am gleichen
Tag Urlaub.


Eulenspiegel findet Gefallen an der Heilkunst

Der Erzbischof von Magdeburg unternahm von Giebichenstein
aus eine Romfahrt, und Eulenspiegel schloß sich eine Zeitlang seinem
Gefolge an. In Nürnberg wurde gerastet, und da gefiel es dem Schelm
so gut, daß er wieder auf lose Streiche verfiel.



till eulenspiegel-140. arpa

Durch die Kreuzzüge waren aus dem Morgenlande ansteckende
Krankheiten in das Römische Reich eingeschleppt worden. Daher
hatten die Nürnberger ein Siechenhaus eingerichtet, um die Frem-
den darin zu pflegen, wenn möglich auch zu heilen. Man wollte da-
durch auch die weitere Verbreitung der bösen Krankheiten ver-
hindern.

Das wußte Till Eulenspiegel. Er kleidete sich also als Doktor, mit
Barett und langem Mantel, setzte eine Brille auf und erbot sich,
alle Kranken für zweihundert Gulden gesund zu machen. Diesen
Lohn versprach ihm der Rat gern, denn die Nürnberger wären die
Kranken lieber heute als morgen losgeworden.

Eulenspiegel ließ sich zwanzig Gulden Vorschuß geben und be-
gab sich ins Spital. Dort gab er sich als weitgereister, wohlerfahrener
Arzt aus, trat an das Bett jedes Kranken und fragte, was ihm fehle.
Beim Weggehen flüsterte er jedem ins Ohr: "Was ich dir jetzt sage,
mußt du für dich behalten. Wenn ich euch alle gesund machen soll,
muß ich einen von euch zu Pulver verbrennen und dieses den ande-
ren eingeben. Dazu will ich mir den Schwächsten heraussuchen. Um
aber festzustellen, wer unter euch der Schwächste ist, werde ich mit
dem Spittelmeister in die Tür treten und rufen: Wer nicht krank
ist, verlasse Bett und Zimmer! Wenn du das hörst, eile so schnell du
kannst; denn wer als letzter in seinem Bett bleibt, wird für die an-
deren als Heilmittel verwendet." Die Kranken nahmen diese Worte
des berühmten Arztes für bare Münze und spitzten die Ohren.

Als nun Eulenspiegel den verabredeten Ruf ertönen ließ, begann
ein seltsames Treiben, denn keiner wollte der letzte sein. Selbst
die Lahmen, die sonst nur auf Krücken herumhumpelten, liefen
hurtig davon. Manch einer war unter ihnen, der sein Bett seit zehn
Jahren nicht mehr verlassen hatte.



till eulenspiegel-141. arpa

Im Handumdrehen war das Spital leer, kein Kranker ließ sich
mehr blicken. Da freute sich der Spittelmeister, und Till bekam sei-
nen Lohn. Fröhlich und guter Dinge ging der Schelm davon.

Am nächsten Tage aber kamen alle Kranken wieder in das Spital
zurück, klagten und jammerten. Jeder schlich und kroch in sein
altes Bett.

"Wie ist das möglich", fragte fassungslos der Spittelmeister, "ge-
stern ward ihr doch alle gesund?"

Da erzählten ihm die Kranken, wie Eulenspiegel das zuwegege-
bracht hatte.

So hatten die guten Nürnberger ihr Geld verloren, und ihr Spital
war wieder voll von Kranken wie vorher.


Boshafte Neckerei

Die Nürnberger ließen in jener Zeit nicht mit sich spaßen. Sie hat-
ten bald herausgefunden, wer ihnen den Streich im Spital "Zum
heiligen Kreuz" gespielt hatte, und geboten den Vierteismeistern,
nach dem Schalk zu fahnden. Der kluge Eulenspiegel roch aber
Lunte und ließ sich bei Tage nicht mehr auf der Straße blicken. Kam
aber der Abend, so machte er sich auf, um etwas auszuhecken. Bald
kannte er alle Wege in der Reichsstadt, auch den langen Steg, der
über die Pegnitz nach dem Saumarkt führt. Da hielt er sich öfters
auf. Es verdroß ihn dabei sehr, daß manchmal ehrbare Dirnen, die
zum Weinholen ausgeschickt worden waren, von losen Buben ge-
neckt und geplagt wurden. Gerade an dieser Stelle. Ei, dachte er, geht
das so zu in dem stolzen Nürnberg? Wo sind denn die Scharwäch-
ter, die für Ordnung in der guten Stadt sorgen sollten? Nun ging



till eulenspiegel-142. arpa

er aus, um die Scharwächter zu suchen, obwohl er von diesen nichts
Gutes zu erwarten hatte.

Endlich bekam er heraus, daß die getreuen Hüter der Stadt in
einem Schuppen am Rathause ihr Schläfchen zu machen pflegten,
sobald es in den Straßen ruhiger wurde. Hier lagen die ehrsamen
Wächter friedlich beieinander, Wehr und Waffen neben sich.
Da juckte es den Schelm, ihnen einen Streich zu spielen, sie sollten
so munter werden wie am hellen, klaren Tage. Er wartete also, bis
in Nürnberg alle Feuer gelöscht waren, dann ging er an den Steg am
Saumarkt und riß hinterlistig einige Bretter von der Brücke, und
warf sie in die Pegnitz. Dann ging er nach dem Rathause, wo die
Schläfer lagen, und fing an, die Scharwächter auszuschelten.

"Liegt ihr da, ihr Schelme! Ganz Nürnberg steht in Flammen,
sechshundert Ritter und Knechte stehen vor den Toren! Mordio!
Mordio! Wollt ihr gleich Wache halten, ins Horn tuten! Heraus aus
dem Haus! Die Viertelsmeister, halben Meister, ganzen Meister sind
aus den Federn!

Hu, hu!
Ihr pflegt der Ruh,
Heraus aus dem Haus!
Mit Nürnberg ist's aus!"

"Hol mich der Kuckuck", sagte da einer der Scharwächter, "wenn
dieser Schreihals nicht der Eulenspiegel ist, den wir suchen sollen, so
will ich nicht Veit Fenzel heißen. Kein anderer führt so tolle Reden
und treibt sich herum, wenn andere guten Christenmenschen auf
dem linken Ohr liegen."

"Das ist auch meine Meinung", sagte ein anderer, "man hört ja



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an seiner Sprache den Sachsen. Das wird ein guter Fang werden,
der Viertelsmeister hat jedem von uns eine Maß Bier versprochen,
wenn wir ihn fangen. Der verdammte Schalk, ins Loch mit ihm!
Der Tropf will sich über die Obrigkeit lustig machen!"

Die Scharwächter liefen nun eilig hinter Eulenspiegel her und rie-
fen aus Leibeskräften: "Halt, halt!", denn es war eine Maß zu ver-
dienen. Weil sie nun jeden Pflasterstein kannten, achteten sie nicht
sonderlich auf den Weg, liefen ihm nach an St. Sebald, an St. Veit



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vorbei, gerade auf den Saumarkt zu. Eulenspiegel war dicht vor
ihnen und mußte seine ganze Flinkheit aufbieten, um ohne Schaden
über den Steg zu kommen. Die Scharwächter aber, die ihrer Beute
gewiß waren, rannten in blinder Wut hinter ihm her und purzelten
Mann für Mann nichtsahnend in die Pegnitz.

"Hallo, ihr Schelme", rief ihnen der Schalk zu, "habt ihr's so
eilig, ein Bad zu nehmen? Freilich tut's auch not nach dem langen
Schlaf. Gehabt euch wohl! Morgen sehen wir uns wieder!"

Die verdutzten Scharwächter hatten Mühe, aus dem nassen Bade
wieder herauszukommen. Sie mußten statt des erhofften Bieres Was-
ser schlucken, aber munter wurden sie. Sie schworen darauf voll
Grimm, den Schalk schon ausfindig zu machen, und wenn er sich in
einem Mauseloche versteckt hätte. Sie machten indes die Rechnung
ohne den Wirt, denn der kluge Eulenspiegel entwich und zog noch
in der gleichen Nacht dem Bischof nach, der mittlerweile schon in
Augsburg war.

Da zeigte sich wieder die Wahrheit der alten Lehre: Die Nürn-
berger hängen keinen, sie hätten ihn denn!


Der ungläubige Wirt

Als Eulenspiegel nach Augsburg kam, traf sich's, daß er in der-
selben Herberge einkehrte, in der das Gesinde des Erzbischofs noch
vor ein paar Tagen genächtigt hatte. Der Wirt leistete dem neuen
Gast Gesellschaft und erzählte ihm, alle Welt hätte viel Wesens ge-
macht von einem gewissen Till Eulenspiegel, der das ganze Sachsen-



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land mit seinen tollen Streichen errege und alle Männer zum Nar-
ren habe, selbst wenn sie sich auch noch so klug und weise dünkten.

"Aber das ist alles gelogen", sagte der Wirt, "einen solchen Schalk
gibt es nirgends, und gäbe es einen, so mag er wohl die dummen
Sachsen hinter das Licht führen, bei uns wird er es wohl bleiben las-
sen. Wir stehen unsern Mann. In unsere gute Stadt kommen die
Leute aus aller Welt, Pfaffen und Laien, und es sind manche darun-
ter, die Haare auf den Zähnen haben, manche auch, denen der Schelm
im Nacken sitzt, aber sie finden alle hier ihre Meister. Großmäulig
kommen sie an, als ob sie die ganze Welt verschlingen wollten, aber
demütig und heimlich schleichen sie sich wieder davon. Ich sage
Euch, hier gibt es manchen Weber, der klüger ist als anderswo die
Doktoren. Das kommt eben daher, weil Augsburg die Hauptstadt
im Römischen Reiche ist."

So redete der Wirt in seiner einfältigen Weise weiter. Eulenspiegel
aber schwieg ganz still dazu. Als es Abend wurde, legte er sich auf die
Ofenbank, um zu schlafen, am andern Morgen aber machte er sich
zeitig auf und davon.

Der Wirt hatte zwar einen festen Schlaf, wenn es aber Morgen
wurde, wachte er immer zu einer bestimmten Stunde auf, verließ
sein Bett und ging in den Stall, um sein Vieh zu füttern.

Diesmal aber wachte er mitten in der Nacht auf, wunderte sich,
daß er ausgeschlafen hatte, dachte aber: Wozu sollst du um Mitter-
nacht schon aufstehen und Licht verbrennen? Am besten legst du
dich auf die andere Seite. Er schlief also noch einmal ein. Nach langer
Zeit wachte er wieder auf und fand, daß er völlig ausgeschlafen hatte,
denn er fühlte sich ganz lahm vom langen Liegen. Da wollte er auf-
stehen, denn es war ihm unerträglich, länger im Bette zuzubringen.
Nun tastete er in der Dunkelheit nach seinen Beinkleidern, fand sie



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endlich und wollte sie anziehen. Das gelang ihm aber nicht, er brachte
die Füße nicht durch die Hose.

"Ich glaube, ich bin verhext!" rief er, ließ die Hose und suchte
nach seinen Lederschuhen. Die fand er endlich, konnte sie aber nicht
vom Boden aufheben, so sehr er auch zerrte und riß. Ich bin wirklich
verhext! dachte er und ging, um die Tür zu öffnen. Allein die
wollte nicht aufgehen. Da verwünschte er alle Hexen und Zauberer,
und nahm sich vor, seine Nachbarin, die er nicht ausstehen konnte,
als Urheberin dieses Unheils bei den Gerichten anzuzeigen.

Endlich, als er sich mit aller Macht dagegenstemmte, glückte es
ihm, einen Spalt von der Tür herauszudrücken. Da sah er zu seinem
Schrecken, daß der helle Tag in seine Dachkammer hereinschien. Nun
nahm er den Knüttel, den er immer hinter seinem Bette stehen hatte,
benutzte ihn als Brecheisen und arbeitete sich heraus. Da sah er,
daß einer in der Nacht ein schweres Weinfaß vor die Tür gewälzt
hatte. Seine Hose war zugenäht, die Schuhe aber am Boden festge-
nagelt. Das schräge Dachfenster hatte jemand mit einem Brett und
lauter Mist verdeckt. Wie er nun zornig hinauslief, merkte er, daß
es längst Mittag war. Die Ställe standen offen, und das Vieh schien
schon am Abend herausgelassen worden zu sein. Natürlich lag die
Magd auch noch im Bette. In der Wirtsstube aber lärmten die Gäste,
die keine Bedienung hatten. Sie hatten das Tor offen gefunden, sich
aus der Speisekammer selbst versorgt, auch so viel Bier und Wein
abgezapft, wie sie wollten. Als der verschlafene Wirt eintrat, wurde
er verlacht, und als er sein Leid erzählte, mußte er zum Schaden auch
noch den Spott hinnehmen.

Er grübelte darüber nach, wer ihm wohl diesen Streich gespielt
haben könne, da sagten ihm zwei Kaufleute, von denen der eine
Schöller, der andere Möller hieß:



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"Das wird kein anderer gewesen sein als der, dessen Wappen Ihr
an Euerm Haustor finden werdet. Wir trafen ihn unterwegs und sol-
len Euch von ihm grüßen. Er ist über alle Berge."

Der gefoppte Wirt ging darauf vor die Tür, sah die Eule mit dem
Spiegel und las darunter: Hic fuit.

Also hat mich der Schalk doch hinters Licht geführt, dachte er.
Mag er seine Romfahrt so weiter fortsetzen. Mag er bleiben, wie
er ist, und Bübereien aushecken, wie er will, wenn er mir nur künf-
tig nicht mehr unter die Augen kommt, denn ich sehe doch, wenn
einer auch so klug ist wie ich, so wird er doch von einem Schalk
betrogen. Von der Zeit an glaubte er an Eulenspiegel und dünkte
sich nicht weiser.


Er macht hohen Herrschaften etwas weis

Nun wollte Eulenspiegel sein Glück als Maler versuchen. Er ent-
schloß sich, in das Herzogtum Berg am Rhein auszuwandern, denn
man kannte im Sachsenlande seine Schelmereien schon zu gut, auch
wußte er genau, daß er mit neuen Streichen keinen Anklang finden
würde. Unterwegs traf er seine alten Bekannten Schöller und Möl-
ler, die sich nicht wenig freuten, ihn wiederzusehen. Ohne große
Mühe überredete er sie, mit ihm zu ziehen und sich als seine Gesellen
auszugeben.

Da es ihm an Dreistigkeit nicht fehlte, wandte er sich nach Düs-
seldorf und stellte sich dem Herzog als Gelehrten vor, der in Rom
studiert habe. Der Fürst war sehr erfreut darüber, an seinem Hof



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einen solchen Stern zu sehen, und da er sich selbst mit der herrlichen
Kunst, Gold zu machen, beschäftigte, fragte er Till, ob er die Alche-
mie verstehe. Daran hatte der Schalk bisher nicht gedacht und er-
widerte, daß er eine weit höhere Kunst verstehe, nämlich die Male-
rei, und darin ein anerkannter Meister sei. Auch das war dem Herzog
lieb, denn er hätte längst gern die Wände eines großen Saales in sei-
nem Schlosse mit den Bildern seiner Ahnen schmücken lassen. Bisher
waren ihm aber die Kosten zu hoch gewesen, um eigens dafür einen
Meister aus Rom kommen zu lassen. Nun kam ihm der Zufall zu
Hilfe! Da der Künstler aus Rom kam, zweifelte er keinen Augen-
blick an dessen Können, zumal ihm Till mehrere Gemälde vorlegte,
die er als seine Arbeit ausgab und wohl irgendwo auf ehrliche oder
unehrliche Art erworben hatte.

"Werter Meister", fragte der Herzog also Till, "getraut Ihr Euch
wohl, die schwere Arbeit zu übernehmen? Ich will Euch dafür vier-
hundert Gulden geben, hundert Gulden für jede Wand."

"Sehr gern, gnädiger Herr", antwortete Till, "und ich will mich
bemühen, die Malerei recht kunstvoll und Euer würdig auszuführen."

Also wurden sie handelseinig. Eulenspiegel ließ sich zweihundert
Gulden Vorschuß geben und begann mit seinen Gesellen, im ver-
schlossenen Saal zu wirken. Ihre Arbeit bestand darin, daß sie gut
aßen und tranken und sich die Langeweile mit Brettspielen ver-
kürzten. Das ging so einige Wochen lang. Da ließ der gute Herzog
den Künstler einmal kommen und sagte zu ihm: "Werter Meister,
ich würde mich gern einmal überzeugen, wie weit Eure Bildnisse
fortgeschritten sind. Wollt Ihr mir Eure Kunst nicht einmal zeigen?"

"Recht gern, gnädigster Herr", antwortete der Schelm, "doch
mache ich Euch darauf aufmerksam, daß ich sehr feine Kunst ange-
wandt habe."



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"Sehr wohl", sagte der Herzog.

"Meine Kunst ist reine Wahrheit", fuhr Eulenspiegel fort, "ich
habe Farben, 01, Pinsel und Palette und all mein Malgerät erst wei-
hen lassen, dazu habe ich ein Geheimnis angewandt, das in Rom
selbst nur den wenigsten bekannt ist. Der große Maler Alighieri
wollte es mir abkaufen für zwei Zentner Gold und ein Schloß in Flo-
renz, aber ich habe es für mich behalten."

"Ich bin sehr gespannt", sagte der Herzog und machte immer
größere Augen.

"Die Kunst besteht nämlich darin", erklärte Eulenspiegel, "daß
niemand die Bilder erblicken kann, der in seinem Leben gelogen hat,
denn es ist eine Malerei der reinen Wahrheit." Nun führte Eulen-
spiegel den Herzog in den Saal, der im stillen bei sich dachte: Das
kann gut werden. Du hast dich ja manchmal in deinem Leben raus-
geredet und bist nicht abgeneigt, deiner Gemahlin, deinem Adel
und sonstigen Dienern so viel vorzuflunkern, daß sich die Balken
biegen. Wie soll das enden?"

Eulenspiegel nahm nun sehr feierlich und so, als ob er die aller-
größte Vorsicht anwenden müsse, ein großes Tuch von der Wand,
das da wie zum Schutze der Fresken gehangen hatte, und der ver-
blüffte Herzog sah nun nichts als die weiße, nackte Wand vor sich.
"Hm!" machte er, getraute sich aber sonst nichts zu äußern, um sich
nicht als Lügner bloßzustellen.

Eulenspiegel aber, der große Meister, nahm seinen langen Maler-
stock aus Holunderholz und begann, die einzelnen Gemälde, die da
sein sollten, zu erklären: "Seht da, gnädigster Herr, das ist Herr
Reginar, der Langhals genannt, der Graf von Lothringen, Lovania
und Brabant, Euer Ahnherr, und hier seine Gemahlin Isabella, Her-
zogin von Siebenbürgen. Hier seht Ihr seinen Sohn Albrecht den



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Greulichen, wie ihn die Sage nennt. Wie Ihr seht, ist sein linker Schuh
noch nicht ganz fertig geworden, weil die rote Farbe so schlecht
trocknet. Ihr könnt Euch davon überzeugen." Mit diesen Worten
tat er so, als ob er an die Wand tippte, und zeigte dem verdutzten
Herzog seinen Finger, den er vorher heimlich in frische rote Farbe
gesteckt hatte. "Seht, gnädiger Herr, es ist noch ganz naß."

"Jawohl", meinte der Herzog, "Es muß noch trocknen."

"Hier seht Ihr Eberhard Schiefmaul, seinen Nachfolger", fuhr
Eulenspiegel dreist fort, "der um 600 nach der Geburt unseres Hei-
lands lebte, den Herrn von Gudensberg, Thüringen und Hassia. Ist
sein himmelblaues Gewand nicht zum Entzücken geraten? Und wie
funkelt der Ordensstern!"

"Hrn!" machte der Herzog und nickte zum Zeichen des Ver-
ständnisses.

"Das ist seine huldreiche Gemahlin Juliana Plaudertasche, von der
erzählt wird, daß sie besser predigen konnte als jeder Pfarrer im
Lande, und daß sie sieben Doktoren der Beredsamkeit zu Tode dis-
kutierte. Hier seht Ihr den berühmten Johannes Eisenfresser, den
tapfersten Kämpen im Römischen Reich, hochgeehrt in der ganzen
Christenheit. Die Bockshörner zu seinen Füßen sind eine Allegorie,
gnädigster Herr, und sie bedeuten, daß der tapfere Held in seinen
letzten Lebensjahren ein sehr vorteilhaftes Bündnis mit dem Bösen
abschloß. Hier seht ihr seine Eheliebste, Margareta Zimperlich, samt
ihrer Elster, mit der sie sich auf angelsächsisch unterhielt, denn sie
stammte aus Northumberland. Das da ist ihr beiderseitiges Kind,
Jörg mit der roten Nase, der tapfere Zecher, daneben seine huld-
reiche Gattin, Leontine Zagnurnicht, eine streitbare Dame, die selbst
den mutigsten Recken Achtung einflößte. Der Schlüssel, den sie in
der Hand trägt, ist gleichfalls eine Allegorie, er bedeutet, daß sie dem



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Eheherrn gegenüber ihr Hausrecht wohl zu wahren verstand. Auf
dem Spruchbande, das aus ihrem Munde geht, lest Ihr die Worte:
Komm nur heim, mein Ehgesell,
Der Besen liegt bereits zur Stell,
Leicht magst du aus dem Hause schleichen,
Doch wird die Rache dich erreichen.

Der Sage nach sind das ihre eigenen Worte, wie Ihr wißt. Hier ist
nun ihr Sproß, Jodokus der Dicke, der von den erlauchten Eltern
nicht nur die reichen Güter und Herrschaften, sondern auch die vor-
trefflichen Eigenschaften erbte. Wie Ihr seht, gnädigster Herr, ist
von seinem Bildnis nur die Untermalung bis jetzt fertig, dafür ist
es eben auch das letzte in der Reihe. Meine Gehilfen werden es in
diesen Tagen vollenden, und dann wird die nächste Wand in An-
griff genommen werden. Nun, wie gefallen Euch meine Bildnisse,
gnädigster Herr?"

Der Herzog wußte nicht, was er beginnen sollte. Habe ich wirk-
lich so furchtbar gelogen, dachte er, bin ich blind, oder arbeitete der
Schelm mit der Schwarzen Kunst? Der fremde Meister hat mich auf
eine kitzlige Probe gestellt. Er antwortete hierauf: "Hm, Eure Bil-
der gefallen mir gar wohl, doch gehört zu Eurer Kunst ein feines
Verständnis, und das ist nicht jedermanns Sache." Damit ging er
weg und wußte noch nicht, was er davon denken sollte.

Bei der Tafel fragte ihn die Herzogin nach dem Werk des frem-
den Meisters. "Gern möchten meine Jungfern einmal sehen, wie weit
er gekommen ist, und ich möchte ihnen den Gefallen schon tun, sie
in das Atelier einzuführen, nicht meinetwegen also, denn ich bin
ganz und gar nicht neugierig."



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"Wenn es der Meister erlaubt, mögt Ihr wohl mit Euern Jungfern
das Werk sehen", beschied der Herzog.

"Kann er wirklich so kunstreich malen?" fragte sie weiter. "Ich
meine, er sähe aus wie ein rechter Schalk."

"Geht nur, Ihr werdet Euch wundern", sagte er darauf und lenkte
das Gespräch dann auf eine Reiherbeize und andere Staatsgeschäfte.
Die Herzogin konnte die Zeit gar nicht erwarten, bis die Tafel auf-
gehoben war, und obschon sie nicht neugierig war, sondern bloß
ihre Jungfern, so eilte sie doch zu dem Meister und bat ihn, das Werk
sehen zu dürfen. Das erlaubte Eulenspiegel wohl, sagte ihr aber ge-
rade so wie dem Herzog, daß niemand von der Kunst etwas genießen
werde, der in seinem Leben gelogen habe.

Ein bißchen habe ich wohl auch gelogen, dachte sie, habe meinen
lieben Gatten, meinen Hof und manche meiner Verwandten wohl
einmal hinters Licht geführt, aber vielleicht schadet das nichts. Übri-
gens kann ich nun wohl erfahren, wer von meinem Gesinde die
Wahrheit redet oder nicht.

Mit diesen Worten ging sie in den Saal und bat den Meister, ihr
das Werk zuerst zu zeigen, obschon sie gar nicht neugierig war und
sich doch nur für ihre Mägde aufopferte. Eulenspiegel aber löste nun
mit derselben Andacht und Vorsicht das Laken, worauf er die lau-
nige Erklärung der Bilder begann, gerade so, wie er es bei dem Her-
zog getan hatte, nur daß er noch hinzufügte, daß dem Herrn die
Darstellungen außerordentlich gefallen hätten. Nun starrte die Her-
zogin die leere Wand an und dachte: Entweder bin ich ein blinder Hesse
geworden, weil ich in meinem Leben so viel gelogen habe, oder mit
der Malerei hat es einen Haken.

So ging es auch den ehrbaren Fräulein, die gleichwohl "Ah", und
"Oh!"und "Wundervoll!" riefen, auch mit den Händen klatschten



till eulenspiegel-154. arpa

und laut lachten, als von Frau Leontine Zagnurnicht und ihrem Haus-
schlüssel die Rede war. Ihre Herrin sollte doch von keiner denken,
daß sie eine Lügnerin sei und von der Kunst nichts verstünde. Dabei
aber dachte jede im stillen: 0 weh, du bist auch ein blinder Hesse,
hoffentlich merkt es keine.

Nun war aber unter den Mädchen eine, die nicht aus dem Bergi-
schen stammte, sondern aus Köln, und die etwas vorlaut war, wie alle
Kölnerinnen von damals. Die sah dem Spiel eine Weile zu, dann aber
sagte sie keck: "Und wenn ich mein Lebtag als eine Erzlügnerin gel-
ten soll, ich sehe hier nichts weiter als eine weißgetünchte Wand."

Kaum hatte sie so geredet, als alle Jungfrauen "Pfui" riefen und
sich von der mutigen Kölnerin unmutig und mit Verachtung ab-
wandten. Till Eulenspiegel merkte, daß man das ins Lächerliche
ziehen müsse, und drohte ihr mit dem Finger, wie man ein Mägde-
lein väterlich zurechtweist, das man bei einer Unwahrheit ertappt hat.

Die Herzogin verließ darauf mit ihren Dienerinnen den Saal. Als
der Fürst sie nun fragte, wie ihr die Malerei gefallen habe, da sagte
sie: "Sie gefällt mir so gut wie Euch, auch meine Jungfern sind sehr
eingenommen davon, aber die kleine Kölnerin behauptet, daß sie
nichts sähe als eine getünchte Wand."

Der Herzog dachte sich sein Teil dabei, meinte aber, es sei das beste,
wenn er morgen mit dem ganzen Hofgesinde erscheine, damit er sähe,
wer von diesem aufrichtig und wer ein Lügner sei. Das wurde Eulen-
spiegel mitgeteilt.

Seinen beiden Gesellen wurde nun doch der Boden zu heiß, und sie
sagten: "Wir bleiben keine Stunde mehr in Düsseldorf und machen,
daß wir aus dem Bergischen kommen, denn wenn der Herzog hinter
die Büberei kommt, läßt er uns einen Kopf kleiner machen."

Dieser Meinung war auch der berühmte Meister - der Schalk



till eulenspiegel-155. arpa

heit, er schnürte also auch sein Bündel und ging davon. Als der Her-
zog am nächsten Tag mit seinem gesamten Hofstaat kam, da waren
die Vöglein schon ausgeflogen. Nun ließ er das Laken von der Wand
nehmen, um zu sehen, welche Malerei der Künstler vollendet habe.
Es war indes nichts weiter zu sehen als das Wappen Till Eulenspiegels
mit der bekannten Inschrift: Hic fuit.

Da sagte der Herzog: "Wir sind von dem Schelm Eulenspiegel be-
trogen worden, den ich zur Strafe für seine Büberei aus dem Lande
weise. Aber da sieht man, wie die Menschen sind. Ich wußte von
vornherein, daß wir es mit einem Schalk zu tun hatten, der nichts
gemalt hat, weil er die Kunst nicht verstand. Mich hat er nicht irre-
geführt, dagegen muß ich erleben, daß er meiner Gemahlin und ihren
Jungfern blauen Dunst vormachen konnte."

"Mir nicht", rief die kecke Kölnerin, aber ihre Stimme wurde nicht
beachtet, ja, sie wurde mit unfreundlichen Blicken und Reden ge-
straft, weil sie klüger sein wollte als die andern.

Bleibe den Narren aus ihrem Bereiche!
Bist du bei Hofe, so dulde und schweige!

Eulenspiegel aber gab nach diesem Ereignis die Malerei wieder auf.
Er beeilte sich, das Bergische Land zu verlassen. Da er sich aber auch
nicht wieder nach Sachsen getraute, beschloß er, nach der Heimat
jenes klugen Fräuleins zu gehen, das ihm hinter die Karten geguckt
hatte. "Ich will nach Köln gehen und ein Trickes werden", sagte er
und zog nach dem Rhein.



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Ein hartes Lager

In Köln angelangt, lebte Till Eulenspiegel ganz für sich, nahm
auch keinen Dienst bei einem Herrn oder Meister an, denn er dachte:

Niemandes Herr und niemandes Knecht,
Das bleibt des fahrenden Mannes Recht.

Also schlenderte er den ganzen Tag in der freien Stadt herum,
besah den großen Christoph im Dom, rief "Alaaf Kölle!", wenn es
alle schrien, und wohnte im Gasthof "Zur Zweibahn".

Da waren viele fahrende Gesellen. Aber der Wirt war ein Schalk,
und da sich zwei Schälke nicht in einem Hause vertragen, so gedachte
Eulenspiegel, sich eine andere Herberge auszusuchen. Davon bekam
der Wirt Wind und wurde grob und rücksichtslos gegen ihn, wie die
Kölner Gastwirte damals gegen die zu sein pflegten, von denen sie
nichts mehr einzunehmen hofften.

Als es Abend ward, schickte der Wirt seine Gäste zur Ruhe. Jeder
erhielt sein Bett, nur Eulenspiegel nicht. Da sprach er zu dem Her-
bergsvater: "Lieber Trickes, wie kommt es, daß Ihr mir kein Lager
anweist, wo doch sonst alle Eure Gäste ein Bett erhalten?"

Da nahm der Grobian einen Schlegel, den er beim Bierabzapfen
brauchte, warf ihn Eulenspiegel vor die Füße und sagte: "Da hast du
ein Kopfkissen!" Dann griff er ein Stuhlbein, warf ihm das vor den
Leib und sagte: "Da hast du ein Laken!" Nun nahm er einen Stuhl-
sitz, stülpte ihn Eulenspiegel auf den Kopf und setzte hinzu: "Da ist
ein ganzes Bett! Schlaf wohl, träume süß und lege mir das Bettzeug
morgen wieder schön zusammen!"Sprach's und ging lachend davon.
Eulenspiegel mußte sich also in dieser Nacht auf der Bank ausstrecken.



till eulenspiegel-157. arpa

Er fand, daß es dort recht hart und unbequem war, tröstete sich
aber und dachte: Die Nacht wird wohl auch vorübergehen.

Am andern Morgen kam der Wirt herein und wollte sehen, wie
Till geschlafen habe. Da warf ihm Eulenspiegel den Schlegel an den

Kopf und sagte: "Da hast du dein Kopfkissen wieder!" Ebenso lan-
deten das Stuhlbein und der Stuhlsitz am Kopf des Wirtes, so daß
dieser die Flucht ergriff. Als er aber wiederkam, war Eulenspiegel
davongegangen, um eine andere Herberge aufzusuchen. Der Wirt
gehörte aber zu jenen Leuten, die eine Grobheit nicht übelnehmen,
weil sie selbst darin Meister sind. Er sandte also seinen Knecht hinter
ihm her und ließ ihn wieder holen. Darauf versöhnten sich die beiden
Grobiane, von denen jeder des andern Wert erkannt hatte.



till eulenspiegel-158. arpa


Schall und Rauch

Eulenspiegel blieb lange Zeit in der Herberge "Zur Zweibahn" in
Köln, bekam auch seit seinem Streit mit dem groben Trickes immer
ein gutes Bett, auch gutes Essen an der Wirtstafel. Aber eines Tages
wurde das Essen viel zu spät auf das Feuer gebracht, als daß es zu Mit-
tag hätte rechtzeitig fertig werden können, obwohl Eulenspiegel den
Wirt mehrmals gemahnt hatte, weil ihn der Hunger plagte. Es sollte
diesmal drei Stunden länger dauern als sonst. Das verdroß ihn sehr.

Der grobe Wirt merkte wohl, daß das seinem schalkhaften Stamm-
gast nicht nach Wunsch war, dachte aber: Wozu bin ich Herr im
Hause! Meine Gäste haben sich nach mir zu richten, nicht ich mich
nach ihnen. Laut sagte er dann: "Wer nicht warten gelernt hat, der
mag knabbern, was er hat." Das ließ sich Till nicht zweimal sagen,
er zog eine trockene Semmel hervor und aß sie auf. Da er in der Her-
berge wie zu Hause war, ging er sodann in die Küche, um nach dem
Essen zu sehen. Die Frau des Wirtes, die nicht minder grob war als
ihr Gatte, fuhr ihn an: "Du brauchst hier nicht Maulaffen feilzuhal-
ten, willst du hier bleiben, so magst du den Braten am Spieße drehen
und beträufeln." Das tat Eulenspiegel und vertrieb sich damit die
Langeweile, dabei dachte er an seine Kochkünste in früheren Zeiten,
wo er für den Bauern- und Bürgerstand und selbst für einen Bischof
gekocht hatte. Darüber vergaß er den Hunger, und von dem Geruch
des Bratens wurde er vollends satt.

Endlich wurde angerichtet. Der Wirt setzte sich mit seinen Gästen
zu Tisch, Eulenspiegel aber blieb am Herde sitzen. Da kam der Wirt
zu ihm und sagte: "Wie, Eulenspiegel, willst du nicht mit uns essen?"

"Nein, ich habe keinen Hunger mehr", antwortete Eulenspiegel.
Ich bin vom Geruch des Bratens satt geworden."



till eulenspiegel-159. arpa

Das ist Trotz, dachte der Wirt, er will es mich entgelten lassen,
daß die Mahlzeit so lange auf sich warten ließ. Ich will ihn aber leh-
ren, sich zu betragen, wie es in Köln üblich ist.

Er sagte also nichts. Als die Mahlzeit zu Ende war, ging er reihum
bei den Gästen und nahm jedem für das Essen zwei Weißpfennige
ab. Dann kam er auch mit seinem Zählbrett in die Küche zu Eulen-
spiegel, der noch immer am Herd saß. Auch von ihm forderte er
zwei Weißpfennige für die Mahlzeit. "Wie, Herr Wirt", entrüstete
sich da Eulenspiegel, "ist das Eure Art, Geld von einem zu fordern,
der Eure Mahlzeit nicht gegessen hat?"

"Ich verlange mein Geld!" rief der Wirt zornig. "Hast du nicht
mitgegessen, so bist du doch von dem Geruche satt geworden. Du
hast hier solange bei dem Braten gesessen, das gilt so viel wie eine
Mahlzeit."

Da zog Eulenspiegel einen Weißpfennig heraus, ließ ihn auf die
Bank fallen und fragte: "Herr Wirt, hört Ihr diesen Klang?"

"Diesen Klang höre ich wohl", antwortete er.

Nun steckte Eulenspiegel geschwind den Weißpfennig wieder in
seine Tasche und sagte: "So viel Euch der Klang dieses Weißpfennigs
in Euerm Beutel nützt, so viel nützt mir der Geruch Eures Bratens
in meinem Magen."

Der Wirt wurde nach dieser Abfertigung nur noch erboster und
verlangte wenigstens diesen Weißpfennig zur Bezahlung. Allein Eu-
lenspiegel sagte: "Wenn Ihr mit dem Klange des Geldes nicht für den
Geruch Eurer Mahlzeit zufrieden seid, so gibt es noch Richter in Köln,
die unsern Streit schlichten werden." Der Wirt wollte aber nicht mit
ihm rechten, denn er wußte wohl, daß dabei nicht viel Gutes für ihn
herauskommen würde, deshalb ließ er ihn unangefochten. Eulen-
spiegel aber wandte Köln für immer den Rücken.



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Lebensweisheit und Bücherkram

Eulenspiegel ging von Köln aus auch einmal nach Paris. Da merkte
er bald, daß es dort viele gelehrte Leute gab, die sich Scholastiker
nannten. Sie übten sich Tag für Tag in den wunderbarsten gelehrten
Fragen, wozu sie sich in ihrer Universität, der Sorbonne, versammel-
ten. Da saßen sie dann und beantworteten mit großem Spürsinn alle
Fragen, die ihnen vorgelegt wurden, lösten alle Rätsel mit Leichtig-
keit und beriefen sich auf ihre Bücher. Kam ein Fremder in ihren
Kreis, so fertigten sie ihn gründlich ab und zeigten ihm, wie viele
Bibliotheken er durchstudieren müsse, um es an Gelehrsamkeit mit
ihnen aufzunehmen.

Sie wußten, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben; was
früher gewesen, der Vogel oder das Ei; wie die Menschen auf dem
Monde aussehen, in welcher Tonart die Planeten ihr Sphärenlied sin-
gen; wie die Drachen beschaffen gewesen; welche Bäume im Paradiese
gestanden; welche Sterne Glück und welche Unheil bedeuten. Keiner
wußte aber, wie man einen Wams flickt, einen Mehlbrei anrührt,
einen Degen führt, einen Wall errichtet, wie man seine Gesundheit
erhält, ein Pferd kauft oder gar, wie man ein gerechtes Urteil fällt
oder einem Fürsten einen Rat gibt, vielmehr sahen sie nur darin ihren
Lebenszweck, mit spitzen Zungen unnütze Wortgefechte zu führen.

In diese hochweise Versammlung verirrte sich auch Till Eulenspie-
gel, der freilich nur über ein wenig Mutterwitz und gesunden Men-
schenverstand verfügte. Er stellte sich eines Tages mitten in den Saal
vor das Katheder, auf dem der Rektor alle Fragen, die gestellt wur-
den, laut verkündete.

Als er nun des Fremden ansichtig wurde, sagte er: "Junger Mann,
gelüstet es dich vielleicht, eine Frage zu stellen?"



till eulenspiegel-161. arpa

Eulenspiegel sagte ja und fuhr fort: "Was ist besser, daß einer das
übt, was er kennt und weiß, oder daß er das erst lernt, was er im Le-
ben tun will? Oder, machen die Doktoren die Bücher oder die Bücher
die Doktoren?"

Diese seltsame Frage wurde der gelehrten Gesellschaft vom Rektor
zur Untersuchung vorgelegt, und es bildeten sich sogleich zwei Par-
teien. Die Mehrzahl der Gelehrten wurde schließlich darüber einig,
daß es richtiger sei, wenn einer das tue, was er verstehe, und daß die
Doktoren die Bücher machen, nicht umgekehrt.

Darauf antwortete Till: "Dann seid ihr alle Narren, denn ihr tut
nicht, was ihr versteht, und bei euch gilt der als der Größte, der die
meisten Bücher verfaßt hat, nicht der, welcher sein Wissen auch an-
zuwenden versteht. Ihr mögt nun über das Thema disputieren, so
lange ihr wollt."

Damit verließ er die Versammlung der gelehrten Griffelspitzer, um
sie nie wieder aufzusuchen.


Eulenspiegels Lebensweisheit

Wo der lustige Schalk auch war, stets suchte er Gesellschaft auf,
denn er meinte, durch Alleinsein käme keiner in eine heitere Stim-
mung. Das tat er auch, wenn er Fußwanderungen machte. Da wun-
derten sich seine Begleiter immer über sein sonderbares Wesen. Ging
es einen Berg in die Höhe, dann ächzten wohl die Wanderer über die
Mühsal, Eulenspiegel aber war dann guter Dinge. Ging es talab, dann
freuten sich die Reisenden, weil sie sich weniger anzustrengen brauch-
ten, nur Eulenspiegel war verdrießlich. Da fragte ihn jemand nach



till eulenspiegel-162. arpa

dem Grunde seiner Fröhlichkeit beim Aufstieg und seiner Verstim-
mung beim Bergabgehen.

Er antwortete darauf: "Wenn ich auf die Höhe klettern muß,
denke ich allemal an den bequemen Abstieg, der doch danach immer
kommen muß, das stimmt mich heiter. Geht es aber gem~ichlich nach
unten, so graut mir schon vor dem Berge, der kommen wird und
überstiegen werden muß, und das stimmt mich trübe. Habe ich Un



till eulenspiegel-163. arpa

glück, so denke ich an glückliche Zeiten, im Glücke aber an das Miß-
geschick, das mich im Leben noch treffen wird."

Eulenspiegel war auch nicht gern da, wo Kinder waren, denn er
meinte, sie wären nie so artig, wie sie aussähen. Freilich waren die
Kinder zu seiner Zeit nicht so wohlgeraten wie heute, wo sie den El-
tern und Erziehern nichts als Lust und Freude bereiten. Wenn er an
einem hohen Gebäude ohne Schaden vorüberkam, dann pries er sein
Glück, denn er meinte, es hätte ihm ja von der Höhe ein Stein oder
etwas Ähnliches auf den Kopf fallen können, wenn er eben nicht
Glück gehabt hätte.

Bei einem freigebigen Hausherrn blieb er nicht lange, denn er
meinte, in diesem Heim müsse eine liederliche Wirtschaft herrschen.
Auch freute er sich, wenn er gesunde Speisen zu sich nahm, und hielt
es für einen Glücksfall, daß er statt dessen nicht das genießen mußte,
was in der Apotheke gebraut, gedreht und zusammengegossen wurde.

Für den stärksten Trank hielt er nicht den Wein oder den Absinth,
sondern das Wasser, weil das große Mühlräder treibt und manchen
guten Gesellen umbringt, der davon zu viel schluckt, sei es im Strom
oder im Meer.


Der Gipfel der Unverschämtheit

Als Till Eulenspiegel aus Paris nach dem Römischen Reich zurück-
kehrte, war sein Geld so zusammengeschmolzen, daß er den Leib-
riemen sehr eng schnallen mußte. Doch wollte er lieber ganz Sachsen
von einem Ende zum andern durchlaufen, als sich in eines Herren
oder Meisters Dienst begeben, denn vom Arbeiten hielt er nicht viel
und meinte, das sei nur eine unnütze Unterbrechung der Ruhestunden.



till eulenspiegel-164. arpa

So kam er nach Franken und hielt sich auch in Bamberg auf.
Da ging er in einen Gasthof, der einer Witwe gehörte. Das war eine
muntere und kluge Frau. Till Eulenspiegel blieb da die Nacht, am
Morgen aber bekam er Hunger, so daß er gern eine gute Mahlzeit
zu Mittag gehabt hätte.

Als nun die Wirtin von der Fleischbank zurückkam, wo sie Ein-
käufe gemacht hatte, fragte er bescheiden, ob er wohl eine gute Mahl-
zeit bekommen könne.

"Ei freilich", sagte die Frau, "soviel Ihr wollt, mögt Ihr essen.
Ihr könnt an der Wirtstafel speisen, wenn Ihr aber etwas Besonderes
nach Eurem Geschmack zu essen wünscht, dann kann ich es Euch
machen."

"Ach, liebe Frau", sagte er, "ich bin ein armer, fahrender Gesell.
Mein Geld ist zur Neige gegangen, schenkt mir eine Mahlzeit um
Gottes Lohn. Was kommt es Euch darauf an, ob Ihr einen Gast
mehr oder weniger habt."

"Werter Gast", antwortete sie, "in den Fleischbänken und bei dem
Bäcker gibt mir keiner etwas umsonst, ich muß dafür Geld geben.
Deshalb muß ich auch für mein Essen Geld nehmen."

"Das ist auch mein Fall, um Geld zu essen", sagte er listig, "um
wie viel Geld kann einer bei Euch essen und trinken?"

Sie sagte: "An der Herrentafel im Stübchen ißt einer um dreißig
Pfennige, an der Wirtstafel um zwanzig und am Gesindetische in
der Küche um zehn Pfennige."

"Liebe Frau, wo es um das meiste Geld geht, ist es mir am lieb-
sten", meinte Eulenspiegel und setzte sich dreist in das Stübchen an
die Herrentafel zwischen Doktoren und reisenden Kaufleuten, und
hatte doch kaum ein paar Pfennige in der Tasche. Es wurde nun
aufgetragen, und Eulenspiegel aß, als ob er vier Wochen lang im



till eulenspiegel-165. arpa

Hungerturm gesessen hätte. Als er endlich fertig war, gut gegessen
und getrunken hatte, sagte er zu der Wirtin:

"Liebe Frau, fertigt mich jetzt ab, ich muß weiterfahren, denn ich
habe wenig Zehrgeld."

"Lieber Gast", antwortete sie, "gebt mir meine dreißig Pfennige
und zieht dann, wohin Ihr wollt. Gott geleite Euch!"

Eulenspiegel tat sehr erstaunt und meinte: "Nicht so, liebe Frau,
sondern ich kriege von Euch dreißig Pfennige. Ihr habt mir doch ge-
sagt, daß ich bei Euch um dreißig Pfennige essen könne; das habe
ich getan, um etwas redlich zu verdienen. Ich habe nach Euern Wor-
ten gehandelt, habe im Schweiße meines Angesichts gegessen, soviel
ich vermochte. Ich denke, Ihr werdet mir daraus keinen Vorwurf
machen, daß ich nicht mehr leisten konnte. Kostete es auch mein Le-
ben, ich kann nicht mehr. Gebt mir also meinen sauer verdienten
Lohn, denn ich muß jetzt wirklich aufbrechen, wenn ich noch nach
Bayreuth will."

Die Frau hatte erst Lust, ihren Knecht und den Büttel zu rufen,
als aber der Fremde so ernsthaft zu ihr sprach, wurde sie verblüfft,
so daß sie selber nicht genau wußte, ob sie oder er Geld zu fordern
habe. Endlich sagte sie: "Daß Ihr für drei gegessen habt, weiß ich
wohl. Das mag damit sein Bewenden haben. Mir kommt es nicht auf
eine Mahlzeit mehr oder weniger an. Aber Geld gebe ich Euch nicht
dafür. Sollte ich lauter solche Gäste abfüttern, wie Ihr einer seid, so
trieben sie mich bald von Haus und Hof. Geht Eurer Wege!"

Da ging Eulenspiegel und tat wie einer, dem schweres Unrecht zu-
gefügt worden war. Er hatte sich nach Leibeskräften bemüht, etwas
zu verdienen, und mußte nun abziehen ohne Dank und Lohn.



till eulenspiegel-166. arpa


Eine andere Zechprellerei

Von Bamberg aus pilgerte Till Eulenspiegel nach Bayreuth. Dort
kam er in eine Herberge, deren Wirt die Klugheit nicht gerade mit
Löffeln gegessen hatte, wie Till bald bemerkte. Geld besaß Eulen-
spiegel wie gewöhnlich, nicht, dafür hatte er großen Hunger. Der
Wirt fragte ihn, ob er ihm ein Schöpplein Wein bringen solle. Dabei
entdeckte Eulenspiegel, daß in der Küche Rostwürstchen gebraten
wurden. Die rochen gar lieblich. Als nun der Wirt das Schöpplein
Wein brachte und ihm mit einem "Geseg'n es Gott!" vorsetzte, sagte
er schalkhaft: "Lieber Herr Wirt, bringt mir dafür ein Rostwürst-
lein."

Da nahm der Herbergsvater seinen Wein zurück und brachte ihm
ein Rostwürstchen. Das aß Till mit Stumpf und Stiel auf und ging
dann seines Weges. An der Tür aber hielt ihn der Wirt zurück und
sagte: "Ei, ei, mein werter Gast, das ist hier nicht Brauch, ohne Be-
zahlung davonzugehen. Zahlt mir vorerst das Rostwürstchen!"

"Das Rostwürstchen zahle ich Euch nicht", antwortete Till rasch,
"denn dafür habe ich Euch den Schoppen Wein gegeben."

"Den habt Ihr ja auch nicht bezahlt", sagte der Wirt.
"Ich habe ihn ja auch nicht getrunken", antwortete er und ging
davon, so daß der Wirt, dem so etwas nicht recht in den Kopf
wollte, das Nachsehen hatte.



till eulenspiegel-167. arpa


Ein Narr kann mehr fragen, als sieben Weise
beantworten können

Kein Mensch weiß, wie es Till Eulenspiegel fertig brachte, von
Franken nach Prag zu reisen und dort nicht nur seinen Lebensunter-
halt, sondern audi viele Freunde zu erwerben. Es war aber wirklich
so, sonst könnte es ja gar nicht erzählt werden. In Prag trug Eulen-
spiegel statt der Schelmenkappe ein Barett, dazu einen langen Rock
wie die Doktoren, und wurde überall als Gelehrter angesehen.

An Schulen und Kirchen schlug er Streitsätze an, wodurch er die
ganze Universität in Aufregung brachte, denn seine Freunde be-
haupteten nun, Till Eulenspiegel habe im kleinen Finger mehr Weis-
heit als die ganze philosophische Fakultät, auch seien sämtliche Dok-
toren und Magister samt dem aufgeblasenen Rektor nicht wert, ihm
die Schuhriemen zu lösen, weil sie nicht wagten, mit ihm anzuban-
deln. So wurden bereits garstige Spottverse an die Kollegien ange-
heftet. Man las da:

Am Tier mit langen Ohren
Ging ein Doktor verloren.
In Prag ist das Kollegium
Der Herren Magister schrecklich -klug.

Gar mancher Professor studiert Jahr um Jahr,
Und bleibt doch am Ende so schlau wie er war.

Der Rektor trägt ein buntes Barett,
Bei Tag ist er weise, dumm geht er zu Bett.

Die Herren Doktoren konnten sich wohl denken, aus welcher Fa-
brik diese schlechten Verse stammten, und nahmen sich daher vor,



till eulenspiegel-168. arpa

den Übeltäter gründlich zu bestrafen. Der Rektor schickte also eines
Tages den Pedell zu Eulenspiegel und ließ ihn auffordern, zum Kol-
leg zu kommen, da wolle man ihm Fragen aufgeben. Eulenspiegel
ließ antworten, daß er hierzu bereit sei, nur möge man ihn mit
Kirchenvätern, längst verstorbenen Heiden und scholastischer Weis-
heit verschonen und ihm nur Fragen aufgeben, die der gesunde Men-
schenverstand lösen könne.

Das wurde ihm zugestanden. Am festgesetzten Tage strömten die
Gelehrten in hellen Scharen zur Universität. Auch die Studenten ka-
men, die so gelehrt werden wollten wie ihre Professoren, und hatten
nach ihrer Gewohnheit ihre Rapiere mitgebracht. Eulenspiegel aber
hatte auch seinen Anhang bei sich, seinen Wirt, mehrere Bürger und
lustige Gesellen, die alle derbe Knüttel in den Händen hatten, denn
man konnte nicht wissen, was sich ereignen würde. Die Studenten
waren nämlich damals sehr rauflustig.

Der Rektor empfing Eulenspiegel sehr feierlich und gemessen,
wies ihm ein Rednerpult an und legte ihm dann eine Frage vor, die
er beantworten sollte; die Frage hätte niemand beantworten kön-
nen, selbst wenn man die Gelehrten dieser ganzen Universität dazu
aufgeboten hätte. Sie hieß: "Wieviel Eimer Wasser sind im Meere?"
Darauf erwiderte Eulenspiegel:

Verstopft alle Flüsse aus Seen und Teichen,
Die meerwärts strömen aus allen Reichen,
Und hemmt den Regen, dann will ich Euch sagen,
Wieviel die Eimerzahl mag betragen.

Diese Antwort hatte niemand erwartet, die Freunde Eulenspie-
gels gaben ihren Beifall zu erkennen, die Doktoren schwiegen, dach-
ten aber: Recht hat er.



till eulenspiegel-169. arpa

Der Rektor wollte sich indes mit dieser Abfertigung nicht zu-
frieden geben, er hatte schon eine neue Frage auf der Zunge, und die
hieß: "Wieviel Tage sind vergangen seit Adams Erschaffung bis
heute?"

Er dachte dabei: Jetzt wird sich der ungelehrte Tropf wohl mit
seinen kläglichen Rechenkünsten schändlich blamieren. Eulenspiegel
aber antwortete munter:

Sieben Tage, lieben Leute,
Sind verflossen just bis heute.

Wenn von diesen nichts geblieben,
Folgen eben andre sieben.

So geht es seit Adams Zeit
Bis in alle Ewigkeit.

Jetzt lachten Eulenspiegels Anhänger schon, die Doktoren aber
murrten gegen den Rektor, daß er den Schalk nicht aufs Eis zu füh-
ren verstehe. Der schluckte seinen Arger hinunter, dachte: Aller gu-
ten Dinge sind drei und stellte die nicht minder schwere Frage: "Wo
ist die Mitte der Welt?"

Oh, wie schlau und fein! dachten die Doktoren. Jetzt muß er doch
Rom nennen, wo der Heilige Vater wohnt, oder Prag, den Sitz der
Gelehrsamkeit. Nennt er das erstere, so verdirbt er es mit allen ge-
schulten Leuten, bestimmt er das andere, dann kommen ihm die
Geistlichen ans Leder.

Auch seine Freunde wurden besorgt und wollten schon zur Geltung



till eulenspiegel-170. arpa

bringen, daß es mit den beiden gelösten Fragen sein Bewenden
haben könne, aber der Schalk antwortete:
Grade da, wo ich hier stehe,
Ist der Mittelpunkt der Welt.
Wollt Ihr das für wahr nicht halten,
Meßt es aus, wenn's Euch gefällt.

Von dem weiten Rand der Erde
Bis zu mir in gleicher Weite,
Und von mir aus, klug gemessen,
Fehlt nicht eines Strohhalms Breite.

Diese überraschende Antwort machte die Freunde Eulenspiegels
jubeln, die Doktoren und Studenten wurden aber darüber wütend.
Der Rektor, der ihn nun aus dem Gebiete der Physik, der Mathema-
tik und Geologie gefragt hatte, war mit seinem Latein zu Ende, gab
ihm aber, um ihn schließlich doch noch bloßzustellen, eine Aufgabe
aus der Astronomie, die hieß: "Wie weit ist es von hier bis in den
Himmel?"Eulenspiegel besann sich nur kurze Zeit, um zu erwidern:

Werte Herren, gar nicht weit
Ist der Himmel unsrer Erde
Der gesamten Christenheit,
Wie ich Euch beweisen werde.
Wenn Ihr wollt gen Himmel steigen
Bis zu selger Engel Chören,
Ruft herunter, werter Rektor,
Ich kann Euch von unten hören.



till eulenspiegel-171. arpa

Der Rektor war zu der Probe nicht entschlossen, wohl aber zu
einer letzten Frage aus dem Gebiete der Metaphysik. Sie hieß: "Wie
groß ist der Himmel?"

Auch darauf blieb Eulenspiegel die Antwort nicht schuldig. Er
sagte:

Tausend Klafter ist die Weite,
Tausend Klafter ist die Breite,
Hunderttausend Ellenbogen
Ist die Höhe. Wer es besser
Kennt, ein weis'rer Messer,
Sage mir, daß ich gelogen.

Nach dieser Auskunft streckte der Rektor die Waffen. Eulen-
spiegel wurde im Triumph als Sieger über die hochweise Prager Uni-
versität nach seiner Herberge geleitet und dort gefeiert, aber er zog
es vor, noch in der Nacht abzureisen, weil die ergrimmten Studen-
ten einen Anschlag gegen ihn im Schilde führten.


Ein gelehriger Schüler

Seitdem Eulenspiegel in Paris und Prag gewesen war, fand er Ge-
fallen daran, die Gelehrten zu foppen, wo er sie antraf, denn er
hatte die Wahrheit des Sprichwortes erfahren: Je gelehrter, desto
verkehrter. Deshalb beschloß er, noch einmal die gute Stadt Erfurt
aufzusuchen, in der ja auch eine berühmte Universität war. Auch



till eulenspiegel-172. arpa

ohnedies trieb es ihn, diese Stadt besser kennen zu lernen, in der
so viele kluge Leute sein sollten, denn es hieß doch:

Also kam er nach Erfurt und wohnte wieder in der "Hohen
Lilie", doch kannte ihn niemand mehr, denn er hatte sich sehr ver-
ändert in den letzten Jahren. In der Universität hatten sie aber schon
von ihm und seinem Treiben in Prag erfahren und berieten bereits,
wie sie es anfangen müßten, daß sie nicht ebenso wie die böhmischen
gelehrten Brüder angeführt würden. Eulenspiegel konnte nämlich
seine Neckereien nicht lassen, überall schlug er seine Streitsätze an,
und die Doktoren lasen da zu ihrem Arger: Wovon wird ein Magi-
ster weiser? Wenn er Puifbohnen oder Brunnenkresse genießt? —
Wieviele Esel werden in Erfurt gehalten in Stadt und Weichbild,
die Akademie inbegriffen? —Haben die Erfurter deshalb die größte
Glocke im Dom, weil zur bedeutendsten Narrenkappe eben auch die
größte Schelle gehört? — Daneben erbot er sich auch, Lesen und
Schreiben zu lehren, gleichviel wem, bemerkte auch, daß er dies in
kurzer Zeit bewerkstelligen könne.

Darauf hielt der Rektor mit seinen Freunden eine Beratung ab.
Am Ende kamen sie auf einen gescheiten Einfall, und der Rektor
sagte vergnügt: "Ich hab's! Mich soll er nicht fangen, wie er den
Herrn Kollega in Prag genasführt hat, dafür stehe ich ein! Also

Hätt ich der Venediger Gut
Und derer von Nürnberg Übermut,
Und derer von Erfurt Witz,
So gäb ich niemand nichts.
Hätt ich dazu der Ulmer Geld,
So wär ich der Reichste in der Welt.



till eulenspiegel-173. arpa

ließ er Eulenspiegel freundlich bitten und fragte ihn, ob er nach
seiner Ankündigung und Verheißung jede Kreatur Lesen und Schrei-
ben lehren könne. Das bejahte Till. Darauf sagte der Rektor: "Dann
möchte ich Euch fragen, werter Herr Magister und Kollega, ob Ihr
Euch getraut, diesem etwas schwierigen Schüler die Künste beizu-
bringen?" Damit führte er ihn in den Stall; dort stand der unge-
lehrige Schüler, ein Esel, an der Krippe. "In welcher Zeit", fragte
der Rektor höhnisch, "würdet Ihr Eure Aufgabe vollbringen?"

Darauf antwortete der Schalk: "Zwanzig Jahre möchten wohl
darüber hingehen, würdiger Herr Rektor, das ist nicht zu lange,
wenn Ihr bedenket, daß hier eine unvernünftige Kreatur zur ersten
Stufe der Weisheit gebracht werden soll."
Darüber wurde nun ein Vertrag aufgesetzt, auch ein Honorar
ausgedungen, und Eulenspiegel machte sich an die Arbeit. Er dachte
dabei: Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Bis dahin kann der Rek-
tor sterben, oder mein Schüler, oder ich selbst. Wer will mich mah-
nen, wenn einer von diesen drei Fällen eintritt? Doch gab er sich
mit seinem Schüler nicht geringe Mühe. Er stellte ihn ganz allein
in einen Stall, legte ihm ein altes Buch in die Krippe, und zwischen
die einzelnen Blätter streute er Hafer. Leicht gewöhnte er nun das
Tier daran, daß es die Blätter mit dem Maule umwandte, um den
Hafer, der dazwischen lag, zu verzehren. Kam aber eine leere Seite,
so schrie das Tier, weil es keinen Hafer fand, aus Leibeskräften
"J-ah! J-ah!"

Nach einiger Zeit fragte der Rektor Eulenspiegel: "Nun, werter
Magister, wie steht's mit Eurem Schüler? Nimmt er Lehre an?"

"Er macht gute Fortschritte", antwortete der Schalk, "die Vokale
J und A kann er schon, wovon Ihr Euch überzeugen mögt." Darauf
führte er ihn und einige andere Magister in den Stall. Hier legte er



till eulenspiegel-174. arpa

dem Grauschimmel sein Buch vor, aber ohne Hafer. Das Tier blät-
terte nach seiner Gewohnheit um, fand natürlich nichts und schrie
mit Inbrunst "J-ah! J-ah!"

"Seht, Herr Rektor", sagte der Schalk, "die beiden Vokale hat er
wohl gelernt, er kann es noch weit bringen in der Wissenschaft."
(1:;?

Nun sahen die Gelehrten, daß sie ebenfalls genasführt worden
waren und ließen den unverbesserlichen Spaßvogel in Ruhe. Der
aber zog bald darauf von Erfurt weg, denn er dachte: Du würdest
länger als zwanzig Jahre nötig haben, wenn du alle Esel in Erfurt
klug machen solltest.



till eulenspiegel-175. arpa


Billiges Fleisch in Erfurt

In Erfurt auf dem Fischmarkt, dem Rathaus gegenüber, waren
die Fleischbänke. Da standen die Metzger und boten ihre Waren
an, Bratenstücke, Wurst, Schmalz und was sie sonst noch hatten.
Unter ihnen war auch einer, dem die andern nicht grün waren, weil
er bessere Geschäfte machte als sie. Er rief nämlich die Vorüber-
gehenden an, lobte seine Ware und veranlaßte manchen bei ihm zu
kaufen, der sonst zu einem andern Metzger gegangen wäre.

Als Eulenspiegel an seiner Bude vorüberging, konnte er es nicht
lassen, auch ihm ein Angebot zu machen. "Wie, Herr Magister, wollt
Ihr nicht auch etwas mitnehmen? Vielleicht einen schönen Braten?"

"Welchen Braten soll ich mitnehmen?" fragte Eulenspiegel, dem
diese Rede nicht ungelegen kam.

"Nun, diesen", meinte der Fleischer, "er wiegt seine sechs Pfund
unter Brüdern."

Da nahm Eulenspiegel den Braten und ging davon. Gleich lief ihm
der Mann nach und sagte: "Lieber Magister, ich habe noch kein Geld
dafür. Ihr müßt erst bezahlen."

Eulenspiegel, der den Braten unter seinen Rock gesteckt hatte,
antwortete entrüstet: "Was wollt Ihr, Meister? Vom Bezahlen habt
Ihr bisher kein Wort verlauten lassen. Ihr habt mir gesagt, ich solle
den Braten mitnehmen, so tue ich Euch den Gefallen, wenn es mir
auch sauer genug wird, ein solch schweres Stück Fleisch Euch zuliebe
schleppen zu müssen. Seid Ihr aber anderer Meinung, so laßt uns die
Nachbarn fragen und den Streit entscheiden, die wissen um unseren
Handel."

Die anderen Fleischer standen um die beiden herum, mischten sich
ein und entschieden aus Bosheit zugunsten Eulenspiegels.



till eulenspiegel-176. arpa

Sie alle hatten wohl vom Mitnehmen, nicht aber vom Bezahlen
etwas gehört, und behaupteten deshalb, der Magister sei im Recht.
Eulenspiegel ließ sie streiten und ging mit seiner Beute unbehel-
ligt davon.


Nicht jeder wird durch Schaden klug

Einige Tage danach kam Eulenspiegel wieder bei den Fleisch-
bänken vorbei. Da rief ihm der gleiche Metzger zu: "Herr Magi-
ster, wollt Ihr nicht wieder einen Braten mitnehmen? Ein schönes
Stück von zehn Pfund."

"Wie Ihr wollt", sagte Eulenspiegel und griff nach dem Fleisch,
das der Metzger ihm gezeigt hatte. Der aber war flinker, hielt die
Hände vor und sagte: "Nicht also, erst Geld, dann die Ware."

Wieder hatten sich die andern Metzger um die beiden gestellt und
wünschten dem Konkurrenten abermals einen tüchtigen Verlust.
Eulenspiegel blieb ganz ruhig und sagte zum Metzger: "Macht keine
Umstände, ich will den Braten bezahlen." Da zog der Fleischer seine
Hände weg und wartete darauf, was ihm der Schalk wohl bieten
würde. Eulenspiegel aber fuhr fort: "Wenn ich Euch nun ein Wort
sage, das Euch erfreut, das Ihr gern hört, wollt Ihr mir dann den
Braten geben?"

"Wenn Ihr mir ein Wort sagt, das mir gefällt, dann sollt Ihr den
Braten haben", erwiderte der Metzger.

"Nun", sagte Eulenspiegel, "das Wort heißt: Beutel auf! Heraus
ihr Pfennige und bezahlt den Braten! Wie gefällt Euch das Wort?"

"Das Wort gefällt mir gut", erwiderte der Metzger, "ich möchte
wohl immer solche Worte hören."



till eulenspiegel-177. arpa

Nun erwischte der Schalk das Fleisch, steckte es geschwind unter
seinen Mantel und rief: "Also gehört mir der Braten. Ihr habt es
alle gehört, daß er ihn mir verkauft hat für ein Wort, das ihm
gefällt."

Der Metzger wollte das so nicht gemeint haben und forderte
sein Geld, aber seine Gegner schlugen sich auf Eulenspiegels Seite, so
daß er abermals ins Unrecht gesetzt ward und zum Schaden auch
noch den Spott hinnehmen mußte.


Ein böses Pfänderspiel

Eulenspiegel war dreist genug, wieder nach Sachsen zu gehen, doch
zog er es diesmal vor, sich zu verkleiden, so daß er wie ein herr-
schaftlicher Diener aussah. In diesem Aufzug wagte er sich nach
Quedlinburg, wo gerade Wochenmarkt gehalten wurde. Sein Geld
war alle, sein ewig hungriger Magen leer, und zu einer Zechprellerei
im Wirtshause fehlte ihm die Gelegenheit. Da nahm er sich vor,
irgendein Bäuerlein zu betrügen, und er trat auf eine Bauersfrau zu,
die einen Korb voll Hühner samt einem Hahn feilbot.

"Was kosten die Hühner?"fragte er sie.

"Zwei Hühner einen Stephansgroschen", war die Antwort.

"Das ist teuer", sagte er, "könnt Ihr sie mir nicht billiger geben?"

Das lehnte die Frau aber ab. Da nahm Eulenspiegel den Korb mit
den Hühnern und ging davon, ohne ein Wort zu verlieren.

Das war der Frau noch nicht vorgekommen. Sie lief hinter dem
unverschämten Käufer her und rief: "Wie, wollt Ihr mich nicht be-
zahlen? Das ist mir ein schöner Käufer, der mit der Ware davon-
geht. Ich will doch gleich dem Marktvogt Bescheid sagen."



till eulenspiegel-178. arpa

"Ich weiß nicht, was Ihr wollt", antwortete er mit erheucheltem
Unwillen, "ich bin der Diener der Äbtissin!"

"Davon habe ich noch kein Geld", sagte sie. "Mein Vater hat mich
gelehrt, mit vornehmen Leuten nichts zu schaffen zu haben. Denen
soll unsereiner nichts borgen oder verkaufen, wenn er nicht den

kürzeren ziehen will. Also macht keine Umstände und bezahlt mir
meine Hühner!"

"Liebe Frau", antwortete er, "Euer Vater hat Euch damit keine
gute Lehre gegeben. Wenn alle Kaufleute so denken wollten, so
stünde es schlecht um die vornehmen und reichen Herren. Meine
Frau hat mir eben kein Geld mitgegeben, weil sie ja doch nicht wußte,
ob Hühner zu kaufen wären. Aber, damit Ihr zufrieden seid, will



till eulenspiegel-179. arpa

ich Euch - den Hahn als Pfand dafür zurücklassen, daß ich Euch
Geld und den Korb wiederbringe."

Mit diesen Worten reichte er der Frau den Hahn aus dem Korbe.
So nahm sie ihren eigenen Hahn entgegen, behielt ihn als Pfand
und war vorläufig mit dem Handel zufrieden. Eulenspiegel aber ließ
sich nicht wieder blicken, und die gute Frau sah weder ihre Hühner
noch den Korb wieder.


Der geprellte Weinzäpfer

In Lübeck war Eulenspiegel noch nicht gewesen. Als er aber dort-
hin ging, nahm er sich heilig vor, keine Büberei zu begehen, weil er
bald herausbekam, daß in dieser Stadt ein sehr strenges Recht
herrschte. Lange Zeit lebte er dort so brav und redlich, daß ihn kei-
ner wieder erkannt hätte, dem er früher einen Narrenstreich ge-
spielt hatte.

Nun war am Rathause ein Weinzäpfer oder Kellermeister ange-
stellt, dem lag die Sorge für die Weinvorräte ob, auch hatte er Wein
zu verkaufen. Weil nun Lamprecht, so hieß er, von den Ratsherren
für sachverständig gehalten wurde, wenn es sich um Einkäufe von
Rheinwein handelte, auch die verschiedenen Jahrgänge wohl kannte,
so hielt er sich selbst für sehr weise und unentbehrlich in Lübeck.
Kamen ehrbare Bürger oder deren Frauen zum Zapf, so spielte er
sich immer sehr großartig auf und tat, als ob er ihnen eine beson-
dere Gnade erwiese, wenn er ihnen für ihr Geld Wein ausschenkte.
Häufig genug klagte er über die Schererei, die ihm dadurch bereitet
wurde. Saß er aber im Ratskeller mit anderen zusammen, dann



till eulenspiegel-180. arpa

führte er das große Wort und duldete keinen Widerspruch. Dadurch
erwarb er sich freilich keine Freunde.

Eulenspiegel kannte den Großsprecher auch, und nach seiner Ge-
wohnheit konnte er es nicht über sich gewinnen, den klugen Wein-
zäpfer für seine Aufschneidereien ungestraft zu lassen.

Er verschaffte sich also eines Tages zwei völlig gleiche Wein-
kannen, füllte die eine mit Wasser, die andere ließ er leer. Die leere
trug er frei in der Hand, die mit Wasser gefüllte versteckt unter sei-
nem Mantel. Demütig kam er so zu dem Gestrengen und bat um
ein Stübchen Wein.

"Das muß immer saufen!" antwortete Lamprecht grimmig, riß
ihm die Kanne aus der Hand, füllte eine Maß ab und verlangte dafür
acht Pfennige.

"Werter Herr Lamprecht", sagte Till, "könnt Ihr mir den Wein
nicht billiger lassen? Ich habe nur fünf Pfennige, und das ist mein
ganzes Geld."

Hu, da wurde der Kellermeister böse. "Das ist mir ein schöner
Gaudieb!" schrie er, "kommt daher und will mir die Preise fest-
setzen! Das wäre ja noch schöner! Wer keinen Wein bezahlen kann,
der lasse es bleiben!"

"Recht habt Ihr", antwortete Eulenspiegel sanft, "und da ich
eben keine acht Pfennige bezahlen kann, so nehmt Euern Wein wie-
der. Könnt ihn ja ins Spundloch eingießen."

Da riß der Wütende dem Schalk die Kanne aus der Hand und
füllte unter Schimpfen und Fluchen den Wein wieder in das Faß.
Dabei merkte er aber nicht, daß Eulenspiegel die Kannen vertauscht
hatte, so daß er Wasser in das Faß schüttete, während der Schalk die
Weinkanne unter seinem Mantel verbarg. Der erboste Küfer schalt
aber noch eine ganze Weile.



till eulenspiegel-181. arpa

"Was bist du für ein Tor", sagte er, "daß du Wein kaufen
willst, ohne Geld zu haben."

Da ging Eulenspiegel lachend davon und sagte: "Es fragt sich nur,
wer der größte Tor von uns beiden ist. Kein Weinzäpfer in Lübeck
ist so klug, daß er nicht doch einmal hinters Licht geführt würde."


Der Fuchs im Eisen

Diese letzten Worte ließen in dem Küfer den Gedanken aufkom-
men, daß der Mann in dem Mantel ihn betrogen haben könnte.
So etwas sollte aber dem klugen Lamprecht nicht passieren, einem
Mann, bei dem doch selbst die Bürgermeister sich Rat holten! So-
gleich fiel ihm auch ein, daß der wunderliche Weinkäufer vielleicht der
berüchtigte Till Eulenspiegel gewesen sein könnte, von dessen Strei-
chen ja in allen Landen geredet wurde.

Schnell entschlossen rief er den Büttel, teilte ihm seinen Argwohn
mit und eilte hinter dem Schalk her. Sie erwischten ihn, fanden bei
ihm zwei Kannen, darunter die mit Wein gefüllte, und der Küfer
schrie laut: "Schelm, der du bist, du hast den Rat bestohlen! Du hast
Wasser in der andern Kanne gehabt, das ich aus Versehen in den
Spund gegossen habe. Du mußt an den Galgen, Erzbösewicht! Jetzt
aber marsch ins Gefängnis!"

Eulenspiegel wurde also in Gewahrsam gebracht, dort hatte er
Zeit, seine Lage zu überdenken. Sie sind hier streng, dachte er, wenn
dich das Glück verläßt, geht es dir an den Kragen. Einige Tage da-
nach wurde er vor Gericht gestellt. Der Weinzäpfer klagte ihn an,
den Senat betrogen zu haben, zeigte die beiden Kannen, schilderte
den Hergang, gab auch seiner Entrüstung darüber Ausdruck, daß



till eulenspiegel-182. arpa

der Bösewicht gerade ihn, eine Respektsperson, zur Zielscheibe seines
Spottes gemacht habe.

Die Richter machten nicht lange Federlesen. Es handelte sich ja um
einen Fremden, keinen Lübecker Bürger, zudem hatte Eulenspiegel
keinen guten Leumund. Man munkelt; daß er in Erfurt Fleisch, in
Quedlinburg Hühner gestohlen, in Hamburg unschickliche Dinge ge-
trieben habe. Hier war der Diebstahl erwiesen, also blieb nichts wei-
ter übrig, als das Urteil zu sprechen. Es lautete auf Tod am Galgen.

Auf grüner Au, am Rabenstein,
In freier, frischer Luft allein,
Umschwärmt von muntrer Krähen Schar,
Von aller Not frei und Gefahr,
Da ist des Diebes Ruhestatt,
Die er so lang erstritten hat.

Der Ordnung halber wurde der Verurteilte gefragt, ob er noch
etwas zu sagen habe oder einen billigen Wunsch äußern wolle.
Da nahm Eulenspiegel alle seine Schalkheit mutig zusammen und
sagte: "Hochweise Herren von Lübeck, ist es hier Brauch, einen
armen landfahrenden Mann unschuldig zu hängen?"

"Nein", wurde ihm zur Antwort, "das ist bei uns nicht üblich.
Deine Schuld ist doch klar, du hast Wasser statt Wein gegeben,
das ist Diebstahl und Betrug, dafür bist du verurteilt worden. Dein
Vergehen wurde dir nachgewiesen."

"Gnädige, gestrenge Herren", antwortete er darauf, "mir ist nichts
bewiesen worden. Ich habe dem Herrn Weinzäpfer kein Wasser
gegeben, sondern Wein, wirklichen guten Wein, und glaubt ihr nicht,
daß dem so sei, so laßt doch das Faß untersuchen, das Wasser müßte
sich ja darin finden."



till eulenspiegel-183. arpa

Diese Zumutung, aus einem Fasse Wein ein Stübchen Wasser her-
ausfinden zu wollen, erschien den Gestrengen so lustig, daß sie das
Lachen nicht verbeißen konnten. Eulenspiegel aber fuhr fort: "Ich
hatte mich wohl gehütet, dem ehrsamen Meister Lamprecht ein sol-
ches Geschenk zu machen, aber er war so eilig und riß mir mein
Eigentum aus der Hand. Es blieb mir nichts anderes übrig, als seinen
Wein zu behalten, wenn ich nicht zu Schaden kommen und doch als
ehrlicher Mann davongehen wollte."

Da begehrte Lamprecht auf und rief, ohne daß ihn freilich einer
zum Reden aufgefordert hatte: "Was wolltest du denn bei mir Wein
kaufen, da du doch welchen besaßest?"

Sanft erwiderte er: "Ich wollte nur sehen, wer den besseren hatte,
Ihr oder ich, denn es kann einer ja wohl ein weiser Mann sein und
doch schlechten Wein verzapfen."

Als Eulenspiegel nun sah, daß er die Lacher auf seiner Seite hatte,
bat er die Gestrengen recht demütig, sie möchten ihm seine Kannen
und seinen Wein wieder erstatten. Was wollten sie tun? Sie hoben
das harte Urteil auf, ließen ihm die Kannen wieder zustellen und
befahlen dem Kellermeister, sie mit Wein zu füllen. Eulenspiegel
verlangte vom besten, erhielt ihn auch von dem gefoppten Küfer
und zog so für diesmal glücklich den Hals aus der Schlinge.


Der lustige Pfeifenmacher

Der Herzog von Lüneburg, der Eulenspiegel einst das Betreten des
Braunschweiger Landes verboten hatte, war gestorben, so daß sich
niemand mehr seines Befehls erinnerte. Da konnte es der Schalk wa-
gen, wieder nach der Stadt Lüneburg zu gehen. Nach seiner Gewöhn-



till eulenspiegel-184. arpa

heit suchte er sich Gesellschaft und fand solche gar bald in einer
Herberge. Möglich ist aber auch, daß sich die heiteren Brüder erst zu-
sammenfanden, nachdem es bekannt wurde, daß der König aller
Landfahrer dort eingekehrt sei.

Unter diesen war ein Pfeifenmacher, ein Spaßvogel, der sich gern
auf Kosten der Dummen vergnügte Stunden machte. Der bandelte
mit Eulenspiegel an, tat, mit ihm schön, lachte über seine Streiche
und sagte einmal: "Iß morgen bei mir zu Mittag, wenn du kannst."

Die Einladung nahm Till gern an, und am Mittag des andern Ta-
ges ging er denn auch zum Hause des Pfeifenmachers. Da fand er die
Tür verschlossen, an den Fenstern waren die Läden zugeschlagen,
und auf sein Klopfen und Rufen antwortete niemand im Hause.
Eine Stunde lang ging er vor dem Hause auf und ab, lugte, spähte -
alles umsonst. Das Haus blieb verschlossen, kein Fenster wurde auf-
getan, kein lustiger Pfeifenmacher meldete sich. Auch als er am
Nachmittage noch einmal vorbeiging, blieb alles stumm und tot. Da
sah Eulenspiegel wohl ein, daß er betrogen worden war, schwieg aber
still.

Tags darauf traf er den Pfeifenmacher auf dem Marktplatze. "Ei,
ei", sprach er zu ihm, "Ihr seid mir der Rechte, ladet die Leute ein
und seid nicht zu Hause, wenn sie kommen."

Da lachte der Mann unbändig über seinen guten Witz und sagte:
"Eulenspiegel, du hast meine Einladung nicht richtig verstanden. Ich
sagte dir, du möchtest bei mir zu Mittag essen, wenn du könntest.
Nun konntest du eben nicht, weil das Haus verschlossen war. Siehst
du, ich habe mein Wort gehalten."

"Das ist wahr", antwortete Till, "man lernt doch immer noch
etwas Neues."

Darauf sagte der lustige Pfeifenmann: "Nun, Eulenspiegel, heute



till eulenspiegel-185. arpa

steht meine Tür für dich offen. Geh nur hinüber, sie backen schon,
sieden und braten. Ich will gleich nachkommen. Du sollst mein ein-
ziger Gast sein, ich will sonst keinen in meinem Hause haben."

Das ließ sich Eulenspiegel nicht zweimal sagen. Er ging eiligst in
des Pfeifenmachers Haus und fand alles, wie der Hausherr gesagt
hatte. Frau und Magd waren in der Küche bei der Arbeit, eine wen-
dete den Braten am Spieß, die andere rührte den Brei. Sie kannten
Eulenspiegel bereits, wußten aber nicht, daß er voller Schalkheit
steckte. Also glaubten sie ihm auch, als er ihnen sagte:

"Gute Frau und Ihr, liebe Jungfer, Euer Hausherr schickt mich
in aller Eile her. Er hat zwanzig Pfund Hechte geschenkt bekom-
men und kann sie nicht allein herschaffen. Lauft ihm doch beide ent-
gegen, er ist schon auf dem Wege. Ich soll den Braten so lange wen-
den, bis Ihr wiederkommt."

Da sagte die Frau: "Ja, das wollen wir gleich tun, lieber Eulenspie-
gel, sorgt aber auch dafür, daß der Braten nicht anbrennt."



till eulenspiegel-186. arpa

Das versprach er ihnen, und sie liefen davon, so schnell sie konnten.

Kaum aber waren sie fort, als Eulenspiegel schnell die Haustür
hinter ihnen schloß und verrammelte, dann schlug er die Läden vor
die Fenster, so daß niemand von draußen hereinkonnte. Hierauf
stellte er sich an den Herd und kochte die Mahlzeit fertig.

Der Pfeifenmacher wunderte sich nicht wenig, als seine Frau und
die Magd im Sturmschritt ankamen und Hechte tragen wollten.

"Dahinter steckt eine Schalkheit", sagte er und eilte heim. Dort
fand er Tür und Fenster verschlossen. "Da haben wir's!" sagte er
ärgerlich. Auf sein Klopfen öffnete niemand, aber Eulenspiegel ant-
wortete hinter der Tür: "Nichts da! Ich darf nicht aufmachen, denn
der Hausherr hat mir gesagt, ich solle der einzige Gast sein, keiner
solle weiter im Hause sein."

Dem Hausherrn blieb unter solchen Umständen nichts weiter
übrig, als im Hause des Nachbars so lange zu warten, bis es dem
Schalk gefallen würde, die Tür zu öffnen.

Der aber kochte und briet die Mahlzeit vollends gar, deckte sich
selbst den Tisch und aß für drei. Als er damit fertig war, öffnete er
die Tür und gestattete dem Pfeifenmacher den Eintritt.

"Das ist ein netter Gast", sagte der, "der den Hausherrn aus dem
Hause sperrt!"

"Ich habe getan nach Euern Worten", sagte Eulenspiegel, "solltet
Ihr denn zum Lügner werden?"

"Als ob das meine Meinung gewesen wäre!" rief der lustige Haus-
herr. "Nun gut, du hast mir einen Streich gespielt, gib acht, daß ich
dich nicht übertrumpfe. Ich will dich schon noch einmal fassen, wenn
du auch noch so schalkhaft bist."

"Wer von uns beiden dem andern den besten Streich spielen kann,
der soll als Meister gelten", sagte Eulenspiegel und ging davon.



till eulenspiegel-187. arpa

Später versuchte der Pfeifenmacher wohl, dem Vielgewandten ein
Bein zu stellen, hatte aber damit kein Glück, Eulenspiegel bog ihm
immer aus und blieb darum Meister.


Wahrheit im Überfluß

Als Eulenspiegel wieder einmal nach Wismar kam, ging er in eine
Herberge, die der Schmiede gegenüber lag. Da trieb er in gewohnter
Weise sein Wesen. Die Leute nahmen sich aber alle vor ihm in acht
und hüteten sich sehr, ihn zu necken, denn sie wußten wohl, daß sie
dabei den kürzeren ziehen würden.

Eines Tages fand nun Eulenspiegel, daß die Hufeisen seines Pfer-
des abgenutzt waren. Er riß sie ab und ging zum Nachbarn, damit
er sein Rößlein aufs neue beschlagen sollte.

Der Schmied freute sich, als er Eulenspiegel sah, denn er hätte
längst gern mit ihm gesprochen, um etwas von ihm zu lernen. Er
war nämlich ein sehr wißbegieriger Mann und konnte sogar lesen.
Während er sich nun anschickte, das Eisen für das Pferd zurecht zu
machen, fing er eine Unterhaltung mit dem Reiter an. Er meinte, die
Menschen würden heutzutage doch immer schlechter, in früheren
Zeiten wäre es besser gewesen. Darin gab ihm Eulenspiegel recht. Der
Schmied führte dann in seiner bedächtigen Weise aus, wie das zu er-
klären sei. Er fand den Hauptgrund darin, daß die Menschen die
Wahrheit umgingen, wo sie konnten.

"Das ganze Land ist voll Lug und Trug. Keiner will sich von
einem anderen an Lügenhaftigkeit übertreffen lassen. Hört man
wohl auch auf Gassen und Straßen ein wahres Wort?"

"Ich könnte Euch schon eins sagen", meinte Eulenspiegel.



till eulenspiegel-188. arpa

"Und ich würde Euch dafür ein Eisen schenken", antwortete der
wahrheitsliebende Mann.
Da besann sich Eulenspiegel nicht lange und sagte:

Wenn im Herde Kohlen sind
Und im Ofen guter Wind,
Wenn's an Eisen nicht gebricht,
Fehlt's dem Schmied an Arbeit nicht.

"Dagegen ist nichts einzuwenden, das ist ein wahres Wort", meinte
der Schmied, "ich gebe Euch dafür ein Hufeisen."

Der Geselle hatte das mit angehört, zog Eulenspiegel auf die Seite
und wisperte ihm zu: "Wenn Ihr mir auch ein solch wahres Wort
nennen könntet, so möchte ich Euch wohl auch ein Eisen verehren."
Auch darauf ging Eulenspiegel ein und sagte nach einigem Nach-
denken:

Bei der Arbeit froh und schnell,
Früh ans Werk muß der Gesell,
Sparsam sein vor allen Dingen,
Dann kann er's zum Meister bringen.

"Da beißt die Maus keinen Faden ab", sprach der Geselle, "das ist
die reine Wahrheit. Ich gebe Euch dafür ein Hufeisen."

Die Frau des Meisters hatte von den Verhandlungen kein Wort
verloren, obgleich sie sich zum Schein nebenan am Küchenherde zu
schaffen machte. Da ihr nun die Wahrheiten Eulenspiegels gefielen,
so wollte auch sie von dem Wundermanne etwas lernen, sie rief ihn
herbei und versprach ihm auch ein Hufeisen, wenn er ihr eine Wahr-



till eulenspiegel-189. arpa

heit sagen wollte, aber eine solche, woran eine rechte und ehrbare
Hausfrau ihre Freude haben könne.
Da lächelte Eulenspiegel, besann sich ein wenig und sagte dann:
Hat die Hausfrau Fleisch genug,
Butter, Schmalz und 01 im Krug,
Dennoch gibt es ohne Mühe
Keinen Braten, keine Brühe.

"Das ist wahrlich ein richtiges und wahres Wort", antwortete er-
freut die Frau, "mein Mann meint freilich, wenn einer nicht mit
dem Hammer schlüge, daß die Funken fliegen, dann wäre es keine
Mühe. Ich schenke Euch gern ein Hufeisen."

Während dieser Unterhaltungen verging die Magd bald vor Durst
nach Wahrheit. Auch sie versprach ihm ein Hufeisen, wenn er ihr
etwas Schönes sagen wolle wie den andern. Da lächelte der Schalk
und erwiderte:

Die rechte Hand ist überall,
Fegt Küche, Kammer, Hof und Stall,
Doch schöner ist's zum Tanze gehn,
Am Tor beim Allerliebsten stehn.

"Ei, behüt uns Gott, was für ein wahres Wort ist das!" rief jauch-
zend die Magd und gab ihm gleichfalls ein Hufeisen.

So hatte denn Eulenspiegel die Prüfung wohl bestanden und ritt
mit seinem Pferde davon, beide gut beschlagen.



till eulenspiegel-190. arpa


Seltsamer Milchhandel in Bremen

Am Sonnabend vor Palmarum wollte in Bremen alles backen, um
zum Feste süßen Kuchen essen zu können. Da kamen die ehrbaren
Frauen mit Häfen, Töpfen und Eimern, um auf dem Markte Milch
zu erhandeln. Aus der Umgegend waren auch genug Bauernfrauen
mit ihren Hundewagen erschienen, worauf sie ihre Milchkannen ge-
laden hatten.

Auch Eulenspiegel war auf dem Markte, und das war nicht gut,
weder für die Bürgerfrauen noch für die guten Bäuerinnen, weil er
an dem Tage - und kostete es sein Leben - den Bremern einen
Streich spielen wollte. Er verschaffte sich eine riesengroße Bütte und
stellte sie auf. Darauf ging er zu den Milchfrauen und kaufte ihnen
ihre Vorräte ab. Er versprach, einen Pfennig mehr zu zahlen als die
Bürgerfrauen, und schüttete die Milch in seine Bütte. So tat er mit
allen. An die Bütte schrieb er mit Kreide, wieviel er von jeder Frau
bekommen hatte. Die Milchverkäuferinnen saßen nun im großen
Kreise um ihn herum und warteten, wann die Bütte voll sein würde,
denn dann wollte Eulenspiegel ja bezahlen. Kam nun eine Bauern-
frau mit frischer Milch, so riefen sie schon andere heran, damit sie
ihren Vorrat hier verkaufen möge, denn je eher das Faß voll wurde,
um so früher müßten sie ja doch zu ihrem Gelde kommen. Die Bür-
gerfrauen aber klagten über die Ungerechtigkeit, daß ihnen durch
einen fremden Aufkäufer, der die Preise verderbe, alle Milch vor der
Nase weggenommen werde.

Endlich war die Bütte voll, und Eulenspiegel sollte nun den Beutel
ziehen. Da sagte er gemütlich: "Nun, liebe Frauen, geht heim. Gott
geleite Euch! In vierzehn Tagen oder drei Wochen könnt ihr euer
Geld holen. Ich habe jetzt keins."



till eulenspiegel-191. arpa

Da gab es ein Schreien, Kreischen und Schimpfen. Die Weiber wur-
den wütend und wollten dem Schalk mit Kannen und Töpfen zu
Leibe. Geld oder das Leben! Allein Eulenspiegel blieb ganz ruhig
und sagte: "Wer nicht zufrieden ist, wie ich bezahle, der mag seine
Milch wieder nehmen."

Damit ging er und tat wunder wie beleidigt. Nun fielen die Wei-
ber alle über die Bütte her. Jede wollte die erste sein, die ihre Milch

wieder ausschöpfte, jede gedachte auch mehr zu bekommen, als sie
gegeben hatte, um hinterher sagen zu können, daß sie bei dem Han-
del nicht zu Schaden gekommen sei. Darüber gab es heftigen Streit,
die erzürnten Weiber schütteten sich die Milch über die Köpfe, schlu-
gen, kratzten und bissen sich, rissen sich an den Haaren und wälzten



till eulenspiegel-192. arpa

sich auf dem Boden. Der ganze Platz sah bald darauf aus, als ob es
Milch geregnet habe. Die Bürger, die das Schauspiel sahen, hielten sich
die Bäuche vor Lachen, auch die ehrbaren Frauen stimmten schließlich
mit ein, obwohl sie nun kein Gebäck zu Ostern anfertigen konnten.

Die zwölf Blinden

In Hannover war der reiche Ratsherr Wernicke gestorben, und es
wurde ihm in der Marktkirche ein feierliches Seelenamt gehalten.
Als nun die fromme Wittib mit ihren Muhmen und Vettern aus der
Kirche trat, konnte sie kaum vorwärtsschreiten, denn vor der Tür
de~ Gotteshauses lagerten zahllose Lahme, Krüppel und Blinde. Sie
alle baten um Almosen und schwuren hoch und teuer, daß sie für
das Seelenheil des Entschlafenen beten würden. Solch schöne Gelegen-
heit zum Wohltun ließ sich die fromme Frau nicht entgehen, sie gab
ihrer Schaffnerin den Auftrag, den Lahmen und Krüppeln einen
Zehrpfennig zu reichen. Der armen Blinden aber erbarmte es sie am
meisten, die schickte sie in die Herberge "Zum Stachelschwein", wo
sie mit Suppe und Gerstenbrot gelabt werden sollten. Es waren ihrer
zwölf. Der Wirt speiste sie alle und ließ die Blinden dann ziehen.
Unter denen war einer, der noch ein wenig sehen konnte; er konnte
zwar nicht immer einen Mann von einer Frau unterscheiden, doch
wußte er genau, ob er vor einem Apfelbaum oder vor einem Kirch-
turme stand. Der war ihr Führer und König.

Die zwölf Blinden begaben sich also von Hannover nach Hildes-
heim, wo eine große Hochzeit gefeiert werden sollte. Da hofften sie,
daß für sie etwas abfallen werde. Der "König" verkürzte ihnen unterwegs



till eulenspiegel-193. arpa

die Langeweile, indem er ihnen seine Beobachtungen mit-
teilte. Bald sagte er: "Mich dünkt, wir sind hier am Rabenstein, es
baumelt so etwas in der Luft herum."

Da antworteten sie: "Hier ist nicht gut sein, da legen wir besser
einen Schritt zu." Nach einer Weile fing der Führer wieder an:
"Wenn ich nicht irre, so liegt da linker Hand eine Herde Schafe."Da-
bei fielen sie bald über die Hammel. "Das bedeutet Glück!" meinten
die Blinden.

Wieder nach einiger Zeit sagte einer: "Ich höre ein Pferd galop-
pieren."

Der König lugte und suchte und meinte schließlich: "Das scheint
mir ein Reiter zu sein."

Dieser Reiter war Eulenspiegel. Der sah das Elend, und es er-
barmte ihn, denn er war bei aller Schalkheit doch mitleidig. Also
überlegte er, wie er den armen Schelmen helfen und dabei doch eine
Büberei begehen könne. Er fragte sie, woher sie kämen.

Da standen die Blinden still, zogen ihre Kappen ab, und der König
sagte: "Gnädiger Junker, wir kommen aus der Stadt, da wurde eine
Seelenmesse gehalten für den reichen Rat Wernicke, dem Gott gnädig
sein möge. Da haben wir ein Süpplein und Brot erhalten und gehen
nun nach Hildesheim, wo eine große Hochzeit gehalten wird."

"Bis Hildesheim ist es weit", sagte Eulenspiegel, "da wird euer Bet-
telsüpplein nicht lange vorhalten. Ihr guten Leutchen, ihr müßtet
Braten haben, Speck, Eier und dergleichen, dann wollte ich wohl
glauben, daß ihr den weiten Weg machen könntet, ohne umzufallen."

"Lieber Junker", antworteten die Blinden, "wir sind arme Krüp-
pel, wie kämen wir zu solchen Speisen! Die sind nur für glückliche
Leute!"

Da sagte der Schalk: "So will ich euch helfen."



till eulenspiegel-194. arpa

Er legte sich auch gleich einen Plan in seinem erfindungsreichen
Kopfe zurecht. Er kannte den Wirt "Zum Stachelschwein" — wel-
chen Wirt kannte er wohl nicht! — und wußte, daß der ein rechter
Grobian und Betrüger war. Der hatte den armen Blinden nur eine
magere Suppe vorgesetzt und sicher ließ er sich von der reichen
Witwe bezahlen, als ob er ihnen wer weiß wieviel Gesottenes und
Gebratenes aufgetischt hätte!

Da sagte Eulenspiegel zu den Blinden: "Hier habt ihr Geld, zwölf
Gulden, da ihr eurer zwölf seid. Geht wieder zurück zur Herberge
"Zum Stachelschwein"und laßt euch zu essen und zu trinken geben,
so lange das Geld reicht."

Ober diese Rede waren die Blinden sehr froh. Sie dankten dem
großmütigen Geber tausendmal, wünschten ihm alles Gute und zo-
gen wieder nach Hannover in der festen Meinung, daß der fremde
Junker einem von ihnen zwölf Gulden gegeben habe. Dabei hatte in



till eulenspiegel-195. arpa

Wirklichkeit keiner etwas erhalten, denn Eulenspiegel hatte wie
gewöhnlich nichts in seinem Beutel. Als sie zur Herberge kamen, er-
zählten sie dem Wirt voller Freude, daß sie unterwegs einen Wohl-
täter gefunden hätten, der ihnen zwölf Gulden gegeben habe, damit
sie davon verköstigt werden könnten.

Der Wirt dachte: Zwölf Gulden sind viel Geld, dafür kannst du

die Hungerleider schon aufnehmen. Wenn du ihnen für die Hälfte
gibst, hast du ein schönes Sümmchen verdient. Er nahm sie darum
auf, ließ in der Küche backen, sieden, rösten und braten für die Blin-
den, so daß die meinten noch nie ein so gutes Leben geführt zu haben.
Jeden Tag gab es ein Festessen. Das gefiel den armen Schelmen gar
sehr.

Eines Tages aber sagte der Wirt zu ihnen: "Eure zwölf Gulden
sind aufgebraucht, gebt mir mein Geld und zieht eure Straße."

Da sprach der "König" zu ihnen: "Wer die zwölf Gulden hat,



till eulenspiegel-196. arpa

der rücke sie heraus, denn der Wirt muß bezahlt werden." Nun
fragte einer den andern, ob er das Geld von dem fremden Junker er-
halten habe. Aber vergeblich! Die armen Schlucker mußten schließ-
lich dem Wirte gestehen, daß sie betrogen worden waren.

Da geriet der jähzornige Mann in große Wut, und da er die Krüp-
pel nicht aus dem Hause werfen durfte, denn es war Abend, so sperrte
er sie in seine Scheune und ließ sie fasten. Sie ertrugen ihr Unglück
mit Geduld, weil ihnen ja auch nichts anderes übrig blieb.

Zur gleichen Zeit kam Eulenspiegel wieder in die Herberge. Er
hatte sich aber so verkleidet, daß der Wirt ihn nicht erkannte. Wie
Eulenspiegel nun sein Pferd in den Stall führte, merkte er, daß die
armen Blinden eingesperrt waren. Da sagte er zu dem Herbergsvater:
"Erbarmt es Euch nicht, die armen Leute da liegen zu lassen, wo doch
keiner liegen mag, der seine Augen noch besitzt?"

Da rief der Wirt: "Daß sie der Gottseibeiuns hole, die gottverges-
sene Brut! Ich wollte, sie lägen da, wo alle Wasser zusammenfließen.
Haben mich geprellt, die Schelme. Vierzehn Tage lang haben sie bei
mir geschlemmt, die Gäuche. Jeden Tag verlangten sie Gesottenes
und Gebratenes, als ob sie Junker wären. Zwanzig Gulden unter
Brüdern habe ich ihnen für Speis und Trank gegeben aus Barmher-
zigkeit, und nun betrügen sie mich, daß ich ein geschlagener
Mann bin."

Da sagte Eulenspiegel: "Habt Ihr nicht die reiche Wittib des Rats
Wernicke ersucht, für Euren Schaden aufzukommen?"

"Die wäre mir die Rechte", sagte er. "Meiner billigen Forderung
wegen habe ich neulich dreimal zu ihr gehen müssen, das drittemal
mit meinem Spieße und dem Knechte. Es war ihr sehr leid, die paar
Suppen bezahlen zu müssen. Der darf im ganzen Jahre die gesamte
Wohltätigkeit nicht mehr kosten als einen Gulden."



till eulenspiegel-197. arpa

Darauf sagte Eulenspiegel: "Könntet Ihr denn nicht einen Bürgen
bekommen im Städtchen?"

"Ja, wenn ich einen Bürgen bekommen könnte!"jammerte der ge-
schlagene Mann, "aber wer wird für diese blinden Schufte gutsagen
wollen?"

"So will ich versuchen, ob ich einen Bürgen bekommen werde",
meinte Eulenspiegel edelmütig und ging auf der Stelle in die Duven-
straße. Hier wohnte der Doktor Sapubi, ein Rechtsanwalt, der auf
der hohen Schule in Bologna studiert hatte und den die Leute nur
den Rechtsverdreher nannten, weil er sich jeder unlauteren Sache
annahm, wenn sie ihm nur Geld einbrachte. Er sagte zwar immer,
daß er den Armen zu ihrem guten Rechte helfen wolle, in Wahrheit
aber diente er den Wucherern, und mancher Bauersmann war durch
ihn um Hab und Gut gekommen.

Zu diesem Manne ging Eulenspiegel, tat sehr bescheiden und de-
mütig und bat ihn, seinem lieben Freunde, dem Wirt "Zum Stachel-
schwein", in einer recht schwierigen Sache beistehen zu wollen.

"Ich helfe gern", sagte der Doktor, "wenn auch jetzt gerade viele
Leute kommen, denen ich beistehen muß, damit sie zu ihrem guten
Rechte gelangen. Sagt mir Euern Fall in Kürze!"

"Ich dachte mir wohl", erwiderte Eulenspiegel, "daß Ihr, ein so
hochgelehrter Herr, gern allen Leuten beisteht, die in Not sind und
wüßte keinen, an den ich mich lieber gewandt hätte."

Solche Rede schmeichelte dem Wucherer, und er antwortete da-
her: "Recht habt Ihr, daß ich den Armen diene, doch erzählt mir nun
Euern Fall in Kürze."

"Es tut nicht not", meinte listig der Schalk, "daß Ihr gleich heute
helft, Herr Doktor, wenn Ihr wichtigere Geschäfte zuvor abtun
möchtet. Es ist genug, wenn Ihr Eure Hilfe in einigen Tagen leistet."



till eulenspiegel-198. arpa

"Gut, in einigen Tagen will ich helfen. Aber berichtet mir nun die
Sache."

"Das lohne Euch Gott, daß Ihr mir helfen wollt", sagte der Schalk
und wollte gehen.

Der Rechtsanwalt hielt ihn jedoch fest und sagte: "Eure Rede
macht mich nicht klug. Weiß ich denn, um was es sich handelt?"

"Um den Wirt ,Zum Stachelschwein", sagte Till.

"So erzählt mir ohne Umstände."

"Es ist eine schwierige Sache, Herr Doktor. Denkt Euch, vor eini-
ger Zeit kommen mehrere fremde Männer und begehren Aufnahme
in der Herberge. Mein guter Freund, der Wirt, nimmt sie mildtätig
auf und speist sie mit dem Besten, was er hat. Bald schicken sie ihn
in den Hühnerstall nach auserlesenen Eiern, bald in den Keller, den
besten Wein zu zapfen, bald muß er in die Vorratskammer, bald in
die Küche, wo sie Gebratenes und Gesottenes begehren. Wie er aber
nun für seine viele Mühe und Kosten ihnen eine Rechnung macht,
da zahlen sie nicht und höhnen ihn noch dazu aus."

"Läßt er sich dergleichen gefallen?" fragte Sapubi. "Ein anderer
hätte solche Gäste aus dem Hause gewiesen."

"Das ist es eben, Herr Doktor", antwortete Eulenspiegel, "sie
gehen nicht, und der Wirt kann sie nicht los werden. Was wollte er
wohl machen gegen die vielen? Er darf auch nicht aus dem Hause
gehen, damit sie keinen Schaden oder Unfug stiften, und hat mich,
seinen guten Freund, darum gebeten, Euch um Hilfe zu bitten."

"Dann müßte ich mit den Bütteln in die Herberge kommen", ent-
schied kurz der Rechtsmann.

"Nein, Herr Doktor", sagte Till dagegen, "das wäre nicht wohlge-
tan. Es sind gar absonderliche Leute in der Herberge, und einen
sehen sie als ihren König an. Ich will aber die Frau meines Freundes



till eulenspiegel-199. arpa

überreden, daß sie zu Euch kommt, und beiden guten Leuten wird
es schon ein großer Trost sein, wenn Ihr ihnen, wie Ihr versprochen,
in einigen Tagen helfen wollt."

Der Rechtsanwalt dachte: An dem Handel ist nicht viel zu verdie-
nen. Denn, sind die Gäste vornehme Leute, wie es den Anschein
hat, so werden sie wohl zahlen. Tun sie es aber nicht, so kann ich
ihnen nichts abnehmen, denn mit Vornehmen gebe ich mich nicht
ab. Dem Wirt aber kann ich nicht viel berechnen, da er durch den
Handel schon genug verloren hat.

Er sagte also kurz: "Wohl, so schickt mir die Frau." Damit wandte
er sich wieder anderen Geschäften zu. Eulenspiegel ging aber ver-
gnügt in die Herberge und sagte dem Wirt: "Ich habe Euch einen
guten Bürgen gefunden. Laßt Eure Frau mit mir zu dem Doktor Sa-
pubi gehen, der wird es ihr selbst sagen."

Darüber freute sich der Wirt nicht wenig und ließ seine Frau
mit Eulenspiegel zu dem gelehrten Herrn gehen.

"Hier ist die Frau vom Wirt ,Zum Stachelschwein", sagte Till zu
Doktor Sapubi. "Sagt ihr nun selber, ob Ihr helfen wollt."

"Ja, ich will Eurem Manne helfen", antwortete der, "doch erst in
einigen Tagen."

Darüber war die Frau sehr erfreut und lobte den klugen Vermitt-
ler. Der Wirt aber ließ die Blinden gehen, und diese, die sich ihrer
Erlösung nicht wenig freuten, wandten sich, so schnell sie konnten,
nach Braunschweig, wo ein Hoffest gehalten werden sollte. Dort
hofften sie die Brosamen sammeln zu können, die von der Reichen
Tische fallen mochten. Eulenspiegel aber sattelte sein Roß und ritt
davon.

Einige Tage darauf ging der Wirt zu dem Rechtsanwalt und for-
derte von ihm zwölf Gulden. Als der Advokat aber hinter die Sache



till eulenspiegel-200. arpa

kam, wurde er sehr böse und verlangte zehn Gulden von dem Wirte
für den Beistand, den er ihm zugesichert habe. Er brachte die Sache
sogar vors Gericht. Da sich aber die Richter nicht einigen konnten,
wem sie recht geben sollten, so schickten sie beide Parteien fort und
ließen sie die Prozeßkosten zu gleichen Teilen bezahlen.

Böse Saat bringt keine guten Früchte

Eulenspiegel hat auch die Rattenfängerstadt Hameln einmal be-
sucht. Durch ihre Treulosigkeit verloren die Bürger von Hameln
einst ihre Kinder, die im tiefen Zauberberg verschwanden. Die Treu-
losigkeit aber blieb in Hameln zurück und vermehrte sich unheimlich.

Eulenspiegel hielt sich in allen Herbergen auf und fand so viel
Untreue, daß selbst er, der Schalk, vor so viel Bosheit erschrak. Was
in einem Hause verloren ging, war in einem andern zu suchen, und
war es auch verboten, durch die Bungelose, jene bekannte Straße,
mit Musik zu ziehen, so gingen doch bei Tage und bei Nacht Diebe
und Einbrecher mit ihrem zu Unrecht erworbenen Gute hindurch.

In Hameln traf Eulenspiegel seine alten Bekannten wieder, die
Kaufleute Schöller und Möller. Die Wiedersehensfreude war groß.

Schöller bestellte eine Kanne vom besten Weine, damit sie das
'Wiedersehen feiern könnten, der Wirt brachte aber den schlechte-
sten, den er im Hause hatte, denn er dachte: Für die Fremden ist er
gut genug. Dafür ließ er sich den höchsten Preis bezahlen, den er zu
fordern pflegte, weil er meinte: "Das herumgelaufene Volk mußt du
prellen, dafür sollst du mit den Einheimischen klüger handeln, sonst
zwicken sie dich wieder, drei- und vierfach."In der Wirtsstube waren
nun verschiedene Leute, darunter einer, der wie ein rechter Bösewicht



till eulenspiegel-201. arpa

aussah. Der war dem Wirte spinnefeind, das konnten die drei Frem-
den wohl merken. Der Wirt hätte ihm gern das Haus verboten,
konnte es aber der andern wegen nicht. So konnte er ihm nur einen
bösen Blick zuwerfen. Jener kehrte sich aber nicht im geringsten
daran. Da er ein Schneider war, kam er mit Schöller ins Gespräch.

Er wollte Tuch von ihm kaufen und hatte bald ein Stück für einen
Mantel in den Fingern, das ihm sehr gefiel. Nur wollte er kein
Geld dafür zahlen. Also bestellte er einen neuen Krug Wein und
trank Schöller fleißig zu, denn er hoffte ihn betrunken zu machen,
um ihm dann das schöne Tuch abzulisten. Doch bei Schöller kam er
an den Unrechten, denn der war klug und vorsichtig. Für den
schlimmsten Fall hatte er ein gutes Schwert bei sich, das er wohl zu
führen wußte. Da es inzwischen Abend geworden war und der Wirt
längst brennende Kienspäne angesteckt hatte, wollte Schöller über-
haupt nicht mehr verkaufen, und sagte: "Wir wollen morgen davon
reden, wenn es Tag ist und Ihr die Farben besser sehen könnt."

Da antwortete der Bösewicht: "Du bist ein Narr!" Erwischte das
Tuch und lief davon. Das war aber Schöller zu arg, er nahm sein
Schwert, das er griffbereit bei sich führte, und lief dem Schneider
nach. Draußen war es stocknacht, so daß man die Hand vor den
Augen nicht sehen konnte.

Das Wirtshaus hatte aber noch einen andern Ausgang, der nach
der Bungelose führte. Durch diese nun lief der Wirt schnell hinaus,
als wollte er sehen, was draußen los sei. Möller und Eulenspiegel blie-
ben aber sitzen, denn sie hätten in der Dunkelheit ja doch nichts
wahrnehmen können. Sie hörten später, daß draußen geschlagen
wurde; in dem Augenblicke aber trat Schöller wieder ein und sagte
verdrießlich: "Mein Tuch bin ich los! Seht, so wird einer gefoppt in



till eulenspiegel-202. arpa

Nach einiger Zeit trat auch der Wirt wieder ein und schickte die
Gäste zu Bett.

Am frühen Morgen ward aber auf der Straße laut geschrien: "Je-
sus, Maria! Hier liegt einer tot!"

Da sammelten sich viele Menschen an. Bald darauf trat der Wirt
in die Kammer, in der Eulenspiegel samt den beiden Kaufleuten
schliefen, brachte Ratsdiener mit, zeigte auf Schöller und sagte: "Das
ist er, den laßt nicht entrinnen."

Die Büttel zogen den Kaufmann aus dem Bett, banden ihm die
Hände zusammen, nahmen sein Gut und brachten ihn ins Stadtge-
fängnis. Dort teilten die Stadtknechte sein Geld und seine Ware
unter sich und schlossen ihn ein. In der Bungelose lag der Schneider
erschlagen, das Tuch war aber nirgends zu finden.

Eulenspiegel tat es sehr leid um den guten Freund Schöller, und er
zürnte dem Wirte, daß der den Kaufmann als Mörder beim Rate
angezeigt hatte. Er glaubte nicht, daß Schöller den Bösewicht erschla-
gen haben sollte. So dachte auch Möller. Da aber die beiden wußten,
daß in Hameln die Fremden nicht gut angeschrieben waren, so fürch-
teten sie, daß der Richter ihn zum Tode verurteilen werde. Der
Wirt aber verbot ihnen sein Haus, da er die Gesellen eines Straßen-
mörders nicht beherbergen wollte, ging auch zu den anderen Wirten
und verlästerte die beiden, daß sie keine Unterkunft mehr in Ha-
meln fanden. So hielten sie sich in der nächsten Zeit in der Um-
gebung von Hameln auf, erkundigten sich aber immer eifrig, wann
über Schöller Gericht gehalten werden sollte. Darüber vergingen vier
Monate, denn die Richter nahmen sich Zeit, hatten auch vielerlei
andere Händel abzutun.

Endlich kam der Tag des Gerichts für Schöller. Da hatte sich viel
Volk im Rathaus eingefunden, aber Eulenspiegel und Möller fehlten



till eulenspiegel-203. arpa

auch nicht. Der Wirt, bei dem sie gehaust hatten, stand da und be-
schwor mit einem heiligen Eide, daß Schöller den Schneider erschlagen
hätte.

"Das kam so", sagte er; "Schöller hatte ein Stück schlechtes Tuch,
das die Motten zerfressen hatten, und wollte es dem Schneider auf-
hängen. Der mochte es aber nicht haben, denn er wollte nicht betro-
gen werden, auch hätte er es sich bei Tage lieber erst einmal genau
angesehen. Da kann man merken, wie listig die Fremden sind: Schöl-
ler ließ sich von dem Schneider einen Gulden bezahlen, dazu sechs
Kannen Wein, und sagte ihm, er möge das Tuch ruhig mit nach
Hause nehmen. Sollte ihn der Kauf gereuen, so könne er es morgen
zurückgeben oder umtauschen. Damit ging der Schneider um des
lieben Friedens willen aus dem Hause, und wie er kaum gegangen
war, setzte ihm Schöller mit seinem Schwert nach, erwischte ihn, in
der Bungelose und schlug ihn tot. Das Tuch hat er seinen Helfers-
helfern gegeben. Das alles habe ich gesehen."

Schöller wurde nicht gefragt, ob sich das so verhalte, sondern der
freundliche Richter zeigte ihm nur die Folterkammer mit ihren nied-
lichen Daumenschrauben, prächtigen Streckbetten, anmutigen Reiß-
zangen, wärmenden Kohlenbecken und anderen begehrenswerten
Dingen, die die schöne, herrliche Aufgabe hatten, die Wahrheit ans
Licht zu bringen.

Schöller, der in dem engen, finsteren Loch müde und matt gewor-
den war, wollte es darauf nicht ankommen lassen und war schon be-
reit, sich als Mörder zu bekennen, da drängte sich Till Eulenspiegel
vor. Er hatte sich verkleidet, trug Barett und Mantel, so daß er wie
ein Doktor der Rechte aussah. Einem so gelehrten Herrn konnten
die Richter den Zutritt zum Tische, an dem sie saßen, nicht versagen.

Eulenspiegel tat sehr wichtig, öffnete feierlich ein gewaltiges Buch,



till eulenspiegel-204. arpa

das er zur Hand hatte, und ein corpus juris des erlauchten Kaisers
Justinian vorstellen sollte. Er nannte sich Doktor Tillius, Lehrer der
Rechte an der hohen Schule zu Montpellier. Da neigte sich jedermann
vor so viel Gelehrsamkeit und Würde. Die Richter aber sagten, wenn
sich der Herr Doktor in diesem Rechtsfalle bemühen und sie mit sei-
nem Rate bei der Urteilssprechung unterstützen wolle, so möge er
mit seiner Weisheit nicht kargen, sie würden ihm dafür ihre Gunst
erweisen.

Eulenspiegel blätterte geheimnisvoll ein wenig in seinem Buche
und blickte dann den Kläger an.

"Herr Wirt", sagte er zu ihm, "gebt der Wahrheit die Ehre. Wo-
her wißt Ihr, daß Schöller den Schneider erschlagen hat?"

"Nun, er hatte doch ein Schwert und lief ihm nach", erwiderte der
Wirt.

"Das ist mir kein Beweis", fuhr Eulenspiegel fort. "Es läuft so
mancher einem mit den Waffen nach und tut ihm doch kein Leid.
Das müßt Ihr besser erhärten."

"Nun, ich habe es doch mit meinen Augen gesehen, wie er ihm den
Schädel spaltete", behauptete der Wirt, doch konnten ihm alle an-
merken, daß er große Angst hatte.

"Ihr habt es gesehen?"meinte Eulenspiegel, "wie war das möglich?
Es war doch finstere Nacht, als der Totschlag geschehen ist."

"Was wollt Ihr, Herr Doktor", antwortete der Wirt, "der Voll-
mond schien doch hell und klar."

"Eure Worte in Ehren", sagte darauf Eulenspiegel, "aber ich bitte
um einen Almanach."

Die Richter staunten über die Wechselreden, zitterten vor Erre-
gung und holten den Almanach herbei. Da lasen sie, daß an dem Tage
des Verbrechens nicht Vollmond sondern Neumond gewesen war.



till eulenspiegel-205. arpa

Nun wandte sich Eulenspiegel an den Kläger und rief mit starker
Stimme: "Mörder, der du bist! Du hast dich festgelogen! Klar sehen
wir deine Schalkheit. Du hast den Schneider erschlagen, mit dem du
seit Jahren in Feindschaft lebtest, den Schöller aber hast du bezich-
tigt, um den Verdacht von dir abzuwälzen. Greift den Mörder!"

Der Wirt wurde leichenblaß, die Schuld stand ihm auf der Stirn
geschrieben, dennoch wollte er leugnen, stammelte etwas und lief
dann eiligst aus dem Saale. Die Büttel waren ihm aber schnell auf
den Fersen, faßten ihn und legten ihn in Eisen. In seinem Hause fand
Eulenspiegel das geraubte Tuch, und nun war kein Zweifel mehr:



till eulenspiegel-206. arpa

der Wirt hatte seinen Todfeind ermordet. Er mußte seine Tat am
Galgen büßen. Schöller aber ward freigegeben.

Ehe Eulenspiegel von Hameln wegzog, tat er ein wunderbares
Werk, wovon noch lange nachher geredet wurde. Er ging vor aller
Augen auf die Gemeindeflur und säte Kieselsteine aus einem Sacke,
den er am Strande der Weser gefüllt hatte. Da fragte ihn ein Bürger:
"Lieber Herr Doktor, was tut Ihr da?"

"Ich säe Schälke", antwortete er. Solche Rede wurde dem hohen
Rat hinterbracht, der sandte eiligst Abgeordnete zu Eulenspiegel, die
ihm sagen sollten, er möge lieber gute Menschen statt Schälke säen.
"Jene gedeihen hier nimmer", erwiderte er, "hierzulande kommen
nur Schälke fort."

Darauf sagten sie: "Wir glauben auch, daß es hier schon mehr als
zu viele gibt, weshalb wolltet Ihr die Zahl vermehren?"

"Je mehr, desto besser", entgegnete er, "da bringt einer den an-
dern um."

Da baten sie ihn, daß er ihre Stadt verlassen möge, denn es graue
ihnen davor, daß die böse, schreckliche Saat aufgehen möge. Aber
wohin sich Eulenspiegel auch wenden mochte, überall lief ihm das
Gerücht voraus, daß er Schälke säe, und allerwärts baten sie ihn, daß
er die Stadt nicht betreten möge und nicht komme, um Speise und
Trank zu fordern. So kam er bis nach Minden, da riß der Sack, die
Steine fielen heraus und blieben lange Zeit dort liegen. Eulenspiegel
ward aber in dieser Gegend nicht mehr gesehen.



till eulenspiegel-207. arpa


Bestrafte Ruhmredigkeit

Von der Weser zog Till Eulenspiegel wieder nach Obersachsen
und kehrte in einer Herberge in Eisleben ein. Da fand er einen Wirt,
der voller Hochmut steckte und tat, als wenn er der König von Eis-
leben wäre. Kam ein Gast zu ihm, so fragte er ihn aus, wußte aber
alles besser. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätten die Chri-
sten längst das Heilige Grab in Besitz genommen, die Schweizer
hätten den Herzog Leopold von Österreich nicht bei Morgarten be-
siegt und erschlagen, Philipp von Frankreich den Papst nicht gefan-
gen und die Tempelherren in Paris verbrannt, auch hätten ihn die
reichen Venediger wohl zu ihrem Herzog gemacht, wenn er Lust
dazu gezeigt hätte. Hörte er von Mord und Totschlag, Gewalttat
und Fehde, dann sagte er: "Da hätte ich dabei sein müssen, denen
hätte ich die rechten Wege wohl gewiesen." Alle Welt war seiner
Meinung nach dumm und töricht, er allein der Vernünftige unter so
vielen Narren.

Solche Reden hörte Eulenspiegel ganz gern, denn er hatte schon
im voraus seine Freude über den Streich, den er dem Wirte für seine
Prahlereien spielen wollte. Die Gelegenheit dazu wird sich bald fin-
den, dachte er.

Eines Abends nun saß er in der Wirtsstube, und der Herbergsvater
prahlte gerade, wie er schon die wilden Heiden im Westgotenlande
aus der festen Burg Granada herausgetrieben haben würde, wenn er
der Papst oder sonst ein christlicher König oder Herzog gewesen
wäre. Die sollten laufen, daß sie die Schuhe verlieren würden! Dabei
schlug er auf den Tisch, daß er krachte.

Wie er nun im besten Reden war, tat sich die Tür auf und - als
ob Eulenspiegel sie herbeigerufen hätte - kamen seine alten Freunde



till eulenspiegel-208. arpa

Schöller und Möller, die Unzertrennlichen, herein. Die hätte er gern
zuerst begrüßt, aber der Wirt kam ihm zuvor.

"Was, zum Teufel, ist das für eine Art, so spät in die Herberge zu
kommen? Wer heißt euch so lange auf der Landstraße umher-
trödeln? Das ist in Eisleben, wo ich etwas zu sagen habe, nicht Brauch.
Schert euch zum Teufel! Legt euch in die Ackerfurche und deckt euch
mit dem ganzen Himmel zu, ich habe nichts dagegen. Ich nehme
keine Nachtschwärmer auf!"

Die beiden antworteten: "Herr Wirt, Ihr dürft uns nicht so zür-
nen, denn wir sind sehr gegen unseren Willen zurückgehalten wor-
den. Wir kommen über Mansfeld, und da war im Moore unterwegs
ein Wolf, gegen den wir uns wehren mußten, der hat uns viel zu
schaffen gemacht."

Da lachte der Wirt, daß das ganze Haus dröhnte. "Da kann einer
sehen, was für hasenherziges Volk auf den Landstraßen verkehrt.
Fürchten sich vor einem Wolf! Wie oft bin ich im Moore gewesen,
wo mir zehn, zwanzig Wölfe ans Zeug wollten. Ich habe nichts in der
Hand gehabt und bin mit ihnen leicht fertig geworden. Zuckerbuben
und Muttersöhnchen seid ihr, die eher zu Mägdlein taugten als zu
rechtschaffenen Männern. Geht hinauf in die Kammer, da sind keine
Wölfe, höchstens ein paar Mäuse, und wenn ihr mit denen den Kampf
nicht besteht, so will ich durch den Büttel dem Turmwächter Be-
scheid sagen lassen, daß er die Feuerglocke läutet und die Bürgerwehr
unter Waffen tritt, damit ihr mit dem Leben davonkommt."

So verhöhnte der Wirt die späten Gäste. Diese würgten die Grob-
heiten hinunter, weil sie in so später Stunde froh sein mußten, daß
sie noch einer aufnahm, denn es war Winter und überall lag hoher
Schnee.

Die Reisenden nächtigten mit Eulenspiegel zusammen in der glei



till eulenspiegel-209. arpa

chen Kammer und konnten sich erst da herzlich begrüßen. Dann
sprachen sie auch von dem Wirt, der sie so durch seine Prahlereien
geärgert hatte, und die Kaufleute sagten: "Till, alter, guter Freund,
du mußt dir überlegen, wie man dem Schelm seine hochfahrenden
Reden eintränken kann. Du weißt immer guten Rat, wie man einem
ein Bein stellen kann. Wir verlassen uns auf dich."

Nun verabredeten die drei, wie sie dem Wirt auf seine Grobhei-
ten antworten wollten. Die Kaufleute mußten am andern Tag
weiterreisen, aber in drei Wochen wollten sie wieder in dieser Her-
berge zusammentreffen.

Als Schöller und Möller sich verabschiedeten, unterließ es der Wirt
nicht, sie noch tüchtig auszuhöhnen. "Nehmt euch ja vor dem Wolf
in acht", sagte er, "daß er euch nicht in die Beine beißt."

Da sagte Schöller: "Wir wollen schon aufpassen und uns glücklich
in drei Wochen wiedersehen. Freilich, frißt er uns auf, dann wird
nichts daraus, auch nicht, wenn er Euch in das Gehege kommt und
Euch auffrißt."

Am andern Tage trennten sie sich, die Kaufleute wandten sich
nach Naumburg, Eulenspiegel aber ging in den Harz. Da glückte es
ihm, bei Dietersdorf einen Wolf zu erlegen. Den ließ er hartfrieren,
steckte ihn in einen Sack und schaffte ihn nach Eisleben. Dort brachte
er den Wolf in die Herberge, ohne daß es der Wirt merkte, und
schleppte ihn in jene Kammer, in der er sonst geschlafen hatte. Bald
darauf trafen auch Schöller und Möller ein, die braven Händler, die
sich auf den Spaß, der nun kommen sollte, sehr freuten.

Als man nun zu Bett ging, begehrte Eulenspiegel ein Licht und
fing in der Kammer an, seine alten Künste auszuüben. Er hatte ja aus
Leder, Pelzen und Tuch die schönsten Wölfe hergestellt, sodaß es
ihm ein leichtes war, seinen gefrorenen Wolf mit Hölzern und Fä



till eulenspiegel-210. arpa

den so aufzustellen, als ob er lebte. In den weitgeöffneten Rachen
steckte er Schuhe, die den Kindern des Wirtes gehörten, und wenn
einer an dem Bindfaden zog, so sah es aus, als ob das schreckliche
Tier daran würge und kaue.

Indes schickte der Wirt auch die Kaufleute zu Bett und verfehlte
nicht, sie mit dem Wolf zu necken. Sie sagten aber nichts darauf.

Als nun eine Stunde vergangen war und der Grobian von Wirt
im Bett lag, da machten die Kaufleute Lärm im Hause, genau so, wie
es ihnen Eulenspiegel angegeben hatte.

"Herr Wirt, sendet uns doch die Magd oder den Knecht", riefen
sie, "daß er uns eine Maß Bier zapfe, denn wir vergehen hier vor
Durst und können nicht einschlafen."

Da sagte der Wirt zu seiner Frau: "Hörst du den Lärm? Das sind
so rechte Sachsen, die können trinken Tag und Nacht und verstehen
es, einem guten Wirt Scherereien zu machen."

Er hatte keine Lust, den Fremden zu Willen zu sein. Da aber das
Rufen und Bitten kein Ende nahm, weckte er schließlich die Magd,
damit sie den Gästen das Verlangte brächte. Die Magd stand auf,
tastete im Hause umher und suchte den Herd, da wollte sie an der
glühenden Asche ein Licht entzünden und dann in den Keller gehen,
um Bier zu zapfen. Als nun das Licht brannte, sah sie zu ihrem
größten Schrecken einen Wolf stehen, der die Schuhe der Kinder
in seinem gräßlichen Maule hatte, und daran zu kauen und zu wür-
gen schien. Da schrie sie laut auf, denn sie glaubte, ein Wolf sei in
das Haus eingedrungen, hätte die Kinder gefressen und wolle sie
jetzt als Nachtisch verspeisen. Sie lief, so schnell sie ihre Füße trugen,
und verlor dabei ihre Schürze. Doch kam sie glücklich in ihre Dach-
kammer, wo sie sich verrammelte und verschanzte.

Der Wirt war wieder eingeschlafen, denn er glaubte, daß seine



till eulenspiegel-211. arpa

Gäste befriedigt seien. Als aber die Kaufleute dauernd weiter nach
Bier riefen, wurde er wieder munter und nahm an, daß die Magd
nicht aufgestanden war. Um die Schreier endlich loszuwerden, und
auch um seiner Ruhe wegen, die er sehr schätzte, trommelte er den
Knecht heraus. Der sollte den ungestümen Gästen ihren Willen tun.
Der Knecht stand auf, besann sich ein wenig und ging dann zum
Herd, um mit der glühenden Asche und Schwefelfaden Feuer zu
schlagen. Das gelang ihm, aber bei dem Schein des Lichtes erblickte
er auf einmal das fürchterliche Ungeheuer, sah die Kinderschuhe im
Rachen, die Schürze der Magd am Boden und glaubte, der Wolf
habe die Kinder samt der Magd gefressen. Hals über Kopf lief er da-
von, verlor seine Kappe und die Pantoffel. Mit Mühe und Not flüch-
tete er in den Keller, wo er sich verbarrikadierte.

Der Wirt war wieder eingeschlafen und glaubte, daß nun endlich
Ruhe im Hause einkehren würde. Als er aber das beständige Rufen
und Bitten der Kaufleute hörte, mußte er annehmen, daß auch der
Knecht seinen Weckruf nicht gehört habe, und, so sauer und ärger-
lich es ihm auch war, mußte er selbst aufstehen, um die Schreier zu
befriedigen. Verdrießlich ging er nach dem Herd, um Feuer anzu-
zünden. Wie er nun einen Krug fassen wollte, um in den Keller zu
gehen, erblickte er das Ungeheuer, das an den Füßen seiner Kinder
würgte und kaute und anscheinend die Magd bis auf die Schürze und
den Knecht bis auf Kappe und Pantoffel gefressen hatte.

Da schrie er vor Angst und Not laut auf, ließ das Licht fallen und
rettete sich in die Kammer, in der Eulenspiegel mit seinen Gefähr-
ten war.

"Ach, liebe Herren", rief er in der Verzweiflung, "helft mir in
dieser schrecklichen Bedrängnis! Draußen steht ein greuliches Tier
und hat mir die Kinder, dazu Knecht und Magd gefressen!"



till eulenspiegel-212. arpa

Aber statt aller Antwort erhoben die drei ein Gelichter, daß das
Haus zitterte und bebte. Als der Knecht das Lachen hörte, dachte er:
Das muß wohl da oben nicht so schlimm sein, du hast dich ins Bocks-
horn jagen lassen. Darauf ging er nach oben. Die Magd hörte auch die
Heiterkeitsausbrüche und dachte:

Du bist so alt wie eine Kuh,
Und lernst immer noch dazu.

Dann räumte sie ihr Bollwerk weg und lief nach dem Herd, um
der Gefahr ins Auge zu sehen. Schließlich plagte auch die Frau des



till eulenspiegel-213. arpa

Wirtes die Neugierde, sie stand auf, und die lieben Kinder ließen
sich's ebenfalls nicht nehmen, ihr zu folgen.

Da stand nun alles um den Herd herum.

Eulenspiegel aber stieß den Wolf mit dem Fuße um und sagte
lachend: "Ei, ei, Herr Wirt, wenn Euch schon ein toter Wolf so in
Angst und Schrecken setzen kann, wie soll es dann werden, wenn
Euch ein lebender im Moor begegnet?"

Nun schämte sich der Wirt nicht wenig seiner Feigheit, meinte
aber, die Magd und der Knecht wären ja auch weggelaufen.

"Die haben auch nicht geprahlt, daß sie es im Moore mit zwanzig,
dreißig Wölfen aufnehmen würden", entgegnete Eulenspiegel.

Nun lachte alles über den ruhmredigen Mann, der aber schlich
ganz still in seine Kammer und nahm seitdem den Mund nicht mehr
so voll. Schöller und Möller aber reisten vergnügt von Eisleben weg
und sagten sich: "Das hat er wieder einmal sehr gut gemacht, unser
Eulenspiegel."


Man muß eine Sache nicht verkehrt anfassen

In Wismar muß es Eulenspiegel wohl sehr gut gefallen haben, denn
er war sehr häufig dort. Sein Hauptvergnügen war, mit Pferden um-
zugehen, Pferde zu kaufen und wieder zu verkaufen, wie das alle
fahrenden Leute gern tun. Mit der Zeit verstand er sich sehr gut auf
dieses Geschäft und sah einem Gaul sofort an, ob er etwas wert war
oder nicht. Dabei betrachtete er vor allem die Füße, das Gebiß und
den Bau, und irrte dabei selten, so daß ein Roßtäuscher von Beruf



till eulenspiegel-214. arpa

viel von ihm hätte lernen können. Mancher Bauersmann ließ sich
von Eulenspiegel bei Einkäufen dieser Art beraten und stand sich gut
dabei.

Nun lebte ein Schuster in der Stadt, der war durch eine Erbschaft
reich geworden und hielt sich seitdem für wunder wie gescheit. Auf
Markt und Straßen bummelte er umher und schwatzte klug, meist
von Dingen, die er nicht verstand, als ob ihm das Sprichwort: Schu-
ster, bleib bei deinem Leisten! ganz unbekannt sei. Vor allem aber
hielt er sich für einen großen Pferdekenner. Dabei hatte er eine wun-
derliche Weise erfunden, ein Roß auf seine Güte zu prüfen. Da für
gewöhnlich alte Leute die Haare auf dem Kopfe verlieren und ein
kahler Kopf meist einem bejahrten Manne gehört, so meinte er, das
müsse bei den Pferden auch so sein. Blieben ihm Haare in der Hand
hängen, dann zuckte er die Achseln, machte eine abwehrende Hand-
bewegung und meinte, der Eigentümer werde wohl nicht lange
Freude an dem Tier haben, das sei reif für den Schindanger; ging
aber kein Haar aus, so lobte er das Tier über den grünen Klee. Weil
nun die dümmste Prophezeiung hin und wieder recht behält, einige
Gäule, die er getadelt, wirklich eingingen, andere, die er des Lobes
würdig befunden, sich gut hielten, so galt der Schuster in Wismar für
sehr sachverständig und bildete sich gar viel darauf ein.

Darüber ärgerte sich Eulenspiegel und dachte darüber nach, wie
er dem überklugen Schuster eine gute Lehre erteilen könne. Eines
Tages ging er mit seinem Pferd auf den Markt, gerade als viele Bür-
ger dort versammelt waren. Der Schuster war auch unter ihnen. Der
sah kaum Eulenspiegels Pferd, als er nach seiner Gewohnheit herbei-
eilte und das Rößlein mit aller Macht am Schwanze riß. Im nächsten
Augenblicke schoß er einen Purzelbaum und hielt den ganzen
Schwanz in seiner Hand. Das ging ganz einfach zu. Eulenspiegel

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till eulenspiegel-215. arpa

hatte den Schwanz vorher abgetrennt und künstlich wieder ange-
setzt. Die Umstehenden glaubten aber nicht anders, als daß der
Schuster den Schwanz mit aller Kraft ausgerissen habe. Dieser glaubte
es natürlich auch.

Da fing Eulenspiegel an, laut über Unrecht zu klagen.

"Seht da, ihr guten Bürger, der Mann kommt daher und schimp-
fiert mir mein schönes Pferd! Ich lade euch alle zu Zeugen, denn ich
will die Sache beim Rate angeben."

So weit wollte der verblüffte Schuster die Sache aber nicht trei-
ben, er bot daher Eulenspiegel zehn Gulden Schweigegeld, die der
Schalk auch nahm. Dem Schuster ist seitdem die Lust vergangen, wie-
der einen Gaul durch Schwanzausziehen auf seine Güte zu prüfen.


Der Buchstabe tötet

Es brauchte einer nicht viel vom Pferdehandel zu verstehen, um
zu wissen, daß manche Tiere, die ganz gesund und kräftig aus-
sehen, mitunter ihre Mucken und Schrullen haben, wodurch sie an
Wert gewaltig einbüßen. Deshalb fragt der Käufer gewöhnlich, welchen



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Fehler das Tier habe, darauf muß ein redlicher Bescheid fol-
gen. Nun traf sich's, daß Eulenspiegel in Frankenhausen ein schönes
Pferd verkaufen wollte. Das wollte ein Salzsieder gern erwerben,
fragte aber als kluger Hausvater, welchen Fehler das Roß habe.
Darauf antwortet der Schalk arglistig: "Keinen, soviel ich weiß, nur
geht es nicht gern über die Baume."

Da lachte der Salzsieder und sagte: "Ober die Bäume will ich nicht
damit fahren und reiten. Wenn es weiter nichts ist und es keinen an-
deren Fehler hat, so kaufe ich den Gaul. Hier ist das Geld."

Das Pferd ward also verkauft. Der Salzsieder war darüber froh,
denn er hatte das Tier billig erstanden. Bald danach spannte er es
vor seinen Wagen und fuhr los. Das ging so lange gut, bis sie an eine
hölzerne Brücke kamen. Da scheute das Pferd. Kein Rufen und Peit-
schen half, das Tier war weder mit Güte noch mit Gewalt über die
Brücke zu bringen, so daß der Salzsieder zu seinem Arger umkehren
mußte. Nun wandte er sich an das Gericht, um Eulenspiegel zu ver-
klagen.

Der aber verteidigte sich: "Ich habe Euch gesagt, daß das Hottchen
nicht über die Bäume geht. Vor einer steinernen Brücke ist es nicht
bange, aber eine Brücke, die aus Bäumen gemacht ist, will es nicht
überschreiten. Ich bleibe bei meinen Worten als ehrlicher Mann, der
ich zeitlebens gewesen bin."

Als das die Richter hörten, kratzten sie sich den Kopf, schickten
schließlich die Parteien fort, ohne ein Urteil zu sprechen, und gaben
ihnen den Rat, sich zu vertragen.



till eulenspiegel-217. arpa


Doppelt gibt, wer bald gibt

In der alten Bischofsstadt Hildesheim wollte sich Eulenspiegel wie-
der ein Pferd kaufen. Ein Roßhändler bot ihm eins an, verlangte
aber noch einmal so viel, als es wert war, nämlich vierundzwanzig
Gulden. Da sagte Eulenspiegel: "Zwölf Gulden will ich dir gleich
geben, die andere Hälfte will ich dir schuldig bleiben."

Damit war der Roßhändler zufrieden, so daß sie durch Handschlag,
Wie üblich, den Kauf abschlossen. Eulenspiegel zahlte zwölf Gulden
und nahm das Pferd. Nach einem Vierteljahr meldete sich der Roß-
händler wieder und verlangte die andere Hälfte des ausgedungenen
Kaufpreises.

Eulenspiegel sagte: "Die will ich dir schuldig bleiben." Der Roß-
händler mahnte ihn darauf noch einmal und schließlich zum dritten
Mal, aber immer sagte der Schalk: "Ich will dir die zwölf Gulden
schuldig bleiben."

Endlich riß dem Pferdehändler die Geduld, und er brachte die An-
gelegenheit vor den Richter.

Vor dem verteidigte sich Eulenspiegel: "Ich habe ihm gesagt, daß
ich ihm zwölf Gulden schuldig bleiben wolle. Das wäre eine schöne
Sache, wenn ich mein Wort brechen sollte, das ich doch allezeit ehr-
lich gehalten habe."

Da wußten die Richter nicht, wie sie entscheiden sollten, und
schickten die Parteien fort. Eulenspiegel aber hat das Geld bis heute
nicht gezahlt.



till eulenspiegel-218. arpa


Er kann nicht genug Prügel bekommen

In Nordhausen in Sachsen war Eulenspiegel einmal in einer Her-
berge, da wurde ein Pferdehandel abgeschlossen, über den er sich sehr
ärgerte, denn der Roßhändler betrog den Käufer gewaltig. Da über-
legte er, wie er dem Schelm wohl einen Denkzettel dafür geben
könnte. Da er nun herausbekam, daß der Pferdehändler ein geldgie-
riger Mensch ohne Ehrgefühl war, so sagte er zu ihm: "Hör, Joseph,
es juckt mich, dir die Jacke einmal gründlich vollzuhauen. Ich zähle
dir zwanzig Hiebe auf und gebe dir dafür fünfzig Gulden."

Da dachte der Roßhändler: Die fünfzig Gulden sind rasch ver-
dient. Wenn es ihm Spaß macht, mich zu prügeln, so soll es mir nach-
her um so größere Freude machen, wenn mir seine fünfzig Gulden
in der Tasche klimpern.

Sie wurden handelseinig, und Eulenspiegel rief die Bürger her-
bei, sie möchten achtgeben, damit ja kein Unrecht geschehe. Der Be-
trüger legte sich also auf ein leeres Faß, und Eulenspiegel zählte ihm
die Hiebe auf. Die Bürger zählten mit. Dem Roßhändler ward es
übel und weh, denn jeder Schlag saß, aber er kniff die Zähne zusam-
men und dachte: Fünfzig Gulden sind ein schönes Stück Geld.

Eulenspiegel aber schlug ohne Schonung, bis der Spitzbube neun-
zehn Schläge bekommen hatte. Da hörte er auf, setzte sich an den
Tisch und tat, als ob nichts geschehen sei. Da verlangte der Roß-
händler seine fünfzig Gulden.

"Behüte", antwortete Till gelassen. "Unser Vertrag ging auf zwan-
zig Hiebe, die hast du nicht bekommen, daher bin ich dir nichts
schuldig."

Nun bat und flehte der Spitzbube um den zwanzigsten Schlag,
Eulenspiegel aber blieb unerbittlich und zog davon.



till eulenspiegel-219. arpa


Die Schwarze Kunst

Zu Eulenspiegels Zeit gab es genug Bösewichte, die mit Hilfe des
Gottseibeiuns und seiner Gesellen Zauberei trieben und sich auf Kosten
ihrer Mitchristen Vorteile verschafften. Solche Bübereien sahen aber
die Geistlichen sehr ungern und säumten nicht, die zu strafen, die
solch gottloses Werk trieben. Auch der Bischof von Bremen war
ein abgesagter Feind der Schwarzen Kunst, doch hatte er Gefallen an
lustigen Schwänken und ließ daher Eulenspiegel sagen, er möge sich,
solange er in Bremen sei, zu seinem Hofgesinde halten, er wolle ihn
und sein Pferd versorgen. Ein solches Anerbieten schlug Till Eulen-
spiegel niemals aus. Er hatte nun gute Tage, ging täglich spazieren
und ersann allerlei Possen.

Einmal schlenderte er über den Markt, wo die Bäuerinnen aller-
hand zu verkaufen hatten. In der Reihe, in der die Töpfer zu sitzen
pflegten, fand er eine arme Frau, die recht trübselig in die Welt sah.
Das fiel Eulenspiegel auf, und da er eben nichts zu tun hatte, ließ er
sich mit ihr in ein Gespräch ein. "Wie kommt es, gute Frau, daß Ihr
ein so sauertöpfisch Gesicht macht? Oder habt Ihr Eure Geschirre
nur dafür, daß Essig hineingegossen wird?"

"Ich habe sie zum Verkaufen", antwortete sie, "aber nun nimmt
mir keiner etwas ab, und Mann und Kinder darben daheim! Da hat
einer keine Ursache lustig zu sein."

"Gut, daß ich jetzt gerade Geld habe", meinte Eulenspiegel. "Was
wollt Ihr für den ganzen Kram?"

Die Frau glaubte anfangs, der wunderliche Mann wolle sie foppen,
als der aber drängte, sie möge ihm ihre Forderung nennen, sagte sie,
daß sie ihm das ganze Geschirr für dreißig Gulden verkaufen wolle.
Da griff Eulenspiegel in seinen Beutel, zog ohne Besinnen das Geld



till eulenspiegel-220. arpa

heraus und gab es der armen Dulderin, die nun gar nicht wußte, wie
ihr geschah, denn eine so große Geldsumme enthob sie vieler Sorgen.
Gern schloß sie nun noch mit dem "fremden Junker" einen gehei-
men Vertrag ab und blieb bei ihrer Ware sitzen.

Eulenspiegel aber lauerte dem Bischof auf, der in der Kirche war
und diese bald verlassen würde, um nach seinem Hause zu gehen.
Endlich kam der Herr heraus, und ihm folgten seine Lehensleute, die
Ritter und Herren, die ihm in der Kirche wieder den Treueid ge-
schworen hatten. Als der Bischof Eulenspiegel erblickte, lachte er und
winkte ihm, an seine Seite zu kommen. So gingen sie zusammen über
den Markt. Da zeigte ihm der Schalk die Töpferfrau, die noch immer
ruhig hinter ihrem Geschirr saß.

"Die Frau setzte vordem eine recht traurige Miene auf", sprach
der Bischof. "Das macht die Sünde, die tut dem Herzen leid. Doch
hat die Kirche genug wirksame Mittel gegen dieses Übel."

Darauf sagte Eulenspiegel: "Wenn ich nur will, so verliert diese
Frau den Verstand und schlägt ihr ganzes Geschirr entzwei, und
zwar, ohne daß ich sie ansehe oder ihr auch nur ein Wort sage."

Der Bischof erwiderte: "Und wenn du alle deine Schalkheit auf-
bötest, würde dir das nimmermehr gelingen, denn das ist unmöglich."

Eulenspiegel sagte: "Soll die Wette dreißig Gulden gelten, Herr
Bischof? Das heißt, Ihr gebt mir dreißig Gulden, wenn es mir gerät.
Ich gebe Euch ebensoviel, wenn es mißlingt."

"Diese Wette gehe ich ein", antwortete der Bischof, "denn dabei
kann ich nur gewinnen, und du gewinnst auch, denn das Wetten
wird dir für immer leid werden, so daß du in der Folge dein Geld
sparst, wenn du es auch heute durch eigene Schuld einbüßen mußt."
Die Ritter und Herren hörten auch von der Wette, spitzten die
Ohren und dachten: Das kann gut werden. Mag verlieren, wer will,



till eulenspiegel-221. arpa

wir haben etwas zu lachen. Diesmal wird der Narr schlecht abschnei-
den, denn ehe die Frau auf sein Kommando den Verstand verliert,
eher wird er ihn selbst verlieren, wenn man bei ihm überhaupt noch
von Verstand reden kann.

Sie standen alle weit genug von der Frau entfernt, Eulenspiegel
aber drehte ihr sogar den Rücken. "Wollen wir anfangen, gnädiger
Herr?"fragte er den Bischof.

"Jawohl", antwortete der, "verliere deine dreißig Gulden!"

Kaum hatte er das gesagt, da stand die Töpferfrau auf, nahm einen
Knüttel und schlug damit all ihr Geschirr, Häfen, Töpfe, Krüge,
Teller kurz und klein, daß die Scherben nur so über den Markt flogen.
Dabei machte sie ein fröhliches Gesicht und ging davon, nachdem die
letzte Pfanne zerschlagen war. Auf dem Markte lachten Bürger



till eulenspiegel-222. arpa

und Bauern wie nie in ihrem Leben, die Ritter und Hofleute trauten
ihren Augen nicht recht, der Bischof selber wurde aber sehr, sehr
ernst und sagte kein Wort.

Im Palast nahm er Eulenspiegel beiseite und sagte zu ihm: "Die
Wette habe ich verloren, mein Schatzmeister wird dir dafür dreißig
Gulden zahlen. Das macht mir den geringsten Kummer. Weit mehr
schmerzt mich etwas anderes. Verlorener Mann! Du hast dich der
Schwarzen Kunst ergeben, denn ohne diese wäre das Mirakel nicht
möglich gewesen. War dir deine unsterbliche Seele nicht lieber als
elende dreißig Gulden?"

Darauf antwortete Till: "Gnädigster Herr, es ging alles mit rech-
ten Dingen zu, wie ich Euch wohl beweisen werde. Doch möchte ich
mein Geheimnis nicht umsonst preisgeben."

Nach solcher Rede beruhigte sich der geistliche Herr etwas und
versprach ihm einen feisten Ochsen, wenn er ihm das Rätsel lösen
wollte. Eulenspiegel erklärte nun die Sache. Er hatte mit der Frau
verabredet, daß sie alle Häfen entzweischlagen solle, wenn er ihr ein
Zeichen gäbe. Das tat die Töpferin, sowie sie sah, daß der Schalk vor
dem Bischof die Kappe lüftete.

Der Bischof war nun sehr zufrieden über diese Auskunft, lachte
über die Schalkheit und erzählte bei Tisch seinen Lehensleuten, daß
er hinter das Geheimnis des Narren gekommen sei. Da wurden die
Herren neugierig und plagten ihn, daß er den Schleier lüften möge.
Da es nun zu Eulenspiegels Zeit in Bremen Brauch war, daß einer das,
was er haben wollte, bezahlen mußte, so gab er jedem Lehensmanne
auf, ihm dafür einen feisten Ochsen, vier Gulden an Wert, zu stiften.
Das versprachen die Herren, die vor Ungeduld fast vergingen, und
stellten ihre Ochsen, zwölf Stück im ganzen. Als sie dafür das Ge-
heimnis erfuhren, zogen sie lange Gesichter. Sie hatten alle etwas



till eulenspiegel-223. arpa

von der Schwarzen Kunst zu hören verlangt und wurden nun mit
einem einfachen Kniff abgespeist, der ihnen ihr Geld nicht wert war.
Doch schwiegen sie still, denn sie wollten den Lehnsherrn nicht be-
leidigen.

Der aber ließ Eulenspiegel nach der Verabredung den fettesten
Ochsen aussuchen, damit er ihn für sich behielt. Weil der Bischof
aber ein gelehrter Mann war, wußte er, daß die alten Weisen unter
den Heiden Ochsen opferten, wenn sie eine neue Wahrheit entdeckt
hatten. Das wollte er auch tun. Er ließ also die elf Rinder verkaufen
und den Erlös für dieselben in der Stille der armen Töpferfrau sen-
den, von deren Not er durch Eulenspiegel erfahren hatte.

Das war sein Opfer.


Ein Vater kann leichter sieben Kinder ernähren
als sieben Kinder einen Vater

Eulenspiegel hatte lange nichts von seinen guten Freunden Schöller
und Möller vernommen und freute sich daher sehr, als er eines
Tages in Leipzig wieder von ihnen hörte. Schöller lag unter dem grü-
nen Rasen und war erlöst von aller Not. Möller aber hatte sich zur
Ruhe gesetzt, denn er war des ewigen Wanderns müde und auch
in die Jahre gekommen, in denen einer gern zu Hause hinter dem
Ofen bleibt, wenn draußen der Hagel an die Fensterscheiben klopft.
Er freute sich sehr, den fahrenden Mann wieder zu erblicken, fing
aber bald an, bitterlich über sein Los zu klagen. Er hatte sich viel
Geld erworben auf seinen Reisen, um gut und sorgenlos leben zu
können, wenn er nicht zwei Kinder gehabt hätte, einen Sohn und



till eulenspiegel-224. arpa

eine Tochter. Beide hatten sich in Leipzig verheiratet, die Tochter
war mit einem Kaufmann vermählt, und der Sohn war selbst ein
Kaufmann. Da hatte Möller nun sein ganzes Vermögen redlich in
zwei gleiche Teile geteilt, dem Sohne den einen Teil, der Tochter den
andern gegeben. Nun war ihm nichts mehr geblieben, aber er hatte
gedacht: Sie werden dich schon ernähren und dir dafür dankbar sein,
daß du für sie in deinem Leben so viel erworben hast, wie sauer es dir
auch geworden ist. Doch hatte er dabei die Rechnung ohne den Wirt
gemacht, denn als seine Kinder wußten, daß der Vater gar nichts
mehr besaß, verachteten sie ihn und behandelten ihn schlecht. Er be-
kam kein ordentliches Essen, kein gutes Bett, ging in zerrissenen
Kleidern, und wenn er sich am Herde wärmen wollte, so stießen sie
ihn weg. Den ganzen Tag hörte er zudem kein freundliches Wort.

Das vernahm Eulenspiegel mit Betrübnis und dachte darüber nach,
wie er dem Freunde helfen könne. Er zählte sein ganzes Geld zu-
sammen, es waren genau hundert Gulden. Die gab er dem Freunde
und sagte:

"Ich leihe dir das Geld bis morgen. Dann will ich kommen und es
mir wieder holen."

Möller sträubte sich, die Summe anzunehmen. Als ihm Eulen-
spiegel aber sagte, welche Schalkheit er damit plane, war er zufrieden
und nahm das Geld.

Am andern Tage erschien Eulenspiegel auch wirklich bei Müllers
und tat schön mit dem Sohne und seiner lieben Frau. Und wie nun
die guten Leutchen so in Eintracht und Liebe beieinandersaßen, da
sagte auf einmal Eulenspiegel zu dem alten Möller:

"Lieber, alter Freund, ich habe eine Bitte an dich. Ich habe kein
Geld mehr. Könntest du mir nicht auf ein Jahr hundert Gulden
leihen?"



till eulenspiegel-225. arpa

Da tat Möller ordentlich böse. "Wie?" rief er, "lumpige hundert
Gulden? Du kannst jederzeit tausend Gulden von mir bekommen
und behalten, solange du willst. Da du aber nur hundert forderst, so
will ich deinen Wunsch erfüllen."

Nach diesen Worten ging er in den Garten, tat, als ob er aus einem
Versteck das Geld genommen habe, und zählte bare hundert Gulden
auf den Tisch. Eulenspiegel wollte ihm dafür einen Schuldschein ge-
ben, aber Möller wehrte zornig ab.

"Zwischen uns braucht es keinen Fetzen Papier", sagte er, "und
solltest du mir das Geld nicht wiedergeben können, so macht mir das
nicht einen Pappenstiel, denn unsere Freundschaft ist wohl mehr
wert, auch habe ich genug, mehr als ich bedarf."
Die jungen Leute machten große Augen, als sie solche Wunder-
dinge sahen, und von der Zeit an hatte der Alte das beste Leben
im Hause. Täglich brachten sie ihm Gesottenes und Gebratenes, und
alles wurde ihm zuliebe getan. Nicht lange danach kam die Tochter
und wollte mit Gewalt den Vater zu sich nehmen. Bei ihr sollte es
ihm gar wohl ergehen.

Also führte der Alte durch Eulenspiegels List ein gutes Leben bis
an sein Ende.


Der Appetit kommt nicht immer mit dem Essen

Wenn unsere Vorfahren recht gesehen haben, dann ist Till Eulen-
spiegel auch einmal in Antwerpen gewesen. Das war eine große Stadt
im Herzogtum Brabant, und viele reiche Leute wohnten dort. Eines
Tages ging er dort in eine Herberge.



till eulenspiegel-226. arpa

Da er sich nicht wohl fühlte, ließ er sich ein paar weiche Eier
kochen.

Nun war unter den Gästen ein Holländer, ein feiner Mann, der
Eulenspiegel am nächsten saß und ihn für einen Bauern hielt. Der
fuhr ihn an: "Wie, du Bauernlümmel, kommst hierher und verach-
test das gute Essen, das dir der Wirt vorsetzt und das mir genügt?
Du scheinst mir ein rechter Feinschmecker zu sein." Mit diesen Wor-
ten nahm er die von Eulenspiegel bestellten Eier, schlug sie auf und
schluckte Sie hinunter. Dann warf er Eulenspiegel die Schalen ins
Gesicht und sagte: "Da, nimm und iß, die halbe Mahlzeit reicht noch
für dich."

Dieser herrliche und anmutige Witz wurde von allen Gästen sehr
belacht und gelobt, denn zu Eulenspiegels Zeit war jede Grobheit
gegen Bauern und Juden gestattet. Eulenspiegel lachte auch mit; das
war das klügste, was er unter solchen Umständen tun konnte.

Nach Tisch verschaffte er sich einen schönen, großen Apfel, den
höhlte er aus, füllte ihn mit Fliegen und Mücken und briet ihn, dann
bestreute er ihn appetitlich mit Zimt. Den Apfel stellte er auf seinen
Platz und ging in die Küche, als ob er sich noch etwas anderes holen
wolle. Der feine Holländer hatte kaum den schönen Apfel gesehen,
als er ihn stahl und kräftig hineinbiß. Wieder lachte alles über den
klugen Einfall und lobte den Herrn, daß er so schön seinen Vorteil
wahrgenommen und den dummen Bauern wiederum geprellt habe.
Allein schon nach dem zweiten Bissen sah er, woran er war. Ihm
wurde sterbenselend, und er jammerte kläglich, so daß man es im
ganzen Hause hören konnte.

Nun hatte Eulenspiegel die Lacher auf seiner Seite. Der Holländer
aber sagte zu ihm: "Ulenspiegel, mit dir esse ich mein Lebtag nicht
wieder und wenn du mir auch Kapaun und Krammetsvögel anbietest."



till eulenspiegel-227. arpa


Farbenblindheit in altdeutscher Zeit

Till Eulenspiegel hatte keinen Grund, sich über andere Leute zu
beschweren, die ihn neckten, denn er selbst spielte doch so vielen
Menschen böse Streiche und legte es besonders darauf an, einfältige
Bauersleute hinters Licht zu führen.

Einmal war in Ülzen bei Lüneburg ein großer Jahrmarkt. Da ka-
men die Bauersleute in hellen Haufen und kauften, was sie bedurften.

Nun hatten sich an Eulenspiegel zwei fahrende Scholaren ange-
schlossen, mutwillige Gesellen, die sich durch das Land hindurchfoch-
ten und dem Galgen immer nahe blieben. Alle drei waren jämmer-
lich bekleidet, und es ging in den Winter hinein, der kein Freund
der armen Leute ist. Da sahen sie, wie ein Bauer grünes englisches Tuch
kaufte und damit heimzog. Das Tuch hätte wohl zu drei Röcken für
die Gesellen gereicht, und die Galgenvögel berieten arglistig, wie sie
das Bäuerlein darum prellen wollten. Waren sie adelige Herren ge-
wesen, so hätten sie ihm einfach im Busch aufgelauert, denn damals
galt das herrliche Sprichwort:

Reiten und Rauben ist keine Schande,
Das tun die Besten im Lande.

Da sie aber nicht zu den Besten gehörten, mußten sie eine List an-
wenden. Das Bäuerlein war kaum aus dem Tore, da begegnete ihm
einer der Scholaren und sagte zu ihm: "Na, Bauer, kommst du auch
vom Jahrmarkt? Was hast du denn für das blaue Tuch bezahlen
müssen?"

"Das Tuch ist grün und nicht blau", antwortete der Bauer.
"Mach doch keine Umstände, Bauer", sagte jener wieder, ,ich



till eulenspiegel-228. arpa

werde doch wohl die Farben unterscheiden können. Merke dir, das
nennt man blau, es ist mit Erfurter Waid gefärbt."

"Nun höre mir aber auf und halte mich nicht für dumm", sagte
der Bauer, der nun ernstlich böse wurde, "der Himmel ist blau, das
Laub ist grün, und so wie das Laub sieht mein Tuch aus."

"Du sprichst wie ein Pfaff", meinte der Scholar, "aber mir machst
du nichts weis, auch nichts grün. Blau ist das Tuch, oder ich will zehn
Gulden verwetten. Willst du es gelten lassen?"

"Ja, das soll gelten", sagte der Bauer, "du wirst dein Geld schon
verlieren. Dort kommt einer, der soll unsern Streit entscheiden.
Heda, guter Freund!" rief er einem zu, der müßig und unschlüssig
am Wege stand. Es war aber niemand anders als der zweite fahrende
Student. "Kommt doch her und knöpft dem da die Augen auf!
Welche Farbe hat dieses Tuch?"

"Das blaue Tuch, meint Ihr?" antwortete der Mensch in aller
Seelenruhe, "was wollt Ihr damit sagen?"

"Welche Farbe es hat, sollt Ihr sagen", sagte der Bauer, der immer
ärgerlicher wurde.

"Blau ist es, das sagte ich Euch ja schon", sprach der Spitzbube,
"blau, blitzblau, das kann Euch jedes Kind sagen. Seid Ihr denn so
töricht, daß Ihr die Farben nicht unterscheiden könnt! Geht Eurer
Wege!"

"Von Euch ist einer so gut ein Schalk wie der andere", rief der
Bauer, "ich gebe mich nicht damit zufrieden."

"Nun", meinte der erste Scholar, "wie Ihr wollt, wir können ja
noch die Meinung eines dritten hören. Dort geht ein heiliger Mann,
der mag den Streit schlichten."

Vor ihnen ging würdevoll ein Priester. Gott weiß, woher Eulen-
spiegel das Gewand so schnell entliehen hatte, aber es kleidete ihn, als



till eulenspiegel-229. arpa

ob er es zeitlebens getragen hätte. Dazu hatte der Schalk eine recht
fromme Miene aufgesetzt und ein Büchlein in die Hand genommen,
in dem er sehr eifrig las.

"Ehrwürdiger Vater", rief ihm der Scholar zu, "haltet doch ein
wenig an und tut uns die Liebe, unsern Streit zu entscheiden."

"In Streitigkeiten mische ich mich nicht", antwortete Till Eulen-
spiegel, "macht es selber aus und hadert nicht unter freiem Himmel,
denn das nimmt selten ein gutes Ende."

"Ei", mischte sich nun auch der Bauer ein, "es ist nur eine Kleinig-
keit und gilt eine Wette. Der junge Mann kann die Farben nicht un-
terscheiden. Ihr solltet nur sagen, wie das Tuch aussieht."

"Was kümmert mich Euer Tuch", antwortete Eulenspiegel, "das
ist eine große Kinderei, die Leute auf der Straße mit solchen Dingen
zu plagen. Geht in Frieden!"




till eulenspiegel-230. arpa

"Ihr braucht ja nur zu sagen, ob das Tuch grün oder blau ist",
drängelte der Bauer.

"Nun, dann laßt sehen", sagte Eulenspiegel.

Der Bauer breitete das schöne englische Tuch auseinander und
sah ihn fragend an.

"Nun, das sieht doch jeder, daß das Tuch blau ist. Wie kann es
darum zwischen euch zum Streite kommen! Aber nun laßt mich zu-
frieden, denn ich habe über andere Sachen nachzudenken." Damit
ging er würdevoll weiter.

Der Bauer aber war nun aller Zweifel enthoben. "Dir wollte ich es
nicht glauben und dem andern Gesellen auch nicht, aber nun glaube
ich es, weil es mir ein heiliger Mann versichert hat. Da hast du
das Tuch, denn nun mag ich es auch nicht mehr sehen."

Mit den Worten warf, er den Scholaren das Tuch zu und ging
eiligst davon. Die drei Schelme aber teilten die Beute.


Eulenspiegel wird von einer Bäuerin betrogen

In seinen späteren Jahren kam der lustige Schalk wieder in jenes
Dorf nahe bei Staßfurt, wo er die Seiltänzerei und andere freie
Künste geübt hatte. Seine Schelmereien waren längst vergessen, auch
waren die meisten Leute, die damals Eulenspiegels Narrheiten mit
erlebt hatten, gestorben. Jener geizige Meier aber, dessen Brot-
suppe ihm noch immer in unangenehmer Erinnerung war, lebte
noch. Er war alt und schwachsinnig geworden, seine Frau aber, die
das Hauswesen zusammenhielt, war um so pfiffiger. Der Meier erinnerte



till eulenspiegel-231. arpa

sich Eulenspiegels nicht mehr, hatte auch von seinen weitbe-
kannten Streichen nichts vernommen. Der Schalk fragte ihn, wie
lange er verheiratet sei.

"So an die fünfzig Jahre", sagte er, "genau weiß ich es selbst nicht.
Wer kann das alles im Kopfe behalten!"

Till fing nun an zu rechnen und brachte heraus, daß in zwei Ta-
gen die fünfzig Jahre auf Tag und Stunde genau verflossen seien.
Ob das seine Richtigkeit hatte oder nicht, war dem Schelm recht
gleichgültig, ihm ging es nur darum, dem Alten einen Festschmaus
abzulisten. Er sagte also: "Wißt Ihr auch, daß Ihr nach gemeinem
und Kirchenrecht verpflichtet seid, an diesem Tage abermals Hoch-
zeit zu machen? Es möchte Euch übel ausschlagen, wenn Ihr's ver-
gäßet, und stehen schwere Strafen und Bußen darauf. Darum hört
meinen wohlgemeinten Rat. Schlachtet einen guten Ochsen, dazu
Schafe und Schweine, bittet Eure Kinder, Freunde und Verwandten
zu Gaste, ich aber will den Herrn Pfarrer bitten, Euch einzusegnen,
wofür ich mich selbst zum Hochzeitsfeste einlade."

Dem Meier machte das Nachdenken Mühe, er war mit allem zu-
frieden und ließ dem listigen Schmarotzer freie Hand. Der Frau half
ihr Widerspruch nichts, so daß die Vorbereitungen getroffen wurden.
Die Hochzeit fand darauf statt, es wurde wacker gezecht, und Eulen-
spiegel sah dabei wohl zu, daß er nicht zu kurz kam. Während des
Mahles wurde es der Bäuerin übel, sie verließ darum ihren Ehren-
platz oben am Tisch und ging hinaus, um sich ans Wasser zu setzen.

Eulenpiegel hielt danach seine Zeit gekommen, bestieg sein Roß
und trabte lachend heim. Da sah er die Bäuerin sitzen, die nicht gut
auf ihn zu sprechen war, weil sie in ihm den Urheber des großen,
nutzlosen Aufwandes sah. Um sie zu necken, ließ er sein Pferd aller-
hand

Sprünge machen, ohne dabei zu merken, daß er seine Gürtel-



till eulenspiegel-232. arpa

tasche verlor, die sein ganzes Geld enthielt. Er ritt davon, die Bäuerin
aber nahm die Tasche und setzte sich darauf. Bald nachher merkte
Eulenspiegel seinen Verlust, trabte zurück und suchte. Als er nun
wieder an das Gehöft kam, fragte er die alte Bäuerin, ob sie nicht
eine rauhe, alte Tasche wahrgenommen oder gefunden habe.

Die Alte antwortete listig: "Ja, guter Freund, bei meiner Hoch-
zeit bekam ich eine rauhe Tasche, die habe ich noch und sitze darauf.
Ist es die?"

Da antwortete er, diesmal unüberlegt: "Wenn du die Tasche bei
deiner Hochzeit erhalten hast, so kann es die meine nicht sein. Die
muß ja schrecklich alt und verbraucht sein."

So ward Eulenspiegel, so schalkhaft und listig er auch sonst war,
doch von einer alten Bäuerin geäfft, bekam das Seine nicht wieder
und mußte seine Mahlzeit teuer bezahlen. Die Tasche wurde aufbe-
wahrt und lange Zeit als Wahrzeichen dafür gezeigt, daß auch der
schlaueste Fuchs sich einmal im Eisen fängt und seinen Meister findet.

Daß "Gefundenes verhehlen so gut ist wie stehlen", war zu Eulen-
spiegels Zeit keine beliebte Sittenregel, blieb doch so mancher Raub
auf der Straße ungesühnt und unerwähnt.


Wieder von einer Tasche

Als Eulenspiegel nach Helmstedt kam, verübte er wieder eine "ab-
sonderliche Schalkheit". Er ging zu einem Taschenmacher und fragte
ihn, ob er ihm wohl eine gute, große und hübsche Tasche machen
könne.

Der Mann fragte: "Ja, wie groß soll sie denn sein?"



till eulenspiegel-233. arpa

"Sie soll groß genug sein", antwortete Eulenspiegel, gab aber dabei
zu verstehen, daß er zweifle, ob der Handwerker sie ihm nach
Wunsch machen werde.

Da fühlte sich dieser in seiner Ehre gekränkt und sagte, daß er nicht
umsonst in Nürnberg gelernt, in Augsburg und Frankfurt bei den
besten Meistern gearbeitet habe, um eine so gewöhnliche Bestellung
nicht ausführen zu können. Es war damals die Zeit, in der man weite
und breite Taschen besonders liebte. Der Taschenmacher machte nun
eine große Tasche, als er sie aber fertig hatte, gefiel sie Eulenspiegel
nicht. Der Handwerker meinte, sie sei ihm nicht groß genug, er nahm
also eine ganze Kuhhaut, schnitt die zurecht und machte eine Tasche
daraus, daß man ein einjähriges Kalb hätte darin bergen können.

Eulenspiegel sah sie, schüttelte den Kopf und sagte: "Ich will Euch
zwei Gulden als Draufgeld geben, erwarte aber, daß Ihr mich nach
Wunsch bedient."

Da dachte der Mann: Du ewiger Mäkler und Nörgler, dir will ich
doch eine Tasche machen, die dir endlich einmal groß genug sein
soll. Wenigstens sollst du nicht sagen, daß ich mein Geschäft nicht
verstehe und nicht nach Bestellung arbeiten könnte!

Er nahm darauf ärgerlich drei Ochsenhäute und fertigte davon
ein Ungeheuer an, so groß, daß es in der Werkstatt kaum Platz hatte
und so geräumig war, daß wohl ein Scheffel Korn darin hätte unterge-
bracht werden können. Zwei Männer würden sie mit Mühe auf einer
Tragbahre kaum geschleppt haben. Die wird ihm wohl genügen,
dachte der Meister. Aber sie genügte dem Schalk immer noch nicht.

"Das soll eine gute, große und hübsche Tasche sein?" fragte er.
"Darunter hatte ich mir etwas ganz anderes vorgetellt. Was soll ich
mit einer Tasche, in der nichts ist? Damit darf ich den Leuten nicht
kommen. Ich will deinen Ledersack nicht. Das Draufgeld magst du



till eulenspiegel-234. arpa

behalten. Du siehst aus alledem, daß du in Nürnberg, Augsburg und
Frankfurt nichts gelernt hast."

"Ich lerne", antwortete der ergrimmte Taschenmacher, "daß ich
es mit einem rechten Erzschelm und Galgenvogel zu tun gehabt habe.
Hier bleibst du! Ich habe auf dein Geheiß für zehn Gulden Leder
verschnitten, das mußt du mir zahlen, oder wir reden vor Gericht
darüber."

Aber Eulenspiegel machte sich schnell aus dem Staube. Der Ta-
schenmacher hatte das Nachsehen und die beste Gelegenheit, durch
Schaden klug zu werden.


Wie Eulenspiegel ein Weißmus allein ausaß

Eulenspiegel war eines Tages am frühen Morgen aufgebrochen und
kam gegen Mittag in ein Dorf. Da wurde es ihm übel und weh, denn
er hatte einen wahren Heißhunger, weil er schon zwei Tage gefastet
hatte. Er trat in das erste beste Haus, um zu sehen, ob er nicht etwas
zu essen erhalten könne. Nun hatte die Bäuerin ein Weißmus auf
dem Feuer, wonach es überall lieblich roch. Da sagte er zu der Frau:

"Wollt Ihr mir nicht Euer Essen verkaufen, wenn es gar ist? Ich
will Euch wohl bezahlen."

"Verkaufen kann ich Euch die Mahlzeit nicht", erwiderte die
Frau, "denn sie ist für meine Leute bestimmt, aber Ihr könnt mit-
essen, es wird auf einen mehr oder weniger nicht ankommen."

"Da bin ich auch zufrieden", sagte Till. Als nun angerichtet wurde,
kam der Mann der Bäuerin und ihre beiden Söhne, die nahmen ihre



till eulenspiegel-235. arpa

großen Holziöffel und machten sich gierig über das Weißmus her. 0
weh, dachte Eulenspiegel, wenn das so fortgeht, wird für mich nichts
übrig bleiben.

Also dachte er sich eine Narrheit aus und fing an zu erzählen: "Übel
erging es soeben einem Frachtfuhrmann auf der Landstraße", sagte
er. "Fuhr da sorglos daher und dachte an nichts, da scheuen plötzlich

die Gäule und werfen die Karre um. Nun läuft er im Dorfe umher
und sucht Hilfe, wird aber damit kein Glück haben, denn umsonst
macht sich keiner die Mühe, und bezahlen kann er nicht."Nun wollte
der Bauer wissen, was der Fuhrmann geladen habe.

"Allerhand", antwortete Eulenspiegel, "doch habe ich nur das ge-
sehen, was in den Fässern und Körben war, die von dem Sturze ge-
borsten sind und ihren Inhalt augeschüttet haben. Schönes Schuh-
werk war darunter, feine Fürtücher und Nürnberger Tand die
Menge. Da liegt nun das schöne Gut, und keiner ist dabei, der es be



till eulenspiegel-236. arpa

Als der Bauer das hörte, warf er seinen Löffel hin, denn es gelüstete
ihn, etwas von der Beute zu erwischen, Frau und Kinder folgten ihm
eilig. Eulenspiegel aber machte sich lachend über das Weißmus her
und aß es auf mit Stumpf und Stiel. Dann ging er wohlgesättigt da-
von und brauchte nicht zu danken, denn der Bauer und die Seinen
suchten immer noch vergeblich nach der Beute. Als sie heimkamen,
merkten sie freilich, daß sie geäfft worden waren, und schimpften
auf den Schalk, der sie betrogen hatte.


Er räuchert eine Gesellschaft aus

Nach langer Zeit ließ sich Eulenspiegel auch wieder einmal in
Nürnberg sehen. Neben der Herberge, in der er wohnte, war das
Haus eines reichen Mannes, der bei allen seinen guten Eigenschaften
doch die Spielleute und Gaukler nicht leiden konnte. Der hatte die
Gewohnheit, einmal im Jahr seine Nachbarn zu Gast zu laden und
sie mit auserlesener Kost und dem besten Wein zu bewirten. Hatte
aber einer seiner Nachbarn einen Gast bei sich, etwa einen reisenden
Kaufmann, so lud er den allzeit mit, mochten es auch zwei oder drei
Fremde sein, sie waren ihm willkommen.

So war es auch diesmal, er bat die Gäste seiner Nachbarn und auch
die aus Eulenspiegels Herberge. Nur mit dem braven und ehrlichen
Till selbst wollte er nichts zu tun haben, eben weil er ihn für einen
Spielmann oder Gaukler hielt und ihm nicht traute. Er hatte mit ihm
in der Herberge zusammengesessen und sich da sein Urteil gebildet.
Für landfahrendes Volk war sein Tisch nicht gedeckt.



till eulenspiegel-237. arpa

Als nun die Nachbarn zu der Gasterei gingen und der Herbergs-
vater seine Gäste mitnahm, sagte er Eulenspiegel den Grund, wes-
halb er ihn nicht mitnähme. Der Gastgeber liebe nun einmal das fah-
rende Volk nicht und halte auch ihn für einen Spielmann und
Gaukler.

"Wir essen drüben gebackene Hühner und trinken guten Wein
dazu", sagte der Wirt, "du magst dich mit Schwarzbrot behelfen,
und für den Durst ist im Hofe ein tiefer Brunnen. Gehab dich wohl!"

Damit ging der Wirt. Eulenspiegel aber dachte: Bin ich ein Gauk-
ler, so will ich euch meine Gaukelei schon beweisen.

Nun war es bald nach Martini, wo die Festlichkeiten in der Reichs-
stadt zu beginnen pflegten. Der Wirt saß mit seinen Gästen in einem
köstlichen Gemach, das stieß an Eulenspiegels Herberge. Das wußte
der Schalk, und er sann eine große Büberei aus. Er hatte schon vor-
her für alle Fälle ein Loch in die Wand gebohrt, doch so, daß auf
beiden Seiten niemand etwas davon wahrnehmen konnte. Dann ver-
brannte er faules Holz und fettige Lumpen auf dem Herde, ver-
schaffte sich einen Blasebalg und blies verstohlen den übelriechenden
Dampf in das schöne Zimmer, in dem die Geladenen tafelten, so daß
der Raum bald mit brenzlichem Rauch und schlechtem Dunst er-
füllt war.

Eine Zeitlang sahen sich das alle ruhig an, dann rief der Gastgeber:
"Hilf, Himmel, es brennt in meinem Hause! Helft mir alle löschen
und retten, liebe Nachbarn!"

Da sprangen alle auf, ließen Wein und Speisen stehen und rannten
Hals über Kopf hinaus, um den Brand zu ersticken.

Der eine rief: "Feuerjo!", der andere schrie nach den Scharwäch-
tern und der Feuerwehr, jener nach Eimern und Wasser. asser. Wie die
Unsinnigen rannten sie im ganzen Hause umher, durchsuchten es



till eulenspiegel-238. arpa

vom Keller bis unters Dach, suchten selbst im Schuppen, in der
Scheune und den Ställen, fanden aber nirgends etwas, so daß sich
keiner erklären konnte, woher der scheußliche Brandgeruch gekom-
men sein könne.

Nun hatte einer im Speisezimmer die Fenster geöffnet, und durch
den Luftzug wie durch die Bewegung der Gäste hatte sich der Qualm
etwas verloren. Da bat der Gastgeber, die Sitze wieder einzunehmen
und weiterzuspeisen, als ob nichts geschehen wäre. Doch war man-
chem der Appetit schon vergangen, auch war das Essen kalt und un-
schmackhaft geworden. Weil es nun kühl war, hatte der Hausherr
Fenster und Türen wieder geschlossen. Aber kaum war das geschehen,
so war das Zimmer bald wieder voller Rauch und häßlichem Geruch.
Die Gäste saßen in dichten Wolken, husteten und warteten, daß die
Flammen irgendwo durchbrechen möchten. Schließlich mochte kei-
ner weder essen noch trinken, und einer nach dem andern verließ das
unfreundliche Haus. Auch der Herbergsvater ging verdrießlich heim
und wollte Eulenspiegel den merkwürdigen Vorfall erzählen, der
ihm wie Hexerei oder schwarze Kunst vorgekommen war.

Da fand er nun, daß es auch in seinem Hause so abscheulich und
beängstigend roch. Er suchte und fand die Bescherung auf dem
Herde, bald darauf auch den Blasebalg, und zuletzt das Loch in der
Wand. Nun wurde ihm die Büberei sonnenklar, und er mutmaßte
richtig, daß ihm der Landfahrer den Streich gespielt und das Mahl
drüben verekelt hatte. Er wollte mit dem Unheilstifter abrechnen,
der aber war nirgends zu finden. Da holte er den reichen Nachbarn
herüber und deckte die Schandtat auf.

Dieser sagte bedächtig:
"Lieber Nachbar, wie ich Euch immer gesagt habe, hat niemand
von Narren und Spielleuten Nutzen. Darum will ich dergleichen



till eulenspiegel-239. arpa

rauhes und wüstes Volk nicht in meinem Hause haben. Eurem Gast
sah ich gleich die Schalkheit an, deshalb lud ich ihn nicht ein. Wenn
er nun schon in Eurem Hause solches Unheil gestiftet hat, wie würde
er sich betragen haben, wenn er in meinen vier Pfählen gewesen
wäre! Denn Ihr wißt doch, daß das landfahrende Volk der Spielleute
uns Wohlhabenden gern ein Schnippchen schlägt. An Eurer Stelle
würde ich die Lehre beherzigen und hinfort solchen Schälken die
Türe weisen."

"Lieber Nachbar", erwiderte der andere, "ein Wirt kann dem Gast
nie ansehen, ob er ein Schalk ist. Unsereiner muß mit allerlei Leuten
halten, mit dem Gaukler so gut wie mit dem Besten im Lande. Ihr
kennt wohl die Rede: Vor einen Schalk muß man zwei Lichter set-
zen. Wer es versäumt, sich in Güte mit dem abzufinden, dem kann
es gehen wie Euch und mir heute."


Ungenügende Sühne

In der Nähe von Staßfurt konnte es Eulenspiegel nicht lassen, wie-
der einer Wirtin einen bösen Streich zu spielen. Er ging in die Her-
berge und sah, daß in dem Hause ein Rad stand, das wohl zum Wag-
ner wandern sollte, oder von diesem geschickt worden war. Darauf
legte er sich, bot der Wirtin einen guten Tag und fragte sie, ob sie
nichts von Till Eulenspiegel vernommen habe. Sie antwortete, schon
der Name dieses Schalks sei ihr widerwärtig, sie wolle weder etwas
von ihm hören noch sehen. Eulenspiegel sagte: "Frau, hat er Euch
denn etwas Übles getan, daß Ihr ihm so gram seid?"



till eulenspiegel-240. arpa

Die Frau wollte es nicht gern erzählen, aber endlich sprach sie:
"Vor einem Jahre kam er hierher, aß und trank Bier. Ich hatte ein
kleines, liebes Hündlein, das sprang um ihn herum, wie alle Hunde
tun, die gern einen Brocken erwischen wollen. Dazu trank das Tier
gern Bier, und meine Gäste pflegten ihm davon etwas in sein Schüs-
selchen zu schütten. Wie der Hund nun den Schelm so durch Gebär-
den bat, sagte ich zu dem Schalk: ,Gebt ihm doch ein wenig von
Eurer Mahlzeit und schüttet ihm ein wenig Bier aus Eurer Kanne in
seinen Napf, dann wird er Euch gut werden.' Das tat der Schelm, und
ich ahnte nichts Schlimmes. Danach ging er hinaus und kam zurück
ohne mein Hündlein, das ihm nachgelaufen war. Er sprach dann zu
mir: ,Wir wollen rechnen. Wie ist das bei Euch Brauch, Wirtin, wenn
ein Gast Eure Kost genießt und nicht zahlen kann, mögt Ihr ihm
dann borgen?'

,Geborgt wird hier nicht', sagte ich ihm, ,wer hier verzehrt, muß
zahlen oder ein Pfand lassen.' Da legte er mir die Hälfte von dem
hin, was seine Zeche machte, greift dann unter den Mantel und legt
die Haut meines Hundes daneben, die er ihm draußen abgezogen
hatte. Das wäre der beste Rock des Gastes, der nicht zahlen könne,
sagte der Schelm. Denkt Euch solche Büberei!"

Eulenspiegel antwortete darauf: "Frau, Ihr habt recht, das war
nicht wohlgetan."

Die Wirtin meinte: "Nun, es wird ihm auch wie einem Schalk er-
gehen."

Da lachte Eulenspiegel: "Sein Schicksal und Eure Wünsche haben
sich schon erfüllt, er liegt auf dem Rade."

"Dafür sei Gott gelobt!" sagte sie, denn sie meinte das Rad, durch
das Verbrecher in jener Zeit qualvoll zu Tode gemartert wurden.
"Seit wann ist das?"



till eulenspiegel-241. arpa

"Erst seit heute", antwortete er. "Und nun lebt wohl, liebe Frau.
Ich bin Eulenspiegel!"

Da schrie die Wirtin nach Bütteln und Nachbarn, aber der Schalk
verschwand, ohne eine Spur zu hinterlassen.


Die Galgenreue

Als Eulenspiegel älter wurde, stellten sich Gebrechen bei ihm ein.
Da erfaßte ihn die "Galgenreue", denn er dachte an seine vielen bö-
sen Streiche. Fortan wollte er ein anderes Leben führen in rechter
Beschaulichkeit, untermischt mit frommen Bußübungen. Dann
konnte ein seliges Ende nicht ausbleiben. Lange überlegte er diesen
Entschluß, dann wandte er sich endlich zur Zisterzienser-Abtei Ma-
riental bei Helmstedt in Sachsen, dort klopfte er bußfertig bei dem
Abt an.

"Ei, ei", sagte dieser, "so kommen denn die verlorenen Schäflein
alle richtig wieder in unseren Stall. Der Teufel hält seine Leute doch
schlecht beieinander und läßt sein Reich vor unseren Augen zerfallen.
Ist doch schon so mancher hier eingetreten, der vordem mit Spieß
und Blechkappe an der Heerstraße gelegen hat, mancher auch, den
nur seine geschwinden Beine vor Bütteln, Folter und Galgen rette-
ten, warum sollte ein Schalk nicht hier unterkommen können, wohl-
gemerkt, wenn er eben seine Bübereien draußen läßt."

"Hochwürdiger Herr Abt", sagte Eulenspiegel, "meine Sünden
drücken mich schwer."

"Das dachte ich mir", fuhr der Abt fort, "sagt man doch, daß du
verdächtig seiest, die Schwarze Kunst geübt und eine Zeitlang ein



till eulenspiegel-242. arpa

Bündnis mit dem Erzfeind abgeschlossen zu haben. Wundere dich
nicht, wir kennen hier wohl deine Streiche, wie du Wölfe gemacht,
einen Esel lesen lehrtest, die Lübecker berückt und viele andere ange-
führt hast, von deinen Kochkünsten ganz zu schweigen. Wenn das
Alter kommt, werden die Schälke alle fromm, und man sagt wohl
nicht umsonst: Jugend hat keine Tugend."

Solche und ähnliche Worte sagte ihm der fromme Abt, um ihn
zu prüfen; als er aber merkte, daß bei der Erwähnung seiner Streiche
Eulenspiegel keine Miene verzog, sondern recht zerknirscht und reu-
mütig dreinschaute, da dachte er: Der ist mürbe, und fuhr fort:
"Lieber Eulenspiegel, ich will dich als Laienbruder wohl aufnehmen,
aber du mußt dich im Kloster nützlich machen, damit du die Kost
verdienst, denn alle Brüder müssen im Hause, Garten oder Feld hel-
fen, jeder nach seinen Kräften. Willst du das tun?"

"Ja, lieber Herr, gerne", versicherte er.

Der Abt fuhr fort: "Freilich weiß ich auch, daß du nicht gern ar-
beitest, denn du bist zu lange Landfahrer gewesen, hast es auch nir-
gend lange ausgehalten. Also will ich dir ein Amt geben, wobei du
wenig zu tun hast. Du sollst Pförtner werden. Als solcher brauchst du
nur die Leute einzulassen und in den Keller zu gehen, um Bier und
Wein heraufzuholen, oder Essen aus der Küche. Hier hast du die
Schlüssel, tue nun deine Pflicht!"

"Gott vergelte Euch, was Ihr an mir tut", antwortete Eulenspiegel
und trat sein neues Amt in Demut an.

In das Kloster kam nun allerhand Besuch, nicht nur wandernde
Mönche, die Botschaften überbringen sollten, sondern auch Landfah-
rer, Bettelvolk und namentlich Ritter und Herren mit ihrem Ge-
folge. An solchen Besuchen war dem Abte nichts gelegen, denn sie
machten das Kloster nicht reicher.



till eulenspiegel-243. arpa

Am gleichen Tage, an dem nun Till Eulenspiegel im Kloster aufge-
nommen worden war, kam ein Schwarm Scholaren vor die Kloster-
pforte. Die lustigen Brüder taten gar fromm und begehrten um Got-
tes willen ein Nachtlager, und wenn es angehe, einen Bissen Brot,
dazu ein Schlückchen Wein. Da lächelte Eulenspiegel, führte sie in
den Saal, schleppte aus der Küche alles heran, was da war, Fleisch,
Schinken, Würste, Eier und Gebackenes, das setzte er ihnen vor. Dann
schlug er ein Faß Wein an und zapfte es ab und setzte sich mit den
lustigen Vögeln zu Tisch und zechte mit ihnen. Die ausgehungerten
Burschen freuten sich nicht wenig, als ihnen so reichlich aufgetragen
ward, machten sich fleißig darüber her, und was sie nicht vertilgten,
das verschwand in ihren Schnappsäcken. Als dann der Wein seine
Wirkungen übte, da ging ein lustiges Leben in den heiligen Kloster-
räumen los. Da wurde gesungen:

Haec est illa bona dies - Heut' ist nun jener schöne Tag,
und:

Mihi est propositum in taberna mori,
Mir ist bestimmt, im Wirtshaus einst zu sterben,

sodann:

Den liebsten Buhlen, den ich han,
Der liegt im Klosterkeller,
Er hat ein hölzern Röcklein an
Und heißt der Muskateller;

oder:

Gesegn dich Gott, du allerliebster Trost,
Du hast mich vom großen Durst erlost,



till eulenspiegel-244. arpa

und was dergleichen Schelmenlieder mehr sind. Die frommen Brü-
der wurden von dem Getöse wach, glaubten nicht anders, als daß
Hexensabbat im Kloster sei, standen aber nicht auf, um dem Umfug



till eulenspiegel-245. arpa

zu steuern. Der Prior war taub und hörte nichts, der Abt aber wohnte
in einem anderen Gebäude und schlief den Schlaf des Gerechten. Also
lärmten Eulenspiegels Gäste unbehelligt weiter, bis einer nach dem
andern unter den Tisch fiel.

Am andern Morgen sahen der Abt und die Brüder mit Grausen
die Bescherung und trieben die Schmarotzer aus dem Hause. Da sagte
der Abt zu Eulenspiegel: "Es ist nicht fein, solche Völlerei im Klo-
ster zu erlauben, das sollst du dir merken."

Eulenspiegel antwortete: "Gnädiger Herr, Ihr befahlt mir, die
Leute einzulassen, Kost aus der Küche, dazu Bier und Wein zu holen.
Nun habe ich nach Befehl getan, so gut das mir einfältigem Laien-
bruder gelingen wollte."

Darauf sagte der Abt: "Bei unserer Lieben Frau, wenn wir alle,
die zu uns kommen, so bedienen wollten, dann könnten wir bald
mit dem Bettelsacke von Haus zu Haus wandern, und das Kloster
würde arm. Von allen, die kommen, darfst du nur den dritten Mann
einlassen. Merke dir das!"

"Das will ich mir gewiß merken", antwortete Till Eulenspiegel de-
mütig. Von der Zeit an übte Eulenspiegel eine andere Schalkheit. Er
ließ nur den dritten Mann ein und sperrte auch die Brüder aus,
die doch in das Kloster gehörten. Die mußten dann sehen, wo sie
unterkamen. Das ging einige Tage gut, dann erfuhr es der Abt. Er
ließ Eulenspiegel zu sich kommen und sprach zu ihm: "Fängst du im
Kloster Narrenstreiche an? Wie darfst du die Brüder aussperren, die
doch in das Kloster gehören?"

"Herr", antwortete er, "ich habe nach Eurem Gebote immer den
Dritten eingelassen, damit die andern das Kloster nicht arm essen.
Es sollte mir leid tun, wenn ich es anders geübt hätte, als Ihr mich
befohlen habt."



till eulenspiegel-246. arpa

"Das ist mir eine ausgesuchte Schalkheit", sagte der Abt, "mir
machst du kein X für ein U. Ich kann dich als Türschließer nicht
mehr gebrauchen und will einen andern an deine Stelle setzen."

Das war dem Schalk auch recht, denn das wenige Arbeiten war ihm
wieder leid geworden, und der Müßiggang gefiel ihm weit besser. Da
schlenderte er denn in den Ställen, in der Mühle, im Brauhaus und
der Bäckerei umher und trieb aus Langeweile Narrenpossen. Da er-
wischte ihn der Abt einmal im Klostergarten und sprach zu ihm:
"Was treibst du hier, Eckensteher?"

"Ach, Herr", sagte er, "ich Basche ein Vöglein und glaubte fast,
es ginge mir wie jenem Bruder in Heisterbach am Rhein, der drei-
hundert Jahre lang einem solchen Tierlein nachstellte, weil er ein
Zweifler war. Wie ich Euch aber nun sehe, erfahre ich selber, daß ich
nicht zweifle."

"Ich aber zweifle, daß ich dich lange im Kloster behalten werde,
denn du scheinst mir zu nichts nütze zu sein", antwortete der Abt.
"In Mariental werden keine Vogelfänger geduldet. Ich sehe, ich muß
dir eine Beschäftigung geben, damit du nicht wieder auf Narren-
streiche kommst. Du sollst mir in der kommenden Nacht, wenn es
zur Mette geht, die Brüder zählen, die in die Kirche gehen, denn ich
weiß wohl, daß es einige darunter gibt, die lieber auf den Betten
liegen bleiben." Damit ging er.

Eulenspiegel aber dachte: Das ist ein schwieriger Auftrag, denn
wer kann im Dunkeln sehen, wieviele Männer nach der Kirche gehen!

Also riß er einige Stufen von der Treppe ab, über die die Mönche
gehen mußten, und wartete, bis die Glocke läutete. Da kam zuerst
der Prior, der ging seinen ruhigen, bedächtigen Schritt. Als er aber
an die Lücke kam, plumpste er hinunter und schrie vor Schreck. Nun
wollten die andern Brüder sehen, was ihm zugestoßen sei, liefen und



till eulenspiegel-247. arpa

plumpsten gleichfalls, einer über den andern. Eulenspiegel aber nahm
das alles wahr, und so oft er einen fallen hörte, schnitt er eine Kerbe
in sein Merkholz. Die Mönche kamen nun zwar mit dem Schrecken
davon, klagten aber über ihren Unfall beim Abte. Da wurde dieser
sehr böse und sagte zu Eulenspiegel: "Du bist ein verdammter Schalk,
nicht zu bessern oder zu retten. Gehe zum Teufel und kehre nicht
wieder! Vorher aber sollst du die Geißel spüren."

Als Eulenspiegel dieses Wort hörte, empfahl er sich, ohne Abschied
zu nehmen. Sie hielten zwar an der Pforte Wache, um ihn nicht un-
gestraft entweichen zu lassen. Er aber hatte sich bereits vorher für
den Fall der Not ein Loch in der Scheune gebrochen und entwischte
ihnen, ohne seine Lektion geschmeckt zu haben.


Giftmischerei in Mölln

Von Mariental aus begab sich Eulenspiegel nach Mölln und wurde
da sehr krank. Er wohnte bei einem Apotheker, denn er glaubte,
daß ihm da am besten geholfen werden könnte. Doch mußte er sich
gleich zu Bett legen, denn alle Glieder taten ihm weh. Der Apothe-
ker war aber auch ein Schalk, der gerne andere hinter das Licht
führte. Da wohnten denn zwei Schälke unter einem Dache.

Der Apotheker dachte: Eulenspiegel ist ein verlorener Mann, der
tut keinem mehr etwas, du willst ihm einen Streich spielen zum Lohn
dafür, daß er so viele betrogen hat. Als Eulenspiegel nun ein schmerz-
stillendes Mittel verlangte, reichte er ihm eine scharfe, ätzende Medi-
zin, so daß er nur noch größere Schmerzen empfand.

Da stand er auf und wollte den Apotheker fragen, warum er ihm
solche Pein bereitet hätte. Der aber war ausgegangen und hatte das



till eulenspiegel-248. arpa

Haus zugeschlossen. Da merkte Eulenspiegel die Büberei und dachte:
Gibst du solche Medizin, dann nützt deine ganze Apotheke nichts.
Er nahm alle Büchsen und Phiolen, leerte sie auf einen Haufen, goß
die Mixturen und Brühen darüber und sagte: "Es ist besser, alle Arz-
neien verderben, als daß die Kranken dadurch kränker gemacht
werden."

Als der Apotheker nach Hause kam und den Schaden besah, wurde
er wütend und ließ gleich Leute kommen, die den Kranken in das
Spital bringen mußten, denn er hatte eingesehen, daß zwei Schälke
sich in einem Hause nicht vertragen können.


Die zornige Begine

Zu Eulenspiegels Zeit gab es viele fromme Leute, die in beschau-
lichem Dasein lebten, still und abgesondert, und die gern Liebes-
werke verrichteten, wenn sich die Gelegenheit hierzu bot. Manchen
sagte man freilich nach, sie meinten es nicht ehrlich. Das waren die
Beginen. Nun war eine unter ihnen, die ging gern in das Spital,
um die armen Kranken zu trösten. Als sie hörte, daß Eulenspiegel
im Hause sei, freute sie sich sehr, den argen Sünder auf gute Wege
bringen zu können, denn das hatte sie ernstlich vor und zweifelte
nicht am Erfolg ihrer Bemühungen. Sie machte sich auf den Weg und
fand den Schelm sehr leidend. Das erbarmte die gute Frau, und sie
fragte ihn mitleidig: "Wo seid Ihr denn krank, Eulenspiegel?"

"Hier in diesem Zimmer", antwortete er, um bei der Wahrheit
zu bleiben.

"Ach, Ihr müßt das genauer sagen", fragte sie weiter, "denn mit
dieser Antwort gebe ich mich nicht zufrieden. Denkt, ich bin eine



till eulenspiegel-249. arpa

alte erfahrene Frau und verstehe etwas vom Menschenleben, habe
auch schon manche arme Seele geheilt, die dann in die Ewigkeit abge-
fahren ist. Also, wo seid Ihr krank?"

"Nun, zwischen der Bettlade und der Wand", gab er zurück. Die
Begine hätte nun lieber gehört, daß er ihr seine Sünden geklagt

hatte, denn für solche Wunden hatte sie das richtige Pflaster, wie sie
meinte. Die Antwort gefiel ihr also nicht, doch dachte sie: Wer die
Mühe scheut, der macht aus einem Schalk keinen Engel.

Also fuhr sie fort, dem argen Sünder zuzureden, er möge "Gottes
Recht"nehmen und seine vielen und schweren Sünden beichten, dann
wäre ihm der Tod süß.

"Ach, liebe Frau", antwortete er, "der Tod ist allemal eine bittere
Pille, es ist nichts Süßes daran."



till eulenspiegel-250. arpa

"Wäre mir doch lieb, wenn Ihr mir ein süßes Wort sagtet", fuhr
sie hartnäckig fort.

"Honig!" erwiderte er.
Auch dadurch wollte sich die fromme Frau nicht abschrecken las-
sen. Sie fing ihren Heilsweg nun auf andere Weise an. "Sagt mir doch,
lieber Eulenspiegel, habt Ihr in Eurem langen Leben wohl etwas Gu-
tes getan? Denn Ihr wißt doch, daß gute christliche Werke viel wert
sind für einen, der sich zum letzten Gange rüstet."

"Gute Werke habe ich viel getan in meinem Leben, wo ich hätte
Böses tun können", erwiderte er. "Nie habe ich den Wein mit Was-
ser verdünnt, so oft ich dazu Gelegenheit hatte, nie einen Jäger aus-
gehöhnt, der einen Hasen fehlte, nie die Hühner verwünscht, wenn
ich ein faules Ei fand, auch den frommen Leuten in der Kirche nicht
den Platz weggenommen, wie das manche tun, die nur nach ihrer
Bequemlichkeit fragen und sich in den Kirchstühlen faul hinrekeln,
während sie beim Wein im Wirtshause sitzen sollten. Ich habe vom
Brot nie die Rinde abgeschnitten. Von Kirschen und Pflaumen ließ
ich stets die Steine übrig, auch war mir das Braune vom Braten
immer lieber als das andere. Sehr genau habe ich's mit den Sonn-
und Feiertagen gehalten, an denen verboten ist, zu arbeiten. Ja, ich
habe wochen- und tagelang überhaupt nicht gearbeitet, damit ich
nicht einmal durch sündhaftes Schaffen den heiligen Tag aus Ver-
sehen entweihen möchte. Dann habe ich mein Lebtag immer be-
hauptet, daß die Milch weiß, das Wasser naß und der Mond rund
wäre, denn ich bin allezeit ein Freund der Wahrheit gewesen."

"Das sind aber alles lästerliche Reden", sagte die Begine. "Ihr
wollt mich wohl nicht verstehen. Tut Euch denn Eure Sünde nicht
leid, Eulenspiegel?"

"Nur eins tut mir leid", sagte er.



till eulenspiegel-251. arpa

"Und was wäre das?" forschte sie begierig.

"Das ist", sagte er, "daß ich das Geschwätz einer alten Betschwe-
ster anhören muß und ihr nicht den Mund verbieten darf."

Nun wurde aber die Begine giftig. "Jetzt sehe ich, daß du ein
rechter Schalksnarr und Höllenbraten bist. Mit der alten Betschwester
meinst du natürlich mich, wo ich es doch so gut mit dir meine. Geh
zum Teufel! Du wirst den Weg dahin schon allein finden." Damit
ging sie sehr zornig davon.

Eulenspiegel aber lachte und sagte: "Es ist keine Begine so an-
dächtig: wenn sie zornig wird, so ist sie ärger als der Teufel." Diese
Worte hatte sie noch gehört und wollte ihm scharf antworten; weil
ihr aber vor Arger die Stimme verging, sah sie ihn nur grimmig an
und drohte ihm mit der Faust.


Noch einmal von der Schwarzen Kunst

Eulenspiegel führte in Kisten und Kasten viel Gerümpel mit sich,
allerhand Dinge von geringem Werte, die er zu seinen Narrenstrei-
chen nötig hatte. Da hatte sich nun das Gerücht verbreitet, daß er
sehr reich sei.

Als die Begine nach Hause zurückkehrte, erzählte sie, wie Eulen-
spiegel sie beleidigt habe und wie sie ihm dafür grolle. Das hörte ein
frommer Weber, der sich auch zu den Beginen hielt, und dachte:
Was der guten Brigitte mißglückt ist, könnte mir vielleicht geraten,
aber Eile tut not, er könnte sonst sterben. Also ging er zu dem Kran-
ken, um ihn zu trösten. Schließlich sagte er: "Eulenspiegel, Ihr seid
ein reicher Mann, habt Fürsten und Herren zu Eurem Vorteil gedient



till eulenspiegel-252. arpa

und viel von dem ungerechten Mammon erworben, könnt aber Eure
Glücksgüter nicht mit Euch nehmen. Dazu habt Ihr weder Ver-
wandte noch Freunde, soviel ich weiß, denen Ihr Eure Schätze ver-
machen könntet. Hört darum den Vorschlag eines Mannes, der Euch
wohl will. Vermacht mir einen Teil von dem Segen, der Euch jetzt
zur Last wird, dann werde ich für Euer Seelenheil Vigilien halten und
Messe lesen lassen, und Euer Andenken soll bei mir ein gesegnetes
bleiben."

"Ich gebe Euch in allen Punkten recht", antwortete Eulenspiegel,
"kommt heute nachmittag wieder, da sollt Ihr mich beerben." Der
fromme Weber ging auf diesen Bescheid hin froh heim. Inzwischen
hatte sich Eulenspiegel seinen Hausrat bringen lassen und fand darun-
ter einen Topf, der mit Teer gefüllt war. Damit hatte er schon man-
chem ein Schnippchen geschlagen. Der schien ihm gut geeignet für
sein Vorhaben. Er legte oben auf einige Münzen, so daß die Ober-
fläche bedeckt war, und erwartete mit Behagen den Erbschleicher.

Der kam auch richtig zur festgesetzten Zeit an und freute sich nicht
wenig auf das, was kommen sollte.

Eulenspiegel aber sprach zu ihm: "Lieber Freund, da ist ein Teil
meines Vermögens. Nehmt Euch, soviel Ihr mögt, doch rate ich Euch,
die Hand nicht zu tief hineinzustecken."

Der fromme Weber machte große Augen, als er den Reichtum sah,
und dachte: Du willst nicht der Dumme sein und dich nur mit einem
Kinderhändchen voll der Gottesgabe begnügen. Also griff er tief
hinein in den Topf, um eine tüchtige Handvoll des Segens zu er-
beuten. Da fühlte er, daß er in etwas Weiches faßte, zog die Hand
heraus und sah, daß diese mit schmierigem, übeiriechendem Teer ge-
füllt war.

Da ließ er die Maske fallen und sprach:



till eulenspiegel-253. arpa

"0 du Erzbösewicht! Nahe vor deinem Ende willst du einen from-
men Mann noch betrügen! Eine solche Schalkheit muß zeitliche und
ewige Strafe nach sich ziehen."

Eulenspiegel antwortete: "Euch geschieht nach Wunsch. Ich sagte
Euch gleich, Ihr möchtet die Hand nicht zu tief hineinstecken. Aber
Ihr wolltet ja nicht hören."

Der Weber aber ging zornig mit seiner Hand voll Teer nach Hause.

"Nehmt doch die Münzen mit!" rief ihm Till noch nach. Der aber
antwortete wütend: "Du hast dich mit der Schwarzen Kunst einge-
lassen, ich will von dir nichts besitzen. Geh zur Hölle und büße da
deine Schalkheit!"

Eulenspiegel aber lachte und sagte: "Wenn der frömmste Mann
kein Geld bekommen hat, so kann ihn keiner von einem Erzschelm
unterscheiden."


Sein letzter Wille

"Als es mit Noah ging zu End, gedacht er an sein Testament."
Nach dieser alten Regel setzte auch Till Eulenspiegel seinen letzten
Willen auf und bedachte dabei als guter und redlicher Hausvater seine
Freunde, den Rat von Mölln und den Kirchenvorstand.

"Dies ist mein letzter Wille", hieß es in der Urkunde, "es sollen
meine guten Freunde, Klaus der Zimmermann, Gottlieb der ehrbare
Nachtwächter, Kunst der Henker und Lieb der Schinder, einen Teil
von meinem Vermögen besitzen, den zweiten der hochweise und ehr-
würdige Rat der Stadt, den dritten Franz Greve, der hochwürdige
Herr Pfarrer, dazu die heiligen Vikare. Und so bestimme ich, daß



till eulenspiegel-254. arpa

jede Partei den gleichen Teil an meiner Hinterlassenschaft erbe, nicht
mehr und nicht weniger. All mein Vermögen befindet sich in einer
mit Eisen beschlagenen Kiste, die mit kostbaren Schlössern verwahrt
ist, doch bestimme ich, Till Eulenspiegel aus Kneitlingen, daß sie erst
vier Wochen nach meinem Tode geöffnet werden darf im Beisein der
drei Parteien. Bis dahin will ich in geweihter Erde begraben sein, und
man soll Vigilien und Seelenmessen für mich, als einen guten Chri-
sten, abhalten.

So gegeben in Mölln unter meinem Insiegel."

An der Echtheit dieses Dokuments war kein Zweifel, denn des
Schalks Eule samt dem Spiegel war darunter in Wachs abgebildet.

Als nun Eulenspiegel gestorben und begraben war, konnten die
lachenden Erben kaum die Zeit erwarten, die Kiste mit den Herrlich-
keiten zu öffnen.

Endlich kam der Tag, die Kiste wurde geöffnet, doch fand man
darin nichts weiter als einen schweren Pflasterstein. Da waren sie alle
sehr enttäuscht und kamen sich in die Haare, wie das bei Eulenspie-
gels Zeiten unter Erben üblich war. Eine Partei beschuldigte die an-
dere, den Schatz entwendet zu haben, und erst später, als sie sich den
Fall überlegten, kamen sie zu der Einsicht, daß sie der Verstorbene
überlistet haben könne, und sie bereuten, daß sie ihn in geweihter
Erde bestattet und ihm Seelenmessen gehalten hatten, denn zu jener
Zeit waren die Menschen nicht so gesittet wie früher oder später, und
es tat not, daß ein Mann wie Eulenspiegel dazu berufen war, sie zu
bessern, freilich nach seiner komischen Weise.



till eulenspiegel-255. arpa


Wie ein Narr begraben wird

Als Eulenspiegel gestorben war, kamen die Klageweiber und be-
weinten ihn. Dann taten sie ihn in einen einfachen Sarg und setzten
ihn auf eine Bahre im Hausflur. Darauf kam die Geistlichkeit von
Mölln, um die Vigilie zu singen. Viele Leute kamen zum Spital und

sangen und beteten mit, auch die Knechte und Mägde im Hause. Und
die mußten wohl nicht recht auf die Ställe achtgegeben haben, denn
während der heiligen Handlung drangen die Schweine in den Haus-
flur, warfen die Bahre um und störten die ganze Trauerversammlung.



till eulenspiegel-256. arpa

Die Weiber wollten die Tiere verjagen, die aber - man weiß
doch, wie Schweine sind - brachten alles in Unordnung, stießen
die Leute und den Sarg um und liefen im Spital hin und her, und es
kostete Mühe, sie zu vertreiben.

Dann kamen die Träger und hoben den Sarg auf, um ihn zum
Kirchhof zu bringen. Sie nahmen ihn, wie er war, und sahen erst am
Ziele, daß der tote Schalk auf dem Bauche lag. Da lachte alles, und ein
Weiser sagte: "Er zeigt selber, wie er liegen will, tun wir ihm denn
seinen allerletzten 'Willen."

Als sie den Sarg nun auf die Seite legten, um ihn, wie es Brauch
war, in das Grab hinabzulassen, riß zufällig das Seil am Fußende, und
der Sarg schoß in das Grab, so daß Eulenspiegel aufrecht darin stand.
Da sagte derselbe weise Mann: "Laßt ihn nur stehen, wunderlich ist
er gewesen im Leben, wunderlich will er auch sein im Tode."

Da warfen sie das Grab zu und setzten ihm einen Leichenstein, auf
dem zu lesen war:

Disen Stein soll nieman erhaben
Hie stat Ulenspiegel begraben.

Dazu meißelten sie sein Wappen ein, eine Eule und einen Spiegel.

MCCCL



till eulenspiegel-257. arpa

Till Eulenspiegel! — Viele Narrenstreiche sind mit diesem Namen
verknüpft, die bei aller Derbheit voll gesunden Humors und echter
Volkstümlichkeit sind.

Till Eulenspiegel lebt unter uns fort als das Urbild des fahrenden
Gesellen aus einer Zeit, in der das einst so mächtige und glanzvolle
Heilige Römische Reich Deutscher Nation zum Spottbild kaiser-
licher Macht und zum Spielball händelsüchtiger Landesfürsten herab-
gesunken war, in dem strenge Zunftgesctze und Ortssatzungen jede
freie Regung erstickten, und eine harte, oft unmenschliche Justiz
Bürgern und Bauern das Leben erschwerte.

Der lockere Gesell Till Eulenspiegel ist stets bei der Hand, wenn
es gilt, Geistlichen und ehrsamen Bürgern ein Bein zu stellen. Nie
versagt sein Mutterwitz und er ist darin allen noch so gelahrten Pro-
fessores und Doktores weit überlegen. Seine Späße sind derb und oft
wenig rücksichtsvoll. Mehr als einmal streift er nach damaligen Be-
griffen den Galgen, vor dem ihn schließlich immer wieder nur seine
unverfrorene Keckheit rettet.

Dieser Till Eulenspiegel wurde nach und nach in den Erzählungen
aus dem Leben der Fahrenden jener Zeit der Held vieler Streiche,
die ein einzelner nie hätte ausführen können. Sein Name nimmt
seine Deutung aus der Spruchrede jener Zeit, die da sagt: Der Mensch
erkennt seine Fehler ebensowenig, wie ein Affe oder eine Eule, die
in den Spiegel sehen, ihre eigene Häßlichkeit erkennen.



till eulenspiegel-258. arpa

Der älteste bekannte Druck von "Till Eulenspiegel" stammt aus
dem Jahre 1519. In diesem erzählt der nicht genannte Verfasser in
seiner Vorrede, daß er von mehreren Personen aufgefordert worden
sei, die Streiche "des behenden, listigen und durchtriebenen Bauern-
sohnes" zu beschreiben, "um dem Lesenden ein fröhlich Gemüt zu
machen in schweren Zeiten". — Er erwähnt außerdem, daß er ein
schlichter, der lateinischen Sprache unkundiger Laie sei. Liest man
sein Buch aber aufmerksam, so wird man finden, daß der Verfasser
entgegen seiner Versicherung ein Geistlicher gewesen sein muß. Da-
für spricht seine Vorliebe für Schilderungen kirchlichen Lebens und
sein zungenkräftiges Herfallen über Ketzer und Beginen. — Der
Schlauberger mag gewußt haben, warum er seinen Namen ver-
schwieg! — Er vervollständigte sein Buch mit Anekdoten des Pfaf-
fen vom Kalenberg. Manche wollen in ihm Thomas Murner (1475
bis 1537) erkennen, der zu jener Zeit seine derbhumorvolle "Schel-
menzunft" sowie die nicht minder allerlei Zeitgebrechen anprangernde
"Gäuchmatte" schrieb. Mag diese Mutmaßung nun stimmen
oder nicht - "Till Eulenspiegel" war und ist eines der beliebtesten
Volksbücher, dem schon Hans Sachs manchen Stoff für seine Rüpel-
spiele entnahm und das so recht ein unsterbliches Zeugnis herzhaf-
ten Volkshumors ist.